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Kulturgut

Da ich seit Dienstag nicht zuhause war, kann ich erst jetzt Umschau halten.

***

Zunächst das Neueste:

Stadtarchiv der Hansestadt Stralsund: Chronologie der Ereignisse im Zusammenhang mit dem Schimmelbefall und dem Verkauf der Gymnasialbibliothek (23.11.2012)
https://www.stralsund.de/hst01/content1.nsf/docname/Webseite_B8D598E4238E4E09C1257ABF00448714?OpenDocument

Siehe schon Dietmar Bartz vorhin hier:
https://archiv.twoday.net/stories/219025009/

Die Beschlussvorlage vom Juni und die vorangehenden Dokumente bleiben undokumentiert, aber immerhin sind als Downloads die beiden Gutachten zum Schimmelbefall verfügbar - unabhängig vom Thema Kulturgutverlust Pflichtlktüre in Sachen Bestandserhaltung!

Die Behandlung der Angelegenheit erfolgte entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen nicht öffentlich.
In der Vorlage wurde durch die Leiterin des Stadtarchivs erklärt: Der Buchbestand sei eingehend unter fachwissenschaftlichen Gesichtspunkten geprüft worden. Zudem wurde erklärt, dass die für die Tätigkeit des Stadtarchivs relevanten Titel, insbesondere Stadt- und Regionalgeschichte, und Titel von großem bibliophilen Wert aus dem Bestand der Gymnasialbibliothek herausgezogen und in den Bibliotheksbestand des Archivs integriert worden seien. Die zum Verkauf vorgesehenen Bücher würden nicht mehr benötigt.
Nachfragen der Hauptausschussmitglieder wurden durch die Leiterin des Stadtarchivs beantwortet.
Im Ergebnis der Erörterung wurde der Verkaufsbeschluss einstimmig gefasst.


Ich werde in dem Abschnitt "Diskussion um Bücherverkauf" namentlich hervorgehoben:

Nach der öffentlich dargestellten Problematik des Schimmelbefalls im Stadtarchiv wurde in der Fachwelt, insbesondere durch Dr. Klaus Graf, Kritik an der Veräußerung von Büchern aus dem Stadtarchiv geübt und deren Rechtmäßigkeit in Frage gestellt.

Unabhängig von der Klärung der persönlichen Verantwortlichkeit - https://archiv.twoday.net/stories/216965935/ nehme ich nicht zurück - werde ich die weitere Entwicklung in Stralsund sehr kritisch, aber auch konstruktiv begleiten. Das ist auch weitgehend Konsens in unserem kleinen Orga-Team.

Auf völliges Unverständnis trifft bei mir die Stellungnahme des ehemaligen Archivleiters Dr. Hacker [zu ihm jetzt:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hans-Joachim_Hacker_%28Historiker%29 ]:

In der Debatte um die verkauften Bücher aus der Stralsunder Gymnasialbibliothekt hat sich jetzt der ehemalige Direktor des Stadtarchivs, Dr. Hans-Joachim Hacker, zu Wort gemeldet. Ihm sei es „ein Rätsel", wie in der Öffentlichkeit die Meinung zustande gekommen sei, dass es sich um einen sehr wertvollen Bestand handele, betont er. In seinem Schreiben an Oberbürgermeister Alexander Badrow und die OZ stellt er auch die Ergebnisse [des] Gutachtens der Experten aus Oxford und Marburg infrage.
https://www.ostsee-zeitung.de/vorpommern/index_artikel_komplett.phtml?SID=c8b7f3bbb2163ae2f53ea6f2f1e6b82f&param=news&id=3615001

[Update:

https://www.ndr.de/regional/mecklenburg-vorpommern/stralsundbuchschatz107.html

Der ehemalige Direktor des Stralsunder Stadtarchivs Hans-Joachim Hacker sagte im Gespräch mit NDR 1 Radio MV, dass die Bücher, die tatsächlich von Bedeutung waren, vor dem Verkauf aussortiert worden seien.
"Rechtlich falsch, fachlich nicht"

Der Verkauf großer Teile der Gymnasialbibliothek bedeute keinen kulturellen Verlust für die Hansestadt, sagte Hacker. Die Bücher, die verkauft wurden, seien in anderen Bereichen des Archivs noch einmal vorhanden.

Hacker räumte jedoch ein, dass der Verkauf ein rechtlicher Fehler, nicht aber ein fachlicher war. Anzunehmen, dass es sich bei den Tausenden von Büchern um einen Sonderbestand gehandelt hat, der nicht zum Archiv gehört, sei falsch gewesen. Die Bücher waren Teil des Archivs und deshalb unveräußerlich.


Was für ein Nichtskönner hat da jahrelang das Archiv geleitet!]

Hacker stellt sich daher hinter seine bisherige Stellvertreterin Dr. Regina Nehmzow, deren beruflichen Werdegang am 10. Dezember 2009 die OZ anlässlich ihrer Ernennung zur Archivleiterin so resümierte:

Diese Begeisterung führte dazu, dass Regina Nehmzow nach dem Abitur in Neubrandenburg an der Uni Greifswald Geschichte und Germanistik studierte und in Geschichte promovierte.

Seit 1978 lebt sie am Sund und pendelte zunächst zwischen den Hansestädten. Sie wusste, dass man für einen Job im Stralsunder Stadtarchiv praktisch Schlange stand. Umso mehr hat es sie gefreut, als sich Direktor Dr. Hans Joachim Hacker, dessen Studentin sie war, und der ehemalige Archivchef, Prof. Herbert Ewe, für sie entschieden. „Das ist es“, war sie sofort überzeugt, dass sie beruflich genau das gefunden hat, was sie wollte. Am 1. Januar 1987 trat Dr. Nehmzow ihre Arbeit an. Im „Gedächtnis der Stadt“ — als Leiterin der Abteilung Sozialismus. Später wurde sie außerdem Direktorin für Öffentlichkeit, war immer Hackers Stellvertreterin.

Nachdem sich ihr Direktor in die passive Altersteilzeit verabschiedete, sitzt sie nun selbst auf dem Chefsessel.

https://www.ostsee-zeitung.de/ozdigital/lokales/stralsund/index_artikel_komplett.phtml?SID=3300e742177e9e79f6f87cec2582d6dc&param=news&id=2638427

Das Thema ihrer maschinenschriftlich vorliegenden Greifswalder Dissertation "Die Stellung der KPD zur Staats- und Machtfrage 1924-1926 / vorgelegt von Regina Nehmzow" (1984) lässt nicht gerade auf eine Distanz zum DDR-Regime schließen. Als Stellvertreterin Dr. Hackers schon vor 1989 musste sie vermutlich ebenso wie ihr Chef politisch zuverlässig sein. Von einer externen Archivausbildung ist nichts bekannt.

In der Ostsee-Zeitung vom 23.11.2012 ("Bücherverkauf: Staatsanwaltschaft ermittelt. Auch die UNESCO zeigt sich besorgt über die Vorgänge in der Welterbestadt") heißt es, die suspendierte Archivchefin wollte sich bisher nicht zu dem Fall äußern. Dies könnte den Schluss nahelegen, dass ein Äußerungsverbot der Stadtverwaltung für Nehmzow nicht mehr besteht, doch ist dieser Schluss sicher nicht nur für diejenigen in der Archivzunft, die in ihr ein "Bauernopfer" sehen, alles andere als zwingend.

***

Weitere Neuigkeiten

"Der Skandal um die Stralsunder Bibliothek steht beispielhaft für die Missachtung von Kulturwerten". Dr. Stefan Lüddemann durfte in der Osnabrücker Zeitung vom 23.11.2012 eine allgemeine Einordnung der Stralunder Vorkommnisse vornehmen - was von der Journaille mir bisher verwehrt wurde
https://www.noz.de/deutschland-und-welt/kultur/68107295/der-skandal-um-die-stralsunder-bibliothek-steht-beispielhaft-fuer-die-missachtung-von-kulturwerten

Ich hätte in meinem Beitrag auf diverse andere Kulturgutverluste, die ich selbst recherchiert habe, hingewiesen und ganz sicher nicht wie Lüddemann mit den Sätzen geendet:

Es gibt Dokumente und Objekte, die tatsächlich unersetzbar sind: Diese Einsicht rüttelt vielleicht jene wach, die glauben, dass alles per Download zu haben ist.

Von zwei Strafanzeigen, die offenbar ernstgenommen werden, weiß nicht nur die Ostsee-Zeitung vom 23.11.2012. Der Rechtsanwalt aus Lübeck ist mir bekannt, der andere Anzeigeerstatter soll aus Rendsburg stammen. Bis zum 45.000 Euro seien einzelne der verkauften Bücher wert, referiert die OZ den Anwalt, der sich natürlich auf meinen Nachweis, dass ein Kepler-Druck für 44.000 Euro verkauft wurde, bezog:

https://archiv.twoday.net/stories/219022356/

Die Staatsanwaltschaft dürfte dieses Detail bekanntgegeben haben, da die Anzeige des Rechtsanwalts nach Absprache mit mir nicht veröffentlicht werden sollte.

Da ich den Artikel zu Reiss in der Nacht vom Montag auf Dienstag erstellt hatte, weil ich ja den Rest der Woche auswärts sein würde, war ich zu müde, um noch journalistischen Kontakten Bescheid zu sagen. Diese unfähigen Trottel hätten ja durchaus Archivalia weiterlesen können, haben aber bislang vorgezogen, das ja eigentlich sensationelle Detail des Kepler-Drucks zu ignorieren.

***

Beiträge in der Blogosphäre

Besonders sachkundig äußerte sich natürlich Margret Ott von unserem Orga-Team gestern:

https://www.blog.pommerscher-greif.de/gymnasialbibliothek-stralsund-gerettet/

Sie weist unter anderem auf meinen - von der Presse völlig ignorierten - Reiss-Fund hin und auch auf die Tatsache, dass auf Ebay der Verkauf munter weitergeht.

Schmalenstroer kommentierte:

Klaus Graf hat es geschafft und die Stralsunder Gymnasialbibliothek gerettet – eigenhändig, nur mit einem Blog bewaffnet. Die Stadt Stralsund kündigte gestern an, dass sie die zuständige Archivleiterin suspendiert habe und plane, den Kauf rückabzuwickeln. Damit hat die weitere Zerschlagung der Bibliothek und ihr Verkauf an private Sammler ein Ende. Fraglich ist hingegen, was mit den bereits weiterverkauften Bücher geschieht.

An dieser Stelle muss man Klaus Graf einfach gratulieren: Ausgehend von einer kleinen Meldung auf einer obskuren Seite, welche den Verkauf nur am Rande erwähnte, schuf er fast im Alleingang eine breite und lautstarke Protestbewegung, der sich dann nach und nach immer mehr Personen und Organisationen anschlossen. Ohne seinen Einsatz würde gerade wohl ein Antiquar mit der Stadt Stralsund über Entschädigungen wegen Schimmelbefalls der verkauften Ware verhandeln. Falls also in Zukunft mal wieder ein Wissenschaftler einen eigentlich überflüssigen Artikel darüber schreiben will, warum Wissenschaftler bloggen sollten: Hier ist das Paradebeispiel. Durch einen Kommentar zu einem Blogpost wird der Skandal bemerkt, weitere Recherchen enthüllen umfassend das Ausmaß, weitere Blogs schaffen Öffentlichkeit und schließlich gelangt die Geschichte in die großen Zeitungen. Das setzt die Stadt Stralsund mächtig unter Handlungsdruck – ohne die Öffentlichkeit, welche durch Archivalia hergestellt wurde, hätte es garantiert kein Gutachten und keine Rückabwicklung gegeben. Gut gemacht, Herr Graf!

Ansonsten erstaunt die Blauäugigkeit der Verantwortlichen, die nicht nur mit einer erstaunlichen Ignoranz gegenüber der historischen Bedeutung so einer Bibliothek agiert haben, sondern auch betriebswirtschaftlich recht unbeholfen agierten: Dem Antiquar wurden anscheinend 6210 Bände aus der Bibliothek für 95.000 Euro verkauft, von denen ein einziger bei einer Auktion schlappe 44.000 Euro erbrachte. Weitere Titel brachten den Erlös dieser Auktion auf mindestens 141.000 Euro – ein gutes Geschäft für den Antiquar, ein Desaster für die Stadt Stralsund, welche im Schnitt 15,29 € pro Band erhalten hat.

https://schmalenstroer.net/blog/2012/11/die-stralsunder-gymnasialbibliothek-ist-gerettet/

Man beachte, dass Schmalenstroer anders als die Printpresse meinen Reiss-Fund aufgegriffen hat.

Blogger Heinz W. Pahlke lobt mich ebenfalls:
Ohne das unermüdliche Engagement des Mittelalterforscher und Archivar Klaus Graf, der den gesamten Skandal auf seinem privaten Blog dokumentiert hat, wäre es Stralsund wohl gelungen, vollendete Tatsachen zu schaffen.
https://www.sprachrand.de/gedanken/2012/11/21/nach-massiven-protesten-wurde-der-verkauf-der-einstigen-stralsunder-gymnasialbibliothek-gestoppt/

Archivalia ist als Gemeinschaftsblog zwar meine private Initiative, aber eigentlich nicht mein privates Blog.

Dr. Jutta Lambrecht:
Dem unermüdlichen Einsatz des Historikers und Archivars Dr. Klaus Graf ist es zu verdanken, dass der skandalöse Verkauf der Historischen Gymnasialbibliothek durch das Stadtarchiv Stralsund aufgedeckt und die Rückführung der Bestände angeordnet wurde.
Eine lückenlose Chronik der Causa Stralsund finden Sie auf Archivalia, dem Blog von Klaus Graf.
Ein herzlicher Dank gilt auch allen MitstreiterInnen!

https://info-netz-musik.bplaced.net/?p=8070

Der Dank an die MitstreiterInnen ist nur zu berechtigt. Richtig ist zwar, dass ich Falk Eisermanns Hinweis, den ich selbst überlesen hatte, aufgegriffen und weiterverfolgt hatte, aber auch hier hat der Erfolg viele Väter und Mütter. Auf Facebook oder per Mail wurde ich von anderen auf dem laufenden gehalten, Scans wurden rasch organisiert, Wikipedia-Artikel geschrieben, die sozialen Netzwerke wurden gemeinsam bespielt. Archivalia war vielleicht das Zentrum des Orkans (oder Shitstorms, wie sicher nicht nur Pöbel-Kommentator Schiffel will, sondern auch diejenigen wie Dr. Hacker meinen mögen, die jetzt aus den Löchern gekrochen kommen, um die Katstrophe doch zu rechtfertigen), aber die Protestwelle war glücklicherweise breit aufgestellt. Neben den Social Media und der Petition (mit ihrem wütenden Kommentaren) waren es auch die alten überregionalen Printmedien, die in Stralsund Eindruck gemacht haben dürfen und die sehr deutlichen Stellungnahmen von Fachleuten, wobei es eigenartig berührt, dass sich die von mir über Prof. Kuhlen frühzeitig informierte UNESCO-Kommission sich erst jetzt rührt, nachdem die Stadt ihren Fehler zugegeben hat. Hony soit qui mal y pense.

Und Nigel Palmer und Jürgen Wolf verdienen höchstes Lob für ihre eindeutige Positionierung als Gutachter. Ich stand mit Jürgen Wolf seit Beginn der Affäre nicht in Kontakt und wusste auch nichts von seiner Gutachtertätigkeit, obwohl ich ihn gut kenne und wir vergleichsweise rege immer wieder mailen.

Sind historische Gymnasialbibliotheken "totes Kapital"? fragt das Blog der Historischen Bismarckbibliothek in Karlsruhe am 23.11.2012:

Im einem Bericht des DLF vom Mittwoch wird erwähnt, dass die Archivarin den Bestand als “totes Kapital” bezeichnet hat.

Wir versuchen unter dem Motto “Mit alten Büchern Neues lernen” dies zu ändern.

https://bismarckbibliothek.wordpress.com/2012/11/23/sind-historische-gymnasialbibliotheken-totes-kapital/

Aus der FAZ und weiteren Quellen zitierte am 22.11.2012 Mathias Nowak:
https://mathias-nowak.tumblr.com/post/36268449290

Im VÖBBLOG heißt es:

Leser von Archivalia ken­nen das stete Bemühen von Klaus Graf um die Erhaltung von Kulturgut. In der Causa Stralsund - das Stadtarchiv hatte die alte, bis ins 16. Jh. zurück­ge­hende Gymnasialbibliothek an einen Antiquar ver­kauft - hat die per­ma­nente und mit gro­ßer Vehemenz betrie­bene «Aufklärung» im Netz die Politik zu Einlenken gebracht. Der Verkauf soll nun rück­ab­ge­wi­ckelt werden.

Schade, dass ist im Fall der Haller Waldauf-Bibliothek, der Ende des letz­ten Jahres bekannt wurde, ein ähnli­cher Erfolg nicht gelun­gen ist. Allerdings waren die Voraussetzungen dort noch schwieriger.

Jedenfalls herz­li­che Gratulation zu die­sem Erfolg!

https://www.univie.ac.at/voeb/blog/?p=24698 (wie immer mit weiteren Links)

[Rainer Schreg:
Dank des Netzengagements von Klaus Graf ist die Gymnasialbibliothek gerettet
https://archaeologik.blogspot.de/2012/11/stralsund-gymnasialbibliothek-gerettet.html ]

Kurze Meldung im Schockwellenreiter:
https://blog.schockwellenreiter.de/2012/11/20121121.html#p04

[Ebenso bei netbib
https://log.netbib.de/archives/2012/11/21/herzlichen-gluckwunsch-3/

Infobib
https://infobib.de/blog/2012/11/20/causa-stralsund-suspendierung-und-ruckabwicklung/

https://www.einsichten-online.de/2012/11/3602/
fordert Schließung von Gesetzeslücken ]

***

Bislang nicht Gemeldetes:

https://blog.museum-aktuell.de/archives/238-Bayerischer-Antiquar-lenkt-im-Fall-Stralsund-ein.html
Dr. Christian Müller-Straten stellte schon am 18.11.2012 berechtigte Fragen, u.a. "warum nicht die ICOM-Richtlinien angewendet wurden".

***

Petition: Sie steht augenblicklich bei 3256 Stimmen. Da auch noch weitere Punkte gefordert wurden, haben wir uns entschieden, sie bis zum regulären Ende weiterlaufen zu lassen.

https://www.openpetition.de/petition/online/rettet-die-stralsunder-archivbibliothek

Auch die Facebook-Seite (438 Likes) soll bestehen bleiben:

https://www.facebook.com/rettetarchivbibliothekstralsund

Ca. 130 Beiträge einschließlich Kommentare zur Causa Stralsund in Archivalia
https://archiv.twoday.net/search?q=stralsund


Die Stadt Stralsund hat eine Chronologie der Ereignisse veröffentlicht:

https://www.stralsund.de/hst01/content1.nsf/docname/Webseite_B8D598E4238E4E09C1257ABF00448714?OpenDocument

Da gibt's einige Lücken in der Darstellung der letzten Wochen. Besonders interessant finde ich aber die Darstellung des Beginns von allem. Dazu heißt es:

"Mit dem Ziel der Bereinigung der Bestände wurde vom Stadtarchiv der Hansestadt Stralsund in der ersten Jahreshälfte 2012 eine Vorlage initiiert, erarbeitet und auf den Weg gebracht."

Das heißt, die Initiative ging von der Stadtarchivarin selbst aus. Es gibt aber keinerlei Angaben, was sie anfangs wollte, und was aus welchen Gründen daraus geworden ist. Ob sie von der Verwaltung angehalten wurde, mehr draus zu machen, und und und. Mit scheint die Chronologie höchst unbrauchbar, um sich ein Urteil über den Beginn des Vorgangs bilden zu können.

https://www.stralsund.de/hst01/content1.nsf/docname/Webseite_E4331380388565DBC1257ABC005239CA?OpenDocument

Gutachten zum kulturhistorischen Wert der Stralsunder "Gymnasialbibliothek“ liegt vor (20.11.2012)

Neben der im Zusammenhang mit der Veräußerung von Büchern bekannt gewordenen Problematik des Schimmelbefalls von Archivgut im Stadtarchiv der Hansestadt Stralsund hat sich in den letzten Wochen zum Verkauf dieser Bücher eine intensive und äußerst kontrovers sowie auch emotional geführte Diskussion entwickelt.

Die dabei geäußerten Fachmeinungen stehen in deutlichem Gegensatz zur fachlichen Meinung unseres Stadtarchivs.

Ich habe deshalb zur Klärung des Sachverhaltes Prof. Dr. Nigel Palmer von der Universität Oxford und Prof. Jürgen Wolf von der Universität Marburg um eine gutachterliche Stellungnahme gebeten. Dies erfolgte in enger Abstimmung mit dem Landesamt für Kultur und Denkmalpflege und dem Innenministerium M-V.
Das Gutachten liegt seit gestern Nacht vor und ist heute den beiden genannten Ministerien zur Kenntnis gegeben worden.

Die Gutachter kommen zu der Auffassung, dass es sich bei der Büchersammlung aus der alten Gymnasialbibliothek, wenn man sie als ein Ganzes betrachtet, um bedeutendes Bibliotheksgut handelt.
Außerdem trifft das Gutachten die Aussage, dass dieses Bibliotheksgut für die Kulturgeschichte der Stadt Stralsund, der Region sowie auch für Forschung und Wissenschaft einen großen Wert hat.

Somit lag eine eklatante fachliche Fehleinschätzung unseres Stadtarchives vor, die zur Veräußerung der Bücher geführt hat. Der Verkauf der Bücher war somit definitiv ein Fehler und muss rückgängig gemacht werden.
Wer Stralsund und die Entwicklung dieser Stadt kennt, weiß, dass dieser Vorgang in deutlichem Widerspruch zum bisherigen Umgang mit dem Erbe und der Geschichte unserer Stadt steht.

Die Aufarbeitung aller Fakten hat jetzt oberste Priorität. Dieser Aufklärungsprozess wird uns in den kommenden Wochen intensiv beschäftigen, zumal es neue Erkenntnisse über Sachverhalte gibt, wie den Verkauf von Dubletten, den wir derzeit noch nicht bewerten können.

Aufgrund der bekannten Fakten habe ich zwei Konsequenzen sofort gezogen:
1. Die Leiterin des Stadtarchivs wurde zunächst mit sofortiger Wirkung vom Dienst suspendiert.

2. Der Verkauf der Bücher wird rückabgewickelt.
Ich habe das Gespräch mit dem Käufer gesucht und im Ergebnis dessen kann ich mitteilen, dass seine Bereitschaft besteht, unabhängig von der rechtlichen Bewertung des Kaufgeschäftes den Kauf rückabzuwickeln. Gleichzeitig wird er uns bei der Wiederbeschaffung der bereits an Dritte verkauften Bücher unterstützen.

Senator Holger Albrecht wird zwecks Abstimmung der Modalitäten mit dem Käufer in der kommenden Woche vor Ort besprechen.

Dr. Alexander Badrow
Oberbürgermeister


Ein großer Erfolg für alle, die sich für unser Ziel eingesetzt haben!

Update: Das Gutachten wurde mir unaufgefordert von der Pressestelle der Stadt zugemailt. Es umfasst 5 Seiten, stützt sich auf die Stadtarchivbestände/Bandkataloge in Verbindung mit den Antiquariatsangeboten und legt besonderen Wert auf die Bedeutung der altsprachlichen und insbesonderen griechischen Bestände für die Bildungs- und Kulturgeschichte der Stadt.

Dazu liegt uns übrigens eine von Frau Klostermann und daher den Gutachtern übersehene Quelle vor, eine Übersicht zu den Titeln der griechischen und lateinischen Autoren in der Stralsunder Gymnasialbibliothek, veröffentlicht im Schulprogramm 1876:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8a/SchulprogrammGymnasiumStralsund1876.pdf

Zu den Quellen des Gutachtens heißt es: "Unsere Stellungsnahme beruht auf der Durchsicht der in Stralsund vorhandenen handschriftlichen Bestandsverzeichnisse der Gymnasialbibliothek, der Recherche in Antiquariatskatalogen mit aktuellen Angeboten aus dem Stralsunder Konvolut, den einschlägigen gedruckten Publikationen (Zober 1860, Ewe 1994, Fabian-Handbuch) und der Kenntnisnahme der Blogs der letzten Wochen im Internet: u. a. Archivalia, Schmalenstroer.net und Infobib.de."

Update 21.11.2012: Der OB von Stralsund hat mich heute Morgen angerufen, und wir hatten ein sehr langes und konstruktives Gespräch. Von den konkreten Zusagen wurde eine bereits eingelöst: Das Gutachten ist online:

https://www.stralsund.de/hst01/ressourcen.nsf/docname/Ressourcen_FDF331EF0600F6BCC1257ABD0032A0DD/$File/Gutachten_19_11_2012.pdf?OpenElement

Noch heute Nachmittag gibt es dazu eine Pressekonferenz:

https://www.svz.de/artikel/artikel/stralsunder-gutachten-zu-verkauf-historischer-buecher-liegt-vor.html

In der Zwischenzeit lesen wir das Protestschreiben des Historischen Instituts der Universität Greifswald:

https://www.phil.uni-greifswald.de/bereich2/histin/aktuelles/protestschreiben-des-historischen-instituts-wegen-des-verkaufs-der-stralsunder-gymnasialbibliothek.html

"Aus Sicht des Historischen Instituts handelt es sich hier um einen ungeheuerlichen Vorgang, der nicht akzeptiert werden kann."

Und unterschreiben auf:

https://www.openpetition.de/petition/online/rettet-die-stralsunder-archivbibliothek (3067)

Zur Causa Stralsund wurden hier etwa 110 Beiträge und Kommentare veröffentlicht, deren bibliographische Erschließung noch aussteht:
https://archiv.twoday.net/search?q=stralsund

Bevor ich zu meinem Scoop komme, muss ich mich etwas länger dem am gestrigen Montag in der Süddeutschen Zeitung (19. November 2012, Seite 11) erschienenen Artikel zur Causa Stralsund (siehe Beiträge in Archivalia) zuwenden, da hier einige bemerkenswerte neue Details mitgeteilt werden.

Der Autor, Till Briegleb, ist eine der SZ-Edelfedern, aber offenkundig kein Spezialist für Archiv- und Bibliotheksfragen. Er wählt einen süffisanten Ton, der sich gut liest. Doch ist fraglich, ob die Einordnung als "Provinzposse" der Affäre gerecht wird.

Bücher, so nass, dass man sie auswringen kann

Die Stadt Stralsund kennt ihre Bibliotheksschätze nicht, verkaufte sie aber an einen Antiquar und will sie jetzt wiederhaben

Wenn der Pressesprecher eines Bürgermeisters
auf alle Fragen nur noch „Kein
Kommentar“ stottert, ein Antiquar Opfer
eines „shitstorms“ wird und meterhoch gestapelte
nasse Bücher als kultureller Sündenfall
beklagt werden, handelt es sich vermutlich um ein
vollendetes Kommunikationsdesaster.
Das produziert gerade das nette
Backsteinstädtchen Stralsund an der
Ostsee, weil es mit dem Verkauf von 2500
Titeln in 5600 Bänden aus seinem Archivbestand
an einen bayerischen Händler ein
Geschrei geweckt hat, dem es nicht mehr
Herr wird. Zugetragen hat sich eigentlich
nur eine Provinzposse. Aber sie hat nationale
Folgen.


Vermutlich gehen die Angaben des Artikels zu den angeblich nassen Büchern im wesentlichen auf den Antiquar zurück. Dieser hat ein vitales Interesse daran, den Zustand der Bücher schlechtzureden. Alles, was zu ihrem Zustand und dem Schimmelbefall geäußert wird, ist angesichts der fortdauernden Blockadehaltung der Stadt nicht überprüfbar. Ob und mit wem der Antiquar redet, kann er allein entscheiden. Die bisherigen Angebote im Internet und bei Reiss lassen nicht im mindesten einen schlechten Zustand der Bücher erkennen.

Die Zahl von 5600 Bänden ist nicht aktuell, es sollen 6210 Bände sein.

Bei der Suche nach neuen Geldquellen
ist irgendwer – wer genau, das will einem
niemand mehr sagen, denn in Stralsund ist
Maulkorb-Zeit – auf alte Bücher in einem
Raum gestoßen, die so muffig rochen, dass
es eine gute Idee zu sein schien, sie an einen
Altbuchhändler zu verkaufen. Zu diesen
Büchern fanden sich keine rechten Inventarlisten.

Zudem zeigte die flüchtige
Durchsicht, dass viele Bände bis zu fünfzehnfach
vorhanden waren. Also ging das
Konvolut auf den Markt, und der Dinkelscherbener
Internethändler Peter Hassold
erbarmte sich für ein paar Tausend Euro
der schimmeligen Doubletten-Sammlung.


Dass es zwei Verkäufe gab, ist neu und wichtig. Uns liegen Informationen vor, dass Stralsunder Bücher von Hassold bzw. dem Augusta-Antiquariat schon vor der Ausschusssitzung im Juni im Internet angeboten wurden, was so seine Erklärung findet.

Natürlich ist der Dublettenverkauf - unabhängig in welchem Zustand die Bände sind - genauso rechtswidrig wie der Verkauf anderer Bände, da die Archivsatzung von 2002 keine Ausnahmen für Dubletten vorsieht. Vor 1850 gibt es im übrigen nach den Standards der Kulturerbe-Allianz keine Dubletten. Es mag gängige Praxis sein, dass Archivbibliotheken Dubletten verkaufen, aber ich vermute, dass in vielen Fällen schützenswerte Ensembles oder provenienztragende Einzelstücke angetastet werden.

Aktuell kann sich jeder vom Irrsinn vergangener bibliothekarischer Dublettenverkäufe überzeugen, wenn er die Pressemitteilung zu den letzten Reiss-Auktionen liest: "Bibliothek Carl Friedrich Gauss. Sensationell verlief der Absatz der in Auktion 154 inkorporierten gut 100 Titel aus der Bibliothek des großen Mathematikers." Zur Herkunft heißt es bei Nr. 1488: "Die folgenden, unter der Einlieferer-Nr. 201 katalogisierten Titel stammen aus der Bibliothek von Carl Friedrich Gauss. Sie wurden im Oktober 1951 aus den Beständen der Niedersächs. Staats- und Universitätsbibliothek in Göttingen als Dubletten ausgeschieden und gelangten in Privatbesitz. Sämtliche Titel tragen den datierten und signierten Ausgeschieden-Stempel der Bibliothek auf dem Titel, dem vorderen Deckel oder dem Umschlag, außerdem den ovalen Stempel "Bibliothek der königl. Sternwarte Göttingen" und/oder den rechteckigen Stempel "Gauss-Bibliothek" sowie eine Bibliotheks-Sigle; zusätzlich sind einige Tafeln auf der Rückseite gestempelt. In einigen Bänden finden sich zudem eigenhändige Besitzvermerke oder Einträge von Gauss, auf diese wird jeweils separat hingewiesen." Nun ist auch diese kleine Sammlung in alle Wunde zerstreut.

Zur "schimmeligen Doubletten-Sammlung" erinnern wir uns: Am 17. Oktober gab der Stralsunder Oberbürgermeister bekannt: "Grund für die Maßnahme ist ein Gutachten des Leipziger Zentrums für Bucherhaltung (ZfB), das von der Stadt in Auftrag gegeben wurde, nachdem es nach Veräußerung eines Teilbestandes der ehemaligen Gymnasialbibliothek an einen Antiquar Hinweise gegeben hatte, dass der Bücherbestand in schlechtem Zustand sei. Oberbürgermeister Dr. Alexander Badrow: "Der Antiquar hat mich über den schlechten Zustand der erworbenen Bücher informiert und seine Sorge um den gesamten Bestand im Stadtarchiv zum Ausdruck gebracht, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Ich habe daraufhin unverzüglich die Überprüfung des Archivbestandes veranlasst."

Entweder diese Darstellung ist falsch oder Brieglebs Aussage, dass der Antiquar eine muffige, schimmelige Dublettensammlung erworben habe. Wenn beide Seiten - Stadt und Antiquar - den schlechten Zustand von Teilen der Archivbibliothek kannten, was sollte dann der "treusorgende" Hinweis des Antiquars (der damit wohl Gewährleistungsansprüche geltend machen wollte)?

Bald darauf erhielt er aus Stralsund das Angebot,
einen weiteren Bestand mit „ausgesonderten
und nicht inventarisierten Büchern“
(wie es später auch im Vertrag
stand) zu erwerben, den er in einem Bieterverfahren im Juni
2012 dann für 95000 Euro erstand. Auch diese Bücher, die er nur
stichprobenartig prüfen konnte, und bei
denen sich aus manchen Bänden Wassertropfen
drücken ließen, so erbärmlich waren
diese aufbewahrt, kaufte er als Lot, also
als Masse ohne Einzelnachweis.


Dass sich aus manchen Büchern Wassertropfen pressen ließen mag zwar ein hübsches Bild sein, aber irgendeinen Beweis für diese Behauptung gibt es derzeit nicht.

Unterschrieben hat diesen Vertrag Stralsunds
Oberbürgermeister Alexander Badrow
(CDU), allerdings versicherte er sich
vorher der einstimmigen Unterstützung
des Stralsunder Hauptausschusses, eines
Gemeindegremiums, das zuständig ist „in
Dringenden Angelegenheiten, deren Erledigung
nicht bis zu einer Dringlichkeitssitzung
der Bürgerschaft aufgeschoben werden
kann“, wie es auf Amtsdeutsch heißt.


Auch das spricht dafür, dass kommunales Recht gebrochen wurde. Ein Hauruckverfahren bei wertvollem Kulturgut ist unter allen Umständen zu vermeiden.

Als dieser Handel Klaus Graf bekannt wurde,
den man nach Kenntnisnahme seiner
Webseite „archiv.twoday.net“ sicherlich
als Archiv-Aktivisten bezeichnen darf, entfesselte
dieser einen Sturm der Empörung
mit Briefen, Blog-Einträgen und Protestnoten,
dem sich Fachverbände und Sachverständige
anschlossen. Die hier veräußerte
Sammlung sei die Stralsunder Gymnasial-
Bibliothek, die mit wichtigen Schenkungen
bis zurück in den Barock nicht nur ein
unschätzbares Kulturgut, sondern als Teil
des Stralsunder Stadtarchivs vor jeder Veräußerung
gesetzlich geschützt sei. Dass eine
Stadt ihre Archivbestände verkaufe, so
Klaus Graf, im Hauptberuf wissenschaftlicher
Archivar der TU Aachen, sei „einer der
größten Kulturgut-Skandale der letzten
Jahrzehnte“. Dass ein Antiquar sich daran
beteilige, zeige, was für ein „halbseidenes
Gewerbe“ das sei.


Briegleb schreibt wohl von Nikolaus Bernau ab, wenn er die RWTH Aachen, die man auch als Edelfeder kennen sollte, ebenfalls unkorrekt als TU Aachen bezeichnet.

Klaus Grafs Furor zeigte schnell Reaktion,
liebsame und unliebsame. Während
sich Peter Hassold mit Hassmails und Anrufen
bombardiert sah, die ihn als Hehler
und gewissenlosen Menschen beschimpften,
ging Stralsunds Oberbürgermeister in
Deckung und ließ nur eine dürre Pressemeldung
verbreiten, dass externe Gutachter
die Causa klären sollen.


Wenn Hassold sich über Hassmails und Anrufe beklagt, heißt das nicht, dass es diese in nennenswertem Umfang tatsächlich gab. Ich will das nicht bestreiten, aber auch diese Aussage ist potentiell tendenziös.

Doch die müssen sich jetzt beeilen. Denn Hassolds
Münchner Anwalt Jürgen Blume hat der
Stadt–um weiteren wirtschaftlichen Schaden
von seinem Mandanten abzuwenden,
der den Verkauf seines Eigentums gestoppt
hat – jetzt eine Frist von 14 Tage gesetzt,
sich zu dem Vertrag zu erklären.


Die Stadt bekommt Druck von zwei Fronten: von dem Antiquar und der Kommunalaufsaicht.

Gleichzeitig wurde der Stadt signalisiert,
dass man sich einer Rückabwicklung über
die noch nicht weiter verkauften Bestände
(rund 95 Prozent der Sammlung) nicht verweigern
würde, wenn die Stadt auch für die viermonatige Restaurierung und Katalogisierung der feuchten Kulturgüter mit
bis zu acht Millimetern Schimmelschicht
aufkomme. An einer gütlichen Einigung
wird jetzt gearbeitet.


Feuchte Kulturgüter und Schimmelschicht: erneut nicht überprüfbare Behauptungen, die die Position des Antiquars stützen sollen. Der hat vermutlich schon ordentlich Reibach bei Reiss gemacht, wie gleich auszuführen ist.

Doch da kommt bereits die nächste Meldung
aus der Stralsunder Bibliothekspflege.
Die Stadtarchivarin hat nämlich in der
Zwischenzeit festgestellt, dass beim Verkauf
der Gymnasial-Bibliothek nur noch
rund die Hälfte der Bücher überhaupt vorhanden war,
wie sie Klaus Hassold jetzt mitteilte.
Der Rest sei unbekannt verloren.
Ganz offensichtlich sind die Stralsunder
Bestände beim Antiquar wie Tiere im Zoo
wenigstens vor dem Aussterben geschützt.
In der Weltkulturerbestadt Stralsund hält
man sein schriftliches Erbe jedenfalls eher
für Pilzbiotope, Altpapier oder reif für die
Grabbelkiste. Sollte der grundsätzlich wünschenswerte
Rückkauf also dieser Tage
über die Bühne gehen, sollte Alexander Badrow vielleicht
zunächst ein trockenes, beheiztes
Zimmer nachweisen, wo die Heimkehrer
vor der örtlichen Bibliothek sicher
sind.


Peter Hassold, nicht Klaus Hassold!

Briegleb entblödet sich nicht, die von Antiquarskreisen wieder und wieder gestreute Mär, dass bei Antiquariaten die Bücher oft besser aufgehoben sind als bei öffentlichen Sammlungen, zu kolportieren. Er lässt sich vom Antiquar instrumentalisieren, dessen Interesse es sein muss, den Zustand der Bücher möglichst dramatisch darzustellen, um bei einer Rückabwicklung möglichst viel für die "Betreuung" der Sammlung herauszuholen.

In welchem Umfang Restaurierungen nötig waren, kann Hassold sicher durch entsprechende Rechnungen nachweisen. Die Qualität seiner Katalogisate ist jedenfalls - wie der Vergleich mit Reiss zeigt - außerordentlich mäßig.

Höchst dubios ist ebenfalls die referierte Aussage der Archivarin, dass beim Verkauf nur die Hälfte der Bücher noch vorhanden war. Die Hälfte bezogen auf welche Zählung? Und aufgrund welcher Quelle? Die Bücher sind ja weg. Die 6210 Bücher der Gymnasialbibliothek sollen etwa 2500 Titel sein, 1995 hat Frau Klostermann 2630 Titel ermittelt, was in etwa zur Aussage der Stadt stimmt, nur wenige Bände regionalgeschichtlichen Inhalts seien zurückbehalten worden.

Dass derzeit erst im Stadtarchiv inventarisiert wird, was verkauft wurde (offenbar anhand der alten Bandkataloge), stimmt zur Aussage Brieglebs, dass beide Verkäufe an Hassold ohne Angebotsliste abgewickelt wurden.

Insgesamt ist Brieglebs Stück das schlechteste der in den großen Zeitungen erschienenen Beiträge zur Causa Stralsund.

Wenn ich heute wichtige Neuigkeiten über das Schicksal der Bücher der Gymnasialbibliothek und des Stadtarchivs Stralsund mitteilen kann, so verdanke ich das einem anonymen Hinweis, der mir am Sonntag per Mail von einer sich Rosa Luxemburg nennenden Gewährsperson zuging. Diese, offenbar ein Sammler (sie sei kein Händler, versicherte sie), hatte etliche Bände der Einlieferung 152 der Reiss-Auktionen 154-157 (30. Oktober bis 2. November 2012) erworben und erst nachträglich festgestellt, dass sie aus der Gymnasialbibliothek Stralsund stammten. "Rosa" mailte mir auch ein altes Exlibris der Gymnasialbibliothek und einen Ausgeschieden-Vermerk des Stadtarchivs.

Gemeinsam mit anderen ging ich den Online-Katalog von Reiss durch, dessen Herbstauktion just am gleichen Tag begann, an dem ich in Archivalia den Skandal öffentlich machte. Reiss ist mir schon durch seine Beteiligung an der Zerschlagung des Druckschriftenbestands der Hofbibliothek Donaueschingen als Kulturgutschänder vertraut. Zwei Antiquare haben den Kontakt zu mir gesucht und ihr Unverständnis über die Stralsunder Vorgänge geäußert. Aber wenn die skrupulösen Antiquare die Finger von Kulturgut, das in öffentlicher Hand bleiben sollte, lassen, gibt es genügend andere, die unsentimental dem Ruf des Geldes folgen. Dass sie Geschichtsquellen zerstören, ist ihnen egal. Neue Sammlungen entstehen nur durch das Auflösen alter Sammlungen, und bei privaten Besitzern sind die Bücher besser aufgehoben - um nur zwei Lieblingsargumente zu nennen.

Um keinen juristischen Ärger zu bekommen, ist das folgende als Verdachtsberichterstattung zu verstehen. Alle Behauptungen sind Arbeitshypothesen, die mir erheblich wahrscheinlicher erscheinen als alternative Deutungen.

Im strikten Sinn beweisen kann ich die folgenden zwei Behauptungen nicht:

(i) Die Einlieferungen der Reiss-Auktionen mit den Nummern 41, 95, 152, 177 und 169 setzen sich ausschließlich aus Stücken zusammen, die aus dem Stadtarchiv Stralsund stammen

Ich habe daran aber keinen Zweifel, dass dies im wesentlichen zutrifft und werde dies anhand von Provenienzmerkmalen zu belegen versuchen.

(ii) Die genannten Einlieferungen gehen indirekt oder direkt auf den Käufer Hassold zurück.


Die von Reiss vermerkten Ausgeschiedenstempel sind offenbar alle - was bereits ein Unding ist - weder datiert noch mit einer Paraphe versehen. Es waren solche Stempel ja auch auf Bildern zu Angeboten bei Abebooks oder Ebay etc. der Stücke zu sehen, und nie war ein Datum oder Handzeichen erkennbar. Wann fand eine solche massenhafte Aussonderung statt? Doch nicht unter Herbert Ewe und in der DDR-Zeit, der die Buchbestände auch nach Aussage von Frau Klostermann beschützt und wertgeschätzt hat. Nach der Erfassung im Handbuch 1995 und vor Erlass der Archivsatzung 2002, die Veräußerungen verbot? Kaum anzunehmen, dass man davon nichts erfahren haben sollte. Und wenn man die dubiose Angabe der Archivarin, beim Verkauf sei die Hälfte der Gymnasialbibliothek verschwunden gewesen, beiseitelässt, so muss man sich an die oben referierte Rechnung halten, dass nämlich von den 1995 gezählten 2630 Titel 95 %, nämlich 2500 Titel im Juni 2012 verkauft wurden und der kleine Regionalia-Rest nach wie vor im Stadtarchiv Stralsund ruht.

Der nahezu zwingende Schluss: Die vielen bei Reiss angebotenen Bände, die wohl überwiegend aus der Gymnasialbibliothek stammten, sind von Hassold bei Reiss eingeliefert worden (oder einem Zwischenhändler, was aber eher unwahrscheinlich ist). Und er durfte sich über ein erkleckliches Sümmchen freuen, das die Stadt Stralsund eher alt aussehen lässt.

Ich hatte schon darauf hingewiesen, dass bei Abebooks ein Euler-Druck für 7800 Euro angeboten wurde. Schon bei den bisherigen Online-Angeboten wurden hochpreisige bibliophile Kostbarkeiten und Stücke registriert, die als kulturgeschichtliche Dokumente nie das Stadtarchiv Stralsund hätten verlassen dürfen, von vielen wertvollen Pomeranica ganz abgesehen.

Das Entsetzen verstärkt sich bei genauer Sichtung der vor etwa 20 Tagen stattgefundenen Auktionen bei Reiss.

Etliche Stücke stehen noch im Nachverkauf. Die Stadt Stralsund oder die Kommunalaufsicht wird sich unverzüglich mit dem Auktionshaus in Verbindung zu setzen haben, damit diese nicht weiter verkauft werden - bis zur Klärung, die hoffentlich in einer Rückführung der Bestände besteht.

Die allermeisten Stücke sind aber durch öffentliche Versteigerung unwiderruflich in das Eigentums des jeweiligen Erwerbers übergegangen und können daher nicht mehr zurückgefordert werden!

Jeder, der solche Stücke aus Stralsund bzw. aus den genannten Einlieferungen bei Reiss erworben hat, wird gebeten, mit mir Kontakt aufzunehmen.

95 % der Kaufmasse mögen noch bei Hassold sein, aber einer der wertvollsten Teile der unersetzlichen Gymnasialsammlung ist unwiederbringlich verloren, da in alle Winde zerstreut!

Eine lückenlose Aufarbeitung der Provenienzen war mir bzw. uns in der Kürze der Zeit nicht möglich. Wenn man mit dem Online-Katalog von Reiss arbeitet, wird man durch die Tatsache, dass die Einlieferernummer als Imagefile abgespeichert ist, man also nicht nach ihr suchen kann, erheblich behindert. Ergibt sich ein Verdacht zu einem relativ späten Zeitpunkt, muss der Gesamtbestand von über 4000 Titeln erneut von vorne einzeln durchgegangen werden. Daher kann ich für die Einlieferernummer 95 keine Zahlen angeben und bei der Einlieferung 177 denke ich zwar, dass es nur eine einzige Katalognummer gibt, aber das muss nicht so sein.

Reiss hat es in der Regel peinlich genau vermieden, Stralsunder Stempel abzubilden. Es gibt keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte, dass Reiss die Titelblätter mit Bildbearbeitung gereinigt hat, obwohl das zur üblichen Provenienz-Verschleierung passen würde.

Um sich einen ersten Eindruck vom Stralsunder Bestand zu verschaffen, kann man in der Volltextsuche bei Reiss nach ausgeschieden suchen. Von den 138 Treffern beziehen sich nur ganz wenige eindeutig auf andere Provenienzen. Schon von daher schließen sich die Einlieferungen 95, 152 (49 Titel, Angaben jeweils ohne Gewähr), 169 (59 Titel) und 177 (nur 1 Titel?) zusammen.

Um einen groben Anhaltspunkt für die Zahl der Stücke der Einlieferung 95 zu erhalten, addiere ich die Zahlen für 152, 169, 177 und rechne mit nicht weniger als 130 Treffern Stralsunder Herkunft bei den 138 Treffern mit Erwähnung von Ausgeschieden-Stempeln. (Die Einlieferung 41 - 58 Titel, die ich mit erlösten Preisen in einem Google-Doc aufgelistet habe - enthält in der Regel keine solche Stempel.) Bleiben etwa 20 Bände für die Einlieferung 95.

Wenn ich keinen Rechenfehler gemacht habe, erzielte die Einlieferung 41 (vor allem Pomeranica) 64150 Euro.

Gern wird Wissenschaftsgeschichte von Sammlern gekauft, also wundert es nicht, dass das teuerste Stück der Stralsund-Erlöse ein lateinischer Kepler-Druck (mit Beibänden) aus dem Jahr 1621 ist, der für nicht weniger als 44.000 Euro wegging.

Den Titel dieses Beitrags kann ich beweisen, da die Lupenfunktion bei Reiss deutlich den Stempel der Stralsunder Gymnasialbibliothek erkennen lässt.

Nicht nur Stralsunder Bürger, sondern auch die Fachwelt kann aus diesem Befund entnehmen, dass die Darstellung der Stadt Stralsund, es habe sich um entbehrliche oder gar wertlose Werke gehandelt, die Öffentlichkeit eklatant in die Irre führt.

Um eine Schätzung des Erlöses, den die Einlieferer der Stralsund-Einlieferungen (mutmaßlich Hassold) auf den Auktionen erzielt haben, vornehmen zu können, muss ich eine Milchmädchenrechnung aufmachen, da mir eine genaue Aufstellung nur für die Einlieferung 41 vorliegt. Streicht man das Spitzenstück, so sind die 57 verbleibenden Bücher (einschließlich der unverkauften) für durchschnittlich rund 353 Euro zugeschlagen worden. Ich rechne also mit einem durchschnittlichen Erlös von 300 Euro und ziehe jeweils das Spitzenstück ab, wobei ich hoffe, dass ich bei den teuersten Büchern nichts übersehen habe. Nr. 2834 (der Einlieferung 152) brachte 5000 Euro, die restlichen 48 setze ich mit 300 Euro an, macht 19400 für die Einlieferung 152. Nr. 4828 der Einlieferung 169 wurde sogar für 14.000 verkauft, macht 31.400. Die einzige mir bekannte Nr. 4840 der Einlieferung 177 erlöste nicht weniger als 20.000 Euro. Die geschätzen 20 Titel von Einlieferung 95: 6000 Euro. Summa summarum komme ich auf knapp 141.000 Euro, was, selbst aufwändige Restaurierungen eingerechnet, bei einem Einkaufspreis von 95.000 Euro für maximal 5 Prozent des gekauften Bestandes den Antiquar für manche unflätige Hassmail reichlich entschädigen konnte.

6210 Bände oder 2500 Titel für 95.000 Euro erworben. Macht 38 Euro je Titel. Die schätzungsweise knapp 190 Titel (das sind 7,6 % von 2500) bei Reiss erlösten, wenn ich nicht ganz falsch lag, mit 141.000 Euro durchschnittlich 742 Euro.

Nun sind natürlich nur die wertvollsten Stücke bei Reiss oder Zisska unterzubringen, die Masse der Stücke ist sehr viel weniger wert. Aber vermutlich hatte Hassold sein Pulver nicht ganz verschossen und noch etliche Pretiosen zurückbehalten, um den Markt nicht zu überfluten.

Wenn es ihm nun noch gelingt, mit Hilfe des Schimmel-Alarms die Stadt Stralsund ordentlich abzuzocken, weil er ja die Stücke hat restaurieren und katalogisieren lassen, wird er sicher als einer der erfolgreichsten Geschäftsleute aller Zeiten in die Annalen von Dinkelscherben eingehen.

Hassold geht über Los und kriegt seine 95.000 Euro wieder, den schimmeligen Ramsch nimmt die Stadt Stralsund zurück. Man weiß nicht, wieviel er durch Online-Verkäufe schon verdient hat, aber die erlesenen Stücke bei Reiss liefen - siehe oben - gut. Und vielleicht gab es bei Zisska ja noch mehr als die 2800 Euro, die eine staatliche deutsche Institution (BSB?) latzen musste.

Sind das alles unverantwortliche Spekulationen? Die Stadt Stralsund, Hassold & Co. sowie Reiss, Zisska usw. hüllen sich in Schweigen. Vielleicht wird man nie die volle Wahrheit erfahren.

Halten wir uns daher abschliessend an die Wissenschaft, denn ich muss ja noch die Provenienzmerkmale für die einzelnen Einlieferungen belegen.

An "Rosa Luxemburg" zu zweifeln, sehe ich keinen Anlass. Daher kann 152 getrost für die Provenienz Stadtarchiv Stralsund in Anspruch genommen werden. Aber nur auf der Abbildung zu Nr. 1256 sieht man deutlich den Stempel der Gymnasialbibliothek (Abbildung). Auf dem Bild zu Nr. 973 ist die verräterische Signatur Gy B 2° 31 zu erkennen, die Gymnasialbibliothek unterschied sich nach 1945 durch ein vorangestelltes Gy von den normalen Signaturen des Altbestands. Es handelt sich überwiegend um Drucke des 16./17. Jahrhunderts aus dem Bereich der Philologie.

Einlieferung 169: Bei Nr. 830 sieht man ebenfalls deutlich den Stempel der Gymnasialbibliothek auf dem Titelblatt. Bei Nr. 2993 wird ausdrücklich das Bibliothekszeichen der Stadt Stralsund in der Beschreibung erwähnt.

Keinen ausdrücklichen Bildbeleg gibt es für die Einlieferung 95, aber der Tertullian Nr. 1216 gehörte 1596 noch dem Jesuitenkolleg in Heiligenstadt, was gestrichen und durch den Hinweis auf Stralsund ersetzt wurde (schlecht lesbar). Der Inhalt der Bände und die erkennbaren Signaturschildchen (man vergleiche 957 aus Einl. 152 mit 986 aus Einl. 169 für die Reihe A, 949 aus Einl. 95 mit 960 aus Einl. 152 für die Reihe B) schließen die Einlieferungen 95, 152 und 169 hinreichend eng zusammen. Nr. 1098 (aus Einl. 95) und Nr. 872 (Einl. 152) sind durch einen pommernspezifischen Einband verbunden.

Bei Nr. 41 fällt das Provenienzmerkmal der Erwähnung des Ausgeschiedenstempels durch Reiss weg. Es handelt sich um Pomeranica. Den Stempel auf Nr. 4841 (Kepler - 44.000 Euro) erwähnte ich schon, bei Nr. 4711 und 4718 sind ebenfalls Stempel der Gymnasialbibliothek zu sehen. Nr. 4704 weist einen handschriftlichen Besitzvermerk der Stralsunder Gymnasialbibliothek auf. Nr. 4714 zeigt das Exlibris Zobers, Nr. 4715 wurde ihm handschriftlich gewidmet. Auf Nr. 585 erkennt man den Stempel der Stadtbücherei Stralsund.

Wenige Bände zeigen einen kleinen Stempel "verkauft 1827" (Nr. 814, 1200, beide Einl. 41), dem man in einem von Hassold bei Abebooks angebotenen Buch von 1631 mit dem Exlibris der Stadt Stralsund nochmals begegnet (laut Beschreibung).

Am Rande sei erwähnt, dass Nr. 2408 eine Notenhandschrift aus dem 19. Jahrhundert mit deutlichem regionalen Bezug darstellt. es gibt so viele undokumentierte individuelle Spuren (Besitzvermerke, handschriftliche Einträge, Marginalien) im nun verscherbelten Bestand, dass dieser weitere Tabubruch gar nicht weiter auffällt. Das dumme Dublettenargument wird einmal mehr widerlegt.

Nr. 4840 (Einlieferung 177) ging für 20.000 Euro weg. Um welche kulturhistorische Kostbarkeit es sich handelte, zeigt die Beschreibung bei Reiss:

Hevelius, J. Selenographia: sive lunae descriptio. Addita est, lentes expoliendi nova ratio; ut et telescopia diversa construendi, et experiendi modus. Danzig, A. Hünefeld für den Autor, 1647. Fol. (35:24 cm). Mit gest. Titel, gest. Porträt, 111 Kupfern auf 91 Taf. (inkl. 3 gefalt. u. 1 mit bewegl. Scheibe) u. 26 Textkupfern. 13 (statt 14) Bll., 563 S. - Angebunden: Ders. Epistola de motu lunae libratorio, in certas tabulas redacto. - Epistola de utriusq(ue) luminaris defectu anni 1654. 2 Tle. Danzig, A. J. Müller für den Autor, 1654. Mit 2 gest. Titelvign., 7 (1 doppelblattgr.) Kupfertaf. u. 2 (1 blattgr.) Textkupfern. 1 Bl., 48 S.; 1 Bl., S. 49-72, 1 Doppelbl., 4 Bll. - Zwischengebunden: Ders. Dissertatio de nativa saturni facie, eiusq(ue) variis phasibus, certa periodo redeuntibus. Cui addita est, tam eclipseos solaris anni 1656 observatio, quam diametri solis apparentis accurata dimensio. Danzig, S. Reiniger für den Autor, 1656. Mit 1 gest. Titelvign. u. 4 Kupfertaf. 3 Bll., 40 S. Etwas spät. Prgt., Vorderdeckel mit goldgeprägtem umkränztem Monogramm "M(agister) A(ndreas) M(arquard)" darunter "1675", Rückdeckel mit Monogramm "M. H. / 1701"; Rückdeckel fleckig u. restauriert, Vorsätze erneuert.
(177)

I. VD 17 39:125064G; Dt. Mus., Libri rari 135; Honeyman Coll. 1672; Roller-G. I, 53; Volkoff, Hevelius 1; zu allen Werken: Zinner, Instrumente 381 u. DSB VI, 360 ff. - Erste Ausgabe der für lange Zeit grundlegend gebliebenen Beschreibung des Mondes, die zugleich einen ausführlichen Atlas darstellt. "Eine in siebenjähriger Arbeit gewonnene, bis dahin unerreichte, mit selbstgestochenen Kupfern ausgestattete Beschreibung der Mondoberfläche, der Mondphasen und -libratrionen" (NDB IX, 60). Unter den schönen, akkurat gestochenen Kupfern neben den Mondkarten auch Darstellungen von Fernrohren sowie eines Linsenschleifapparates. Taf. 21 mit der zugehörigen beweglichen Scheibe u. dem Fadenzeiger. - Ohne den Vortitel, Drucktitel mit Bibl.- u. Ausgeschieden-Stempel sowie Bibl.-Sigle.
II. VD 17 12:644420L; Volkoff 4 & 5. - Erste Ausgabe der beiden Schriften, auch separat bzw. mit zwei weiteren Schriften (als "Epistolae IV.") ausgegeben. "A letter in answer to J. P. Riccioli's doubts set forth in his 'Almagestum' concerning Hevelius's theory on the libration of the moon as described in the Selenographia... (The second letter) contains observation methods employed and a description of the solar eclipse of August 12 and of the lunar eclipse of August 27, 1654" (Volkoff). - Tl. 2 mit stärkerem Moderschaden an der unteren Außenecke, Papier dadurch gebräunt u. brüchig.
III. VD 17 39:125093U; Volkoff 6. - Erste Ausgabe. Enthält Hevelius Theorien zu Gestalt des Saturn, den er als Körper mit zwei Henkeln ansah, und zum Durchmesser der Sonne. - Untere Außenecken etwas gebräunt, gegen Ende mit Moderschaden. Ohne das Blatt "Ordo Figurarum", das fast immer fehlt (vgl. VD 17) u. auch von Zinner nicht genannt wird.
Provenienz: Geschenkexemplar für den Stralsunder Theologen, Mathematiker und Astronom Andreas Marquard, mit dessen eigenhändigen Vermerk "M. Andreas Marquardi Stralsund(ensis) Pomeran(us)/ Ex donatione autoris". Marquard ist als Autor mehrerer astronomischer Disputationen nachweisbar, die sich mit auch von Hevelius besonders behandelten Themen beschäftigen ("De stellis fixis", 1659; "De variis lunae phasibus", 1660; "De diametro solis", 1662; "De cometarum sede", 1663). Von 1668 bis 1670 unterrichtete er den Greifswalder Theologen u. Physiker Theodor Pyl in Musik, Mathematik u. Astronomie. Von Marquards Hand stammen auch einige saubere Marginalien u. Anstreichungen in der Selenographia.


Die Zuweisung zur Provenienz erfolgt nicht nur über den Stralsunder inhaltlichen Bezug und die Erwähnung des Ausgeschieden-Stempels. In Biederstedts Beschreibung der Gymnasialbibliothek wird unter den Förderern der Bibliothek "M. Archidiakonus Andreas Marquards (1670 bis 75) Witwe" ausdrücklich erwähnt!

Übrigens erscheint in den Beschreibungen bei Reiss kein einziges Mal das Wort Schimmel ...

Update 21.11.2012 Nach Auskunft der Erwerberin stammt Nr. 859 (Einlieferung 95) aus der Gymnasialbibliothek.

22.11.2012: 2685 aus Einl. 95 mit langem hsl. Eintrag aus der Gymnasialbibliothek erwarb für 1000 Euro die HAB Wolfenbüttel.

Kepler-Druck aus der Gymnasialbibliothek, für 44.000 Euro bei Reiss versteigert.

Auf den sachkundigen Kommentar

https://archiv.twoday.net/stories/49609348/#219022224

sei aufmerksam gemacht. Zum Thema in Archivalia:

https://archiv.twoday.net/search?q=waldauf

Am 24. November 2011 erhielt ich aus Tirol eine Mail, aus der ich nur anonym zitieren darf:

Die Verhandlungen zogen sich bis zum Tag des Beginns der Auktion und scheiterten letztlich an den völlig überzogenen Forderungen des Auktionshauses und/oder des uns immer noch unbekannten Einbringers. Ob eine bei der Polizei in Österreich eingebrachte Diebstahlsanzeige noch irgendwelchen Erfolg haben kann, werden wir sehen.

Was bei Zisska & Schauer in München passiert ist, kann man zumindest als Schande bezeichnen, leider war die Gier wieder einmal stärker als Ethik oder Vernunft.

https://www.hampel-auctions.com/de/91-321/onlinecatalog-detail-n1789.html

Im Bereich "AUS SCHLÖSSERN, VILLEN, SPEICHERN UND REMISEN"

"975
Großes Konvolut Bücher
18. Jahrhundert.

Teilweise in Kalbsledereinband, darin enthalten Anton Faber, "Neue europäische Staatskanzley" von 1782. Teilweise die Exlibris Freiherr von Pölnitz, Fideikommissbibliothek, Aschbach. Ca. 51 Bände. Dazu weitere Bände des 18. Jahrhunderts."

Die Herrschaften haben noch weiteres "ausgemistet":

"927
Fränkischer Hofmaler des 18. Jahrhunderts
PORTRAIT DES KARL ANTON FREIHERR VON PÖLNITZ
Öl auf Leinwand.
138 x 90 cm.

Der Adelige im Harnisch in Lebensgröße im Dreiviertelportrait nach rechts an einem Tisch stehend. Die linke Hand ist an das rote Samttischtuch, die rechte an die Hüfte gelegt. Der Harnisch geglättet, zeigt Polierglanz, an der Vorderseite reiche, vergoldete Rocailledekoration mit einer Fantasiemaske, am Halsansatz wiederholter Reliefdekor, über dem Harnisch rotes Ordensband mit schwarzem Doppeladlerorden (österreichischer Doppeladler mit Wiener Wappen) mit Umschrift "Virtus et Fidei". Mit großer Sorgfalt ist die reich bestickte Rockschürze wiedergegeben in heller Seide mit prächtiger Rocaille-Goldfadenstickerei, darüber ein zurückgelegter, blauer Veloursmantel mit silberner Fadenstickerei in Form breiter Akanthusvoluten mit Bandwerk, die sich an den breiten Ärmelstulpen wiederholen. Die fein gemalten Finger treten unter der Spitze hervor. Die Figur nach rechts gewandt. Der helle, wache Blick auf den Betrachter gerichtet, die Mundwinkel lassen ein leichtes souveränes Lächeln erkennen. Das Haar weiß gepudert, seitlich zu Doppelrollen frisiert. Im Nacken eine Seidenschleife. Der Hintergrund im linken Bereich dunkler gehalten, hellt sich nach rechts leicht grünlich auf. Am linken Bildrand eine Marmorsäule als Symbol des Hoheitsstandes, darüber ein rötlich-goldenes Brokatvelum. Links unten am Säulensockel das bekrönte Herrschaftswappen, rechts oben elfzeilige Aufschrift "CARL ANTON FREIHERR VON PÖLNITZ, HERR AUF ASCHBACH HVNDSHAVDTEN/LEVCHSENHOFF TAG MAN UND STEGENDTVMBACH IHRO RHÖM/KAYSER MAI-/WIRKLICHER RAT HOCHFÜRST BAMBERG GEHEIMER RATH VND DES HEIL. RÖM. OHNMITTELBAREN RITTERSCHAFT IN FRANKEN LÖBL. ORTHEN DIE BURG UND / STEIGERWALD EBETTENE RITTER HAVBT - MAHN VND RESPEG-RITTERATH/ 1755". Das Gemälde von hoher Qualität "

"947
Säbel des Freiherrn von Pölnitz
Länge: 90 cm.

Mit vergoldetem Griff sowie Widmungsaufschrift an der Klinge "Hebeler s/l. (seinem Lieben) Freiherr von Poelnitz", in vergoldeter Tauschiertechnik. "

Nr. 968
"968
Portraitist des 18. Jahrhunderts
HALBBILDNIS EINES ADELIGEN IM HARNISCH MIT ALLONGEPERÜCKE
Öl auf Leinwand. Doubliert.
40 x 35 cm.
Verso auf dem Keilrahmen gestempelter Aufkleber mit Besitzvermerk "Erhard Freiherr von Pölnitz/ Aschbach/ Oberfranken". "

"979
Monogrammist "GS" des 18. Jahrhunderts
PORTRAITBILDNIS DES WILHELM LUDWIG VON PÖLNITZ
Öl auf Leinwand.
69 x 60 cm.
Verso von der Hand des Künstlers Darstellungsbezeichnung mit Zusatz "Cornet" sowie Monogramm "GS" in Ligatur und Datierung "1756".
In vergoldetem Rahmen des 19. Jahrhunderts."

"982
Portraitist des beginnenden 19. Jahrhunderts
BILDNIS DER MARIA ANNA FREIIN VON PÖLNITZ (1795 - 1833)
In Pastell auf Karton.
67 x 53 cm.
Verso alter Aufkleber mit Bezeichnung der Dargestellten.
Verglast und in originalem, vergoldetem, klassizistischem Rahmen mit Hohlkehle und Zungenblattleiste. "

Nr. 994 Niederländischer Maler 17. Jh.
"Verso drei rote Lacksiegel mit bekrönten Wappen mit Helmzier, darunter Umschrift "Gerhardt Freiherr von Pölnitz, 1910".

"999
Sebastiano Ricci,
1659 Belluno – 1734, Venedig, zug./ Kreis des
JESUS DISKUTIERT IM KREIS DER SCHRIFTGELEHRTEN"
Öl auf Leinwand.
43,5 x 30 cm.
In einem Original-Rahmen um 1700. Verso Besitzervermek "von Pölnitz Schloß Aschbach"."

"1000
Maler des 18./ 19. Jahrhunderts
HALBBILDNIS DER VENUS
Öl auf Leinwand, auf Holz.
44 x 39 cm.
Verso alte Besitzeraufschrift "Freiherr von Pölnitz". "

Nr. 1008 Bismarckbildnis
"Verso auf der Abdeckung Erbschaftsverweis von Amalie Freifrau von Sator an Ludwig von Pölnitz, Dezember 1936."

"1017
Miniaturhaft kleines Gemälde mit Darstellung der Märtyrerin Christina von Bolsena
Öl auf Kupfer.
12 x 9 cm.
Um 1700. Rahmen 19. Jahrhundert.

Die Märtyrerin auf einem Inselfelsen kniend, in höfischem Gewand mt Krone, die Brust wird durch einen Pfeil durchbohrt. Im Hintergrund Pfeilschützen sowie Schiffe auf See. An der Rückseite Wappenetikett mit Umschrift "Freiherr von Pölnitz"."

Nr. 1045 Ansicht von Schloss Possenhofen 19. Jh.
"Verso teilweise abgeriebener, alter, handschriftlicher Aufkleber mit biografischen Nennungen der bayerischen Prinzessin Sisi, Kaiserin von Österreich und der Angabe, dass das Bild ein Geschenk von Herzog Ludwig von Bayern, dem Bruder Sisis an Ludwig Freiherr von Pölnitz gewesen sei."

Nr. 1048
"Portraitist des beginnenden 19. Jahrhunderts
BIEDERMEIER-HERRENPORTRAIT
Öl auf Leinwand.
36 x 29,5 cm.
Auf dem Keilrahmen Bezeichnung "Aus dem Nachlass der Familie Soldan, Nürnberg-H.v.p." (von Pölnitz). "

"1056
Maler-Staffelei
Höhe: 97 cm.
Breite: 72 cm.
19./ 20. Jahrhundert.

In gebeiztem Weichholz mit hochrechteckiger, verschiebbarer Aufstellleiste. Aus dem Nach-lass des Malers aus der Familie von Pölnitz, an der Rückseite entsprechend beschriftet."

"1073
Fliegerhelm des Ersten Weltkrieges
Leinenbezogen, am Frontschild auf der Innenseite die Aufschrift "Dieser Flieger-Helm rettete mir im/ Krieg am 30. Okt. 1918 abends 10.25/ das Leben – Gerhardt Freiherr von Pölnitz". "

Nr. 2065 2 Silberobjekte
"Beiliegend ehemalige Kaufrechnung an Freifrau Elisabeth von Pölnitz vom 17.1.1985."

"2097
Maler des 19. Jahrhunderts
PORTRAIT DES LUDWIG FREIHERR VON PÖLNITZ IN LEUTNANTSUNIFORM
Öl auf Leinwand.
80 x 55 cm.
Verso originale Aufschrift auf der Leinwand mit Namensbezeichnung des Dargestellten sowie Rangnennung "Königlich bayerischer Oberstleutenant" sowie "Selbstportrait/ München 1888". "


Zu https://archiv.twoday.net/stories/217580651/

Auf https://archiv.twoday.net/search?q=verwahrungsbruch wird hingewiesen.
Besonders: https://archiv.twoday.net/stories/115267779/

Daraus ergibt sich, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 133 StGB im Archivbereich viel zu umstritten sind, als dass eine Selbstanzeige als taugliches Mittel einzustufen ist.

Die Verschwiegenheitspflicht der Beschäftigten regelt bei Angestellten des öffentlichen Dienstes der Tarifvertrag:

https://www.tarif-oed.de/tvoed_paragraf_3

Bei Beamten das Beamtenstatusgesetz:

https://www.gesetze-im-internet.de/beamtstg/__37.html

Nur bei Korruptionsstraftaten z.B. Bestechlichkeit dürfen Anzeigen nach dieser Vorschrift die Dienstverschwiegenheit durchbrechen.

Beamtete Archivare sollten die Remonstrationspflicht kennen:

https://www.gesetze-im-internet.de/beamtstg/__36.html
https://www.pflegewiki.de/wiki/Remonstration

Dies dient freilich ihrer eigenen Haftung, aber nur indirekt der Aufdeckung von Skandalen.

Zum sogenannten Whistleblowing:

https://www.olev.de/w/whistlebl.htm
https://www.boeckler.de/pdf/p_edition_hbs_159.pdf (2005)

Archivarinnen und Archivare, die zu rechtswidrigem Handeln gezwungen werden und einen Maulkorb erhalten, sollten sich - unter Bruch ihrer Verschwiegenheitspflicht - vertraulich an Vertrauenspersonen z.B. aus dem VdA oder ihrer Gewerkschaft, sofern sie Mitglied sind, wenden, um sich Rat zu holen.

Herrn Minister Lorenz Caffier
Ministerium für Inneres und Sport Mecklenburg-Vorpommern
19048 Schwerin

Betr.: Verkauf der Archivbibliothek Stralsund

Sehr geehrter Herr Minister,
Nachrichten über einen rechtswidrigen Verkauf von Teilen der Archivbibliothek Stralsund - im übrigen zu einem lächerlich niedrigen Preis - machen in der Bundesrepublik Deutschland die Runde. Ich habe mich, nachdem auch den Vorstand unseres über 150000 Mitglieder zählenden Dachverbandes der
Geschichtsvereine, Historischen Kommissionen und landesgeschichtlichen Institute entsprechende Beschwerden erreichten, in dem anliegenden Schreiben an den Oberbürgermeister der Stadt Stralsund mit der Bitte um Erläuterung des
Sachverhaltes gewandt. Dieser hat es bis dato nicht für nötig gefunden, den Eingang des Schreibens zu bestätigen, geschweige denn eine sachdienliche Antwort zu geben.

Da nach § 5 LArchivG M-V v.7.Juli 1997, der in Verbindung mit § 12(1) auch für Kommunalarchive gilt, Archivgut auf Dauer zu sichern ist, im übrigen die Archivsatzung von Stralsund in § 6(1) die Unveräußerlichkeit des im Stadtarchiv aufbewahrten Archiv-und Bibliotheksgutes ausdrücklich feststellt, kann an der
Rechtswidrigkeit des Verkaufs kein Zweifel bestehen. Darüber hinaus läuft die Verkaufsaktion, die möglicherweise auch noch eine Verschleuderung städtischen Vermögens und damit einen Fall von Untreue darstellen könnte, den aus § 16(1) LV M-V sich ergebenden Pflichten stracks zuwider. Ich sehe mich daher veranlasst, Sie um eine kommunalaufsichtliche Prüfung der Vorgänge um den teilweisen Verkauf des Stralsunder Kulturgutes und ggf. die Einleitung entsprechender rechtlicher Schritte zu bitten. Gleichzeitig schlage ich vor, zur Vermeidung weiterer rechtswidriger Übergriffe
das Stadtarchiv gem. § 10 KultgSchG in das in Mecklenburg-Vorpommern meines Wissens bisher noch nicht aufgestellte Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes eintragen zu lassen.

Für eine möglichst zeitnahe Stellungnahme wäre ich dankbar.

Mit freundlichen Grüßen

[Professor Dr. Heinz-Günther Borck]

NB Dieses Schreiben geht zur Kenntnisnahme auch an die Präsidentin Ihres Landtages


Mit Erlaubnis hier wiedergegeben. Brief des Gesamtvereins an den OB von Stralsund vom 8. November 2012:

https://archiv.twoday.net/stories/216965575/

***

Stand der Petition: knapp 2700 Unterschriften

https://www.openpetition.de/petition/online/rettet-die-stralsunder-archivbibliothek

Facebook: 407 Likes
https://www.facebook.com/rettetarchivbibliothekstralsund

Beiträge in Archivalia:
https://archiv.twoday.net/search?q=stralsund


https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/verkauf-der-stralsunder-gymnasialbibliothek-kulturfrevel-11962512.html

Verkauf der Stralsunder Gymnasialbibliothek Kulturfrevel

16.11.2012 · In Mecklenburg-Vorpommern wurde eine über Jahrhunderte gewachsene Sammlung historischer Bücher zerschlagen. Um Hilfe haben sich die Hüter des Schatzes nicht bemüht.
Von Regina Mönch

Der Skandal um den leichtfertigen Verkauf einer kulturhistorisch wertvollen Gymnasialbibliothek in Stralsund wirft nicht nur ein grelles Licht auf die Misere der Hüter kommunalen Kulturguts. Denn die Stadt hat diesen Frevel weder heimlich noch plötzlich begangen. Die Bürgerschaft stimmte zu, Museumsverband und Verband der Archivare protestieren erst jetzt, wo es zu spät ist. Die über Jahrhunderte gewachsene Sammlung - und nur als solche ist sie so wertvoll für die Bildungsgeschichte des deutschen Nordens - ist zwar im Handbuch der historischen Buchbestände aufgeführt, nicht aber auf der Liste national wertvollen Kulturgutes, wo sie hingehört hätte.


Das ist so nicht richtig. Der Verkauf wurde heimlich und plötzlich begangen. Heimlich, da nicht die Bürgerschaft, sondern der Hauptausschuss in nichtöffentlicher Sitzung zugestimmt hatte und nur durch die sehr viel spätere Pressemeldung zum Schimmelbefall Falk Eisermann und dann auch ich auf die Erwähnung des Verkaufs aufmerksam wurde. Der Widerspruch zwischen der nichtöffentlichen Behandlung ("Besser nicht an die große Glocke hängen") und der Pressemeldung ("Alles lief rechtmäßig ab") ist für Stadtverwaltungen vielleicht nicht ganz untypisch. Plötzlich, da der Verkauf schon monatelang zurücklag, bevor die Öffentlichkeit eine Chance hatte, davon zu erfahren (durch den von mir entfachten Wirbel). Die Protestierenden (und ich) hätten liebend gern Einwände vorgebracht, bevor es zu spät war!

Diese Liste ist bisher von Mecklenburg-Vorpommern sträflich vernachlässigt worden, als gäbe es dort oben nichts, was schützenswert ist.

Die Liste des Landes ist leer!

Es müssten mindestens alle im Handbuch der historischen Buchbestände registrierten Sammlungen eingetragen werden. Aber ein solcher Eintrag hat, wenn es hart auf hart geht, nur symbolischen Wert, denn er schützt eben nicht gegen Zerschlagung, sondern nur gegen den Verkauf ins Ausland. Eine Auflösung durch Einzelverkäufe im Inland könnte nur denkmalschutzrechtlich, also durch Bundesrecht verhindert werden - aber eben nicht im Fall der Archivbibliotheken, da das Denkmalschutzgesetz in MV nicht für Archivgut gilt!

Es ist sogar zu befürchten, dass die notorisch klammen Ratsherren der Hansestadt Stralsund (immerhin gehört sie zum Weltkulturerbe!) gar nicht wussten, was sie taten, als sie die Sammlung zerschlugen und allzu günstig verkauften. Schlimmer noch wiegt aber die Tatsache, dass sie rein gar nichts versucht haben, um sie zu retten.

Das ist in der Tat ein zentraler Punkt.

Not im Stadtsäckel

Die einmalige Sammlung wurde keiner Forschungsbibliothek angeboten, die Werke der Bildungsgeschichte sammelt.


Ich hatte ja in Schwerin, Greifswald und Rostock nachgefragt, ob dort etwas vom Verkauf bekannt war. Das war nicht der Fall.

Solche Bibliotheken haben in der Regel auch zu wenig Geld, kennen sich aber in den Netzwerken der privaten Retter, der Mäzene und Freundeskreise aus. Auch die in derartigen Rettungsaktionen erfolgreiche und erfahrene Kulturstiftung der Länder wurde nicht gefragt.

Das trifft sicher auch zu. Es ist wohl einfach so, dass die Stadtverwaltung und in ihrem Gefolge der Hauptausschuss sich blind auf der Votum der insofern offensichtlich unfähigen Archivleiterin verlassen haben, obwohl ihnen, ich schrieb es bereits, die Brisanz der Sache hätte aufgehen müssen.

Inzwischen ist das Stadtarchiv Stralsund, wo die Sammlung lagerte, wegen Schimmelbefalls gänzlich gesperrt. Aufgefallen sei dieses Problem erst, als die historische Bibliothek verkauft wurde, heißt es.

In der Hansestadt ist also noch viel mehr bedroht. Doch auch bei der Berliner Staatsbibliothek wurden die Stralsunder nicht vorstellig. Dort koordiniert man für ganz Deutschland Hilfe für die von Schimmel, Tintenfraß oder wegen prekärer Unterbringung bedrohten Bücher und Handschriften, solange das jährliche Fördergeld reicht. Nur ein Gutes hat der Stralsunder Sündenfall: Er führt uns vor Augen, wo es hinführt, wenn die Hüter des Kulturschatzes mit Blindheit oder Ahnungslosigkeit geschlagen sind und das kulturelle Gedächtnis preisgeben für eine kurze Linderung akuter Not im Stadtsäckel.


Den letzten Satz kann man nur unterschreiben und ich hatte ja auch https://archiv.twoday.net/stories/216965935/ am Schluss Ähnliches - wenngleich sprachlich unbeholfener - formuliert.

Fachliche Netze haben versagt. Das ist auch die Kernaussage von Mönch. Der Verkauf war nicht "alternativlos", um ein Lieblingswort der Bundestagsabgeordneten, die seit 1990 die Insel Rügen, die Hansestadt Stralsund und den Landkreis Nordvorpommern im Deutschen Bundestag vertritt, zu gebrauchen.

Selbst wenn die Stralsunder Archivare zutiefst ungebildet wären und nicht erkannt haben, dass es da nicht um ein paar wertlose regionalgeschichtlich nicht relevante alte gedruckte Bücher ging, muss man sich die Frage stellen, ob man nicht Beratungsangebote zum Umgang mit dem Alten Buch gerade auch für Archivare braucht. Wenn dann so Leute wie Nehmzow solche Fortbildungsangebote einfach nicht wahrnehmen, müssten Bibliothekare eine Roadshow initiieren und vor Ort informieren: nicht bevormundend (Kommunalautonomie!), sondern beratend und mit konkreten Hilfsangeboten.

Archivträger müssen es den für Archivbibliotheken zuständigen MitarbeiterInnen und Mitarbeitern finanziell ermöglichen, Fortbildungen zum Alten Buch zu besuchen. Ja, sie müssen es ihnen sogar nahelegen. Siehe auch die Anekdote aus Baden-Württemberg:

https://archiv.twoday.net/stories/216965819/#216966509

***

Zur Causa in Archivalia:

https://archiv.twoday.net/search?q=stralsund

 

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