Kulturgut
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Il faut sauver les manuscrits de Karlsruhe
Article publié le 06 Octobre 2006
Par Jean-Claude Schmitt
Source : LE MONDE DES LIVRES
Taille de l'article : 487 mots
Extrait : L'émotion est considérable dans tous les milieux de l'université et de la culture d'outre-Rhin : le gouvernement du Land de Bade-Wurtemberg aurait passé avec l'ancienne famille grand-ducale de Bade un accord tenu jusqu'à présent secret, mais qui vient d'être révélé au grand jour. En échange du versement de 70 millions d'euros, l'actuel margrave s'engagerait à éteindre définitivement une vieille querelle juridique avec l'Etat. Pour trouver cette somme, le gouvernement, à Stuttgart, ne propose rien de moins que de vendre aux enchères 3 500 manuscrits médiévaux, parmi les 4 200 que possède la bibliothèque du Land, à Karlsruhe.
Volltext liegt mir vor.
Zitat: "Le démembrement des collections de manuscrits serait un non-sens scientifique. Leur accaparement privé et spéculatif un insupportable détournement des richesses collectives, car ces manuscrits ont été conservés, entretenus, catalogués et mis en valeur par des générations de bibliothécaires et grâce à l’argent public et aux aides des grands fondations allemandes."
Article publié le 06 Octobre 2006
Par Jean-Claude Schmitt
Source : LE MONDE DES LIVRES
Taille de l'article : 487 mots
Extrait : L'émotion est considérable dans tous les milieux de l'université et de la culture d'outre-Rhin : le gouvernement du Land de Bade-Wurtemberg aurait passé avec l'ancienne famille grand-ducale de Bade un accord tenu jusqu'à présent secret, mais qui vient d'être révélé au grand jour. En échange du versement de 70 millions d'euros, l'actuel margrave s'engagerait à éteindre définitivement une vieille querelle juridique avec l'Etat. Pour trouver cette somme, le gouvernement, à Stuttgart, ne propose rien de moins que de vendre aux enchères 3 500 manuscrits médiévaux, parmi les 4 200 que possède la bibliothèque du Land, à Karlsruhe.
Volltext liegt mir vor.
Zitat: "Le démembrement des collections de manuscrits serait un non-sens scientifique. Leur accaparement privé et spéculatif un insupportable détournement des richesses collectives, car ces manuscrits ont été conservés, entretenus, catalogués et mis en valeur par des générations de bibliothécaires et grâce à l’argent public et aux aides des grands fondations allemandes."
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Bis 21. Oktober versteigert Sotheby's im Neuen Schloss in Baden-Baden an 15 Tagen in 29 Einzelauktionen die 7389 Lose, zu denen die Schaetze des badischen Fuerstenhauses gebuendelt sind. Mit rund 25000 Einzelobjekten und mit der Auktionsdauer von mehr als zwei Wochen gilt die Versteigerung bei Sotheby's als die groesste und laengste Hausauktion dieses Jahrhunderts. Sie soll vorangegangene grosse Auktionen wie die der Fuerstin von Thurn und Taxis, der Herzogin von Windsor oder von Andy Warhol weit uebertreffen. Vom 30. September bis zum 3. Oktober kann die Sammlung besichtigt werden.
Der Hauptauktionator von Sotheby's, Christoph Graf Douglas, bezeichnet die Kollektion als die historisch interessanteste, die je versteigert worden sei, sowohl fuer die europaeische als auch fuer die badische Geschichte. "Sie ist auch die, die ich am meisten liebe", fuegt er, selbst Nachfahre eines einstigen Herrscherhauses, hinzu. Zum ersten Mal komme eine fast komplette Sammlung von Kunstschaetzen unter den Hammer, die ein europaeisches Fuerstenhaus im Lauf von rund 800 Jahren angesammelt habe. Die Stuecke moeblierten bis zur Abdankung des letzten Grossherzogs 1918 mehr als ein Dutzend badischer Schloesser, die der Oeffentlichkeit meist nicht zugaenglich waren. Nach dem Ende der deutschen Monarchie wurde das Inventar der badisch -grossherzoglichen Schloesser mit Zustimmung der badischen Nationalversammlung zur Haelfte der Fuerstenfamilie, zur Haelfte dem Staat zugeteilt, berichtete Douglas weiter.
Zu der Versteigerung kommt es, weil der Chef des Hauses Baden, Markgraf Max von Baden auf Schloss Salem am Bodensee, spaetestens Anfang 1995 eine erhebliche Verschuldung seines Hauses festgestellt hat. Die Rede war von Fehlbetraegen in der Groessenordnung von 200 Millionen DM. Das Haus Baden - mit allen europaeischen Herrscherhaeusern verwandt oder verschwaegert - befand sich in einer Situation, die der Markgraf als "finanzielle Schieflage" umschreibt. Max von Baden, ein direkter Vetter des britischen Thronfolgers Prinz Charles, entschloss sich daher nach dem Vorbild der Fuerstin Thurn und Taxis zum Verkauf seiner Kunstschaetze und moeglichst auch des Neuen Schlosses in Baden-Baden.
Dass der Stuttgarter Landtag mit Blick auf die eigenen leeren Kassen dem Wunsch des frueheren Herrscherhauses nicht nachkam, die Zaehringer Schaetze komplett fuer 80 Millionen DM zu uebernehmen, ist in Baden-Wuerttemberg heftig diskutiert worden. Der staatliche Ankauf von Kunstgegenstaenden fuer 42 Millionen DM galt den Kunstliebhabern als zu bescheiden. Kritiker dagegen fragten, warum das Fuerstenhaus aus der Staatskasse saniert werden solle. "Das Land hat eine Chance vertan", kommentiert der Auktionator Graf Douglas heute diese Entscheidung. Badische Kunstinstitutionen, die eine Vielzahl der von Stuttgart nicht erworbenen Kunstgegenstaende als "unverzichtbar" betrachten und sie unbedingt im Land halten wollen, haben unterdessen Spendengelder gesammelt und wollen jetzt mitbieten. Eine ganze Reihe wertvoller Stuecke wurde noch vor Auktionsbeginn aus Sponsorengeldern erworben.
FAZ vom 28.9.1995, S. 25 (Hervorhebung von mir)

Am 20.3.1995 war in der gleichen Zeitung zu lesen:
Die Fachleute der baden-wuerttembergischen Museen sind sich einig, dass die badische Kunstkammer mit ihren von der Antike bis ins 18. Jahrhundert reichenden Kostbarkeiten dem Land erhalten bleiben sollte. Nicht nur des kunsthistorischen Werts wegen, den der Gesamtkomplex als typisches Beispiel dynastischer Sammelleidenschaft repraesentiert, sondern auch aus Tradition. Das Haus Baden hatte die Schaetze - zusammengetragen unter anderem von Friedrich VI. von Baden -Durlach, vom "Tuerkenlouis" und seiner Frau Sibylla Augusta - ueber Jahrzehnte der Oeffentlichkeit zugaenglich gemacht, zuletzt im Karlsruher Schloss. Erst mit dem Ende des Kaiserreichs wurde der markgraefliche Sammlungsbestand als Privatbesitz ins Schloss Baden-Baden verlagert.
Selbst jetzt, wo es um die Schaetzung der voruebergehend als "Sachgesamtheit" unter Denkmalschutz gestellten Kunstkammer geht, gelang es den Museumsleuten nicht, alles in Augenschein zu nehmen. Die Auflistung der Bestaende erfolgt im Auftrag des Markgrafen durch Experten von Sotheby's - bisher allerdings keineswegs zur Zufriedenheit der Fachbehoerden. Sie bemaengelten Unvollstaendigkeit, "gravierende Maengel und Fehler bei Detailangaben" sowie Ignoranz gegenueber dem Ensemble-Charakter. Die kulturpolitische Auseinandersetzung um Fuer und Wider eines Ankaufs der Sammlung durch das Land Baden-Wuerttemberg leidet also nicht nur unter populistischen Argumenten, die aus Kreisen der SPD hoerbar werden ("Keine Mark dem Markgrafen"), sondern vorlaeufig auch an ungenauer Kenntnis der Sammlungsstruktur.
Dies ist um so bedeutsamer, als die Haltung des sozialdemokratischen Koalitionspartners eine "grosse Loesung" beim Handel um die markgraeflichen Sammlungen wohl verhindern wird. Wirtschaftsminister Dieter Spoeri, kurioserweise auch oberster Denkmalschuetzer des Landes, stellte oeffentlich klar, dass er keine Steuergelder zur wirtschaftlichen Sanierung des Markgrafen ausgeben wolle. In seinem Ministerium wird angestrengt darueber nachgedacht, ob man Max von Baden mit dem Erlass von "Verbringungsverboten" an die Sozialpflichtigkeit seines Eigentums erinnern koenne: Gerassel mit dem Operettensaebel, denn damit koennte der Graf Entschaedigungsansprueche in unbekannter Hoehe geltend machen. Die Sammlung selbst waere damit fuer die deutsche Oeffentlichkeit keineswegs gerettet - sie liesse sich immer noch stueckweise verkaufen, nur eben nicht ins Ausland. Das fuer Investoren unattraktive Schloss in Baden-Baden duerfte der Graf, der Erhaltungskosten wegen, wohl ueber kurz oder lang dem Staat antragen. Nur wird es dann ausgeraeumt sein.
Die Oeffentlichkeit in Baden-Wuerttemberg hat noch nicht begriffen, dass das verantwortungsvoll klingende Gerede der Sozialdemokraten ueber haushaelterische Redlichkeit und unzeitgemaesse Samariterdienste an einem blaubluetigen Kapitalisten am Kern des Problems vorbeizielt. Ein guter Teil des graeflichen Besitzes - der wichtigste und kostbarste - liesse sich mit den regulaeren Haushaltstiteln der beteiligten Fachministerien, mit der Konzentration von Ankaufsmitteln der Museen, Geldern aus dem Fonds des Bonner Innenministeriums, Spielbankgewinnen und nicht zuletzt mit Beihilfen der Kulturstiftung der Laender durchaus finanzieren, wenn man etwa die Etats zweier Jahre dafuer reservieren wollte. Mit den so aufgehaeuften Mitteln und einigen Spenden aus Industriestiftungen kaeme man, so die Experten, auf eine "opulente mittlere Loesung", etwa fuenfzig Millionen schwer: Gerettet waeren dann die Kunstkammer mit den national bedeutsamen Prunkstuecken - einem Nuernberger Tafelaufsatz, einer ottonischen Elfenbeinminiatur, zwei silbernen Trinkhoernern und dem sogenannten Markgrafenpokal von 1638 -, ferner das Porzellan und die historisch bedeutsame Portraetgalerie, wichtige Gobelins und Mobiliar aus den badischen Schloessern sowie einige spaetgotische Fluegelbilder von Bernhard Strigel, mit denen ein Altarschrein vervollstaendigt werden koennte, der sich bereits im Badischen Landesmuseum zu Karlsruhe befindet.
Die Kulturstiftung der Laender zeigt sich im Fall der markgraeflichen Sammlung besonders spendabel. Ihr Generalsekretaer Klaus Maurice hat im Einverstaendnis mit seinem Kuratoriumsvorsitzenden Nerger der baden-wuerttembergischen Landesregierung zu verstehen gegeben, man werde dem Stiftungsrat empfehlen, bei einem entsprechenden Engagement des Landes diesem mit einer zweistelligen Millionensumme beizuspringen, um den Ankauf zu bewerkstelligen. Allerdings favorisiert die Kulturstiftung aus fachlichen Gruenden die "grosse Loesung", nach der die Sammlung auch im bauhistorisch interessanten Schloss Baden-Baden verbleiben sollte.
Vorerst haelt die SPD mit ihrer ablehnenden Haltung das Thema politisch besetzt. Sie hat die Diskussion erfolgreich an der Figur des Grafen festgemacht, obwohl sich niemand fuer dessen Schicksal interessiert. Ministerpraesident Erwin Teufel uebt sich in Stillschweigen, um nichts zu verderben. Die CDU scheint immerhin um die Bedeutsamkeit der Kunstschaetze aus dem Hause Baden zu wissen. Sie sollte deshalb dem Partner und Gegner in der grossen Koalition moeglichst schnell ein neues Wahlkampfthema praesentieren: Dann kann - vielleicht - entschieden werden.
Bezeichnender Rückblick von Graf Douglas (engl.)
https://www.tu-cottbus.de/lookingforwards/pdf/24douglas.pdf
Erwerb der Schlossbibliothek für die BLB
https://www.blb-karlsruhe.de/blb/blbhtml/besondere-bestaende/spezialsammlungen/bad-bad.php
Der Hauptauktionator von Sotheby's, Christoph Graf Douglas, bezeichnet die Kollektion als die historisch interessanteste, die je versteigert worden sei, sowohl fuer die europaeische als auch fuer die badische Geschichte. "Sie ist auch die, die ich am meisten liebe", fuegt er, selbst Nachfahre eines einstigen Herrscherhauses, hinzu. Zum ersten Mal komme eine fast komplette Sammlung von Kunstschaetzen unter den Hammer, die ein europaeisches Fuerstenhaus im Lauf von rund 800 Jahren angesammelt habe. Die Stuecke moeblierten bis zur Abdankung des letzten Grossherzogs 1918 mehr als ein Dutzend badischer Schloesser, die der Oeffentlichkeit meist nicht zugaenglich waren. Nach dem Ende der deutschen Monarchie wurde das Inventar der badisch -grossherzoglichen Schloesser mit Zustimmung der badischen Nationalversammlung zur Haelfte der Fuerstenfamilie, zur Haelfte dem Staat zugeteilt, berichtete Douglas weiter.
Zu der Versteigerung kommt es, weil der Chef des Hauses Baden, Markgraf Max von Baden auf Schloss Salem am Bodensee, spaetestens Anfang 1995 eine erhebliche Verschuldung seines Hauses festgestellt hat. Die Rede war von Fehlbetraegen in der Groessenordnung von 200 Millionen DM. Das Haus Baden - mit allen europaeischen Herrscherhaeusern verwandt oder verschwaegert - befand sich in einer Situation, die der Markgraf als "finanzielle Schieflage" umschreibt. Max von Baden, ein direkter Vetter des britischen Thronfolgers Prinz Charles, entschloss sich daher nach dem Vorbild der Fuerstin Thurn und Taxis zum Verkauf seiner Kunstschaetze und moeglichst auch des Neuen Schlosses in Baden-Baden.
Dass der Stuttgarter Landtag mit Blick auf die eigenen leeren Kassen dem Wunsch des frueheren Herrscherhauses nicht nachkam, die Zaehringer Schaetze komplett fuer 80 Millionen DM zu uebernehmen, ist in Baden-Wuerttemberg heftig diskutiert worden. Der staatliche Ankauf von Kunstgegenstaenden fuer 42 Millionen DM galt den Kunstliebhabern als zu bescheiden. Kritiker dagegen fragten, warum das Fuerstenhaus aus der Staatskasse saniert werden solle. "Das Land hat eine Chance vertan", kommentiert der Auktionator Graf Douglas heute diese Entscheidung. Badische Kunstinstitutionen, die eine Vielzahl der von Stuttgart nicht erworbenen Kunstgegenstaende als "unverzichtbar" betrachten und sie unbedingt im Land halten wollen, haben unterdessen Spendengelder gesammelt und wollen jetzt mitbieten. Eine ganze Reihe wertvoller Stuecke wurde noch vor Auktionsbeginn aus Sponsorengeldern erworben.
FAZ vom 28.9.1995, S. 25 (Hervorhebung von mir)

Am 20.3.1995 war in der gleichen Zeitung zu lesen:
Die Fachleute der baden-wuerttembergischen Museen sind sich einig, dass die badische Kunstkammer mit ihren von der Antike bis ins 18. Jahrhundert reichenden Kostbarkeiten dem Land erhalten bleiben sollte. Nicht nur des kunsthistorischen Werts wegen, den der Gesamtkomplex als typisches Beispiel dynastischer Sammelleidenschaft repraesentiert, sondern auch aus Tradition. Das Haus Baden hatte die Schaetze - zusammengetragen unter anderem von Friedrich VI. von Baden -Durlach, vom "Tuerkenlouis" und seiner Frau Sibylla Augusta - ueber Jahrzehnte der Oeffentlichkeit zugaenglich gemacht, zuletzt im Karlsruher Schloss. Erst mit dem Ende des Kaiserreichs wurde der markgraefliche Sammlungsbestand als Privatbesitz ins Schloss Baden-Baden verlagert.
Selbst jetzt, wo es um die Schaetzung der voruebergehend als "Sachgesamtheit" unter Denkmalschutz gestellten Kunstkammer geht, gelang es den Museumsleuten nicht, alles in Augenschein zu nehmen. Die Auflistung der Bestaende erfolgt im Auftrag des Markgrafen durch Experten von Sotheby's - bisher allerdings keineswegs zur Zufriedenheit der Fachbehoerden. Sie bemaengelten Unvollstaendigkeit, "gravierende Maengel und Fehler bei Detailangaben" sowie Ignoranz gegenueber dem Ensemble-Charakter. Die kulturpolitische Auseinandersetzung um Fuer und Wider eines Ankaufs der Sammlung durch das Land Baden-Wuerttemberg leidet also nicht nur unter populistischen Argumenten, die aus Kreisen der SPD hoerbar werden ("Keine Mark dem Markgrafen"), sondern vorlaeufig auch an ungenauer Kenntnis der Sammlungsstruktur.
Dies ist um so bedeutsamer, als die Haltung des sozialdemokratischen Koalitionspartners eine "grosse Loesung" beim Handel um die markgraeflichen Sammlungen wohl verhindern wird. Wirtschaftsminister Dieter Spoeri, kurioserweise auch oberster Denkmalschuetzer des Landes, stellte oeffentlich klar, dass er keine Steuergelder zur wirtschaftlichen Sanierung des Markgrafen ausgeben wolle. In seinem Ministerium wird angestrengt darueber nachgedacht, ob man Max von Baden mit dem Erlass von "Verbringungsverboten" an die Sozialpflichtigkeit seines Eigentums erinnern koenne: Gerassel mit dem Operettensaebel, denn damit koennte der Graf Entschaedigungsansprueche in unbekannter Hoehe geltend machen. Die Sammlung selbst waere damit fuer die deutsche Oeffentlichkeit keineswegs gerettet - sie liesse sich immer noch stueckweise verkaufen, nur eben nicht ins Ausland. Das fuer Investoren unattraktive Schloss in Baden-Baden duerfte der Graf, der Erhaltungskosten wegen, wohl ueber kurz oder lang dem Staat antragen. Nur wird es dann ausgeraeumt sein.
Die Oeffentlichkeit in Baden-Wuerttemberg hat noch nicht begriffen, dass das verantwortungsvoll klingende Gerede der Sozialdemokraten ueber haushaelterische Redlichkeit und unzeitgemaesse Samariterdienste an einem blaubluetigen Kapitalisten am Kern des Problems vorbeizielt. Ein guter Teil des graeflichen Besitzes - der wichtigste und kostbarste - liesse sich mit den regulaeren Haushaltstiteln der beteiligten Fachministerien, mit der Konzentration von Ankaufsmitteln der Museen, Geldern aus dem Fonds des Bonner Innenministeriums, Spielbankgewinnen und nicht zuletzt mit Beihilfen der Kulturstiftung der Laender durchaus finanzieren, wenn man etwa die Etats zweier Jahre dafuer reservieren wollte. Mit den so aufgehaeuften Mitteln und einigen Spenden aus Industriestiftungen kaeme man, so die Experten, auf eine "opulente mittlere Loesung", etwa fuenfzig Millionen schwer: Gerettet waeren dann die Kunstkammer mit den national bedeutsamen Prunkstuecken - einem Nuernberger Tafelaufsatz, einer ottonischen Elfenbeinminiatur, zwei silbernen Trinkhoernern und dem sogenannten Markgrafenpokal von 1638 -, ferner das Porzellan und die historisch bedeutsame Portraetgalerie, wichtige Gobelins und Mobiliar aus den badischen Schloessern sowie einige spaetgotische Fluegelbilder von Bernhard Strigel, mit denen ein Altarschrein vervollstaendigt werden koennte, der sich bereits im Badischen Landesmuseum zu Karlsruhe befindet.
Die Kulturstiftung der Laender zeigt sich im Fall der markgraeflichen Sammlung besonders spendabel. Ihr Generalsekretaer Klaus Maurice hat im Einverstaendnis mit seinem Kuratoriumsvorsitzenden Nerger der baden-wuerttembergischen Landesregierung zu verstehen gegeben, man werde dem Stiftungsrat empfehlen, bei einem entsprechenden Engagement des Landes diesem mit einer zweistelligen Millionensumme beizuspringen, um den Ankauf zu bewerkstelligen. Allerdings favorisiert die Kulturstiftung aus fachlichen Gruenden die "grosse Loesung", nach der die Sammlung auch im bauhistorisch interessanten Schloss Baden-Baden verbleiben sollte.
Vorerst haelt die SPD mit ihrer ablehnenden Haltung das Thema politisch besetzt. Sie hat die Diskussion erfolgreich an der Figur des Grafen festgemacht, obwohl sich niemand fuer dessen Schicksal interessiert. Ministerpraesident Erwin Teufel uebt sich in Stillschweigen, um nichts zu verderben. Die CDU scheint immerhin um die Bedeutsamkeit der Kunstschaetze aus dem Hause Baden zu wissen. Sie sollte deshalb dem Partner und Gegner in der grossen Koalition moeglichst schnell ein neues Wahlkampfthema praesentieren: Dann kann - vielleicht - entschieden werden.
Bezeichnender Rückblick von Graf Douglas (engl.)
https://www.tu-cottbus.de/lookingforwards/pdf/24douglas.pdf
Erwerb der Schlossbibliothek für die BLB
https://www.blb-karlsruhe.de/blb/blbhtml/besondere-bestaende/spezialsammlungen/bad-bad.php
Die von den beiden konfessionellen Verbänden getragene Altbestandskommission kirchlicher Bibliotheken hat kurzgefasste Regeln für den Umgang mit Altbeständen herausgegeben (Abdruck: Bibliotheksdienst 2006/2).
https://www.zlb.de/aktivitaeten/bd_neu/heftinhalte2006/AltesBuch0206.pdf
Natürlich haben es beide Verbände nicht fertiggebracht, diese doch zentralen Empfehlungen auch auf ihren Websites zu dokumentieren.
Auszüge
Abgabe
21. Altbestand ist integraler Bestandteil der Geschichte, Tradition und Kultur der
jeweiligen kirchlichen Einrichtung. Diesen räumlichen und geschichtlichen
Zusammenhang zu erhalten ist vorrangig.
22. Wenn aus räumlichen, finanziellen oder konservatorischen Gründen oder
wegen fehlenden Fachpersonals Altbestand auf längere Sicht nicht verantwortlich
aufbewahrt oder erschlossen werden kann, kann eine Abgabe an
eine andere öffentlich zugängliche, bevorzugt kirchliche, unter Beachtung
regionalhistorischer Zusammenhänge des Bestandes auch lokale Einrichtung
erwogen werden.
23. Textidentische Exemplare, die sich durch Einband, handschriftliche Einträge etc.
unterscheiden, können nicht als Dublette bewertet und abgegeben werden.
24. Jeder Abgabevorgang ist zu dokumentieren. Die empfangende Institution ist
zur altbestandsspezifischen Dokumentation gehalten.
25. Gegenüber einer öffentlich zugänglichen Einrichtung kann die Abgabe auch
als Verkauf erfolgen.
Verkauf
26. Der Verkauf von gewachsenen Altbeständen in den Antiquariatshandel ist bei
Archivalien grundsätzlich, bei Büchern und Handschriften in der Regel ausgeschlossen.
27. Ein Verkauf von bibliothekarischem Altbestand kann geprüft werden, wenn
alle nachstehenden Bedingungen eintreffen:
a) wenn eine konservatorisch verantwortliche und gesicherte Unterbringung
nicht gewährleistet ist,
b) wenn eine Abgabe an andere öffentliche Einrichtungen nicht möglich ist,
c) wenn echte Dubletten vorliegen.
Die Realität sieht natürlich anders aus:
https://log.netbib.de/index.php?s=kirchenbib
Dort dokumentiert (siehe auch ergänzend weitere Suchbegriffe):
Verscherbelungen
* aus der Kirchenbibliothek Rendsburg
* aus der Klosterbibliothek Knechtsteden
* aus der Bibliothek der Sepulchrinerinnen zu Baden-Baden
* aus Bibliotheken bayerischer Kapuzinerkonvente durch die UB Eichstätt
* aus der Nordelbischen Kirchenbibliothek (siehe unten)
Hier dokumentiert:
*Ausverkauf des Altbestands der Redemptoristenhochschule Kloster Geistingen
https://archiv.twoday.net/stories/1891377/
Hier nochmals mein Beitrag in der FAZ vom 5. Juli 2002, S. 37
ÜBERSCHRIFT: Selbstherrlich, geschichtsvergessen
Geschützt von starken Kirchenmauern, trotzt ein spätgotisches Buchgewölbe in Isny (Allgäu) den Zeiten. Es birgt seit dem fünfzehnten Jahrhundert die heute denkmalgeschützte Predigerbibliothek der Nikolauskirche. Im bayerischen Metten überwältigt den Besucher der Abtei dagegen ein grandioser Bibliothekssaal, Wissenshort und barockes Welttheater zugleich. Alte Kirchenbibliotheken: Nur wenige sind solche Touristenattraktionen. Wer die Terra incognita der deutschen Altbestandsbibliotheken in der Trägerschaft katholischer oder evangelischer Institutionen durchmißt, stößt selten auf spektakuläre Bibliotheksräume, aber auf eine facettenreiche Vielzahl noch kaum erforschter Bücherstiftungen, die gelegentlich sogar ins Mittelalter zurückreichen.
Entscheidend aber waren die Impulse von Reformation und Gegenreformation, denn Bücher sollten - ob in lutherischen Predigerbibliotheken oder katholischen Landkapitelsbibliotheken - für die rechte Bildung und Ausbildung der Geistlichen sorgen. Die kirchlichen Büchersammlungen galten vielerorts zugleich als öffentliche Stadt- oder auch Schulbibliotheken, die der örtlichen weltlichen und kirchlichen Elite offenstanden. Ihre Geschichte ist freilich immer auch eine Geschichte herber Verluste, verursacht durch unsachgemäße Lagerung und mangelnde Wertschätzung durch die Verantwortlichen. Die "Vernichtung der Kirchenbibliothek zu Bernau" beklagte bereits 1793 die Berlinische Monatsschrift. Man hatte die meisten alten Bücher, darunter seltene Frühdrucke, einem örtlichen Kaufmann als Makulatur verkauft.
Noch heute sind die vielen kleinen Sammlungen gefährdet. Nicht nur Wurm- und Mäusefraß nagen an ihnen, Diebstähle und eigenmächtige Entfremdungen tragen ebenso zum Schwund bei. Soweit die Kirchenleitungen das Problem ernst nehmen, denken sie mehr und mehr daran, die vor Ort kaum benutzbaren Altbestände in zentralen Bibliotheken zusammenzuführen. Dort können sie, als eigenständige Einheiten bewahrt, fachgerecht erschlossen und von der Forschung als Quellen der Kirchen-, Kultur-, Bildungs- und Gelehrtengeschichte ausgewertet werden.
Was aber zählt die Tradition, wenn den Kirchen das Geld ausgeht? In Hamburg haben die neuen Heilsversprechungen der Unternehmensberater, die landauf, landab von den Kirchenverwaltungen angeheuert werden, bereits zu einem katastrophalen Aderlaß kirchlichen Kulturguts geführt. Seit dem letzten Jahr sind unersetzliche Altbestände der Nordelbischen Kirchenbibliothek in Hamburg (NEKB), zuständig für die lutherische Kirche in Schleswig-Holstein und Hamburg, ohne großes Aufsehen in den Antiquariatshandel gegeben worden. Die Kirchenleitung hatte den Ukas erlassen, den Gesamtbestand der Bibliothek mit Blick auf einen in einigen Jahren anstehenden Umzug zu halbieren. Dem Rat einer Unternehmensberatung folgend, die Umzugskosten in Höhe von 20 000 Euro aus "inaktiven" Beständen der Bibliotheken zu erwirtschaften, wurden Werke aus dem kostbaren Altbestand hastig ausgesondert und - rechtlich bedenklich - über die Firma eines Bibliotheksmitarbeiters diversen Hamburger Antiquariaten angeboten.
Die Kirchenleitung versucht nun, diesen im neueren kirchlichen Bibliothekswesen beispiellosen Traditionsbruch schönzureden oder als eine Art Betriebsunfall darzustellen. Man habe mit größter Sorgfalt darauf geachtet, daß Nordelbica und Bücher, die sonst nicht in Hamburg vorhanden seien, verschont blieben. Von einem gewissenhaften Abgleich kann freilich keine Rede sein. Das belegen nicht nur die exquisiten theologischen Sammelbände des 17. Jahrhunderts, die ein Hamburger Antiquar kürzlich preisgünstig feilbot. Ebenfalls ausgeschieden wurde zusammen mit einer Menge anderer lateinischer Drucke ein in Hamburg 1607 verlegtes Werk von Philipp Nicolai - es ist in der Staatsbibliothek nicht vorhanden!
Das der planlosen Aussonderungsaktion zugrunde gelegte Doublettendenken ist in der bibliothekarischen Fachdebatte ohnehin obsolet. Historische Provenienzen (Herkunftsgemeinschaften) müssen als Gesamtheiten, als beziehungsreiche Ensembles betrachtet werden. Selbst wenn sie keine Besitzeinträge oder handschriftlichen Marginalien aufweisen, spiegeln die im Handel aufgetauchten voluminösen Sammelbände aus Predigten und theologischen Drucken in deutscher Sprache individuelle Lektüreinteressen. Skandalöserweise vergriff man sich in Hamburg an mindestens einer historisch gewachsenen Sammlung, der Ottilie von Ahlefeldtschen Kirchenbibliothek aus Itzehoe (benannt nach einer Äbtissin des dortigen adeligen Klosters aus dem achtzehnten Jahrhundert). Angeblich aus konservatorischen Gründen wurde im letzten Jahr die "Auflösung" dieses regionalhistorisch und für die lutherische Buchkultur Schleswig-Holsteins bedeutsamen Bestands eingeleitet.
Die Inkompetenz, mit der die Landeskirche und der Bibliotheksleiter, pikanterweise Mitglied der Altbestandskommission des Verbands der evangelischen wissenschaftlichen Bibliotheken, vorgegangen sind, läßt Fachkollegen den Kopf schütteln. Hätte der Bibliothekar, versichert ein süddeutscher Kirchenmann, sich mit dem Verband kurzgeschlossen, hätte er die Zumutungen der vorgesetzten Behörde abwehren können. Ganz und gar nicht glücklich ist man in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg über die Veräußerungen, da man vorab nicht informiert war und daher auch nicht über Ankäufe verhandeln konnte. Die Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, innerhalb der Arbeitsgemeinschaft "Sammlung Deutscher Drucke" zuständig für die Barockliteratur, wurde unverständlicherweise ebensowenig kontaktiert, hat aber vor kurzem eine stattliche Bestellung an einen der bedachten Händler aufgegeben, um Bücher der NEKB für die öffentliche Hand zu retten. Der Hamburger Kirchenhistoriker Johann Anselm Steiger, Spezialist für das siebzehnte Jahrhundert, warnte öffentlich vor einer "Erosion historischer Buchbestände". Er hat eine Spendenaktion für Ankäufe zugunsten der Staatsbibliothek und der Fachbereichsbibliothek gestartet. "Hier wird nicht nur der Hamburger Gedächtnisschatz aufs Spiel gesetzt. Es werden vielmehr auch die Interessen von Wissenschaft und Forschung in der Hansestadt empfindlich berührt", schreibt er in seinem im Internet nachlesbaren Rettungsaufruf.
Das Hamburger Exempel ist ein fatales Signal für die Bewahrung kirchlicher Bücherschätze in Zeiten finanzieller Engpässe. Historische Altbestände und in ihrer Gesamtheit denkmalwürdige Kirchenbibliotheken dürfen nicht kurzsichtig zur Disposition gestellt werden. Kulturgut ist immer das der Allgemeinheit gewidmete Gut, über dessen Erhaltung der jeweilige Eigentümer keinesfalls nach Gutdünken entscheiden kann. Die Heimlichkeit, mit der die Hamburger Veräußerungen ins Werk gesetzt wurden, beschädigt den guten Ruf der Kirchen als verantwortungsbewußte Treuhänder historischer Kulturgüter. Sind solche gefährdet, sollten alle interessierten Institutionen und Initiativen sowie Vertreter der Forschung die Möglichkeit haben, ohne Zeitdruck an einem "runden Tisch" Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Nur ein solches "Bündnis für Kulturgut" schützt wirksam gegen selbstherrliche Traditionsvergessenheit nach Art des Nordelbischen Kirchenamts.
KLAUS GRAF
Der Verfasser ist Historiker an der Universität Freiburg.
https://www.zlb.de/aktivitaeten/bd_neu/heftinhalte2006/AltesBuch0206.pdf
Natürlich haben es beide Verbände nicht fertiggebracht, diese doch zentralen Empfehlungen auch auf ihren Websites zu dokumentieren.
Auszüge
Abgabe
21. Altbestand ist integraler Bestandteil der Geschichte, Tradition und Kultur der
jeweiligen kirchlichen Einrichtung. Diesen räumlichen und geschichtlichen
Zusammenhang zu erhalten ist vorrangig.
22. Wenn aus räumlichen, finanziellen oder konservatorischen Gründen oder
wegen fehlenden Fachpersonals Altbestand auf längere Sicht nicht verantwortlich
aufbewahrt oder erschlossen werden kann, kann eine Abgabe an
eine andere öffentlich zugängliche, bevorzugt kirchliche, unter Beachtung
regionalhistorischer Zusammenhänge des Bestandes auch lokale Einrichtung
erwogen werden.
23. Textidentische Exemplare, die sich durch Einband, handschriftliche Einträge etc.
unterscheiden, können nicht als Dublette bewertet und abgegeben werden.
24. Jeder Abgabevorgang ist zu dokumentieren. Die empfangende Institution ist
zur altbestandsspezifischen Dokumentation gehalten.
25. Gegenüber einer öffentlich zugänglichen Einrichtung kann die Abgabe auch
als Verkauf erfolgen.
Verkauf
26. Der Verkauf von gewachsenen Altbeständen in den Antiquariatshandel ist bei
Archivalien grundsätzlich, bei Büchern und Handschriften in der Regel ausgeschlossen.
27. Ein Verkauf von bibliothekarischem Altbestand kann geprüft werden, wenn
alle nachstehenden Bedingungen eintreffen:
a) wenn eine konservatorisch verantwortliche und gesicherte Unterbringung
nicht gewährleistet ist,
b) wenn eine Abgabe an andere öffentliche Einrichtungen nicht möglich ist,
c) wenn echte Dubletten vorliegen.
Die Realität sieht natürlich anders aus:
https://log.netbib.de/index.php?s=kirchenbib
Dort dokumentiert (siehe auch ergänzend weitere Suchbegriffe):
Verscherbelungen
* aus der Kirchenbibliothek Rendsburg
* aus der Klosterbibliothek Knechtsteden
* aus der Bibliothek der Sepulchrinerinnen zu Baden-Baden
* aus Bibliotheken bayerischer Kapuzinerkonvente durch die UB Eichstätt
* aus der Nordelbischen Kirchenbibliothek (siehe unten)
Hier dokumentiert:
*Ausverkauf des Altbestands der Redemptoristenhochschule Kloster Geistingen
https://archiv.twoday.net/stories/1891377/
Hier nochmals mein Beitrag in der FAZ vom 5. Juli 2002, S. 37
ÜBERSCHRIFT: Selbstherrlich, geschichtsvergessen
Geschützt von starken Kirchenmauern, trotzt ein spätgotisches Buchgewölbe in Isny (Allgäu) den Zeiten. Es birgt seit dem fünfzehnten Jahrhundert die heute denkmalgeschützte Predigerbibliothek der Nikolauskirche. Im bayerischen Metten überwältigt den Besucher der Abtei dagegen ein grandioser Bibliothekssaal, Wissenshort und barockes Welttheater zugleich. Alte Kirchenbibliotheken: Nur wenige sind solche Touristenattraktionen. Wer die Terra incognita der deutschen Altbestandsbibliotheken in der Trägerschaft katholischer oder evangelischer Institutionen durchmißt, stößt selten auf spektakuläre Bibliotheksräume, aber auf eine facettenreiche Vielzahl noch kaum erforschter Bücherstiftungen, die gelegentlich sogar ins Mittelalter zurückreichen.
Entscheidend aber waren die Impulse von Reformation und Gegenreformation, denn Bücher sollten - ob in lutherischen Predigerbibliotheken oder katholischen Landkapitelsbibliotheken - für die rechte Bildung und Ausbildung der Geistlichen sorgen. Die kirchlichen Büchersammlungen galten vielerorts zugleich als öffentliche Stadt- oder auch Schulbibliotheken, die der örtlichen weltlichen und kirchlichen Elite offenstanden. Ihre Geschichte ist freilich immer auch eine Geschichte herber Verluste, verursacht durch unsachgemäße Lagerung und mangelnde Wertschätzung durch die Verantwortlichen. Die "Vernichtung der Kirchenbibliothek zu Bernau" beklagte bereits 1793 die Berlinische Monatsschrift. Man hatte die meisten alten Bücher, darunter seltene Frühdrucke, einem örtlichen Kaufmann als Makulatur verkauft.
Noch heute sind die vielen kleinen Sammlungen gefährdet. Nicht nur Wurm- und Mäusefraß nagen an ihnen, Diebstähle und eigenmächtige Entfremdungen tragen ebenso zum Schwund bei. Soweit die Kirchenleitungen das Problem ernst nehmen, denken sie mehr und mehr daran, die vor Ort kaum benutzbaren Altbestände in zentralen Bibliotheken zusammenzuführen. Dort können sie, als eigenständige Einheiten bewahrt, fachgerecht erschlossen und von der Forschung als Quellen der Kirchen-, Kultur-, Bildungs- und Gelehrtengeschichte ausgewertet werden.
Was aber zählt die Tradition, wenn den Kirchen das Geld ausgeht? In Hamburg haben die neuen Heilsversprechungen der Unternehmensberater, die landauf, landab von den Kirchenverwaltungen angeheuert werden, bereits zu einem katastrophalen Aderlaß kirchlichen Kulturguts geführt. Seit dem letzten Jahr sind unersetzliche Altbestände der Nordelbischen Kirchenbibliothek in Hamburg (NEKB), zuständig für die lutherische Kirche in Schleswig-Holstein und Hamburg, ohne großes Aufsehen in den Antiquariatshandel gegeben worden. Die Kirchenleitung hatte den Ukas erlassen, den Gesamtbestand der Bibliothek mit Blick auf einen in einigen Jahren anstehenden Umzug zu halbieren. Dem Rat einer Unternehmensberatung folgend, die Umzugskosten in Höhe von 20 000 Euro aus "inaktiven" Beständen der Bibliotheken zu erwirtschaften, wurden Werke aus dem kostbaren Altbestand hastig ausgesondert und - rechtlich bedenklich - über die Firma eines Bibliotheksmitarbeiters diversen Hamburger Antiquariaten angeboten.
Die Kirchenleitung versucht nun, diesen im neueren kirchlichen Bibliothekswesen beispiellosen Traditionsbruch schönzureden oder als eine Art Betriebsunfall darzustellen. Man habe mit größter Sorgfalt darauf geachtet, daß Nordelbica und Bücher, die sonst nicht in Hamburg vorhanden seien, verschont blieben. Von einem gewissenhaften Abgleich kann freilich keine Rede sein. Das belegen nicht nur die exquisiten theologischen Sammelbände des 17. Jahrhunderts, die ein Hamburger Antiquar kürzlich preisgünstig feilbot. Ebenfalls ausgeschieden wurde zusammen mit einer Menge anderer lateinischer Drucke ein in Hamburg 1607 verlegtes Werk von Philipp Nicolai - es ist in der Staatsbibliothek nicht vorhanden!
Das der planlosen Aussonderungsaktion zugrunde gelegte Doublettendenken ist in der bibliothekarischen Fachdebatte ohnehin obsolet. Historische Provenienzen (Herkunftsgemeinschaften) müssen als Gesamtheiten, als beziehungsreiche Ensembles betrachtet werden. Selbst wenn sie keine Besitzeinträge oder handschriftlichen Marginalien aufweisen, spiegeln die im Handel aufgetauchten voluminösen Sammelbände aus Predigten und theologischen Drucken in deutscher Sprache individuelle Lektüreinteressen. Skandalöserweise vergriff man sich in Hamburg an mindestens einer historisch gewachsenen Sammlung, der Ottilie von Ahlefeldtschen Kirchenbibliothek aus Itzehoe (benannt nach einer Äbtissin des dortigen adeligen Klosters aus dem achtzehnten Jahrhundert). Angeblich aus konservatorischen Gründen wurde im letzten Jahr die "Auflösung" dieses regionalhistorisch und für die lutherische Buchkultur Schleswig-Holsteins bedeutsamen Bestands eingeleitet.
Die Inkompetenz, mit der die Landeskirche und der Bibliotheksleiter, pikanterweise Mitglied der Altbestandskommission des Verbands der evangelischen wissenschaftlichen Bibliotheken, vorgegangen sind, läßt Fachkollegen den Kopf schütteln. Hätte der Bibliothekar, versichert ein süddeutscher Kirchenmann, sich mit dem Verband kurzgeschlossen, hätte er die Zumutungen der vorgesetzten Behörde abwehren können. Ganz und gar nicht glücklich ist man in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg über die Veräußerungen, da man vorab nicht informiert war und daher auch nicht über Ankäufe verhandeln konnte. Die Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, innerhalb der Arbeitsgemeinschaft "Sammlung Deutscher Drucke" zuständig für die Barockliteratur, wurde unverständlicherweise ebensowenig kontaktiert, hat aber vor kurzem eine stattliche Bestellung an einen der bedachten Händler aufgegeben, um Bücher der NEKB für die öffentliche Hand zu retten. Der Hamburger Kirchenhistoriker Johann Anselm Steiger, Spezialist für das siebzehnte Jahrhundert, warnte öffentlich vor einer "Erosion historischer Buchbestände". Er hat eine Spendenaktion für Ankäufe zugunsten der Staatsbibliothek und der Fachbereichsbibliothek gestartet. "Hier wird nicht nur der Hamburger Gedächtnisschatz aufs Spiel gesetzt. Es werden vielmehr auch die Interessen von Wissenschaft und Forschung in der Hansestadt empfindlich berührt", schreibt er in seinem im Internet nachlesbaren Rettungsaufruf.
Das Hamburger Exempel ist ein fatales Signal für die Bewahrung kirchlicher Bücherschätze in Zeiten finanzieller Engpässe. Historische Altbestände und in ihrer Gesamtheit denkmalwürdige Kirchenbibliotheken dürfen nicht kurzsichtig zur Disposition gestellt werden. Kulturgut ist immer das der Allgemeinheit gewidmete Gut, über dessen Erhaltung der jeweilige Eigentümer keinesfalls nach Gutdünken entscheiden kann. Die Heimlichkeit, mit der die Hamburger Veräußerungen ins Werk gesetzt wurden, beschädigt den guten Ruf der Kirchen als verantwortungsbewußte Treuhänder historischer Kulturgüter. Sind solche gefährdet, sollten alle interessierten Institutionen und Initiativen sowie Vertreter der Forschung die Möglichkeit haben, ohne Zeitdruck an einem "runden Tisch" Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Nur ein solches "Bündnis für Kulturgut" schützt wirksam gegen selbstherrliche Traditionsvergessenheit nach Art des Nordelbischen Kirchenamts.
KLAUS GRAF
Der Verfasser ist Historiker an der Universität Freiburg.
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An unserer Unterschriftenaktion haben sich bisher sehr viele Bürgerinnen und Bürger beteiligt, die Aktion setzen wir bis zum 15.11.2006 fort. Nachdem die Landesregierung inzwischen auch anderes Kulturgut verkaufen will, weiten wir unseren Protest auch dahingehend aus.
Stand am 12.10.2006 ca. 6.000 Unterschriften.
Bitte sammeln Sie auch selbst Unterschriften, denn jede Unterschrift zählt. Die Unterschriftenliste dazu kann hier heruntergeladen werden.
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Bitte senden Sie Ihre Unterschriftenlisten bis zum 15.11.2006 an uns:
Landesvereinigung Baden in Europa e. V.
Andersenstraße 7
76199 Karlsruhe
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Warum mittelalterliche Buchbestände intakt zu bewahren sind
von Martin Germann
Konservator der Bibliotheca Bongarsiana, Burgerbibliothek Bern
Herrn Germann bin ich für die Erlaubnis dankbar, den in der Süddeutschen Zeitung vom 11. Oktober 2006, Seite 16 unter dem Titel "Die abenteuerliche Reise muss ein Ende haben;
Eine europäische Odyssee von Fleury nach Karlsruhe, oder: Warum alte Handschriften intakt zu bewahren sind" veröffentlichten wunderbaren Artikel in der Originalfassung hier wiederzugeben dürfen. Die Bilder befinden sich aus technischen Gründen bei Flickr.com. KG
An einem Beispiel soll gezeigt werden, warum eine Verauktionierung von Handschriften- und Inkunabelbeständen, wie jenen der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe, ein großes Unglück für die europäische Buch- und Textüberlieferung des Altertums und des Mittelalters wäre.
Das Schicksal einer mittelalterlichen Bibliothek
Ein Einzelfall als Beispiel für andere
Was haben die Bibliotheken der Abtei Fleury an der Loire (gegründet 651), die Badische Landesbibliothek Karlsruhe (gegründet um 1500) und die Burgerbibliothek Bern (gegründet 1528) miteinander zu tun?
Die Benediktinerabtei Fleury, oberhalb von Orléans an der Loire im ehemals römischen Gallien gelegen (heute: Saint-Benoît-sur-Loire), war bis zur Karolingerzeit zu einem wichtigen kirchlichen Zentrum herangewachsen. In der Zeit der Völkerwanderung waren die Gebeine des heiligen Benedikt von Nursia (um 480-560), Gründer des Benediktinerordens, zur Zeit der Langobardengefahr um 577 aus Monte Cassino hierher verbracht worden. Fleury entwickelte sich zu einem wichtigen Wallfahrtsort und, in der Karolingerzeit, dank weitreichenden Beziehungen, zu einem Kloster mit Schule und Schreibort mit bedeutender Bibliothek. Die älteste überlieferte Bücherliste stammt aus dem 11. Jahrhundert und enthält 45 Titel. Bis zum Vorabend der Reformation sammelte sich hier eine für die damalige Zeit große Bibliothek von mindestens 600 bis 800 Handschriften an.
Die Bücherzerstreuung während der Hugenottenkriege und seither (siehe die Tabelle)

Während des Bürgerkriegs zwischen den Hugenotten und den Altgläubigen, 1562, wurden die Mönche verjagt und die Bibliothek von den Protestanten geplündert, wenn auch nicht zerstört, wie Kloster- und Kirchenbibliotheken andernorts in Frankreich. Der bücherliebende Jurist und Gelehrte Pierre Daniel (1531-1604) nahm sie in seinen Besitz. Nach seinem Tod wurde sie unter seine Schüler, drei ebenfalls bücherliebende Sammler aufgeteilt:
Ein erster Teil ging an Paul Petau (1568-1614) und kam über dessen Sohn in die Hände des gelehrten Isaac Vossius (1618-1689), Bibliothekar der wissenschaftlich und künstlerisch interessierten Tochter König Gustav Adolfs, Christine (1629-1689), welche nach ihres Vaters Tod Königin von Schweden wurde. Als sie sich dem Katholizismus zuwandte und nach Rom zog, vermachte sie auf ihr Ableben hin ihre Bibliothek dem Papst. Aus diesem Grund sind heute 198 Handschriften der Abtei Fleury in der Vatikanischen Bibliothek aufbewahrt. Etwa 100 weitere wichtige Handschriften kamen als Geschenk der Königin an ihren Bibliothekar Vossius und aus dessen Besitz schließlich in die Universitätsbibliothek Leiden (Niederlande).
Der zweite Teil kam an Jacques Bongars (1554-1612), Jurist und Diplomat im Dienste der französischen Krone, der auch als Gelehrter wirkte und mehrere historische Werke publizierte. Da ohne Nachkommen, verschrieb er seine im Laufe des Lebens gesammelte wertvolle Bibliothek seinem Patensohn Jacques Graviseth (1598-1658), Sohn seines Freundes René Graviseth, Bankier und Juwelier in Straßburg. Nach dem Erwerb des Schlosses Liebegg im damals bernischen Aargau durch seinen Vater und nach der Heirat mit der Berner Schultheißentochter Maria Salomea von Erlach (1604-1636) wurde Jacques Graviseth Burger Berns. Als Dank für das Burgerrecht schenkte er seiner neuen Heimat die von Bongars ererbte Bibliothek, welche die Bestände der damaligen Stadtbibliothek Bern verdoppelte und somit auch mit Büchern aus der Abtei Fleury versah: in der Burgerbibliothek Bern sind heute 70 Handschriften aus Fleury nachweisbar.
Der dritte Teil gelangte in die Hände von Claude Dupuy, auch unter seinem Gelehrtennamen Puteanus bekannt, der 1594 starb, und in jene des Philologen und Advokaten Pierre Pithou (gest. 1596). Ihre Nachlässe und Bibliotheken kamen später in die königliche Bibliothek Paris, welche heute in der Bibliothèque nationale de France aufgegangen ist. Hierher kamen aus verschiedenen Quellen weitere Handschriften, teils aus einer in Fleury aus Fluchtgut nach der Plünderung von 1562 neu gegründeten Bibliothek. Heute enthält die Bibliothèque nationale de France 69 Handschriften aus Fleury, deren zuletzt eingegangene aus einem berühmten Kriminalfall des 19. Jahrhunderts stammen: Graf Guilelmo Libri (1803-1869) hatte als hoher Beamter der Krone ungehinderten Zutritt zu allen Provinz- und Stadtbibliotheken, die nach der französischen Revolution aus den enteigneten Bibliotheken des Adels und der Kirchen und Klöster gebildet worden waren, so auch zur Bibliothèque municipale Orléans, welche viele Handschriften aus dem benachbarten Fleury übernommen hatte. Er hatte, als hoher Beamter, seine Stellung zu Diebstählen in vielen Bibliotheken ausgenützt, auch in Orléans. Bereits lagen seine Schätze auf einer Auktion in London. Da entdeckte der kluge Bibliothekar Léopold Delisle in Paris die Diebstähle und konnte auf noch nicht verkaufte Bücher seine Hand legen; dem französischen Staat blieb nichts anderes übrig, als sie von den Erwerbern soweit möglich zurück zu kaufen. Dadurch kamen solche Handschriften nicht an ihren Aufbeahrungsort (Orléans) zurück, sondern an die heute rund 350'000 Handschriften verwaltende Bibliothèque nationale de France in Paris. Neun bereits verkaufte Handschriften aus Fleury gelangten in die Bibliotheca Laurenziana in Florenz.
Zusätzlich zu diesen rund 500 Handschriften gibt es auch etwa hundert Codices aus Fleury in Streubesitz in etwa 50 verschiedenen Bibliotheken Europas und in Übersee, von Amsterdam über Genf, Den Haag, Düsseldorf, London, Malibu, Sankt Gallen, Trier bis Wolfenbüttel.
Eine Handschrift aus Fleury in Karlsruhe
Was hat die mittelalterliche Bibliothek des Klosters an der Loire mit der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe zu tun? Anhand eines Beispiels kann die heutige internationale Verflechtung der Handschriftenbestände demonstriert und das Mittelalter sehr schön als Wurzel unserer gemeinsamen europäischen Geschichte aufgezeigt werden.
Auch in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe wird nämlich eine Handschrift aufbewahrt, die aus Fleury stammt. In Orléans aus einem Einband einer Handschrift aus Fleury abgelöst, ist das Fragment im 19. Jahrhundert nach Karlsruhe gelangt.
Das Fragment enthält lateinische Briefe des Kirchenvaters Hieronymus, welche im 6. Jahrhundert in Italien auf Pergament abgeschrieben worden sind. Vielleicht kam die Handschrift bei der Übertragung der Gebeine des heiligen Benedikt aus Monte Cassino nach Fleury mit. Jedenfalls wurde sie hier gegen Ende des Mittelalters ausgeschieden, nachdem sie als veraltet galt und der Text der Hieronymus-Briefe vielleicht bereits im Buchdruck zur Verfügung stand. Die Pergamenthandschrift wurde dem Buchbinder des Klosters zur Verwendung als Einbandmaterial überlassen. Jahrhunderte lang blieb das Fragment im betreffenden Einband, bis ein interessierter Zeitgenosse im 19. Jahrhundert an dem schönen Stück Schrift, einer kalligraphischen Unzialschrift, Gefallen fand, es ablösen ließ und nach Karlsruhe brachte. Hier wurde es katalogisiert, die Kataloge wurden 1896 und 1970 publiziert, und so steht es dem kundigen Forscher heute in Karlsruhe zur Einsichtnahme und Entzifferung zur Verfügung, als zufällig mitüberliefertes Fragment seinerseits ein Mosaikstein im noch längst nicht umfassend erforschten Gesamtbild der europäischen Buch-, Kunst- und Kulturgeschichte.
Eine Zerstreuung des Handschriftenbestandes einer großen Sammelbibliothek wie der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe wäre ein fataler Schritt zur weiteren Zerstreuung und Dezimierung unserer Quellen. Denn ein Blick in das Nachschlagewerk „Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters“ zeigt, dass in der badischen Landesbibliothek Karlsruhe nicht nur ein großer Teil der berühmten Handschriften des Klosters Reichenau liegen, sondern Handschriften aus dem ganzen mittelalterlichen Deutschland:
• aus karolingischen und hochmittelalterlichen Klöstern wie Alpirsbach, Alsbach, Blaubeuren, Ettenheimmünster, Fulda, Günterstal, Herrenalb, Hirsau, Lorsch, Sankt Blasien, Schuttern, Schwarzach, Tennenbach, Villingen, Wiblingen, Zwiefalten und anderen;
• aus den Reichsstädten Augsburg, Nürnberg, Ulm und ihren Klöstern;
• aus Bischofsstädten Bamberg, Erfurt, Konstanz, Speyer, Würzburg;
• aus weiteren Städten wie Baden-Baden, Braunschweig, Freiburg, Hannover, Heidelberg, Offenburg, Pforzheim.
• Aus linksrheinischen Gebieten wie Colmar, Straßburg und Weißenburg im Elsaß. Hier ist auf die Katastrophe zu verweisen, welche im Deutsch-französischen Krieg 1870 das Archiv und die Bibliothek von Straßburg durch deutschen Beschuss vernichtet hat. Damals sind tausende mittelalterliche Handschriften und Dokumente, darunter bestimmt auch Vorstufen der Buchdruckerkunst aus den dortigen Versuchen des Johannes Gutenberg, restlos untergegangen.
Wo sind die Bücher der mittelalterlichen Bibliotheken Europas?
Kloster- und Kirchenbibliotheken, die ihre eigenen mittelalterlichen Buchbestände noch heute besitzen, gibt es nur noch ganz wenige: in unseren Gegenden sind es Verona, Einsiedeln und Engelberg, sowie die weltberühmte Stiftsbibliothek Sankt Gallen.
Die mittelalterlichen Klöster haben durch ihre Bibliotheken aber nicht nur die Texte der Kirche und des Mittelalters überliefert, sondern auch zum größten Teil die Texte des griechisch-römischen Altertums: Ohne die geduldige Abschreibetätigkeit der Benediktiner hätten wir weder von Vergil, noch von Ovid, Cicero oder Cäsar zusammenhängende Texte und vollständige Werke! Sie sind uns fast ausschließlich durch Abschriften aus den karolingischen Klöstern bekannt, und diese Handschriften liegen heute in den großen Sammelbibliotheken Europas und der Welt, so auch in Karlsruhe.
Im Laufe der Jahrhunderte wurden ganze Bibliotheken in alle Winde zerstreut, wie im Fall Fleury gezeigt, und viele Bücher sind ganz untergegangen. Deshalb muss jedes erhaltene mittelalterliche Buch einzeln untersucht und bestimmt werden, um seine Geschichte zu verfolgen: Wann war es wo aufbewahrt, von wem wurde es benutzt, gelesen, abgeschrieben oder, später, abgedruckt? Auf Grund solcher Forschungsergebnisse können Aussagen über die alten Texte und ihre Rezeption gemacht werden. Weiterführende Forschungen über die mittelalterliche Literaturgeschichte bauen auf der Geschichte der Textüberlieferung auf. So war es eine Sensation, als 1984 nachgewiesen wurde, dass die berühmte Vergilhandschrift (der sogenannte Vergilius Vaticanus aus den Jahren um 400, der in der Vatikanischen Bibliothek in Rom aufbewahrt wird) in der Karolingerzeit in einem der Loireklöster Fleury, Orléans oder Tours mit Notizen versehen worden ist von Schreibern, die auch an der Abschrift der Vergiltexte um 830 in Tours (heute Burgerbibliothek Bern, Codex 165) mitgewirkt haben: eine großartige Entdeckung, die mit einem Nobelpreis zu würdigen wäre, wenn es einen solchen gäbe.
Nun sind seit 200 Jahren die überlieferten Handschriften einigermaßen in festen Händen staatlicher oder staatlich unterstützter Bibliotheken geblieben, wenn auch Katastrophen zu melden sind wie
• die oben erwähnte Vernichtung von Bibliothek und Archiv Straßburg 1870;
• die Zerstörung von Stadt und Universität Löwen in Belgien im August 1914, wobei die ganze Universitätsbibliothek von 300'000 Bänden mit 1000 Handschriften und 800 Inkunabeln vernichtet wurde;
• die Zerstörung der Stadt und Bibliothek Karlsruhe im Jahr 1942 durch allierte Bomben; glücklicherweise waren die unersetzlichen Handschriften- und Altbestände schon 1939 ausgelagert worden;
• Verkäufe von Adelsbibliotheken wie jener der fürstlich Fürstenbergischen Bibliothek Donaueschingen von 1999 an;
• Raub und Diebstähle, wie die Entwendungen des Grafen Libri, sowie Naturkatastrophen, die immer drohen.
Die relative Ortsbeständigkeit der alten Bücher während zweihundert Jahren hat den gewaltigen Aufschwung der buch- und bibliothekswissenschaftlichen Forschungen ermöglicht, die noch längst nicht abgeschlossen sind. Forscher und Gelehrte auf der ganzen Welt bemühen sich um Aufschluss über die Herkunft der einzelnen Handschriften und um die virtuelle Rekonstruktion ganzer Bibliotheksbestände, um daraus wieder Schlüsse zu ziehen über das geistliche und geistige Leben, die Lebensverhältnisse und die Versorgung mit Büchern und Texten in früheren Zeiten.
Haben die alten Bücher eine Zukunft?
Wenn man die Geschichte der Bücher kennt, versteht man auch, warum der Protest gegen die Absichten der Baden-württembergischen Regierung unterdessen die ganze zivilisierte Welt ergriffen hat. Würden nämlich deren Pläne verwirklicht und machten diese im 21. Jahrhundert Schule, zerstreuten sich die Handschriften nochmals über die ganze Welt und wären auf Jahrzehnte hinaus wieder unauffindbar, wie im Mittelalter, und vielleicht auf immer.
Das Schicksal der alten Bücher Europas ruht in Zukunft fast völlig auf den staatlichen und staatlich unterstützten Bibliotheken: nur sie sind in der Lage, auf Dauer die alten Buchbestände zu bewahren, zu pflegen und sie der Forschung und damit der Öffentlichkeit und den nächsten Generationen zu erhalten. Der Aufschrei der Öffentlichkeit beim Bekanntwerden der Pläne der Baden-württembergischen Landesregierung ist mit der Befürchtung zu erklären, dass diese Pläne den Beginn einer weiteren Zerstreuung alter Buchbestände darstellen könnten, nach all den Plünderungen, Kriegen und Katastrophen im Laufe unserer Geschichte. Die gleiche Pflicht zur Erhaltung der Ganzheit des Überlieferungszusammenhanges gilt auch für die Inkunabel- und Frühdruckbestände. Nur durch den Erhalt des Zusammenhanges der Überlieferung können die Quellen für das Studium der Verbreitungs- und Rezeptionsgeschichte bewahrt werden.
Es ist zu hoffen, dass die Regierung des Landes Baden-Württemberg ihre Verantwortung für das europäische Kulturgut Buch erkennt, das in ihrem Hoheitsgebiet verwahrt wird.
Dr. Martin Germann
Konservator
Burgerbibliothek Bern
5. Oktober 2006
Literatur:
Geschichte der Textüberlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur, Zürich 1961-1964, 2 Bände
Mostert, Marco: The library of Fleury, a provisional list of manuscripts, Hilversum 1989 (Middeleeuwse studies en bronnen, 3)
Krämer, Sigrid, & Michael Bernhard: Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, München 1990
Pöhlmann, Egert: Einführung in die Überlieferungsgeschichte und in die Textkritik der antiken Literatur, Darmstadt 1994-2003, 2 Bände

Legende zum Bild:
Brief des Kirchenvaters Hieronymus, Pergamentfragment; geschrieben in der 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts in Italien. Abbildung aus der Bibliothèque municipale Orléans, ms. 192 (169), abgelöst aus dem Einband von Orléans ms. 18 (15) aus Fleury OSB. Die Badische Landesbibliothek Karlsruhe besitzt unter Ms. Nr. 339.2 ein weiteres Doppelblatt dieser Handschrift.

Ein prächtiges Musteralphabet der römischen Steinschrift (Capitalis quadrata) wurde kurz nach dem Jahr 1000 in einer Sammelhandschrift in Fleury eingetragen. Der Codex enthält Texte zur Arithmetik (Tabellen zum Bruchrechnen), Astronomie und Kalenderrechnung (Computus des Abtes Abbo von Fleury, +1004). Das Alphabet steht neben anderen Texten: Oben eine Erklärung über das Mondalter, links darunter eine Tabelle des Mondscheines während des Mondmonats von 29 Tagen, rechts Merkverse für Sternbilder und Tierkreiszeichen, am Fuß unten links die Angaben der karolingischen Längenmaße und ihrer Unterteilungen.
Abbildung aus der Burgerbibliothek Bern, Codex 250 f. 11verso
Über die Burgerbibliothek Bern:
Burgerbibliothek Bern
Münstergasse 63, Postfach, 3000 Bern 8
Tel. +31-3203333; Fax +31-3203370
https://www.burgerbib.ch/
Öffnungszeiten des Lesesaales: Montag bis Freitag 9-17 Uhr.
Die Burgerbibliothek Bern betreut seit 1951 die Berner Handschriftensammlung, deren Anfänge in die Zeit der Reformation (1528) zurückreicht. Sie besitzt die drittgrößte mittelalterliche Handschriftensammlung der Schweiz, meist aus der Sammlung des Jacques Bongars (1554-1612), welche als Geschenk seines Erben Jacques Graviseth 1632 an Bern gelangt ist. Weitere Bestände: neuere Handschriften und Archivalien zur Berner und Schweizer Geschichte; bernische Grafiksammlung und Porträtdokumentation.
von Martin Germann
Konservator der Bibliotheca Bongarsiana, Burgerbibliothek Bern
Herrn Germann bin ich für die Erlaubnis dankbar, den in der Süddeutschen Zeitung vom 11. Oktober 2006, Seite 16 unter dem Titel "Die abenteuerliche Reise muss ein Ende haben;
Eine europäische Odyssee von Fleury nach Karlsruhe, oder: Warum alte Handschriften intakt zu bewahren sind" veröffentlichten wunderbaren Artikel in der Originalfassung hier wiederzugeben dürfen. Die Bilder befinden sich aus technischen Gründen bei Flickr.com. KG
An einem Beispiel soll gezeigt werden, warum eine Verauktionierung von Handschriften- und Inkunabelbeständen, wie jenen der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe, ein großes Unglück für die europäische Buch- und Textüberlieferung des Altertums und des Mittelalters wäre.
Das Schicksal einer mittelalterlichen Bibliothek
Ein Einzelfall als Beispiel für andere
Was haben die Bibliotheken der Abtei Fleury an der Loire (gegründet 651), die Badische Landesbibliothek Karlsruhe (gegründet um 1500) und die Burgerbibliothek Bern (gegründet 1528) miteinander zu tun?
Die Benediktinerabtei Fleury, oberhalb von Orléans an der Loire im ehemals römischen Gallien gelegen (heute: Saint-Benoît-sur-Loire), war bis zur Karolingerzeit zu einem wichtigen kirchlichen Zentrum herangewachsen. In der Zeit der Völkerwanderung waren die Gebeine des heiligen Benedikt von Nursia (um 480-560), Gründer des Benediktinerordens, zur Zeit der Langobardengefahr um 577 aus Monte Cassino hierher verbracht worden. Fleury entwickelte sich zu einem wichtigen Wallfahrtsort und, in der Karolingerzeit, dank weitreichenden Beziehungen, zu einem Kloster mit Schule und Schreibort mit bedeutender Bibliothek. Die älteste überlieferte Bücherliste stammt aus dem 11. Jahrhundert und enthält 45 Titel. Bis zum Vorabend der Reformation sammelte sich hier eine für die damalige Zeit große Bibliothek von mindestens 600 bis 800 Handschriften an.
Die Bücherzerstreuung während der Hugenottenkriege und seither (siehe die Tabelle)

Während des Bürgerkriegs zwischen den Hugenotten und den Altgläubigen, 1562, wurden die Mönche verjagt und die Bibliothek von den Protestanten geplündert, wenn auch nicht zerstört, wie Kloster- und Kirchenbibliotheken andernorts in Frankreich. Der bücherliebende Jurist und Gelehrte Pierre Daniel (1531-1604) nahm sie in seinen Besitz. Nach seinem Tod wurde sie unter seine Schüler, drei ebenfalls bücherliebende Sammler aufgeteilt:
Ein erster Teil ging an Paul Petau (1568-1614) und kam über dessen Sohn in die Hände des gelehrten Isaac Vossius (1618-1689), Bibliothekar der wissenschaftlich und künstlerisch interessierten Tochter König Gustav Adolfs, Christine (1629-1689), welche nach ihres Vaters Tod Königin von Schweden wurde. Als sie sich dem Katholizismus zuwandte und nach Rom zog, vermachte sie auf ihr Ableben hin ihre Bibliothek dem Papst. Aus diesem Grund sind heute 198 Handschriften der Abtei Fleury in der Vatikanischen Bibliothek aufbewahrt. Etwa 100 weitere wichtige Handschriften kamen als Geschenk der Königin an ihren Bibliothekar Vossius und aus dessen Besitz schließlich in die Universitätsbibliothek Leiden (Niederlande).
Der zweite Teil kam an Jacques Bongars (1554-1612), Jurist und Diplomat im Dienste der französischen Krone, der auch als Gelehrter wirkte und mehrere historische Werke publizierte. Da ohne Nachkommen, verschrieb er seine im Laufe des Lebens gesammelte wertvolle Bibliothek seinem Patensohn Jacques Graviseth (1598-1658), Sohn seines Freundes René Graviseth, Bankier und Juwelier in Straßburg. Nach dem Erwerb des Schlosses Liebegg im damals bernischen Aargau durch seinen Vater und nach der Heirat mit der Berner Schultheißentochter Maria Salomea von Erlach (1604-1636) wurde Jacques Graviseth Burger Berns. Als Dank für das Burgerrecht schenkte er seiner neuen Heimat die von Bongars ererbte Bibliothek, welche die Bestände der damaligen Stadtbibliothek Bern verdoppelte und somit auch mit Büchern aus der Abtei Fleury versah: in der Burgerbibliothek Bern sind heute 70 Handschriften aus Fleury nachweisbar.
Der dritte Teil gelangte in die Hände von Claude Dupuy, auch unter seinem Gelehrtennamen Puteanus bekannt, der 1594 starb, und in jene des Philologen und Advokaten Pierre Pithou (gest. 1596). Ihre Nachlässe und Bibliotheken kamen später in die königliche Bibliothek Paris, welche heute in der Bibliothèque nationale de France aufgegangen ist. Hierher kamen aus verschiedenen Quellen weitere Handschriften, teils aus einer in Fleury aus Fluchtgut nach der Plünderung von 1562 neu gegründeten Bibliothek. Heute enthält die Bibliothèque nationale de France 69 Handschriften aus Fleury, deren zuletzt eingegangene aus einem berühmten Kriminalfall des 19. Jahrhunderts stammen: Graf Guilelmo Libri (1803-1869) hatte als hoher Beamter der Krone ungehinderten Zutritt zu allen Provinz- und Stadtbibliotheken, die nach der französischen Revolution aus den enteigneten Bibliotheken des Adels und der Kirchen und Klöster gebildet worden waren, so auch zur Bibliothèque municipale Orléans, welche viele Handschriften aus dem benachbarten Fleury übernommen hatte. Er hatte, als hoher Beamter, seine Stellung zu Diebstählen in vielen Bibliotheken ausgenützt, auch in Orléans. Bereits lagen seine Schätze auf einer Auktion in London. Da entdeckte der kluge Bibliothekar Léopold Delisle in Paris die Diebstähle und konnte auf noch nicht verkaufte Bücher seine Hand legen; dem französischen Staat blieb nichts anderes übrig, als sie von den Erwerbern soweit möglich zurück zu kaufen. Dadurch kamen solche Handschriften nicht an ihren Aufbeahrungsort (Orléans) zurück, sondern an die heute rund 350'000 Handschriften verwaltende Bibliothèque nationale de France in Paris. Neun bereits verkaufte Handschriften aus Fleury gelangten in die Bibliotheca Laurenziana in Florenz.
Zusätzlich zu diesen rund 500 Handschriften gibt es auch etwa hundert Codices aus Fleury in Streubesitz in etwa 50 verschiedenen Bibliotheken Europas und in Übersee, von Amsterdam über Genf, Den Haag, Düsseldorf, London, Malibu, Sankt Gallen, Trier bis Wolfenbüttel.
Eine Handschrift aus Fleury in Karlsruhe
Was hat die mittelalterliche Bibliothek des Klosters an der Loire mit der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe zu tun? Anhand eines Beispiels kann die heutige internationale Verflechtung der Handschriftenbestände demonstriert und das Mittelalter sehr schön als Wurzel unserer gemeinsamen europäischen Geschichte aufgezeigt werden.
Auch in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe wird nämlich eine Handschrift aufbewahrt, die aus Fleury stammt. In Orléans aus einem Einband einer Handschrift aus Fleury abgelöst, ist das Fragment im 19. Jahrhundert nach Karlsruhe gelangt.
Das Fragment enthält lateinische Briefe des Kirchenvaters Hieronymus, welche im 6. Jahrhundert in Italien auf Pergament abgeschrieben worden sind. Vielleicht kam die Handschrift bei der Übertragung der Gebeine des heiligen Benedikt aus Monte Cassino nach Fleury mit. Jedenfalls wurde sie hier gegen Ende des Mittelalters ausgeschieden, nachdem sie als veraltet galt und der Text der Hieronymus-Briefe vielleicht bereits im Buchdruck zur Verfügung stand. Die Pergamenthandschrift wurde dem Buchbinder des Klosters zur Verwendung als Einbandmaterial überlassen. Jahrhunderte lang blieb das Fragment im betreffenden Einband, bis ein interessierter Zeitgenosse im 19. Jahrhundert an dem schönen Stück Schrift, einer kalligraphischen Unzialschrift, Gefallen fand, es ablösen ließ und nach Karlsruhe brachte. Hier wurde es katalogisiert, die Kataloge wurden 1896 und 1970 publiziert, und so steht es dem kundigen Forscher heute in Karlsruhe zur Einsichtnahme und Entzifferung zur Verfügung, als zufällig mitüberliefertes Fragment seinerseits ein Mosaikstein im noch längst nicht umfassend erforschten Gesamtbild der europäischen Buch-, Kunst- und Kulturgeschichte.
Eine Zerstreuung des Handschriftenbestandes einer großen Sammelbibliothek wie der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe wäre ein fataler Schritt zur weiteren Zerstreuung und Dezimierung unserer Quellen. Denn ein Blick in das Nachschlagewerk „Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters“ zeigt, dass in der badischen Landesbibliothek Karlsruhe nicht nur ein großer Teil der berühmten Handschriften des Klosters Reichenau liegen, sondern Handschriften aus dem ganzen mittelalterlichen Deutschland:
• aus karolingischen und hochmittelalterlichen Klöstern wie Alpirsbach, Alsbach, Blaubeuren, Ettenheimmünster, Fulda, Günterstal, Herrenalb, Hirsau, Lorsch, Sankt Blasien, Schuttern, Schwarzach, Tennenbach, Villingen, Wiblingen, Zwiefalten und anderen;
• aus den Reichsstädten Augsburg, Nürnberg, Ulm und ihren Klöstern;
• aus Bischofsstädten Bamberg, Erfurt, Konstanz, Speyer, Würzburg;
• aus weiteren Städten wie Baden-Baden, Braunschweig, Freiburg, Hannover, Heidelberg, Offenburg, Pforzheim.
• Aus linksrheinischen Gebieten wie Colmar, Straßburg und Weißenburg im Elsaß. Hier ist auf die Katastrophe zu verweisen, welche im Deutsch-französischen Krieg 1870 das Archiv und die Bibliothek von Straßburg durch deutschen Beschuss vernichtet hat. Damals sind tausende mittelalterliche Handschriften und Dokumente, darunter bestimmt auch Vorstufen der Buchdruckerkunst aus den dortigen Versuchen des Johannes Gutenberg, restlos untergegangen.
Wo sind die Bücher der mittelalterlichen Bibliotheken Europas?
Kloster- und Kirchenbibliotheken, die ihre eigenen mittelalterlichen Buchbestände noch heute besitzen, gibt es nur noch ganz wenige: in unseren Gegenden sind es Verona, Einsiedeln und Engelberg, sowie die weltberühmte Stiftsbibliothek Sankt Gallen.
Die mittelalterlichen Klöster haben durch ihre Bibliotheken aber nicht nur die Texte der Kirche und des Mittelalters überliefert, sondern auch zum größten Teil die Texte des griechisch-römischen Altertums: Ohne die geduldige Abschreibetätigkeit der Benediktiner hätten wir weder von Vergil, noch von Ovid, Cicero oder Cäsar zusammenhängende Texte und vollständige Werke! Sie sind uns fast ausschließlich durch Abschriften aus den karolingischen Klöstern bekannt, und diese Handschriften liegen heute in den großen Sammelbibliotheken Europas und der Welt, so auch in Karlsruhe.
Im Laufe der Jahrhunderte wurden ganze Bibliotheken in alle Winde zerstreut, wie im Fall Fleury gezeigt, und viele Bücher sind ganz untergegangen. Deshalb muss jedes erhaltene mittelalterliche Buch einzeln untersucht und bestimmt werden, um seine Geschichte zu verfolgen: Wann war es wo aufbewahrt, von wem wurde es benutzt, gelesen, abgeschrieben oder, später, abgedruckt? Auf Grund solcher Forschungsergebnisse können Aussagen über die alten Texte und ihre Rezeption gemacht werden. Weiterführende Forschungen über die mittelalterliche Literaturgeschichte bauen auf der Geschichte der Textüberlieferung auf. So war es eine Sensation, als 1984 nachgewiesen wurde, dass die berühmte Vergilhandschrift (der sogenannte Vergilius Vaticanus aus den Jahren um 400, der in der Vatikanischen Bibliothek in Rom aufbewahrt wird) in der Karolingerzeit in einem der Loireklöster Fleury, Orléans oder Tours mit Notizen versehen worden ist von Schreibern, die auch an der Abschrift der Vergiltexte um 830 in Tours (heute Burgerbibliothek Bern, Codex 165) mitgewirkt haben: eine großartige Entdeckung, die mit einem Nobelpreis zu würdigen wäre, wenn es einen solchen gäbe.
Nun sind seit 200 Jahren die überlieferten Handschriften einigermaßen in festen Händen staatlicher oder staatlich unterstützter Bibliotheken geblieben, wenn auch Katastrophen zu melden sind wie
• die oben erwähnte Vernichtung von Bibliothek und Archiv Straßburg 1870;
• die Zerstörung von Stadt und Universität Löwen in Belgien im August 1914, wobei die ganze Universitätsbibliothek von 300'000 Bänden mit 1000 Handschriften und 800 Inkunabeln vernichtet wurde;
• die Zerstörung der Stadt und Bibliothek Karlsruhe im Jahr 1942 durch allierte Bomben; glücklicherweise waren die unersetzlichen Handschriften- und Altbestände schon 1939 ausgelagert worden;
• Verkäufe von Adelsbibliotheken wie jener der fürstlich Fürstenbergischen Bibliothek Donaueschingen von 1999 an;
• Raub und Diebstähle, wie die Entwendungen des Grafen Libri, sowie Naturkatastrophen, die immer drohen.
Die relative Ortsbeständigkeit der alten Bücher während zweihundert Jahren hat den gewaltigen Aufschwung der buch- und bibliothekswissenschaftlichen Forschungen ermöglicht, die noch längst nicht abgeschlossen sind. Forscher und Gelehrte auf der ganzen Welt bemühen sich um Aufschluss über die Herkunft der einzelnen Handschriften und um die virtuelle Rekonstruktion ganzer Bibliotheksbestände, um daraus wieder Schlüsse zu ziehen über das geistliche und geistige Leben, die Lebensverhältnisse und die Versorgung mit Büchern und Texten in früheren Zeiten.
Haben die alten Bücher eine Zukunft?
Wenn man die Geschichte der Bücher kennt, versteht man auch, warum der Protest gegen die Absichten der Baden-württembergischen Regierung unterdessen die ganze zivilisierte Welt ergriffen hat. Würden nämlich deren Pläne verwirklicht und machten diese im 21. Jahrhundert Schule, zerstreuten sich die Handschriften nochmals über die ganze Welt und wären auf Jahrzehnte hinaus wieder unauffindbar, wie im Mittelalter, und vielleicht auf immer.
Das Schicksal der alten Bücher Europas ruht in Zukunft fast völlig auf den staatlichen und staatlich unterstützten Bibliotheken: nur sie sind in der Lage, auf Dauer die alten Buchbestände zu bewahren, zu pflegen und sie der Forschung und damit der Öffentlichkeit und den nächsten Generationen zu erhalten. Der Aufschrei der Öffentlichkeit beim Bekanntwerden der Pläne der Baden-württembergischen Landesregierung ist mit der Befürchtung zu erklären, dass diese Pläne den Beginn einer weiteren Zerstreuung alter Buchbestände darstellen könnten, nach all den Plünderungen, Kriegen und Katastrophen im Laufe unserer Geschichte. Die gleiche Pflicht zur Erhaltung der Ganzheit des Überlieferungszusammenhanges gilt auch für die Inkunabel- und Frühdruckbestände. Nur durch den Erhalt des Zusammenhanges der Überlieferung können die Quellen für das Studium der Verbreitungs- und Rezeptionsgeschichte bewahrt werden.
Es ist zu hoffen, dass die Regierung des Landes Baden-Württemberg ihre Verantwortung für das europäische Kulturgut Buch erkennt, das in ihrem Hoheitsgebiet verwahrt wird.
Dr. Martin Germann
Konservator
Burgerbibliothek Bern
5. Oktober 2006
Literatur:
Geschichte der Textüberlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur, Zürich 1961-1964, 2 Bände
Mostert, Marco: The library of Fleury, a provisional list of manuscripts, Hilversum 1989 (Middeleeuwse studies en bronnen, 3)
Krämer, Sigrid, & Michael Bernhard: Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, München 1990
Pöhlmann, Egert: Einführung in die Überlieferungsgeschichte und in die Textkritik der antiken Literatur, Darmstadt 1994-2003, 2 Bände

Legende zum Bild:
Brief des Kirchenvaters Hieronymus, Pergamentfragment; geschrieben in der 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts in Italien. Abbildung aus der Bibliothèque municipale Orléans, ms. 192 (169), abgelöst aus dem Einband von Orléans ms. 18 (15) aus Fleury OSB. Die Badische Landesbibliothek Karlsruhe besitzt unter Ms. Nr. 339.2 ein weiteres Doppelblatt dieser Handschrift.

Ein prächtiges Musteralphabet der römischen Steinschrift (Capitalis quadrata) wurde kurz nach dem Jahr 1000 in einer Sammelhandschrift in Fleury eingetragen. Der Codex enthält Texte zur Arithmetik (Tabellen zum Bruchrechnen), Astronomie und Kalenderrechnung (Computus des Abtes Abbo von Fleury, +1004). Das Alphabet steht neben anderen Texten: Oben eine Erklärung über das Mondalter, links darunter eine Tabelle des Mondscheines während des Mondmonats von 29 Tagen, rechts Merkverse für Sternbilder und Tierkreiszeichen, am Fuß unten links die Angaben der karolingischen Längenmaße und ihrer Unterteilungen.
Abbildung aus der Burgerbibliothek Bern, Codex 250 f. 11verso
Über die Burgerbibliothek Bern:
Burgerbibliothek Bern
Münstergasse 63, Postfach, 3000 Bern 8
Tel. +31-3203333; Fax +31-3203370
https://www.burgerbib.ch/
Öffnungszeiten des Lesesaales: Montag bis Freitag 9-17 Uhr.
Die Burgerbibliothek Bern betreut seit 1951 die Berner Handschriftensammlung, deren Anfänge in die Zeit der Reformation (1528) zurückreicht. Sie besitzt die drittgrößte mittelalterliche Handschriftensammlung der Schweiz, meist aus der Sammlung des Jacques Bongars (1554-1612), welche als Geschenk seines Erben Jacques Graviseth 1632 an Bern gelangt ist. Weitere Bestände: neuere Handschriften und Archivalien zur Berner und Schweizer Geschichte; bernische Grafiksammlung und Porträtdokumentation.
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"Aufgabe der Kulturpolitik ist es, kulturelles Erbe zu sichern, nicht zu veräußern"
Baden-Baden (ots) - Geschäftsführerin des Deutschen Museumsbundes übt scharfe Kritik an baden-württembergischer Kulturpolitik
Die Überlegung der Landesregierung von Baden-Württemberg, mit dem
Verkauf vieler kleiner Objekte aus Museen und Bibliotheken das
Badische Fürstenhaus zu sanieren und das Schloss Salem zu sichern,
ist von der Geschäftsführerin des Deutschen Museumsbundes, Mechthild
Kronenberg, in SWR2 ("Journal am Morgen") als eine "unglaublich
peinliche und blamable Affäre" bezeichnet worden. Wörtlich sagte Frau
Kronenberg in SWR2: "Museen sind keine Rückhaltebecken, aus denen man
in Zeiten finanzieller Engpässe Objekte entnimmt, veräußert, um damit
Schwierigkeiten zu überbrücken." Die Aufgabe der Kulturpolitik
bestehe darin, "die Sicherung des kulturellen Erbes voranzutreiben
und nicht dessen Veräußerung". Ein Verkauf von Kunstobjekten sei in
Ausnahmefällen möglich, aber der Erlös müsste dann den
"Kunstsammlungen wieder zugutekommen". "Wir können nicht an die
Filetstücke herangehen und sie veräußern, wir haben sie zu
beschützen", so die Geschäftsführerin des Deutschen Museumsbundes.
Sie forderte in SWR2 ein Gesetz für den Schutz des Kulturerbes. Das
historische Erbe brauche dringend einen Schutzraum, der nicht
angetastet werden könne. Die baden-württembergische Landesregierung
müsse einen anderen Weg suchen, um die finanziellen Probleme zu
lösen. Andernfalls würde es zu einem "großen Sündenfall" kommen.
Bereits gestern Abend hatte sich die Präsidentin des
Museumsverbandes Baden-Württemberg, Dr. Kirsten Fast, im
SWR2-Interview kritisch zu den Plänen der Landesregierung geäußert,
nach denen die staatlichen Museen in Baden-Württemberg bis März 2007
durch Verkäufe zehn Millionen Euro aufbringen sollen, um den
Vergleich mit dem Haus Baden zu finanzieren: "Ich finde es
unverantwortlich, was da passiert. Es ist mir ein Rätsel, wie man in
so kurzer Zeit so viel Geld stemmen soll, ohne wirklich grundlegende
Arbeiten zu verkaufen", erklärte Fast in der Sendung SWR2 "Journal
aus Baden-Württemberg". Allen Museen im Lande sei bewusst, dass es
weniger Geld gebe und dass sie Opfer bringen müssten, aber "die
Affinität der Landesregierung zu den Adelshäusern" verstünden sie
nicht. Im Museumsverband Baden-Württemberg sind 600 Landes-,
Kommunal- und Privatmuseen organisiert.
Das vollständige SWR2-Interview mit Mechthild Kronenberg finden
Sie unter
www.SWR2.de/sendungen/journal/interviews.html
Originaltext: SWR - Südwestrundfunk
Digitale Pressemappe: https://presseportal.de/story.htx?firmaid=7169
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_7169.rss2
SWR-Pressestelle
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Georg Brandl, Tel.
07221/929-3854, georg.brandl at swr.de
Baden-Baden (ots) - Geschäftsführerin des Deutschen Museumsbundes übt scharfe Kritik an baden-württembergischer Kulturpolitik
Die Überlegung der Landesregierung von Baden-Württemberg, mit dem
Verkauf vieler kleiner Objekte aus Museen und Bibliotheken das
Badische Fürstenhaus zu sanieren und das Schloss Salem zu sichern,
ist von der Geschäftsführerin des Deutschen Museumsbundes, Mechthild
Kronenberg, in SWR2 ("Journal am Morgen") als eine "unglaublich
peinliche und blamable Affäre" bezeichnet worden. Wörtlich sagte Frau
Kronenberg in SWR2: "Museen sind keine Rückhaltebecken, aus denen man
in Zeiten finanzieller Engpässe Objekte entnimmt, veräußert, um damit
Schwierigkeiten zu überbrücken." Die Aufgabe der Kulturpolitik
bestehe darin, "die Sicherung des kulturellen Erbes voranzutreiben
und nicht dessen Veräußerung". Ein Verkauf von Kunstobjekten sei in
Ausnahmefällen möglich, aber der Erlös müsste dann den
"Kunstsammlungen wieder zugutekommen". "Wir können nicht an die
Filetstücke herangehen und sie veräußern, wir haben sie zu
beschützen", so die Geschäftsführerin des Deutschen Museumsbundes.
Sie forderte in SWR2 ein Gesetz für den Schutz des Kulturerbes. Das
historische Erbe brauche dringend einen Schutzraum, der nicht
angetastet werden könne. Die baden-württembergische Landesregierung
müsse einen anderen Weg suchen, um die finanziellen Probleme zu
lösen. Andernfalls würde es zu einem "großen Sündenfall" kommen.
Bereits gestern Abend hatte sich die Präsidentin des
Museumsverbandes Baden-Württemberg, Dr. Kirsten Fast, im
SWR2-Interview kritisch zu den Plänen der Landesregierung geäußert,
nach denen die staatlichen Museen in Baden-Württemberg bis März 2007
durch Verkäufe zehn Millionen Euro aufbringen sollen, um den
Vergleich mit dem Haus Baden zu finanzieren: "Ich finde es
unverantwortlich, was da passiert. Es ist mir ein Rätsel, wie man in
so kurzer Zeit so viel Geld stemmen soll, ohne wirklich grundlegende
Arbeiten zu verkaufen", erklärte Fast in der Sendung SWR2 "Journal
aus Baden-Württemberg". Allen Museen im Lande sei bewusst, dass es
weniger Geld gebe und dass sie Opfer bringen müssten, aber "die
Affinität der Landesregierung zu den Adelshäusern" verstünden sie
nicht. Im Museumsverband Baden-Württemberg sind 600 Landes-,
Kommunal- und Privatmuseen organisiert.
Das vollständige SWR2-Interview mit Mechthild Kronenberg finden
Sie unter
www.SWR2.de/sendungen/journal/interviews.html
Originaltext: SWR - Südwestrundfunk
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Die Übersicht wurde soeben aktualisiert:
https://archiv.twoday.net/stories/2751526/
In den meisten Fällen sind die Texte der Protestbriefe im Volltext hier in ARCHIVALIA dokumentiert.
Dank Bettina Wagner konnten zwei weitere offene Briefe ergänzt werden, es sind inzwischen 32.
https://archiv.twoday.net/stories/2751526/
In den meisten Fällen sind die Texte der Protestbriefe im Volltext hier in ARCHIVALIA dokumentiert.
Dank Bettina Wagner konnten zwei weitere offene Briefe ergänzt werden, es sind inzwischen 32.
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Pressemitteilung des Deutschen Museumsbundes
"Museumsobjekte sind keine Verpfändungsmasse!"
Deutscher Museumsbund kritisiert 3-Säulen-Modell von Ministerpräsident
Oettinger
Berlin, 12. Oktober 2006. Der Deutsche Museumsbund übt scharfe Kritik an dem
von Ministerpräsident Oettinger vorgeschlagenen Drei-Säulen-Modell zur
Rettung des Hauses Baden. "Die Museen und Bibliotheken sind keine
Rückhaltebecken, aus denen in Zeiten finanzieller Engpässe geschöpft werden
kann", erklärte Dr. Michael Eissenhauer, Präsident des Deutschen
Museumsbundes, zu den Plänen des Ministerpräsidenten. Nach dessen
Drei-Säulen-Modell sollen die Landesstiftung Baden-Württemberg, Unternehmen
und Privatpersonen sowie die Kultureinrichtungen des Landes jeweils 10
Millionen Euro zur Entschädigung des insolventen Fürstenhauses aufbringen.
Die Landesregierung fordert von den Kultureinrichtungen, durch Verkäufe aus
ihren Sammlungsbeständen einen finanziellen Beitrag zu leisten.
"Jede verantwortungsvolle Museumsleitung wird sich einverstanden erklären,
vorübergehend auf einen Zuschuss der Landesstiftung für den Erwerb weiterer
Objekte zu verzichten." Ein aktiver Verkauf sei jedoch keine akzeptable
Lösung. Eissenhauer: "Die kulturpolitische Verantwortung einer
Landesregierung besteht darin, das von Museen, Bibliotheken und Archiven
bewahrte Kulturgut zu schützen. Es darf nicht sein, dass die Landesregierung
von den Verkäufen der in der Landesbibliothek bewahrten Handschriften
Abstand nimmt und das Problem auf andere Kultureinrichtungen abwälzt. Das in
Bibliotheken, Museen und Archiven bewahrte Kulturgut ist keine
Verpfändungsmasse. Wer die Sammlungsbestände zur Sanierung eines
Fürstenhauses heranzieht, leistet einen kulturpolitischen Offenbarungseid."
Eissenhauer verweist auf das im Jahr 2004 vom Deutschen Museumsbund und dem
deutschen Nationalkomitee des Internationalen Museumsrates (ICOM)
veröffentlichte Positionspapier zur Abgabe von Sammlungsgut: "Verkäufe
kommen ausschließlich aus sammlungsrelevanten Erwägungen in Frage. Der Erlös
aus einem Verkauf muss zwingend in die Sammlung reinvestiert werden und
steht nicht für Sanierungsmaßnahmen oder andere finanzielle Verpflichtungen
zur Verfügung." In diesem Zusammenhang fordert der Deutsche Museumsbund seit
Jahren einen besonderen Schutzstatus für das in Museen bewahrte Kulturgut.
Kontakt:
Mechtild Kronenberg
Geschäftsführerin
Deutscher Museumsbund e.V.
Buero Berlin
In der Halde 1
D-14195 Berlin
T: ++49/(0)30/841095-17
F: ++49/(0)30/841095-19
Besuchen Sie unser Internet-Portal: www.museumsbund.de
"Museumsobjekte sind keine Verpfändungsmasse!"
Deutscher Museumsbund kritisiert 3-Säulen-Modell von Ministerpräsident
Oettinger
Berlin, 12. Oktober 2006. Der Deutsche Museumsbund übt scharfe Kritik an dem
von Ministerpräsident Oettinger vorgeschlagenen Drei-Säulen-Modell zur
Rettung des Hauses Baden. "Die Museen und Bibliotheken sind keine
Rückhaltebecken, aus denen in Zeiten finanzieller Engpässe geschöpft werden
kann", erklärte Dr. Michael Eissenhauer, Präsident des Deutschen
Museumsbundes, zu den Plänen des Ministerpräsidenten. Nach dessen
Drei-Säulen-Modell sollen die Landesstiftung Baden-Württemberg, Unternehmen
und Privatpersonen sowie die Kultureinrichtungen des Landes jeweils 10
Millionen Euro zur Entschädigung des insolventen Fürstenhauses aufbringen.
Die Landesregierung fordert von den Kultureinrichtungen, durch Verkäufe aus
ihren Sammlungsbeständen einen finanziellen Beitrag zu leisten.
"Jede verantwortungsvolle Museumsleitung wird sich einverstanden erklären,
vorübergehend auf einen Zuschuss der Landesstiftung für den Erwerb weiterer
Objekte zu verzichten." Ein aktiver Verkauf sei jedoch keine akzeptable
Lösung. Eissenhauer: "Die kulturpolitische Verantwortung einer
Landesregierung besteht darin, das von Museen, Bibliotheken und Archiven
bewahrte Kulturgut zu schützen. Es darf nicht sein, dass die Landesregierung
von den Verkäufen der in der Landesbibliothek bewahrten Handschriften
Abstand nimmt und das Problem auf andere Kultureinrichtungen abwälzt. Das in
Bibliotheken, Museen und Archiven bewahrte Kulturgut ist keine
Verpfändungsmasse. Wer die Sammlungsbestände zur Sanierung eines
Fürstenhauses heranzieht, leistet einen kulturpolitischen Offenbarungseid."
Eissenhauer verweist auf das im Jahr 2004 vom Deutschen Museumsbund und dem
deutschen Nationalkomitee des Internationalen Museumsrates (ICOM)
veröffentlichte Positionspapier zur Abgabe von Sammlungsgut: "Verkäufe
kommen ausschließlich aus sammlungsrelevanten Erwägungen in Frage. Der Erlös
aus einem Verkauf muss zwingend in die Sammlung reinvestiert werden und
steht nicht für Sanierungsmaßnahmen oder andere finanzielle Verpflichtungen
zur Verfügung." In diesem Zusammenhang fordert der Deutsche Museumsbund seit
Jahren einen besonderen Schutzstatus für das in Museen bewahrte Kulturgut.
Kontakt:
Mechtild Kronenberg
Geschäftsführerin
Deutscher Museumsbund e.V.
Buero Berlin
In der Halde 1
D-14195 Berlin
T: ++49/(0)30/841095-17
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Pressemitteilung
Berlin, 09.10.2006
Führende Wissenschaftler und Bibliothekare fordern: Integrität der
Handschriften der Badischen Landesbibliothek sichern
Über 100 führende Wissenschaftler und Bibliothekare, an ihrer Spitze der
Präsident der Georgia Augusta, Prof. Dr. Kurt von Figura, und
Nobelpreisträger Prof. Dr. Manfred Eigen haben bei der Abschieds- und
Begrüßungsfeier für die Direktoren Prof. Dr. Elmar Mittler und Dr.
Norbert Lossau am 4.10.2006 in einem offenen Brief Ministerpräsident
Oettinger aufgefordert, die Integrität der Handschriftensammlung der
Badischen Landesbibliothek zu sichern. Weitere Unterzeichner sind u. a.
die Generaldirektoren der Staatsbibliothek zu Berlin, der Staats-,
Landes- und Universitätsbibliothek Dresden, der Bayerischen
Staatsbibliothek München sowie die Leiter der Zentralen Fachbibliotheken
der Medizin, der Technik und der Wirtschaftswissenschaften. Hier der
Brief im Wortlaut:
Offener Brief an Ministerpräsident Oettinger
Erhalten Sie die Integrität der Handschriftensammlungen der Badischen
Landesbibliothek
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
mit ungläubigem Entsetzen haben wir die Nachricht erfahren, das Land
Baden-Württemberg wolle wesentliche Teile der Handschriftensammlung der
Badischen Landesbibliothek Karlsruhe verkaufen, um damit finanzielle
Probleme des Hauses Baden zu lösen. Dies würde bedeuten, dass
insbesondere die im Verlaufe der Säkularisation am Anfang des 19.
Jahrhunderts in die damalige Hofbibliothek gebrachten kulturellen
Schätze verstreut würden. Sie sind im Rahmen des Landerwerbs der
napoleonischen Zeit über die Klosterkommission in den Besitz Badens
gelangt. Im Gegensatz zu der Bibliothek des Klosters Salem, dessen
Bibliothek 1826/27 an die Universität Heidelberg verkauft wurde, waren
sie aber nie Besitz des Hauses Baden.
Durch das umsichtige Verhalten der Bediensteten der Klosterkommission
und der beteiligten Bibliotheken (Universitätsbibliotheken in Freiburg
und Heidelberg und die schon damals öffentlich zugängliche Hofbibliothek
Karlsruhe) ist es gelungen, den Handschriftenbestand der Klöster in
Baden in großer Vollständigkeit zu erhalten. Er wurde in der
Hofbibliothek nach Provenienzen aufgestellt, so dass bis heute die
Sammlungen der aufgelösten Bibliotheken als Einheit erhalten sind. Sie
sind nicht durch Kriegsverluste geschädigt worden. Durch die sorgfältige
Katalogisierung mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
ist sie hier aller Welt sichtbar und allen kulturell Interessierten
leicht zugänglich. Er ist ein wesentlicher Teil des kulturellen Erbes
und mit Sicherheit der wesentliche Teil der Schriftkultur
Südwestdeutschlands bis zur Durchsetzung des Buchdrucks.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Sie wissen, wie verstreut und
durch vielfältige Verluste geschädigt gerade die schriftliche
Überlieferung in Deutschland ist. Es fehlt Deutschland eine die
Jahrhunderte übergreifende Nationalbibliothek. Umso wichtiger ist es,
dass die regional erhaltenen Bestände dauerhaft gesichert bleiben.
Zerstören Sie nicht einen wesentlichen Teil der kulturellen Identität
des badischen Landesteiles Baden-Württembergs.
Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung,
(Unterschrift)
Weitere Unterzeichnung ist über die Website des Deutschen
Bibliotheksverbandes
https://www.bibliotheksverband.de möglich.
Berlin, 09.10.2006
Führende Wissenschaftler und Bibliothekare fordern: Integrität der
Handschriften der Badischen Landesbibliothek sichern
Über 100 führende Wissenschaftler und Bibliothekare, an ihrer Spitze der
Präsident der Georgia Augusta, Prof. Dr. Kurt von Figura, und
Nobelpreisträger Prof. Dr. Manfred Eigen haben bei der Abschieds- und
Begrüßungsfeier für die Direktoren Prof. Dr. Elmar Mittler und Dr.
Norbert Lossau am 4.10.2006 in einem offenen Brief Ministerpräsident
Oettinger aufgefordert, die Integrität der Handschriftensammlung der
Badischen Landesbibliothek zu sichern. Weitere Unterzeichner sind u. a.
die Generaldirektoren der Staatsbibliothek zu Berlin, der Staats-,
Landes- und Universitätsbibliothek Dresden, der Bayerischen
Staatsbibliothek München sowie die Leiter der Zentralen Fachbibliotheken
der Medizin, der Technik und der Wirtschaftswissenschaften. Hier der
Brief im Wortlaut:
Offener Brief an Ministerpräsident Oettinger
Erhalten Sie die Integrität der Handschriftensammlungen der Badischen
Landesbibliothek
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
mit ungläubigem Entsetzen haben wir die Nachricht erfahren, das Land
Baden-Württemberg wolle wesentliche Teile der Handschriftensammlung der
Badischen Landesbibliothek Karlsruhe verkaufen, um damit finanzielle
Probleme des Hauses Baden zu lösen. Dies würde bedeuten, dass
insbesondere die im Verlaufe der Säkularisation am Anfang des 19.
Jahrhunderts in die damalige Hofbibliothek gebrachten kulturellen
Schätze verstreut würden. Sie sind im Rahmen des Landerwerbs der
napoleonischen Zeit über die Klosterkommission in den Besitz Badens
gelangt. Im Gegensatz zu der Bibliothek des Klosters Salem, dessen
Bibliothek 1826/27 an die Universität Heidelberg verkauft wurde, waren
sie aber nie Besitz des Hauses Baden.
Durch das umsichtige Verhalten der Bediensteten der Klosterkommission
und der beteiligten Bibliotheken (Universitätsbibliotheken in Freiburg
und Heidelberg und die schon damals öffentlich zugängliche Hofbibliothek
Karlsruhe) ist es gelungen, den Handschriftenbestand der Klöster in
Baden in großer Vollständigkeit zu erhalten. Er wurde in der
Hofbibliothek nach Provenienzen aufgestellt, so dass bis heute die
Sammlungen der aufgelösten Bibliotheken als Einheit erhalten sind. Sie
sind nicht durch Kriegsverluste geschädigt worden. Durch die sorgfältige
Katalogisierung mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
ist sie hier aller Welt sichtbar und allen kulturell Interessierten
leicht zugänglich. Er ist ein wesentlicher Teil des kulturellen Erbes
und mit Sicherheit der wesentliche Teil der Schriftkultur
Südwestdeutschlands bis zur Durchsetzung des Buchdrucks.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Sie wissen, wie verstreut und
durch vielfältige Verluste geschädigt gerade die schriftliche
Überlieferung in Deutschland ist. Es fehlt Deutschland eine die
Jahrhunderte übergreifende Nationalbibliothek. Umso wichtiger ist es,
dass die regional erhaltenen Bestände dauerhaft gesichert bleiben.
Zerstören Sie nicht einen wesentlichen Teil der kulturellen Identität
des badischen Landesteiles Baden-Württembergs.
Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung,
(Unterschrift)
Weitere Unterzeichnung ist über die Website des Deutschen
Bibliotheksverbandes
https://www.bibliotheksverband.de möglich.
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