Allgemeines
Architekturarchive
Archivbau
Archivbibliotheken
Archive in der Zukunft
Archive von unten
Archivgeschichte
Archivpaedagogik
Archivrecht
Archivsoftware
Ausbildungsfragen
Bestandserhaltung
Bewertung
Bibliothekswesen
Bildquellen
Datenschutz
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
null

 

Kulturgut

Nikolai B. Forstbauer sichtet in den Stuttgarter Nachrichten vom 4. November 2006 das Presseecho auf die Baldung-Blamage (S. 3)

Der Spott ist beißend, und er kommt national mit solcher Geschwindigkeit, dass man sich um den Werbewert für das Land Baden-Württemberg keine Gedanken mehr machen muss.

[...] Schuldzuweisungen gibt es genug: Ob Staatsministerium, Finanzministerium oder Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst - keiner der an dem Markgrafen-Thema Beteiligten traut mehr dem jeweils anderen.

"Jetzt ist Feuer unterm Dach", war am Freitag aus dem Finanzministerium zu hören. An diesem Tag sind auch die Wirren im Hintergrund schon Schlagzeilen wert. "Bild" druckt einen Brief von Karlsruhes Kunsthallendirektor Klaus Schrenk an Kunstminister Frankenberg, in dem der Museumschef auf neue Untersuchungen zum Baldung-Grien-Bild hinweist. Die Botschaft der Indiskretion ist klar: Frankenberg hätte wissen müssen, dass Unheil droht. Auf Anfrage blickt der Kunstminister lieber nach vorne: "Ich erwarte eine kritische und zügige Überprüfung wichtiger badischer Kulturgüter, die dann auch ein verlässliches Ergebnis bringt." Eine Spitze auch dies: Nicht etwa Frankenbergs Haus, sondern das Finanzministerium hatte die jetzt fraglichen Listen erstellen lassen - über das zuständige Referat Schlösser und Gärten. Und dort, so hallt es wiederum aus den Büros von Finanzminister Stratthaus, habe man wissen müssen, was in der Kunsthalle Karlsruhe hängt. [...]
Dieter Mertens Blick in das Generalarchiv des Landes provozierte die "Berliner Zeitung" am Freitag zu eigenem Hintersinn: "Auf die fleißigen Gelehrten im Ländle ist eben Verlass." Und: "Mit ihren blitzschnell und akribisch recherchierten Gutachten hatten sie schon die brüchige Rechtsgrundlage des Handschriften-Deals vorgeführt. Jetzt blamiert die Wissenschaft abermals die Landesregierung." Eine Sicht, die man im Staatsministerium in Stuttgart durchaus teilt. "In der Regierung macht sich die traurige Erkenntnis breit", so ein Mitarbeiter, der ungenannt bleiben will, "dass das Land das Vertrauen der Wissenschaft nicht mehr gewinnen kann." Und im Finanzministerium macht man eine Negativrechnung besonderer Art auf. Wolle man alle Listen badischer Kulturgüter, deren Besitz rechtlich strittig ist, neu überprüfen, koste dies "wahnsinnig viel Geld und Personal". Kurz - "dann hätte man auch gleich die ganze Summe bezahlen können". [...]

Oettinger steht im Kunstregen - allein gelassen von drei Ministerien, mehreren Fachabteilungen und beauftragten Experten.

Auch auf die Markrafenfamilie allerdings fällt ein Schatten. Mit Blick auf das dem Staat überlassene Baldung-Gemälde hieß es am Freitag in der "Berliner Zeitung": "Dass das durchaus traditionsbewusste Haus Baden den so wichtigen Abtretungsvertrag von 1930 nicht mehr präsent hatte, wirkt überraschend." Und man ahnt: Die Kritik wird zunehmen.


Da der Erbprinz gegenüber der Stuttgarter Zeitung (vom 5.10.2006) vom Zugriff auf die "zentralen Bestände" des Landesmuseums und der Kunsthalle sprach, darf man dem Haus Baden mindestens mangelhafte Recherche attestieren (wenngleich ein Betrugsversuch auch nicht ausgeschlossen werden kann).

Die FAZ vom gleichen Tag (S. 40) höhnt unter Farbbildern der beiden Cranach-Medaillons: "Oettingers Bilder, zweite Lieferung: Auch die hier gehören Baden-Württemberg schon!"

Auszug:

Damit zumindest die Karlsruher Bilder jetzt auf der sicheren Seite sind, hier ihre kleine Liste, die Dieter Mertens dem Archiv entnommen hat: Außer dem Renaissance-Meisterwerk der Markgrafentafel gehören dem Land Baden auch die beiden etwa elf Zentimeter hohen Porträts von Friedrich dem Weisen und Johann dem Beständigen aus der Cranach-Werkstatt. Sie wurden von der Regierung ebenfalls als "unbestrittener" Besitz des Hauses Baden bezeichnet - obgleich sie auch vor 1930 im Karlsruher Bestandsverzeichnis von Koelitz nicht als "Großherzogliches Privateigentum" ausgewiesen waren; ihr Wert ist vom Land mit je einer Million Euro veranschlagt, was für solche Arbeiten einigermaßen großzügig anmutet. Dann sind da noch die Nummern 106, 157 und 539 bei Koelitz. Einzig als Familienbildnis anzusprechen ist Nummer 537, nämlich "Der Türkenlouis erstürmt eine türkische Verschanzung in Ungarn", von Feodor Dietz 1837 gemalt.

Reiner Ruf in der Stuttgarter Zeitung vom gleichen Tag (S. 9) schilt die Juristen und insbesondere den Gutachter Würtenberger (der sich dem Vernehmen nach erst bequemte, Archiv- Akten zur Zähringer Stiftung einzusehen, NACHDEM er gegutachtet hatte):

Das Schmuckstück der Karlsruher Kunsthalle, die so genannte Markgrafentafel, zu Anfang des 16. Jahrhunderts gemalt von Hans Baldung Grien, ist dem Land Baden und als dessen Rechtsnachfolger dem Land Baden-Württemberg seit dem Jahr 1930 zu eigen. Nur hat das keiner mehr gewusst. [...] Da fügt sich ins Bild, dass Repräsentanten dieser Regierung zu Beginn der Debatte um das badische Kulturerbe kunsthistorische Unsicherheiten zeigten und den Dürer-Schüler mal als Hans Balduin, dann wieder als Hans Baldur über die sonst so flinke Ministerzunge huschen ließen.

Eine unglückliche Figur macht auch der Gutachter des Landes, der Freiburger Staatsrechtler Thomas Würtenberger. Dem Finanzausschuss des Landtags bestätigte er noch am 19. Oktober, dass die Markgrafentafel, deren Wert auf acht Millionen Euro taxiert wird, eindeutig dem Adelshaus derer von Baden gehöre. Jeder Zweifel schien sich zu verbieten, hatte sich doch über die Jahre ein ganzes Aufgebot von Juristen den strittigen Eigentumsfragen gewidmet. Schwierige Rechtsfragen wälzten sie hin und her, und wäre der Ausdruck gestattet, so dürfte man von allerschwierigsten Rechtsfragen sprechen. Sie handelten von Begriffen wie Patrimonialeigentum, Herausgabeanspruch, Ersitzen nach Paragraf 937 Bürgerliches Gesetzbuch, aber auch von Konstruktionen wie dem "auf der Willensentschließung des besitzmittelnden Landes beruhenden und nicht abgeleiteten Besitzmittlungsverhältnis".

Vielleicht hätte die Landesregierung aber auch einfach einen Historiker fragen sollen. Dieter Mertens jedenfalls, Professor für geschichtliche Landeskunde in Tübingen, später Lehrstuhlinhaber für mittelalterliche Geschichte in Freiburg, fand in den Archiven den entscheidenden Hinweis, der zu jenem Gesetz aus dem Jahr 1930 führte, welches die Markgrafentafel und andere Bildnisse in staatliches Eigentum überführte.

Mertens informierte Klaus Schrenk, den Direktor der Staatlichen Kunsthalle in Karlsruhe, dieser wiederum überbrachte die frohe Botschaft dem Wissenschaftsministerium erst telefonisch, dann per Brief. Danach herrschte im Regierungsdreieck von Wissenschaftsministerium, Finanzressort und Staatsministerium lähmendes Entsetzen.

Hatte es zunächst so ausgesehen, als ginge das tragikomische Spiel um den Verkauf von mittelalterlichen Handschriften zu Lasten von Wissenschaftsminister Peter Frankenberg aus, so hat sich die Machtbalance inzwischen zu Ungunsten von Finanzminister Gerhard Stratthaus verändert. Dessen Ressort hatte sich die Sache so ausgedacht: Der für die Museen zuständige Frankenberg verkauft die Handschriften aus der Karlsruher Landesbibliothek. Kein schönes Geschäft. Der für die Schlösser zuständige Finanzminister aber befreit sich von Zahlungen zum Erhalt der Schlossanlage Salem. Dieses Kalkül ist nicht aufgegangen.

Statt dessen bekommt Stratthaus jetzt Schelte. Er hat die Federführung in der Vergleichssache Baden. Auch für die Begutachtung ist er verantwortlich. Im Staatsministerium knurrt man, Oettinger sei "mit falschen Informationen ins Feuer" geschickt worden.


In der Tat ist das Gutachten von Würtenberger/Wax, das "Archivalia" vorliegt, sein Geld nicht wert. Als Staatsrechtler hätte sich Würtenberger auf die von Reicke herausgearbeitete spezifisch staatsrechtliche Problematik des Falls einlassen müssen. Stattdessen dominiert bürgerlichrechtliche dogmatische Akrobatik, die nur hinsichtlich der Verjährungsfragen und der erbrechtlichen Frage, ob es eine wirksame Übereignung an die Zähringer Stiftung gegeben habe, weiterführt. Diese Fragen werden einseitig zuungunsten des Landes beantwortet, man hat den Eindruck ein Parteigutachten für das Haus Baden zu lesen.

Wenn es dem Finanzministerium darum ging, Salem loszuwerden und mit dem Einsatz von 70 Mio., erlöst aus der Karlsruher Handschriftensammlung (womöglich hat Graf Douglas diesen Gedanken souffliert, schließlich braucht der alerte alternde Kunstberater noch ein Karriere-Highlight), ein Schnäppchen im Gegenwert von 300 Mio. zu machen, kam es ja entscheidend darauf an, die Rechtsansprüche des Hauses Baden möglichst aufzuwerten.

Würtenberger musste zugeben, dass ihm ein fertiger Vergleichsvorschlag vom Finanzministerium präsentiert wurde:
https://archiv.twoday.net/stories/2847715/#2856315

Als krassen handwerklichen Fehler kreide ich Würtenberger an, einen einschlägigen Präzedenzfall aus Bayern übersehen (oder ignoriert) zu haben, der aber an prominenter Stelle abgedruckt ist, in den "Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen" (1987, S. 195-203). Das Gericht wies am 9.6.1987 (Az.: ! Z 89/86) die Herausgabeklage eines Testamentsvollstreckers hinsichtlich von Gegenständen aus dem Staatsarchiv Coburg ab (siehe https://archiv.twoday.net/stories/2906816/ mit Link zum Faksimile auf Commons). Hier ging es im Kern um die Frage, ob das frühere Haus- und Staatsarchiv Privateigentum der herrschenden Familie oder als Staatseigentum anzusehen sei. Auch wenn der Fall sehr viel eindeutiger gelagert ist, so wären doch die Ausführungen des Gerichts zur Beweislast des Herausgabeklägers zu berücksichtigen gewesen, da auch in Coburg der Staat viele Jahrzehnte das fragliche Archivgut als unmittelbarer Besitzer besessen hat.

Angesichts von der für den Besitzer streitenden Vermutung des § 1006 BGB hätte das Haus Baden (oder der Insolvenzverwalter) in einem Prozess schlüssig den Zweifel auszuräumen, dass die als Eigentum beanspruchten Gegenstände 1918/1919 mit Resignation und Abfindungsvertrag zu Staatseigentum geworden sind. Angesichts des Gutachterstreits wäre es für ein Gericht das naheliegendste, sich auf die Beweislast des Herausgabeklägers zu berufen und die Klage abzuweisen. Es kann keine Rede davon sein, dass das Domänenvermögen eindeutig als Privateigentum des Landesherrn gesehen wurde. Und es ist ebenfalls nicht beweisbar, dass die strittigen Gegenstände nicht zum Domänenvermögen bzw. Patrimonialeigentum zählten und insofern auch nicht in den Vergleich von 1919 einbezogen waren. Da Reicke, Mußgnug (dem Willoweit, Reickes Assistent, zustimmte) und Klein als Juristen für Staatseigentum plädierten, wird die Gegenseite wohl kaum einen Trumpf aus dem Ärmel zaubern können, der das Gericht überzeugt.

Hinsichtlich der Handschriften der BLB scheint angesichts der Tatsache, dass sowohl die alten markgräflichen Provenienzen als auch das Säkularisationsgut vom Hausfideikommiss beansprucht wurden, bei letzteren aber die Vermutung auf Staatseigentum Vorrang hat , der Beweis eines eindeutigen badischen Eigentums ausgeschlossen. Hinsichtlich der "Hinterlegungen" mag etwas anderes gelten.

Ist aber diese schwere Hürde genommen, so hat das Haus Baden zu beweisen, dass diejenigen strittigen Gegenstände, die nicht Landeseigentum geworden sind, entgegen dem testamentarischen Willen Großherzogs Friedrichs II. nicht Eigentum der Zähringer Stiftung geworden sind. Da der Erbe der Ehefrau des Großherzogs, Markgraf Berthold, von der rechtswirksamen Existenz der Zähringer Stiftung und ihrer Vermögensausstattung ausgegangen ist, hat er durch konkludentes Handeln die Übereignung vollzogen. Wenn das Haus Baden angibt, dies sei nicht nachweisbar, verkennt es die zivilrechtliche Beweislast, die beim Herausgabekläger liegt.

Bernhard Markgraf von Baden hat im übrigen einen Prozess gegen das Land gegenüber der Stuttgarter Zeitung ausgeschlossen (5.10.2006, S. 8). Wenn der Zugriff eines Insolvenzverwalters abgewendet werden kann, fragt man sich, wieso angesichts dieser doch recht komfortablen Rechtslage das Land (bzw. andere Geldgeber) Millionen Euro dem Haus Baden zuschanzen soll.

Die vom Ministerpräsidenten Oettinger mit einem Wert von 2 Mio. Euro an zweiter Stelle nach der Markgrafentafel genannten Cranach-Porträts in der Karlsruher Kunsthalle sind von Kultusminister Remmele ebenfalls 1930 für das Land gesichert worden. Dies bestätigte Dieter Mertens gegenüber "Archivalia".

Cranach

Damit erweist sich unsere Vermutung von gestern Abend https://archiv.twoday.net/stories/2885228/
als richtig. Die mit den Koelitz-Nummern 119 und 120 inventarisierten Bilder der Kunsthalle stehen nicht auf der Liste der dem Haus Baden zugestandenen Werke, die der Vertrag von 1930 enthält. (Für das ebenfalls genannte Amberger-Porträt kann folgerichtig nichts anderes gelten, denn es fehlt dort ebenfalls.)

(Nachtrag: In der SZ vom 3.11.2006 ist nachzulesen, dass Mertens bereits gegenüber der SZ das Landeseigentum der Cranach-Bilder herausgestellt hatte. In den zahlreichen Gutachten zu den Besitzstreitigkeiten der folgenden Jahre wurde nach Ansicht Mertens " zu oft auf alte Positionen zurück gegriffen, und zu selten gefragt, wie sind diese zu Stande gekommen?" Zurückhaltender die FAZ vom 3.11.2006 in einer Kurzmeldung auf S. 2: Als wahrscheinlich kann unterdessen gelten, daß auch die beiden Karlsruher Cranach-Gemälde dem Land gehören)

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Die Presse amüsiert sich über die Stuttgarter Bilderposse:

Nun muss sich der Ministerpräsident einigen Hohn der Kommentatoren gefallen lassen. Von einer 'Lachnummer' spricht die 'Badische Zeitung' aus Freiburg. Die 'Süddeutsche Zeitung' nennt Oettingers Vorgehen stümperhaft. Erneut werde deutlich, dass der Ministerpräsident viel mache, aber nur wenig richtig.
https://www.dradio.de/kulturnachrichten/20061103100000/drucken/

Soviel Blamage war selten, kommentiert der Südkurier.

Von den Artikeln über die Causa Markgrafentafel ist der Bericht von Bettina Wieselmann hervorzuheben:
Link

In einem Leserbrief (FAZ 2.11., S. 11) widerspricht ein Dr. iur. Otfried Mangol (Weingarten) den überzeugenden Ausführungen von Prof. Mußgnug:

Seit Caesars Zeiten war rechtlich streng zu trennen zwischen dem Fiskalvermögen und dem patrimonium Caesaris. Das letztere wurde später als Patrimonialvermögen oder noch später auch als "Schatullgut" bezeichnet. Das war das Gut, das dem Fürsten als persönliches Eigentum zustand, unabhängig vom Fiskalvermögen, das ihm auch gehörte, aber eben nur in seiner Eigenschaft als Herrscher. Wechselte die Herrschaft, so ging das Fiskalvermögen auf den neuen Herrscher über, das Patrimonialvermögen aber blieb ihm. Deshalb ist immer zu prüfen, was fiskalisch und was patrimonial war. Niemals war das Patrimonialvermögen eine "Pertinenz" der Landeshoheit. Das übersieht Mußgnug in den von ihm erwähnten Beispielen, die sämtlich schlichte Hoheits- oder Fiskalrechte betrafen. Selbstverständlich konnte der Fürst mit seinem Schatullgut machen, was er wollte. Er konnte seine Kunstschätze dem Volk zugänglich machen, ohne daß damit der Charakter als Schatullvermögen in Zweifel gezogen war. Die Frage, ob Bibliothek und Museen 1808 zum Schatullgut gehörten, wie der Markgraf von Baden meint, ist damit allerdings noch nicht beantwortet. Das bedarf einer tiefergehenden Forschung, die ohne genaue Kenntnis der historischen Entwicklung, insbesondere der Gründung der Bibliothek und der Anschaffung der Bilder, kaum möglich sein dürfte. Das Land Baden-Württemberg von vornherein ohne diese Kenntnis der Verschwendung zu verdächtigen geht aber nicht an.

Einen ausgewiesenen, rechtshorisch versierten Fachmann des Kulturgutrechts wie Mußgnug mit Baumschul-Wissen zu belehren, ist ein starkes Stück. Nach den Hausgesetzen des Hauses Baden zählte zum Schatullgut nur das beim Ableben des Regenten vorfindliche barvermögen, alles andere wurde zum unveräußerlichen Hausfideikommiss geschlagen, mit dem der Fürst nun einmal nicht machen konnte, was er wollte und der als Domanial-Fideikommiss beim Wechsel des Regenten durchaus beim Land blieb (so in Kurhessen, Hannover 1866).

Man braucht nur einen Blick in die Ausführungen Helferichs zum Patrimonialeigentum zu werfen:
https://commons.wikimedia.org/wiki/Image:DE_Helferich_Baden_17.png

Bei den Domänen werde Patrimonialeigentum von älteren wie neueren Autoren als Gegensatz zu Privateigentum verwendet.

Helferich sieht die Domänen eindeutig als Pertinenz der Landeshoheit. Man mag diesem Urteil nicht beipflichten, aber der apodiktische Ton "niemals") ist völlig verfehlt.

Der Autor heisst natürlich Mangold, nicht Mangol. Er hat 2004 in Tübingen über "Drittwirkungen des Fehlurteils im römischen Recht " promoviert (die Arbeit ist schmal geraten: gut 120 Seiten). Sein eigener Leserbrief ist selbst ein Fehlurteil: Si tacuisses ...

Update: Bislang hier noch nicht dokumentiert wurde der Artikel des Heidelberger Rechtsanwalts Dr. Winfried Klein (Das Recht ist das Recht und nicht bloß eine Behauptung;
Nach allen Regeln der Domänenfrage: Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek sind Staatseigentum, FAZ 5.10.2006, S. 39), der über die Domänenfrage im 19. Jahrhundert promoviert hat (die Arbeit erscheint bei Duncker & Humblot in Berlin Anfang 2007). Klein behandelt in seiner Dissertation die Fälle Baden (auch aufgrund Karlsruher Akten, wenngleich ihm der Zugang zu den Unterlagen des Familienarchivs vom Markgrafen versagt wurde!), Sachsen-Weimar und Sachsen-Meiningen. Er kann somit derzeit als bester Kenner der badischen Domänenfrage angesprochen werden.

Auszug:

Das Domänenvermögen war in Baden nicht nur auf land- und forstwirtschaftliche Güter beschränkt: Auch die Hofausstattung, zu der nach herrschender Meinung die Hofbibliothek gezählt wurde, galt aus Sicht der Großherzoglich Badischen Regierung als Teil des Domänenvermögens.

Nur dem Großherzog nahestehende Juristen nahmen an, die Hofausstattung sei freies Privateigentum des Großherzogs. Die Mehrheit der Staatsrechtslehrer folgte dem nicht. Sie machte keinen Unterschied zwischen dem Eigentum an den Domänen und dem Eigentum an der Hofausstattung. Selbst wenn man die Hofbibliothek nicht zur Hofausstattung zählen sollte, kommt man um ihre Zuordnung zum Domänenvermögen nicht umhin: Denn die dafür maßgeblichen Zivillistengesetze von 1831 und 1854 sahen vor, die Hofbibliothek aus den Domänenerträgen zu unterhalten. Private Aufwendungen des Großherzogs zu finanzieren war aber nicht Gegenstand der Zivilliste; sie stellte eine Entschädigung für die mit der Innehabung der Landeshoheit verbundenen Lasten dar. Daher regelten die Zivillistengesetze zumindest implizit die Zugehörigkeit der Hofbibliothek zum Domänenvermögen. Für die Beurteilung des Eigentums an den Beständen der Hofbibliothek kommt es also darauf an, wem die badischen Domänen gehörten.

Diese Frage - die Domänenfrage - gehörte zu den großen Themen der deutschen Verfassungsentwicklung im neunzehnten Jahrhundert. [...] Das Großherzogtum Baden war ein Sonderfall. Es hatte auf den ersten Blick eine recht fortschrittliche Verfassung, die freilich dem Großherzog nur an versteckter Stelle die Funktion eines Staatsoberhaupts zuwies. Außerdem ließ die Verfassungsurkunde von 1818 zahlreiche Kriterien unerfüllt, die der berühmte Göttinger Jurist Wilhelm Eduard Albrecht für das Bestehen staatlicher Rechtspersönlichkeit aufgestellt hatte. Eines dieser Kriterien war die Verstaatlichung der Domänen. Daran fehlte es.

Zwar hatten verschiedene großherzogliche Verordnungen von 1806 und 1808 noch den Anschein erweckt, Baden schlage einen mit Bayern und Württemberg vergleichbaren Weg ein; im Jahr 1818 wollte Großherzog Karl Ludwig Friedrich dem aber nicht mehr folgen. Er äußerte vielmehr den Wunsch, daß "sämmtliche Domänen als Familien-Privat-Gut" des großherzoglichen Hauses aufgeführt werden sollten. Durchsetzen konnte er sich damit nur bedingt: Denn § 59 der Verfassung von 1818 stellte letztlich nur fest, daß "die Domainen nach allgemein anerkannten Grundsätzen des Staats- und Fürstenrechts unstreitiges Patrimonialeigenthum des Regenten und seiner Familie sind". Der Unterschied liegt auf der Hand.

Als Familienprivatgut wäre das Domänenvermögen von der Bindung an die Landeshoheit befreit gewesen. Als Patrimonialgut blieben die Domänen - und damit auch die Bestände der Hofbibliothek - aber Pertinenz der Landeshoheit. Zutreffend stellt § 59 also klar, daß dies nach dem damals geltenden Staats- und Fürstenrecht unstreitig war. Auch wenn die Rechtsgelehrten heftig darüber stritten, wer Eigentümer der Domänen sei - einig waren sie sich darin, daß die Domänen Pertinenzqualität hatten. Die Verhältnisse im Großherzogtum Baden waren so ausgestaltet, daß viel dafür sprach, den Großherzog nicht nur als Eigentümer der Domänen, sondern auch als Träger der Landeshoheit anzusehen. Dessenungeachtet differenzierten die meisten Staatsrechtslehrer danach, ob die Domänen schon vor 1803 erworben wurden oder danach. Die bis 1803 erworbenen Domänen hielten sie für Patrimonialeigentum, die danach erworbenen Domänen für Staatseigentum.

Eine Mindermeinung im staatsrechtlichen Schrifttum wollte sämtliche Domänen von § 59 erfaßt sehen; soweit dadurch wirkliche Staatsdomänen dem Staat entzogen worden seien, stünde dem Staat ein Entschädigungsanspruch zu. Folgt man der damals herrschenden Meinung, so waren die infolge der Säkularisation einverleibten Domänen und Bestände der Hofbibliothek schon vor 1918 Staatseigentum. Folgt man der Mindermeinung, so hätte dem Staat ein Entschädigungsanspruch gegen den Großherzog und das großherzogliche Haus zugestanden.

Im Jahr 1918 verlor das großherzogliche Haus nicht nur die Regierungsrechte, sondern infolge des Verlusts der Landeshoheit auch das Eigentum am Domänenvermögen und damit auch das Eigentum an den Beständen der Hofbibliothek. Der Auseinandersetzungsvertrag vom Frühjahr 1919 vollzog diesen Übergang nach. Dies war für das großherzogliche Haus auch erforderlich, um das Eigentum an verschiedenen Vermögensgegenständen beweglicher oder unbeweglicher Art zu erlangen. Wegen der Pertinenzqualität war schließlich alles, was zuvor Bestandteil des Domänenvermögens war, nunmehr Staatseigentum. Besonders deutlich wird dies in § 1 Ziff. 6 des Auseinandersetzungsvertrags, der die Hofausstattung anspricht: Alle Gegenstände der zur Hofausstattung gehörenden Gebäude sollten grundsätzlich dem Staat gehören, selbst wenn hiervon freies Privateigentum des Großherzogs betroffen sein sollte.

Johannes Gut, Dem Gespött preisgegeben? Gedanken zu den Verkaufsverhandlungen Neues Schloß Baden-Baden, in: Badische Heimat 75 (1995), S. 311-318 plädierte im Mai 1995 für die Rettung des einzigartigen Ensembles des Neuen Schlosses in Baden-Baden durch einen Ankauf seitens des Staats. Es kam bekanntlich anders: Sotheby's versteigerte die Kostbarkeiten im Oktober 1995, siehe https://archiv.twoday.net/stories/2804774/

Gut, seines Zeichens Jurist, ging in seinem Artikel auch auf die Geschichte und Rechtsverhältnisse der Sammlungen ein. Er erwähnte nach dem Abfindungsvertrag von 1919, der die privaten Sammlungen nicht betroffen habe, den Ankauf der Kunsthallenbilder 1930 und die Errichtung der "Zähringer Stiftung" für die Gegenstände, die sich in öffentlicher Verwahrung befanden.

Deutlich zu unterscheiden sei das eigentliche Privateigentum der fürstlichen Familie und das Domäneneigentum. Zu ersterem habe von Anfang an Salem gezählt, das als Wohnsitz der Sekundogenitur zählte. "Unter das Domäneneigentum fiel die große Anzahl anderer Schlösser, wie Karlsruhe, Baden-Baden, Rastatt, mannheim und Bruchsal, ob diese zur Hofausstattung zählten oder nicht" (S. 313). Gut verweist auf den umstrittenen § 59 der badischen Verfassung, der vom Patrimonial-Eigentum des Regenten und seiner Familie sprach. "Nur folgerichtig war es, daß die Einrichtung (Sammlungen) der altbadischen Schlösser sowie der 1803 und 1805/06 angefallenen Klöster und Schlösser eigentumsmäßig zur Verfügung des Großherzogs standen". (Aus dem Zusammenhang, der Erörterung des § 59, ergibt sich, dass Gut sie als Domäneneigentum sieht.)

"Das namengebende Neue Schloß in Baden-Baden, zu Beginn des 19. Jahrhunderts wieder in wohnlichen Zustand versetzt, erfuhr in den Jahren 1842-1847 durch Großherzog Leopold eine grundlegende 'Restaurierung' im Sinn des Historismus. Sollte dieser ehrwürdige Stammsitz nunmehr doch nicht nur dem Sommeraufenthalt der fürstlichen Familie dienen, sondern auch eine große Bildnissammlung der Zähringer und ein umfangreiches Museum aufnehmen, das - leider zu wenig beachtet - sich an Objektdichte und -qualität den großen Karlsruher Einrichtungen würdig an die Seite stellen konnte. Zu diesem Zwecke reicherten Großherzog Leopold und seine Nachfolger das jeweils Vorhandene in größtem Umfang mit Einrichtungs- und Sammlungsgegenständen jeglicher Art an, die sowohl aus dem Privateigentum der fürstlichen Familie, als auch aus zahlreichen, zum Domäneneigentum zählenden altbadischen Schlössern sowie 1803 und 1805/06 erworbenen Klöstern und Schlössern stammten; offenbar war hierbei nicht ausschlaggebend, ob diese Gebäude der Hofausstattung unterfielen. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelangten auf diese Weise wertvolle Objekte zum Beispiel aus Mannheim nach Baden-Baden." (S. 314)

Bei der Versteigerung 1995 wurden demzufolge nicht nur Objekte aus Salem, sondern auch anderes Säkularisationsgut angeboten.

Prof. Klose hat (zitiert https://archiv.twoday.net/stories/2881304/ ) zurecht die Handschriften der BLB aus säkularisierten Klöstern als Staatseigentum angesprochen.

Auf die Beschwerde der Universität Freiburg, die um die Handschriften von St. Trudpert bat, beschied das Badische Kabinettsministerium am 2. September 1808 (Universitätsarchiv Freiburg B 6/31, zitiert nach Magda Fischer, Geraubt oder gerettet?, in: Alte Klöster - Neue Herren. Aufsätze Bd. 2, 2003, S. 1273) die Hochschule: Alles freye Guth aufgehobener Klöster wird Eigenthum des Staats und des Regenten, und ein anderweiter rechtlicher Anspruch darauf findet nicht statt. Bey deren Verwendung ist die Bereicherung der Hofbibliothek dahier aus den Seiner Königl. Hoheit heimgefallenen Klosterbibliotheken der erste Augenmerk [...].

Helferich zitiert in seinem Aufsatz über das badische Domänenvermögen das Kirchenedikt von 1807, in dem es in § 9 heisst: Das Vermögen der Ordensgesellschaften (ein sehr beträchtlicher Theil des heutigen Kammerguts) gehört zu dem gemeinen Staatsvermögen
https://commons.wikimedia.org/wiki/Image:DE_Helferich_Baden_16.png

Zur Domänenfrage in Baden siehe auch die Stellungnahme von Winfried Klein, https://archiv.twoday.net/stories/2885928/

In der Gesetzesbegründung von 1919 heisst es (Beilagenheft, Beilage Nr. 21, S. 218): Was die Einrichtung dieser Gebäude betrifft, so ist sie zu einem großen Teil unzweifelhaft Privateigentum des Großherzogs und braucht insofern nicht erst als Privateigentum überwiesen werden. Das Eigentum anderer Gegenstände ist unbestritten als solches der Krone und somit jetzt des Staats anzusprechen. Von diesen Gegenständen, soweit sie sich in den bisher zur Hofausstattung gehörigen Schlössern befinden, soll dem Großherzog ein Teil zu freiem Eigentum überwiesen werden. Da auf sie § 59 der Verfassung ebenfalls Anwendung findet, müssen sie in das Abfindungsverfahren einbezogen werden. Dagegen sollen alle anderen Gegenstände in diesen Schlössern für Staatseigentum erklärt werden. Dies gilt auch von denjenigen Gegenständen, welche bisher Privateigentum des Großherzogs waren, von ihm aber nicht beansprucht werden.

Dieses Zitat erscheint mir ausserordentlich wichtig, zeigt es doch, dass der Gesetzgeber innerhalb des Mobiliarguts ein Kroneigentum ausmachte, das nun dem Staat gehörte. Und die Vereinbarung bezog sich auf alles Gut, auf das § 59 der Verfassung Anwendung fand.

Wenn es im Gesetz über die Apanagen (Staats- und Regierungs-Bl. 1839 S. 197 ff.) in § 19 heisst, über das Zugestandene habe keine Prinzessin etwas "an das Domanial- und übrige Fideicommißvermögen, sowie an den Staat zu fordern", so drückt das die komplementäre Funktion des Hausfideikommisses zum Domänenvermögen aus. Das Domänenvermögen war Fideikommissvermögen, da es unveräußerlich war und dem jeweiligen Regenten zustand. Das bewegliche Fideikommissvermögen war aber zugleich auch Patrimonialeigentum im Sinne der Verfassung.

Das Inventar der säkularisierten Klöster und Schlösser war unzweifelhaft Zubehör des Domänenvermögens, also von § 59 der Verfassung erfasst. Durch die Verlagerung in die fürstlichen Sammlungen oder Schlösser war kein Eigentumsübergang verbunden. Als ererbtes Mobiliargut des Regenten zählten diese Gegenstände zwar zum Hausfideikommiss, sie waren aber Pertinenz der Krone.

Auf Säkularisationsgut ist somit eindeutig der § 59 der badischen Verfassung anzuwenden mit der Folge, dass es 1919 von dem Vergleich erfasst und dem Staat zugewiesen wurde, soweit es sich nicht in den Schlössern befand, die dem Haus Baden zugewiesen wurde oder die diesem als Privateigentum zustanden.

James J. Sheehan, Geschichte der deutschen Kunstmuseen, München 2002, S. 155-157 gibt einen kurzen Überblick zur Frage, wem die Sammlungen der Museen denn gehörten, dem Fürst oder dem Staat?

In fast jedem deutschen Staat war die Frage des Eigentums an Kunstgegenständen ebenso kompliziert und potentiell strittig (S. 156).

Unter Reformeinfluß bestimmte die Bayerische Verfassung von 1818:
https://wwwalt.uni-wuerzburg.de/rechtsphilosophie/hdoc/bayern1818.html

Titel III § 2
Zu dem unveräußerlichen Staatsgute, welches im Falle einer Sonderung des Staats-Vermögens von der Privat-Verlassenschaft in das Inventar der letztern nicht gebracht werden darf, gehören:
1. Alle Archive und Registraturen;
2. Alle öffentlichen Anstalten und Gebäude mit ihrem Zugehör;
3. Alles Geschütz, Munition, alle Militaire-Magazine und was zur Landeswehr nöthig ist;
4. Alle Einrichtungen der Hof-Capellen und Hof-Aemter mit allen Mobilien, welche der Aufsicht der Hof-Stäbe und Hof-Intendanzen anvertraut und zum Bedarf oder zum Glanze des Hofes bestimmt sind;
5. Alles, was zur Einrichtung oder zur Zierde der Residenzen und Lustschlösser dienet;
6. Der Hausschatz und was von dem Erblasser mit demselben bereits vereiniget worden ist;
7. Alle Sammlungen für Künste und Wissenschaften, als: Bibliotheken, physicalische, Naturalien- und Münz-Cabinette, Antiquitäten, Statuen, Sternwarten mit ihren Instrumenten, Gemählde- und Kupferstich-Sammlungen und sonstige Gegenstände, die zum öffentlichen Gebrauche oder zur Beförderung der Künste und Wissenschaften bestimmt sind;
8. Alle vorhandenen Vorräthe an baarem Gelde und Capitalien in den Staats-Kassen oder an Naturalien bey den Aemtern, samt allen Ausständen an
Staatsgefällen;
9. Alles was aus Mitteln des Staats erworben wurde.


Bei den Sammlungen muss die Erwähnung der öffentlichrechtlichen Widmung unterstrichen werden: "zum öffentlichen Gebrauche oder zur Beförderung der Künste und Wissenschaften bestimmt".

Hinsichtlich des Badischen Hausfideikommisses, zu dem im 19. Jahrhundert auch die fürstlichen Sammlungen gerechnet wurden, ist vor allem darauf abzuheben, dass die Unveräußerlichkeit der Mobilien im Interesse der Dynastie UND der öffentlichen Widmung erfolgte. Gerade sein umfassender Charakter, der die Gesamtheit der nicht verkauften oder anderweitig verwerteten Gegenstände aus den nach 1801 säkularisierten Herrschaftsgebieten einbezog, spricht für einen öffentlichrechtlich akzentuierten Kron- oder Domanial-Fideikommiss, der mit der Resignation an den Staat gefallen ist. Siehe auch: https://archiv.twoday.net/stories/2835237/

So titelt süffisant die WELT:

https://www.welt.de/data/2006/11/02/1096286.html

Auszug:

Von der Markgräflich-badischen Verwaltung gab es keine Stellungnahme. Die Landesregierung in Stuttgart zeigte sich überrascht und kündigte eine „erneute rechtliche Prüfung“ an, die „auch auf andere bedeutende Einzelwerke oder Werkgruppen ausgedehnt werde“.
Ministerpräsident Oettinger sagte zu „Bild“, die Listen mit den Kulturgütern seien im Finanzministerium erstellt worden. Der Direktor der Karlsruher Kunsthalle habe in einem Brief an das Wissenschaftsministerium auf die Besitzverhältnisse hingewiesen. Das Schreiben habe aber erst am Donnerstag im Ministerium vorgelegen. „Es ist ärgerlich, aber man muss akzeptieren, dass auch Beamten mal ein Fehler unterläuft“, meinte er.
Die Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Ute Vogt, nannte Oettingers Vorgehen „schlampig und verantwortungslos“. Die Grünen forderten, die geplanten Ankäufe der Kulturgüter einzustellen.


MarkgrafentafelBaldungs Markgrafentafel

Ergänzend aus der Netzeitung:
https://www.netzeitung.de/kultur/450520.html

Mertens hat nach eigenen Angaben herausgefunden, dass das Gemälde dem Land bereits 1930 zugesprochen wurde. «Wenn ein Sachbearbeiter das nachgeprüft hätte, hätte das eigentlich auffallen müssen», sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Er sei durch Zufall auf Ungereimtheiten gestoßen. Die Nummer 88, die die betreffende Markgrafentafel im Register der Karlsruher Kunsthalle habe, tauche nicht auf der Liste der Gegenstände auf, die seinerzeit dem Haus Baden zugeschlagen worden seien. «Das hat mich stutzig gemacht.»

Das Finanzministerium teilte ferner mit, auch die Eigentumsverhältnisse anderer Einzelwerke oder Werkgruppen sollten nun erneut geprüft werden. Gerade die zahlreichen, nicht abschließend geklärten Rechtsfragen sprächen aber weiterhin für einen Vergleich mit dem Haus Baden.


Der Mertens-Artikel im Volltext:
https://archiv.twoday.net/stories/2880867/

In der Pressemitteilung des Wissenschaftsministeriums anläßlich der Pressekonferenz vom 28.9.2006
https://kultur.baden-wuerttemberg.de/pressemeldungen-detail/article/405/555/1d6a069e4d/
steht am Schluß:

Auswahl von Kunstgegenständen, die nach der geplanten Vereinbarung mit dem Haus Baden in Landesbesitz übergehen sollen:

Kunsthalle Karlsruhe:
Baldung von Grien: Tafel "Markgraf Christoph I"
Ch. Amberger: der 45-jährige Ludwig V, Herzog von Bayern
L.Cranach d.Ä.: Johann der Beständige
L.Cranach d.Ä. Friedrich III der Weise
Badisches Landesmuseum:
Zwei Mithrasreliefs
"Türkenbeute"
Waffensammlung
Münzsammlung
Petershausener Portal
Baldung von Grien-Fenster


Es tut mir leid, aber auch die drei anderen genannten Bilder (Amberger, Cranach) finde ich nicht auf der Liste des vorbehaltenen Eigentums in der Vereinbarung von 1930. Es handelt sich bei den Cranach-Bildern offenbar um Koepplin/Falk, Lukas Cranach, Basel/Stuttgart 1974, Bd. 1, S. 296 Nr. 182, 183 KA Staatliche Kunsthalle (120, 119) Bildnisse der Kurfürsten Friedrich und Johann von Sachsen im Rund (1525).

Die beiden Cranach-Medaillons wurden mit einem Wert von 2 Mio. Euro von MP Oettinger an zweiter Stelle in seiner landtagsrede genannt:
https://archiv.twoday.net/stories/2831349/#2875967

Aus der Ansprache von Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Klose, Vorsitzender der Badischen Bibliotheksgesellschaft, gehalten am 27.10.2006 zur Eröffnung der Ausstellung "Mittelalterliche Handschriften der Badischen Landesbibliothek: Europäisches Kulturerbe":

(...) Die Landesregierung postuliert noch immer, dass das Markgrafenhaus Eigentumsrechte an unseren Handschriften habe. Ministerpräsident Oettinger hat im Landtag am 11. Oktober säuberlich unterschieden zwischen dem unbestrittenen Privatbesitz der Markgrafen und den für ihn strittigen Stücken. (...)
In der BLB zählen zu dem für den Ministerpräsidenten unbestrittenen Privatbesitz schon einmal ca. 70 Handschriften der sogenannten Hinterlegungen. Ob sie tatsächlich so unbestritten sind, muss allerdings in jedem Einzelfall erst noch geprüft werden. Alles andere, also der gesamte alte Handschriftenbesitz der BLB scheint für Herrn Oettinger strittig zu sein, er verneint also den Besitzanspruch des Landes daran. Ihretwegen will er nicht vor Gericht gehen. (...)

Herrn Oettingers Schreckensszenario aus dem Landtag ist ohnehin aus der Luft gegriffen. Das Bürgerliche Gesetzbuch schützt den Besitzer eines Guts vor dem Zugriff des Gerichtsvollziehers (Stichwort Kuckuck), bis das Eigentum eines anderen gerichtlich erwiesen ist. Also erst der Gerichtsentscheid und dann eventuell die Herausgabe. Nicht umgekehrt, wie der Herr Ministerpräsident den Landtagsabgeordneten einreden wollte. Eigentum kann man nicht herbeireden. Alle Fakten weisen die Handschriften als Eigentum des Landes Baden-Württembergs aus.
  • Ein großer Teil der Handschriften kam als Säkularisationsgut nach dem Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803, §§ 34 und 35 in das Domänen-, d.h. Staatsvermögen der Landesherren, die daraus die kirchlichen Aufgaben zu finanzieren hatten (vergl. auch Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1957, Seite 54 f.)
  • Badische Landtag verabschiedete am 25. März 1919 ein Gesetz (vergl. Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 21 vom 9. 4. 1919, Seite 179-182 [dokumentiert in Archivalia]) über die Auseinandersetzung bezüglich des Eigentums an dem Domänenvermögen des bisherigen Landesherren, das u. A. die mittelalterlichen Handschriften als Eigentum des Badischen Staates endgültig feststellt.
(...) Die Gefahr für unsere Landesbibliothek ist keineswegs gebannt, wenn auch der Trick des Dreisäulenmodells national wie international sedativ gewirkt hat. (...)

Im Landtag sagte [Oettinger] am 11. Oktober dazu:

„Deswegen werden wir die Ankaufsmittel der nächsten Jahre für unsere staatlichen Museen und unsere Landesbibliotheken nutzen und sagen: ‚Was ihr besitzt, können wir erwerben. Eigentum daran streben wir an.’ Dann steht manches, was ansonsten in den nächsten drei bis fünf Jahren zu erwerben wäre, zurück.“
Für die Landesbibliothek bedeutete dies, dass in den nächsten Jahren kaum mehr Neuerscheinungen gekauft werden können, die außerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Erwerbs von in Baden erscheinenden Büchern liegen (Pflichtexemplare): schickt man die BLB auf den Abstieg in die unterste Provinz?

(...) Die Bibliotheksgesellschaft hat namhafte Beträge für die Erhaltung der Handschriften aufgebracht. Sie hat ihre Zuschüsse im Vertrauen auf die Landesregierung bereitgestellt. Wenn die Landesregierung dieses Vertrauen enttäuscht, so verstößt sie damit gegen alle Regeln von Sitte und Anstand.

Es ist geradezu frivol, einerseits die "Mäzenaten-Säule" zu beschwören, und andererseits die Mäzene, die sich bislang um die Karlsruher Handschriften verdient gemacht haben, z.B. unsere Bibliotheksgesellschaft, zu desavouieren. Wer soll da
noch Geld für Baden-Württembergisches Kulturgut geben?"


Der Vollständige Redetext ist auf den Seiten der BBG dokumentiert:
https://www.bbg-karlsruhe.de/pdf/ansprache_klose_27_10_06.pdf

Auf Seite 1 der FAZ vom Donnerstag liest man:

Die Darstellung der Landesregierung von Baden-Württemberg, sie sei im Lichte der Rechtslage gehalten, mit dem vormals regierenden badischen Fürstenhaus zu einer gütlichen Einigung über vom Land verwahrte Kunstgegenstände aus früherem fürstlichen Besitz zu kommen, wird durch einen Aktenfund erschüttert. Von höchster Bedeutung unter den Kulturgütern, die Ministerpräsident Oettinger (CDU) als "unbestritten" im Eigentum des Hauses Baden stehend bezeichnet, ist die sogenannte "Markgrafentafel" des Hans Baldung Grien (1484/85 bis 1545) in der Karlsruher Kunsthalle. Der Wert des Gemäldes wird von der Landesregierung mit acht Millionen Euro beziffert. Im Generallandesarchiv in Karlsruhe hat der Freiburger Historiker Dieter Mertens nun in den Akten des Badischen Ministeriums für Kultus und Unterricht ein Schriftstück aufgefunden, das beweist, daß das bedeutende Kunstwerk bereits vor 76 Jahren in den Besitz des Landes Baden übergegangen ist.

MarkgrafentafelMarkgrafentafel - Ausschnitt

Auf den Seiten 39 und 41 legt Mertens seine Ergebnisse dar (Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Autors):

Der Baldung-Grien-Code
Wer will denn ein Bild kaufen, das ihm schon gehört? Günther Oettinger haut acht Millionen auf den Kopf / Von Dieter Mertens

Das Land Baden-Württemberg wirbt derzeit bei der Landesstiftung, bei seinen Kultureinrichtungen und bei Sponsoren Geld ein, damit Hans Baldung Griens "unbestritten" im Besitz des Hauses Baden stehende Markgrafentafel für das Land gekauft werden kann. Wie die Kenntnis der Aktenlage der Allgemeinheit einen Verlust von 8 Millionen Euro erspart, steht in unserem Beitrag: Der Freiburger Historiker Dieter Mertens hat im Generallandesarchiv Karlsruhe den eindeutigen Beweis dafür gefunden, daß das hochbedeutende Kunstwerk schon im Jahr 1930 in den Besitz des Landes Baden übergegangen ist.

Die Markgrafentafel von Hans Baldung Grien zählt zu den kunsthistorisch und historisch herausragenden Werken der Karlsruher Kunsthalle. Mit 64 Zentimeter Höhe und 216 Zentimeter Breite hat sie ein ungewöhnliches Format, und für welchen Ort und Zweck sie ursprünglich bestimmt sein mochte, ist gar nicht sicher. Die Tafel zeigt, der "Anna Selbdritt" in der Mitte betend zugewandt, auf der Männerseite den Markgrafen Christoph I. von Baden (1453 bis 1527), der dieses Bild in Auftrag gegeben hat, mit neun Söhnen und auf der Frauenseite seine Gemahlin Ottilie von Katzenelnbogen (1453 bis 1517) mit fünf Töchtern. Konrad Krimm hat 1990 die politische Programmatik des Bildes entschlüsselt. Die Anordnung der Söhne favorisiert entsprechend dem Testament des Markgrafen von 1503 den als Alleinerben vorgesehenen Sechstgeborenen, von den weltlichen Söhnen ist er der zweitälteste. Dieses Testament vermochte Christoph gegen die anderen Söhne aber nicht durchzusetzen, vielmehr hat er die Familie gesprengt, seine eigene Entmachtung heraufbeschworen und die Teilung des Landes herbeigeführt. Sie währte bis 1771.

Im Katalog der Karlsruher Kunsthalle von 1847 wurde das unsignierte Bild erstmals Hans Baldung zugeschrieben, was eine Datierung auf 1509/1510 erlaubt und seither unbestritten ist. Die älteste Nachricht von der Existenz der Tafel stammt aus einem Inventar des Jahres 1691 - es verzeichnete den Inhalt der Transportkisten, in denen der Hof von Baden-Durlach 1688 mehrere hundert Gemälde vor den französischen Truppen in seine Basler Residenz geflüchtet hatte; die Durlacher Karlsburg brannte 1689 nieder. 1789 kehrte die Tafel aus Basel in das inzwischen vereinigte Baden zurück, nun nach Karlsruhe in die Gemäldegalerie. Großherzog Leopold (1811 bis 1852) stellte das Bild für die neugestaltete Fürstenkapelle des Klosters Lichtental bei Baden-Baden als Antependium zur Verfügung, ließ aber 1833 eine Kopie anfertigen, so daß das Original schon bald wieder in Karlsruhe zu sehen war.

Auf Wunsch des Großherzogs ging die Verwaltung der Sammlungen und der Bibliothek 1872/73 an das Innenministerium über, die Finanzierung kam nun aus dem Staatshaushalt anstatt von der Hoffinanzkammer. Für die Kunsthalle galt das nicht, doch wurden ihr Zuschüsse aus dem Staatshaushalt zugesagt. 1919, nach dem Ende der Monarchie, traf der zwischen dem badischen Staat und dem vormaligen Großherzoglichen Haus geschlossene Abfindungsvertrag eine gesonderte Regelung über die Kunstwerke der Kunsthalle Karlsruhe, soweit sie Privateigentum des Großherzogs waren. Im letzten Paragraph verwies er auf eine Erklärung des Präsidenten der Generalintendanz der Zivilliste (der für die Hofhaltung bereitgestellten staatlichen Mittel) vom 18. März 1919, die lautet: "1. Die Kunstwerke der Kunsthalle (einschließlich Kupferstichkabinett), die Privateigentum des Großherzogs sind, bleiben solches. Ein Verzeichnis der einzelnen Kunstwerke wird mitgeteilt werden. 2. Seine Königliche Hoheit erklären für Sich und Seine Rechtsnachfolger, die Kunstwerke, solange sie Ihr Eigentum sind, gegen Übernahme aller Verwaltungskosten durch den Staat für immer in der Kunsthalle zu belassen. Sie behalten sich nur vor, das eine oder andere Stück (Familienbilder) vorübergehend aus der Galerie entnehmen zu dürfen. 3. Seine Königliche Hoheit und Seine Rechtsnachfolger werden die Bilder nur in dringenden Notfällen verkaufen; sie räumen für diese Fälle dem Staat ein Vorkaufsrecht ein." Eine solche Erklärung war ursprünglich gar nicht vorgesehen, weil die Regierung über den Erhalt der genannten Sammlungen, aber nicht über die Eigentumsrechte hatte verhandeln wollen. Seitens des Großherzogs wurden 549 Gemälde - darunter auch die Markgrafentafel - beansprucht; das Ministerium ließ die Liste unkommentiert: Die Sicherung des Eigentumsrechts ohne einvernehmliche Benennung der Objekte bei gleichzeitiger weitestgehender Beschränkung des Eigentumsrechts gehört zu der Art von Kompromissen, mit denen der lange Weg der "Auseinandersetzung" zwischen dem Haus Baden und dem Staat gepflastert ist.

Der letzte regierende Großherzog Friedrich II. (1857 bis 1928, regierend 1907 bis 1918), der keine leiblichen Nachkommen hatte, bestimmte in seinem Testament vom 12. August 1927 über alle seine Sammlungen, daß sie nicht an den Erben Berthold aus der Salemer Linie - den Sohn des ehemaligen Reichskanzlers Max von Baden, der am 9. November 1918 das Ende der Monarchie herbeigeführt hatte - gelangen sollten, sondern übertrug sie seiner Frau Hilda (1864 bis 1952) zu Eigentum - mit der 1919 festgelegten Einschränkung, sie öffentlich zugänglich zu erhalten und nicht zu veräußern außer im Falle der Not, wenn die Sammlungen etwa mit einer Erbschaftsteuer belegt würden. Was bei ihrem Tod noch vorhanden sein werde, sollte in eine Stiftung überführt werden, die "Zähringer Stiftung".

Als Fall der Not machte das Haus dann die Auswirkungen der Hyperinflation von 1923 geltend. Denn sie vernichtete den Wert des Kapitals von 8 Millionen Reichsmark, die der Abfindungsvertrag dem Haus Baden 1919 in Gestalt staatlicher Schuldbuchforderungen und Schuldverschreibungen zugesprochen hatte. Daraus hatte das Haus eine jährliche Rente von 240 000 Reichsmark gezogen, die nun fehlte. Wie andere ehemals regierende Häuser erhob das Haus Baden jetzt einen sogenannten Aufwertungsanspruch, den es einzuklagen bereit war: Sinn und Zweck des Vertrages von 1919 sei es gewesen, den Mitgliedern des Hauses ein standesgemäßes Leben ohne pekuniäre Sorgen zu ermöglichen. Dieses Ziel des Vertrages sei wegen der Entwicklung der Verhältnisse nicht erreicht worden und müsse nun auf andere Weise sichergestellt werden.

Die badische Regierung wies diese Forderung zurück, entwickelte aber in Etappen die Idee, die Gemäldesammlung insgesamt und die Kupferstichsammlung seitens des badischen Staates en bloc zu erwerben und dabei die Höhe des Preises und die Zahlungsmodalitäten für das Haus Baden so günstig zu gestalten, daß der Aufwertungsanspruch damit abgegolten werde. Die beiderseitigen Vorstellungen lagen indes ziemlich weit auseinander. Zu Lebzeiten des letzten Großherzogs Friedrich II. kam kein Ergebnis mehr zustande; mit seinem Tod gingen die Sammlungen und damit auch die Gemälde in das Eigentum der Großherzogin Hilda über. Weil der Zweck des avisierten Erwerbs der Gemälde- und Kupferstichsammlung die Beseitigung des Aufwertungsanspruchs war, mußte nun nicht nur allein mit Hilda beziehungsweise dem Präsidenten der großherzoglichen Vermögensverwaltung in Baden-Baden verhandelt werden, sondern auch mit der markgräflichen Salemer Linie. Sie trat ab 1929 sogar als der eigentliche Verhandlungspartner auf, als der Graf Douglas-Langenstein, Präsident der badischen Landwirtschaftskammer und Verwandter des Fürstenhauses, den das Ministerium für Kultus und Unterricht im Juli 1928 um Kontaktaufnahme zu Friedrich gebeten hatte, nunmehr namens des Markgrafen Berthold verhandelte.

Graf Douglas sollte die Verhandlungen beschleunigen, weil die großherzogliche Vermögensverwaltung mittlerweile gezwungen war, für die laufenden Gehälter und Renten der etwa 130 Bediensteten - von den Lakaien, Kutschern und Fahrern über die Förster bis zum Hofmarschall und der Vermögensverwaltung selbst - Kredite aufzunehmen. Auf die bereits fertiggestellte Klageschrift wies das Haus Baden mehrfach hin. Ein Darlehen des Landes von 200 000 Reichsmark minderte 1929 den Zeitdruck ein wenig. Die Forderung des Hauses lautete 4,5 Millionen, das Land dachte an 4 Millionen Reichsmark; es hatte den Wert der Gemälde und Kupferstiche 1925 auf 2,9 Millionen taxiert, davon 2 Millionen für die Gemälde, 400 000 Reichsmark für das Thoma-Museum und 500 000 Reichsmark für die Kupferstichsammlung, gab aber 1928 zu, daß der Marktwert gestiegen sei. Was über den Wert der Bilder hinausging, sollte zusammen mit der Gestaltung der Zahlungsweise den Aufwertungsanspruch abgelten. Das Haus wollte eine Reihe von Bildern, die es als Familienbilder betrachtete, vom Verkauf an das Land ausnehmen. Zu diesen zählte als wertvollstes die Markgrafentafel. Die Kunsthalle schätzte ihren Wert auf 30 000 bis 50 000 Reichsmark. Sie war unbestritten privates Eigentum der Familie. Dem von Kultusminister Otto Leers im April 1928 erzielten Ergebnis - 4,4, Millionen, davon 0,5 Millionen Reichsmark sofort - versagte das Kabinett, das Innenminister Adam Remmele als Staats- und Ministerpräsident leitete, die Zustimmung. Für die Markgrafentafel hatte Leers ein Vorkaufsrecht des Landes ausgehandelt.

Seitens der Kunsthalle legte jetzt Lili Fischel dem Kultusministerium dar, daß die Markgrafentafel unmöglich aus dem Verband der altdeutschen Abteilung herausgelöst werden könne, zumal der Wert einiger ihrer Objekte durch neuere Forschungsergebnisse bezweifelt worden sei. Ein Vorkaufsrecht für die Tafel nütze nichts, wenn der Staat dieses gegebenenfalls aus Geldmangel nicht wahrnehmen könne. Deswegen führte das Ministerium die neuen Verhandlungen mit dem Ziel weiter, die Markgrafentafel und sechs andere Bilder von der Ausnahme auszunehmen, das heißt in den Verkauf an den Staat einzubeziehen. Adam Remmele, von 1919 bis 1929 Innenminister, 1925/1926 - anfangs der Verhandlungen mit dem Haus Baden - und wieder seit Ende 1929 Kultusminister, machte sich die Haltung der Kunsthalle zueigen. Er legte ein neues Verhandlungsergebnis - 4 Millionen, davon 1 Million abzüglich des Darlehens sofort - vor und drängte am 20. Januar 1930 seine Kabinettskollegen zur Eile. Er schob eine Warnung nach: Wenn sie die laufenden Verhandlungen scheitern ließen, würde das Haus das Vorkaufsrecht in Gang setzen und die marktgängigen Bilder anbieten. Dann geriete das Land in eine sehr schwierige Lage, weil der Markt mehr hergebe als die Schätzungen lauteten: Das Vorkaufsrecht werde teuer.

Die Freigabe der Bilder zum Verkauf aber würde einen unersetzlichen Schaden für die Kunsthalle bedeuten "und würde in den weitesten Kreisen ganz Deutschlands als ein schwerer Prestigeverlust des badischen Landes betrachtet werden". Remmele machte einen ebenso gescheiten wie naheliegenden Vorschlag zur angemessenen Entscheidungsfindung: "Mit Rücksicht auf die Bedeutung der Angelegenheit wäre ich dankbar, wenn vor einer endgültigen Entscheidung die Mitglieder des Staatsministeriums der Badischen Kunsthalle (im Entwurf: unter meiner Führung) einen Besuch abstatten und die fraglichen Gemälde in Augenschein nehmen würden." Ob dies geschehen ist, sagen die Akten nicht, wohl aber, daß Remmele bereits im Kabinettsvortrag auf die berühmtesten Kunstwerke - das schließt die Markgrafentafel unweigerlich ein - hingewiesen hat.

Finanzminister und Ministerpräsident Josef Schmitt rechnete die entstehende Belastung für den Haushalt 1930/31 vor. Er wies auf deren Auswirkungen hin, die angesichts der Deckungslücke von 40 Millionen im Doppelhaushalt 1930/31 weithin spürbar sein würden. Er verlangte Modifikationen der Zahlungsweise; indes dürften finanzielle Erwägungen nicht allein den Ausschlag geben. Der Finanzminister verschloß sich den längerfristigen Vorteilen einer Gesamtbereinigung der finanziellen Beziehungen zum Haus Baden und der kulturellen Bedeutung der Sammlungen in der Kunsthalle keineswegs. Es handle sich für das Land "vor allem um die Aufrechterhaltung wichtiger kultur- und kunstgeschichtlicher Belange. Man würde es vielfach schwer verstehen, wenn das Land die Veräußerung von Kunstwerken aus einer Sammlung, die seit 1831 der Öffentlichkeit zugänglich ist, die mit der kunstgeschichtlichen Entwicklung und Stellung des Landes eng verwachsen sind und deren Erhaltung auch für den Unterricht an den Kunstschulen von Bedeutung ist, in Privatbesitz oder gar zur Ausfuhr über seine Grenzen zulassen würde."

Schmitt regte an, zur Ermäßigung der finanziellen Belastung des Landes zuzulassen, daß einzelne Kunstwerke zum Verkauf gelangen. Doch da widersprach ihm Remmele entschieden. Ein Verkauf von Kunstwerken des Großherzogs im Ganzen oder im Einzelnen sei für ihn völlig inakzeptabel (damals: "durchaus unmöglich"). Er wies darauf hin, "daß der Verkauf einzelner Kunstwerke die Situation in kulturpolitischer Hinsicht nur verschlimmern würde. Da die große Mehrzahl der im Eigentum des ehemaligen großherzoglichen Hauses stehenden Werke nur einen verhältnismäßig geringen Wert haben, müßte sich die Verwaltung des ehemaligen Großherzoglichen Hauses selbstverständlich bemühen, in erster Reihe die berühmtesten, in meinem Vortrag vom 22. Januar dieses Jahres genannten Kunstwerke, die einen internationalen Markt haben, zum Verkauf zu stellen, um eine ins Gewicht fallende finanzielle Entlastung zu erreichen."

Remmele brachte die Modifikationen des Finanzministers in die Mitte Februar 1930 fortgeführten Verhandlungen mit dem Grafen Douglas ein. Zur letzten Klippe auf dem Weg zu einer Einigung wurde aber die Frage der Familienbildnisse, voran die Abtretung der Markgrafentafel: Die Familie, so das Argument, könne auf sie nicht verzichten, zumal sie seinerzeit aus der großherzoglichen Kapelle des Klosters Lichtental nach Karlsruhe gebracht worden sei: Die Kapelle, in der die originale Tafel nur sehr kurze Zeit als Antependium fungiert hatte, galt inzwischen als ihr ursprünglicher Bestimmungs- und Aufstellungsort. Sogar der gedruckte Katalog der Karlsruher Kunsthalle von Karl Koelitz erweckt diesen Eindruck.

Remmele und Graf Douglas besuchten am 18. Februar 1930 im Anschluß an ihre Verhandlungen die Kunsthalle, um die Markgrafentafel zu besichtigen. Der Minister bestritt überhaupt nicht das Recht des Hauses Baden auf das Bild, hob aber noch einmal den kunsthistorischen und künstlerischen Wert für die Kunsthallensammlung hervor. Graf Douglas erwog, das Bild dem Haus Baden zwar vertragsmäßig zuzuschlagen, es aber für zwanzig Jahre in der Kunsthalle als Leihgabe zu belassen. "Eine Entscheidung brachte die Besichtigung nicht", stellte Remmele in der anschließenden Niederschrift fest. Doch noch am Nachmittag hatte er Anlaß, in einem Nachtrag festzuhalten, daß eine Entscheidung gefallen war. Graf Douglas übersandte ihm einen handgeschriebenen Brief des Markgrafen Berthold, der sich wohl eben der Verhandlungen wegen in Karlsruhe aufhielt. Der Brief ist auf Trauerpapier geschrieben - Bertholds Vater, der ehemalige Reichskanzler, war drei Monate zuvor verstorben - und lautet:

"Karlsruhe 18.II.1930.

Sehr geehrter Graf Douglas.

Auf Ihre nochmalige Vorstellung hin, ist das Großherzogliche badische Haus bereit auf das Votivbild von Hans Baldung (Grien) zu Gunsten des badischen Staates zu verzichten.

Ich hoffe, daß damit die letzte Klippe aus dem Wege geräumt ist.

Mit den besten Grüßen bin ich, sehr geehrter Herr Graf,

Ihr stets ergebener Markgraf Berthold."

Ausschnitt BriefAusschnitt

Remmele sah aber immer noch Gefahren. Denn über den Zahlungsplan mußte noch weiter im Sinne des Finanzministers verhandelt werden, damit die Regierung ihn in der Öffentlichkeit und vor dem Parlament überhaupt vertreten könnte. Graf Douglas sicherte noch einmal zu, daß es bei der Abtretung der Markgrafentafel bleibe. Die Einigung gelang am 21. Februar 1930. Das Ergebnis der jahrelangen Bemühungen, das Minister Remmele abschließend erzielt hat, liegt in Gestalt des am 1. April 1930 vom Landtag beschlossenen, am 14. April verkündeten und am 17. April veröffentlichten Gesetzes über den Ankauf vor. Sein einziger Gegenstand ist die Vereinbarung zwischen dem Land Baden einerseits und der ehemaligen Großherzogin Hilda und dem Markgrafen Berthold, seiner Mutter und seiner Schwester, den lebenden Mitgliedern der Salemer Linie, andererseits. Die Zustimmung der Salemer zu allen Teilen der Vereinbarung wird festgehalten: zur Überführung der der Großherzogin Hilda gehörenden Werke der Kunsthalle und des Kupferstichkabinetts in das Eigentum des Landes Baden mit Ausnahme der einzeln nach Katalognummern aufgeführten Werke; zur Höhe der Vergütung und dem beiliegenden Tilgungsplan und zur Anerkenntnis, keinerlei Aufwertungsansprüche gegen das Land Baden zu haben. Die von der Übereignung an das Land ausgenommenen, also im Eigentum der Großherzogin Hilda verbleibenden Gemälde werden nach dem Katalog von Koelitz identifiziert. Die Markgrafentafel trägt bei Koelitz die Nr. 88. Daß sie unter den beim Haus verbleibenden Bildern nicht aufgeführt wird und folglich in das Eigentum des Landes überging, ist der Erfolg Adam Remmeles. Er war zu recht stolz, daß das Bild "für die Kunsthalle gerettet" war.

Drei Jahre später verhafteten die Nationalsozialisten Remmele, den Sozialdemokraten, in Hamburg. Ehe sie ihn in das Konzentrationslager Kislau verbrachten, wo er ein knappes Jahr inhaftiert blieb, fuhren sie ihn am 16. Mai 1933 auf offenem Lastwagen durch Karlsruhe. Die bestellte Menge verspottete ihn, Musikkapellen intonierten das Lied "Das Wandern ist des Müllers Lust". Der Müllerssohn Remmele, 1877 geboren, war in der Tat gelernter Müller und war als Geselle mehrere Jahre auf Wanderschaft gegangen. Im Jahr 1948 machte ihn die Stadt Karlsruhe zu ihrem Ehrenbürger; 1951 starb er in Freiburg. Seine umsichtige Rettung der Markgrafentafel für den Staat wurde vergessen.


Die Aktenfundstelle:
GLAK 235/40264 (Min. K u. U, Betr.: Kunsthalle)

Hinweis:
Zum Gesetz von 1930 und zur Erklärung von 1919 siehe
https://archiv.twoday.net/stories/2876347/

MarkgrafentafelMarkgrafentafel - Ausschnitt

Südkurier 26.10.2005
Adel verpflichtet. Das Erbe des Denkmals Schloss Salem wiegt schwer - Warum das Haus Baden die Hilfe des Landes in Anspruch nimmt / von Martin Baur

Bernhard von Baden sieht sich als Sachwalter des kulturellen Erbes von Schloss Salem.

... "Insgesamt haben wir für die Grunderneuerung der historischen Substanz der Anlage 30 Millionen Euro eigene Mittel aufgewendet, deshalb steht alles so perfekt da", erklärt Prinz Bernhard. Die Altschulden, um die es im Handel mit dem Land Baden-Württemberg geht, hätten weder etwas "mit unseren Unternehmungen noch mit einem zu üppigen Lebenswandel zu tun". Dies Politik und Öffentlichkeit zu verdeutlichen, ist ihm in diesen Tagen nach Wochen der "Fehlinformation und Polemik" dringendes Anliegen. ...

https://www.suedkurier.de/nachrichten/seite3/art1798,2271449.html

Landtagsbeschluss zur Gründung der Kunsthalle Karlsruhe vom 12. Juli 1837 im Großherzoglich Badischen Staats- und Regierungsblatt S. 145:

https://commons.wikimedia.org/wiki/Image:Kunsthalle_karlsruhe_gruendung.JPG

Das neuen Gebäude und die aus der Summe von 25.000 Gulden angeschafften Kunstgegenstände sollten einen Bestandteil der "Civilliste" bilden.

Erklärung des Präsidenten der Generalintendanz der Großherzoglichen Zivilliste vom 18. März 1919 unter anderem zur Kunsthalle Karlsruhe (Beilage zur Begründung des Gesetzes über das Domänenvermögen, Verhandlungen des Badischen Landtags, Beilagenheft S. 220):
https://commons.wikimedia.org/wiki/Image:Baden_landtagsverhandlungen_1919_220.JPG

Gesetz vom 1. April 1930 über den Ankauf der im Eigentum der ehemaligen Großherzogin Hilda von Baden stehenden Kunstwerke der Badischen Kunsthalle und des Kupferstichkabinetts in Karlsruhe. In: Gesetz- und Verordnungs-Blatt 1930, S. 27-30:

https://commons.wikimedia.org/wiki/Gesetz_%C3%BCber_den_Ankauf_von_Kunstgegenst%C3%A4nden_f%C3%BCr_die_Kunsthalle_Karlsruhe_1930

KOMMENTAR:

Der Präsident der Generalintendanz der Zivilliste erklärte 1919 im Namen des Großherzogs bezüglich der Kunsthalle in Karlsruhe unter Punkt 2, "die Kunstwerke, solange sie ihr Eigentum sind, gegen Übernahme aller Verwaltungslasten durch den Staat für immer in der Kunsthalle zu belassen. Sie behalten sich nur vor, das eine oder andere Stück (Familienbilder) vorübergehend aus der Galerie entnehmen zu dürfen".

1930 wurden in der Vereinbarung über den Ankauf der Kunstwerke der Großherzogin Hilda vor allem Familienbildnisse aus dem Verkauf ausgenommen.

Die Verbringung der vom Verkauf ausgenommenen Stücke (mit Ausnahme einiger weniger Bilder) nach Schloss Baden-Baden und die Versteigerung 1995 verstießen eindeutig gegen den 1919 erklärten Willen des Großherzogs.

Im Katalog "Für Baden gerettet" ist nachzulesen, dass dem Land Baden-Württemberg KEIN Vorkaufsrecht hinsichtlich aller angebotenen Stücke zugestanden wurde. Es konnten Objekte erst in der Versteigerung erworben werden. Das war ein klarer Verstoß gegen Ziffer III der genannten Erklärung des Großherzogs, die wie folgt lautet:

"Ein Verkauf irgend welcher Kunstgegenstände oder von Gegenständen von landesgeschichtlicher Bedeutung ist zur Zeit nicht beabsichtigt. Sollte ein solcher in späterer Zeit einmal in Frage kommen, so werden Seine Königliche Hoheit und Seine Rechtsnachfolger darauf Bedacht nehmen, daß derartige Gegenstände nicht außer Landes kommen, und dem Staate in erster Linie Gelegenheit zur Erwerbung geben."

Neben dieser zugesicherten Vorkäufsmöglichkeit bestand 1995 nach meiner Rechtsauffassung noch ein gesetzliches Vorkaufsrecht:

Das badische Stammgüteraufhebungsgesetz von 1923 (GVBl. S. 233) normierte in § 26 ein gesetzliches Vorkaufsrecht des Landes Baden für jene Teile der gebundenen Hausvermögen, deren Erhaltung für das Land von wissenschaftlichem, geschichtlichem usw. Wert war. Aufgehoben wurde das zuletzt 1961 geänderte badische Gesetz von 1923 nämlich erst 1983 (GBl. S. 693) mit Wirkung zum 1.4.1984, wobei freilich § 1 von Art. 4 dieses Aufhebungsgesetzes zu beachten wäre, wonach die auf Grund des bisherigen Rechts entstandenen Rechtsverhältnisse aufrechterhalten bleiben.

Die 1995 versteigerten Kunstwerke waren ursprünglich Bestand des Hausfideikommisses und unterlagen daher dem Vorkaufsrecht nach § 26 (auch wenn keine Liste an das Kultus-Ministerium gelangt sein sollte, wie vom Gesetz vorgesehen, oder diese unvollständig war).

Ich wurde darauf hingewiesen, dass § 26 bereits durch das GrdstVG von 1962, also ein Bundesgesetz aufgehoben wurde:
https://bundesrecht.juris.de/grdstvg/__39.html

Soweit aber bewegliche Kulturgüter betroffen waren, fehlte dem aufhebenden Bundesgesetz die Sachkompetenz. Das Bundesgesetz betraf lediglich Rechtsgeschäfte über Immobilien, die eher denkmalschutzrechtliche Regelung des § 26 wurde erst 1983 beseitigt, wobei das seinerzeit begründete Vorkaufsrecht aber zu den Rechtsverhältnissen, deren Bestand garantiert wurde, gehörte.

Daraus und aus der Zusicherung von 1919 ergibt sich, dass Verkäufe, die das Haus Baden hinsichtlich von Kulturgütern vornimmt, ohne dem Land Baden-Württemberg als Rechtsnachfolger des Landes Baden Gelegenheit zum Erwerb zu geben, gegen eine Rechtspflicht verstoßen.

Update: https://archiv.twoday.net/stories/2880867/ (Dieter Mertens fand heraus: Baldungs Markgrafentafel gehört bereits seit 1930 dem Land!)

MarkgrafentafelBaldungs Markgrafentafel - Ausschnitt

Geschichte der Kunsthalle auf ihrer Website:
https://www.kunsthalle-karlsruhe-online.de/seite-236

 

twoday.net AGB

xml version of this page

xml version of this topic

powered by Antville powered by Helma

development