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Bewertung

In der ZEIT 9/2004 S. 4 interviewt Martin Klingst den Kölner Generalstaatsanwalt Georg Linden zum Ende der Ermittlungen in Sachen Aktenvernichtung und Datenlöschung im Kanzleramt am Ende der Ära Kohl. Auf die Frage, ob nichts fehle, sagt Linden:
Nein, am Ende mussten auch die Ermittler feststellen, dass im Herbst Datenbestände gelöscht wurden. Verschwunden bleiben auch sechs originale Aktenbände aus dem Komplex der Ölraffinerie Leuna. Ebenfalls unauffindbar sind einzelne Dokumente etwa über Rüstungs- und Flugzeuggeschäfte und den Verkauf von bundeseigenen Eisenbahnerwohnungen.
Die weiteren Nachfragen und Antworten bleiben vage. Festzuhalten bleibt: In einer ordnungsgemäß geführten Behörde - und sei es das Kanzleramt - darf dergleichen nach Recht und (Archiv-)Gesetz nicht vorkommen. Im Fall wilder Kassationen brauchen Politiker also das Strafrecht nicht zu fürchten - eine Schande!

Die Generalstaatsanwaltschaft in Köln hat die Einstellungsverfügung zu den Ermittlungen wegen der Aktenvernichtung und den Datenlöschungen während des Regierungswechsels von Kohl zu Schröder bestätigt, meldet die FAZ vom 14. Februar auf Seite 1 und beeilt sich, in einem Kommentar von Rainer Blasius festzuhalten, daß es sich hier um nichts anderes als um eine schmutzige Kampagne gegen Kohl und seine Mitarbeiter gehandelt hat.

Aus archivischer Sicht erlaube ich mir die gegenteilige Bewertung: die FAZ führt eine schmutzige Kampagne gegen alle, die es nicht so einfach hinnehmen wollen, dass in den Behörden dieses Staates brisante Akten verschwinden und Datenlöschungen erheblichen Ausmasses - gegen das Bundesarchivgesetz - vorgenommen werden. Sie lässt andere Meinungen nicht zu Wort kommen (mein Leserbrief wurde nicht abgedruckt).

In ARCHIVALIA wurde das Thema ausführlich dokumentiert:

https://archiv.twoday.net/search?q=kanzleramt

Neu im "Forum Bewertung"

https://www.forum-bewertung.de/sg12.htm#roesler

Ingo Rösler (Potsdam): Zur Erkenntnistheorie archivischer Überlieferungsbildung in Deutschland. Ansichten eines Archivars der ehemaligen DDR

Aufbauend auf einer theoriegeschichtlichen Rekonstruktion der Bewertungsdiskussion in den beiden deutschen Staaten, plädiert der Beitrag für ein erkenntnistheoretisches Neuverständnis der Überlieferungsbildung. Während die traditionelle Auffassung noch immer von subjektiven Vorstellungen des deutschen Historismus beherrscht wird, treten die in dem Beitrag dargelegten Ansichten aus materialistischer Sicht, also von der objektiven Realität ausgehend, für die Anerkennung praxisorientierter Erkenntnisgrundlagen ein. Ohne Rückgriff auf die in der DDR mit der Ideologie des Marxismus-Leninismus verbundene und gescheiterte Gesellschaftslehre, ohne Verharren aber auch in einem nur interpretativen, zwangsläufig zur wissenschaftlichen Entfremdung führenden Realitätsverständnis, gilt es nach Ansicht des Verfassers, "Ordnung" und "Bewertung" als zentrale Bereiche der Überlieferungsbildung mit dem objektiven Gesellschaftsprozess in Übereinstimmung zu bringen.

An die FAZ habe ich folgenden Leserbrief gesandt:

In Art eines Kreuzzugs müht sich Ihr Autor Rainer Blasius (F.A.Z. 7.11.2003), das Verschwinden von Akten und die umfangreichen Datenlöschungen im Bundeskanzleramt am Ende der Ära Kohl als normalen Vorgang darzustellen. Stets bleibt unberücksichtigt, daß es nach Auffassung der Archivare des Bundesarchivs keine "befugten" Datenlöschungen geben konnte, da das Bundesarchivgesetz die Entscheidung über die Aufbewahrung auch von Daten nicht der Verwaltung überlässt, sondern in die Hand der Archivare legt. Hinsichtlich der nicht auffindbaren Akten muß unterstrichen werden, daß nach dem Bundesverfassungsgericht (Beschluß vom 6.6.1983 - 2 BvR 244, 310/83) die "Vollständigkeit der Aktenführung" nicht nur praktischen Zwecken dient (der Stand einer Sache muß jederzeit vollständig aus den Akten ersichtlich sein), sondern auch aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbar ist. Im Bundeskanzleramt, einer der wichtigsten Bundesbehörden, hätte es von Rechts wegen weder Schlamperei in der Registratur noch Überlegungen zur zentralen Datenlöschung geben dürfen. Wenn für die Bonner Staatsanwaltschaft das Schwert des Strafrechts offenkundig zu stumpf ist, den ordnungsgemäßen Umgang mit der schriftlichen Verwaltungsüberlieferung einzuschärfen, so ist das durchaus bedauerlich.

ARCHIVALIA zum Fall:
https://archiv.twoday.net/search?q=bundesl%F6sch

J. van Elten (HAEK) berichtet in einer Stellungnahme zur Anfrage nach der Bewertung der Unterlagen des kommunalen Finanz-Managements von Erfahrungen aus dem kirchlichen Bereich und tendiert zu massenhafter Kassation (neu im Forum Bewertung).

Bundeslöschtage
Die Bonner Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen wegen der gelöschten Daten und verschwundenen Akten am Ende der Ära Helmut Kohl eingestellt (Google News).
Grund genug, einmal mehr unser Linkdossier in Erinnerung zu rufen.
Zum Bericht von Burkhard Hirsch geht es hier.
Die Einstellung des Verfahrens ist aus archivischer Sicht zu bedauern. Es bleiben offene Fragen: wie kommt die Staatsanwaltschaft dazu, von dezentralen "befugten" Löschungen auszugehen? Die Löschungen waren ja nicht mit dem Bundesarchiv abgestimmt.
Das Verschwinden etlicher Aktenordner ist mit Grundsätzen ordentlicher Aktenführung nicht vereinbar (siehe auch unsere Dokumentation von Urteilen zum Thema "Vollständigkeit der Aktenführung").
Die Staatsanwaltschaft hat die Reichweite des § 133 StGB (Verwahrungsbruch) grundsätzlich verkannt. Ein so eklatanter Verstoss gegen das Bundesarchivgesetz ist immer ein vorsätzlicher Verwahrungsbruch.
Die Einstellungsverfügung: Ein zweifelhafter Freibrief für illegale Kassationen!

Neu eingestellt im Forum Bewertung:
Martin Früh u. Andreas Pilger: Archivierung von Unterlagen über Bauvorhaben des Landes Hessen

Nicolas Rügge: Rezension zu Matthias Buchholz, Überlieferungsbildung bei massenhaft gleichförmigen Einzelfallakten (Köln 2001)

Neue Beiträge des Forum Bewertung:

Bewertung von Unterlagen des städtischen Finanzmanagements (von Andrea Wendenburg, Stadtarchiv Solingen)

Bewertung von Einzelfallakten der Kriegsgefangenenentschädigung (von Thomas Wolf, Kreisarchiv Siegen-Wittgenstein)

Zur "Fachtagung Bewertung am 16. Oktober 2003 im Schweizerischen Bundesarchiv, Bern: Mut zur Lücke - Zugriff auf das Wesentliche" gibt es Programm und Anmeldeunterlagen als PDF.

Nach der bisherigen Position der ZEIT nicht anders zu erwarten: auch von hier kommt Kritik am Einstellungsbeschluss der Bonner Staatsanwaltschaft (wir berichteten). Im gedruckten SPIEGEL dieser Woche konnte man von weiteren fehlenden Akten im Bundeskanzleramt lesen.

Das Bundeskanzleramt widerspricht der Einstellung des Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit den umstrittenen Aktenvernichtungen. Archiv.net liefert eine ausführliche Zusammenfassung des Sachstands, ARCHIVALIA hatte WWW-Materialien zum Thema zusammengestellt. (Ich habe kein Problem damit, Archiv.net-Beiträge zu verlinken - umgekehrt gilt das nicht.)

 

twoday.net AGB

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