Geschichtswissenschaft
Am 23. Februar 2013 jährt sich zum dritten Mal der viel zu frühe Tod von Klaus Zechiel-Eckes (kurzer Nachruf mit Foto).
Auch aus diesem Anlass findet am 22./23. Februar 2013 in Köln, wo Zechiel-Eckes zuletzt lehrte und forschte, ein Workshop zu neueren Pseudoisidor-Forschungen statt: Fälschung als Mittel der Politik? Pseudoisidor im Licht der neuen Forschung.
Wer sich zur Vorbereitung (oder einfach so) einlesen will, findet online die wichtigsten Quellen und zentrale Literatur. Hier ein paar Hinweise ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
Zechiel-Eckes gelang es, zwei Arbeitshandschriften aus Corbie, an denen sich noch Benutzungsspuren der Fälscher nachweisen lassen, ausfindig zu machen. Damit rückte die Person des Paschasius Radbertus, des Abtes von Corbie, in die erste Reihe der Verdächtigen, Urheber dieses groß angelegten Fälschungsvorhabens zu sein, über dessen Hintermänner und Intention die Forschung auch heute noch rätselt.
Die beiden Aufsätze, in denen über diesen aufsehenerregenden Fund berichtet wird, sind online zugänglich:
Klaus Zechiel-Eckes, Zwei Arbeitshandschriften Pseudoisidors. (Codd. St. petersburg F. V. I. 11 und Paris lat. 11611), in: Francia 27 (2000) S. 205–210 bei Francia-Online
und:
Klaus Zechiel-Eckes, Ein Blick in Pseudoisidors Werkstatt. Studien zum Entstehungsprozess der falschen Dekretalen. Mit einem exemplarischen editorischen Anhang (Pseudo-Julius an die orientalischen Bischöfe, JK +196), in: Francia 28 (2001) S. 37–90 bei Francia-Online (vgl. hierzu auch die Rezension im DA 60 (2004) S. 281 von Rudolf Pokorny).
In seinem Beitrag zu dem Tübinger Fälschungskolloquium zu Ehren von Horst Fuhrmann hat Zechiel-Eckes seinen Verdacht erhärtet und weiter dargelegt, weshalb er glaubt, mit Paschasius Radbertus den wahrscheinlichen Urheber der Fälschungen enttarnt zu haben:
Klaus Zechiel-Eckes, Auf Pseudoisidors Spur, oder: Versuch, einen dichten Schleier zu lüften, in: Fortschritt durch Fälschungen? Hg. von Wilfried Hartmann und Gerhard Schmitz (2002) S. 1–28 PDF.
Auch allgemeinere Informationen zu Pseudoisidor finden sich im Netz:
Lotte Kéry, Canonical collections of the early Middle Ages (ca. 400–1140). A bibliographical guide to the manuscripts and literature (1999) S. 100–114 steht bei Google Books als Ausschnitt zur Verfügung.
Es gibt eine englische Übersetzung des Vorworts.
Bis Ende 2011 führte Eric Knibbs sein Weblog Reading Pseudo-Isidore, in dem er in die Hintergründe der Überlieferung einführt, neuere Forschungsansätze diskutiert und verschiedene Pseudoisidor-Passagen einer ausführlichen Lektüre unterzieht. Am besten liest man zum Einstieg die im Blog am rechten Rand verlinkten fünf Einleitungs-Artikel mit einem Supplement-Text.
Vom kritischen Textbestand her am besten ist heutzutage vermutlich die Webseite von Karl Georg Schon. Wem das zu sehr Baustelle und noch zu provisorisch ist, der kann online auch auf einige der gedruckten Pseudoisidor-Ausgaben zugreifen. Leider konnte ich von der Erstausgabe Jacques Merlin, Tomus primus quatuor conciliorum generalium, Quadraginta septem conciliorum provincialium authenticorum, ... (Paris 1524) keine Online-Fassung finden, wohl aber von späteren Auflagen (z. B. Köln 1530). Im Grunde verwendet man die Merlin-Ausgabe ohnehin über den Nachdruck bei Migne, PL 130, den es gleich mehrfach im Netz gibt. Ansonsten greift man standardmäßig auch noch zu der bislang maßgeblichen Ausgabe von Paul Hinschius, Decretales Pseudo-Isidorianae et Capitula Angilramni (1863).
Materialien zu den pseudoisidorischen Fälschungen finden sich auch auf den Seiten zu Benedictus Levita, darunter auch der noch immer einschlägige Artikel von Emil Seckel: „Pseudoisidor“, Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche3 16 (1905) S. 265–307, sowie eine Transkription der Collectio Hispana Gallica Augustodunensis, die in enger Verwandtschaft zu den Konzilstexten Pseudoisidors steht, sowie natürlich die maßgeblichen Texte der Falschen Kapitularien des Benedictus Levita, die ebenso dem Komplex der pseudoisidorischen Fälschungen zugerechnet werden.
Als Referenz noch der Hinweis auf Isidorus, pseudo, Decretales bei den Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters.
Digitalisierte Handschriften
Von den über 80 Handschriften, die zumindest Auszüge aus den falschen Dekretalen enthalten, konnte ich auf die Schnelle wenigstens ein paar online finden:
Albi, Bibl. municipale, Ms. 30
Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. can. 4
Köln, Dombibliothek, 113
Köln, Dombibliothek, 114
New Haven, Yale University, Beinecke Library 442
Sankt Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 670
Auch aus diesem Anlass findet am 22./23. Februar 2013 in Köln, wo Zechiel-Eckes zuletzt lehrte und forschte, ein Workshop zu neueren Pseudoisidor-Forschungen statt: Fälschung als Mittel der Politik? Pseudoisidor im Licht der neuen Forschung.
Wer sich zur Vorbereitung (oder einfach so) einlesen will, findet online die wichtigsten Quellen und zentrale Literatur. Hier ein paar Hinweise ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
Zechiel-Eckes gelang es, zwei Arbeitshandschriften aus Corbie, an denen sich noch Benutzungsspuren der Fälscher nachweisen lassen, ausfindig zu machen. Damit rückte die Person des Paschasius Radbertus, des Abtes von Corbie, in die erste Reihe der Verdächtigen, Urheber dieses groß angelegten Fälschungsvorhabens zu sein, über dessen Hintermänner und Intention die Forschung auch heute noch rätselt.
Die beiden Aufsätze, in denen über diesen aufsehenerregenden Fund berichtet wird, sind online zugänglich:
Klaus Zechiel-Eckes, Zwei Arbeitshandschriften Pseudoisidors. (Codd. St. petersburg F. V. I. 11 und Paris lat. 11611), in: Francia 27 (2000) S. 205–210 bei Francia-Online
und:
Klaus Zechiel-Eckes, Ein Blick in Pseudoisidors Werkstatt. Studien zum Entstehungsprozess der falschen Dekretalen. Mit einem exemplarischen editorischen Anhang (Pseudo-Julius an die orientalischen Bischöfe, JK +196), in: Francia 28 (2001) S. 37–90 bei Francia-Online (vgl. hierzu auch die Rezension im DA 60 (2004) S. 281 von Rudolf Pokorny).
In seinem Beitrag zu dem Tübinger Fälschungskolloquium zu Ehren von Horst Fuhrmann hat Zechiel-Eckes seinen Verdacht erhärtet und weiter dargelegt, weshalb er glaubt, mit Paschasius Radbertus den wahrscheinlichen Urheber der Fälschungen enttarnt zu haben:
Klaus Zechiel-Eckes, Auf Pseudoisidors Spur, oder: Versuch, einen dichten Schleier zu lüften, in: Fortschritt durch Fälschungen? Hg. von Wilfried Hartmann und Gerhard Schmitz (2002) S. 1–28 PDF.
Auch allgemeinere Informationen zu Pseudoisidor finden sich im Netz:
Lotte Kéry, Canonical collections of the early Middle Ages (ca. 400–1140). A bibliographical guide to the manuscripts and literature (1999) S. 100–114 steht bei Google Books als Ausschnitt zur Verfügung.
Es gibt eine englische Übersetzung des Vorworts.
Bis Ende 2011 führte Eric Knibbs sein Weblog Reading Pseudo-Isidore, in dem er in die Hintergründe der Überlieferung einführt, neuere Forschungsansätze diskutiert und verschiedene Pseudoisidor-Passagen einer ausführlichen Lektüre unterzieht. Am besten liest man zum Einstieg die im Blog am rechten Rand verlinkten fünf Einleitungs-Artikel mit einem Supplement-Text.
Vom kritischen Textbestand her am besten ist heutzutage vermutlich die Webseite von Karl Georg Schon. Wem das zu sehr Baustelle und noch zu provisorisch ist, der kann online auch auf einige der gedruckten Pseudoisidor-Ausgaben zugreifen. Leider konnte ich von der Erstausgabe Jacques Merlin, Tomus primus quatuor conciliorum generalium, Quadraginta septem conciliorum provincialium authenticorum, ... (Paris 1524) keine Online-Fassung finden, wohl aber von späteren Auflagen (z. B. Köln 1530). Im Grunde verwendet man die Merlin-Ausgabe ohnehin über den Nachdruck bei Migne, PL 130, den es gleich mehrfach im Netz gibt. Ansonsten greift man standardmäßig auch noch zu der bislang maßgeblichen Ausgabe von Paul Hinschius, Decretales Pseudo-Isidorianae et Capitula Angilramni (1863).
Materialien zu den pseudoisidorischen Fälschungen finden sich auch auf den Seiten zu Benedictus Levita, darunter auch der noch immer einschlägige Artikel von Emil Seckel: „Pseudoisidor“, Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche3 16 (1905) S. 265–307, sowie eine Transkription der Collectio Hispana Gallica Augustodunensis, die in enger Verwandtschaft zu den Konzilstexten Pseudoisidors steht, sowie natürlich die maßgeblichen Texte der Falschen Kapitularien des Benedictus Levita, die ebenso dem Komplex der pseudoisidorischen Fälschungen zugerechnet werden.
Als Referenz noch der Hinweis auf Isidorus, pseudo, Decretales bei den Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters.
Digitalisierte Handschriften
Von den über 80 Handschriften, die zumindest Auszüge aus den falschen Dekretalen enthalten, konnte ich auf die Schnelle wenigstens ein paar online finden:
Albi, Bibl. municipale, Ms. 30
Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. can. 4
Köln, Dombibliothek, 113
Köln, Dombibliothek, 114
New Haven, Yale University, Beinecke Library 442
Sankt Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 670
Clemens Radl - am Donnerstag, 24. Januar 2013, 15:17 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
Am 11. Mai 2012 richtete ich eine Anfrage zu dem Torgauer Turnier, von dem Vulpius berichtet
https://archiv.twoday.net/stories/96986323/
an das Hauptstaatsarchiv Weimar. Erst jetzt bekam ich von Frau Blaha eine Antwort.
Die von Vulpius in den „Curiositäten …, Bd. 8“ geschilderten Ereignisse bei einem Turnier in Torgau
am 16. November 1540 können quellenmäßig belegt werden (ThHStA Weimar, Ernestinisches
Gesamtarchiv, Reg. D 129). Es handelt sich um ein Doppelblatt mit der zeitgenössischen Aufschrift
Turnir Zetel a[nn]o 1536. „1536“ ist allerdings später mit Bleistift gestrichen worden. Das Dokument
beginnt Vortzaichnus des turners, von anderer Hand ist später zugesetzt worden zu Torgau Dinstags nach
Martini 1540. Der Schrift nach passt dieser Zusatz nicht ins 16. Jahrhundert. Verzeichnet wurde das
Dokument erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Schrift der Verzeichnung und die des Datierungszusatzes in der Überschrift stimmen nicht überein.
Im Großen und Ganzen folgt Vulpius der Darstellung auf dem Zettel, allerdings ist nie von einem
Ritter vom goldenen Rade, sondern immer nur von einem ritter vom Rade die Rede. Der unter 10.
aufgeführte Kontrahent heißt Rabitz, ein Vorname ist nicht genannt (Vulpius: „Christoph von
Racknitz“). Vornamen fehlen im Dokument auch für Nr. 3 (Konritz) und Nr. 4 (im Dokument Gruner;
Vulpius: „Albrecht von der Grün“). Zudem ist Nr. 4 von Vulpius sehr ausgeschmückt. Das Original
lautet: Ritter vom Rade und Gruner haben mit den spiessen zusammen gerant und gefelet, aber sich mit den schwert[ern]
wol geschlag[en] und darvon abgetzog[en], also kein Wort von „Gaulen (Rossen)“. Sollte sich Vulpius
verlesen haben (Spiessen – Rossen)?
Der Bräutigam Christoph von Harstall war 1540 Amtmann auf der Wartburg und verheiratet mit
Barbara von Schönberg. Dass Christoph von Harstall als Bräutigam gekennzeichnet und unter 10 ein
Christoph von Schönberg Kontrahent des Ritters vom Rade ist, lässt die Vermutung zu, dass es sich
um ein Turnier zur Hochzeit des Christoph Harstall mit Barbara Schönberg handelte. Ihr Bruder,
Heinrich von Schönberg, war Hofmarschall am Hofe Johann Friedrichs des Großmütigen von Sachsen
(1540-1547).
Aus unserer Sicht handelt es sich bei dem vorliegenden Dokument um keine Fälschung, aber das
Datum wurde eindeutig manipuliert. Um die Datierungsfrage eindeutig zu klären, müssten die
Amtsrechnungen von Torgau sowie die kurfürstlichen Schatull- und Kammerrechnungen, Küchbücher
und Lagerbücher des kurfürstlichen Hofes (ThHStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. Bb)
mindestens für die Jahre 1536 und 1540 auf entsprechende Anhaltspunkte durchgesehen werden. Führt
das nicht zum Ziel, ist ein weiterer Anhaltspunkt der Aufenthalt des Herzogs Moritz von Sachsen, des
Herzogs Johann Ernst von Sachsen sowie des Grafen Christoph von Mansfeld in Torgau. Dazu sind
neben dem Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar die Staatsarchive des Freistaates Sachsen und des
Landes Sachsen-Anhalt zu konsultieren. Letztlich kann auch der Vermutung nachgegangen werden,
dass es sich um ein Turnier anlässlich der Hochzeit des Christoph von Harstall mit Barbara von
Schönberg handelt, um mit dem Hochzeitsdatum das korrekte Datum für das stattgefundene Turnier
zu erhalten.
Auch wenn keine komplette Fälschung vorliegt (wie bei anderen Vulpius-Texten nachweisbar), so warnen doch die festgestellten Ausschmückungen davor, Vulpius' Texte als authentische Wiedergaben seiner Vorlagen anzusehen.
Das Stadtarchiv Torgau meldete am 11. Mai 2012: "das Stadtarchiv Torgau ist derzeit aus Krankheitsgründen geschlossen. Der Dienstbetrieb ist deshalb nur eingeschränkt möglich. Wir bitten um Verständnis, dass die Bearbeitung Ihrer Anfragen leider nur mit zeitlicher Verzögerung erfolgen kann." Bis heute gab es keine Antwort.
#forschung
https://archiv.twoday.net/stories/96986323/
an das Hauptstaatsarchiv Weimar. Erst jetzt bekam ich von Frau Blaha eine Antwort.
Die von Vulpius in den „Curiositäten …, Bd. 8“ geschilderten Ereignisse bei einem Turnier in Torgau
am 16. November 1540 können quellenmäßig belegt werden (ThHStA Weimar, Ernestinisches
Gesamtarchiv, Reg. D 129). Es handelt sich um ein Doppelblatt mit der zeitgenössischen Aufschrift
Turnir Zetel a[nn]o 1536. „1536“ ist allerdings später mit Bleistift gestrichen worden. Das Dokument
beginnt Vortzaichnus des turners, von anderer Hand ist später zugesetzt worden zu Torgau Dinstags nach
Martini 1540. Der Schrift nach passt dieser Zusatz nicht ins 16. Jahrhundert. Verzeichnet wurde das
Dokument erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Schrift der Verzeichnung und die des Datierungszusatzes in der Überschrift stimmen nicht überein.
Im Großen und Ganzen folgt Vulpius der Darstellung auf dem Zettel, allerdings ist nie von einem
Ritter vom goldenen Rade, sondern immer nur von einem ritter vom Rade die Rede. Der unter 10.
aufgeführte Kontrahent heißt Rabitz, ein Vorname ist nicht genannt (Vulpius: „Christoph von
Racknitz“). Vornamen fehlen im Dokument auch für Nr. 3 (Konritz) und Nr. 4 (im Dokument Gruner;
Vulpius: „Albrecht von der Grün“). Zudem ist Nr. 4 von Vulpius sehr ausgeschmückt. Das Original
lautet: Ritter vom Rade und Gruner haben mit den spiessen zusammen gerant und gefelet, aber sich mit den schwert[ern]
wol geschlag[en] und darvon abgetzog[en], also kein Wort von „Gaulen (Rossen)“. Sollte sich Vulpius
verlesen haben (Spiessen – Rossen)?
Der Bräutigam Christoph von Harstall war 1540 Amtmann auf der Wartburg und verheiratet mit
Barbara von Schönberg. Dass Christoph von Harstall als Bräutigam gekennzeichnet und unter 10 ein
Christoph von Schönberg Kontrahent des Ritters vom Rade ist, lässt die Vermutung zu, dass es sich
um ein Turnier zur Hochzeit des Christoph Harstall mit Barbara Schönberg handelte. Ihr Bruder,
Heinrich von Schönberg, war Hofmarschall am Hofe Johann Friedrichs des Großmütigen von Sachsen
(1540-1547).
Aus unserer Sicht handelt es sich bei dem vorliegenden Dokument um keine Fälschung, aber das
Datum wurde eindeutig manipuliert. Um die Datierungsfrage eindeutig zu klären, müssten die
Amtsrechnungen von Torgau sowie die kurfürstlichen Schatull- und Kammerrechnungen, Küchbücher
und Lagerbücher des kurfürstlichen Hofes (ThHStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. Bb)
mindestens für die Jahre 1536 und 1540 auf entsprechende Anhaltspunkte durchgesehen werden. Führt
das nicht zum Ziel, ist ein weiterer Anhaltspunkt der Aufenthalt des Herzogs Moritz von Sachsen, des
Herzogs Johann Ernst von Sachsen sowie des Grafen Christoph von Mansfeld in Torgau. Dazu sind
neben dem Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar die Staatsarchive des Freistaates Sachsen und des
Landes Sachsen-Anhalt zu konsultieren. Letztlich kann auch der Vermutung nachgegangen werden,
dass es sich um ein Turnier anlässlich der Hochzeit des Christoph von Harstall mit Barbara von
Schönberg handelt, um mit dem Hochzeitsdatum das korrekte Datum für das stattgefundene Turnier
zu erhalten.
Auch wenn keine komplette Fälschung vorliegt (wie bei anderen Vulpius-Texten nachweisbar), so warnen doch die festgestellten Ausschmückungen davor, Vulpius' Texte als authentische Wiedergaben seiner Vorlagen anzusehen.
Das Stadtarchiv Torgau meldete am 11. Mai 2012: "das Stadtarchiv Torgau ist derzeit aus Krankheitsgründen geschlossen. Der Dienstbetrieb ist deshalb nur eingeschränkt möglich. Wir bitten um Verständnis, dass die Bearbeitung Ihrer Anfragen leider nur mit zeitlicher Verzögerung erfolgen kann." Bis heute gab es keine Antwort.
#forschung
KlausGraf - am Donnerstag, 24. Januar 2013, 02:05 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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Wolfgang Dobras: Willigis und das Mainzer Rad. Eine Sage und ihre Funktion im Wandel der Geschichte. In: Mainzer Zeitschrift 106/107 (2011/12), S. 197–216
https://www.gaestefuehrungen-mainz.de/material/download/dobras.pdf
Der gründliche Aufsatz beschäftigt sich mit der Traditionsbildung um die Herkunft des im Jahr 1011 gestorbenen Mainzer Bischofs Willigis, der vom Spätmittelalter ab bis ins 19. Jahrhunderts als Sohn eines Wagners galt. (Online-Nachweise zu Willigis und der Sage habe ich in Wikisource zusammengetragen, worauf wegen genauerer Zitate verwiesen sei.)
Dobras geht von der Sagenversion der Brüder Grimm aus, die den Stoff im zweiten Band der "Deutschen Sagen" (1818, Nr. 468, jüngere Zählung Nr. 474) präsentierten. Ihre Hauptquelle war die Thüringische Chronik banges (1600), nur der letzte Satz stammt aus der Gmünder Kaiserchronik (zweiter Teil der 1485 erstmals gedruckten Schwäbischen Chronik Thomas Lirers), in der es heißt:
"Vnder dem kaiser do was ains armen wagners sun Bischoff zuo Mentz. der hieß Willigis. der het von demüetigkeit wegen ain pfluogßrad bey seiner bettstat hangen. vnd het dar ein mit grossen güldin buochstaben geschriben. Willigis Willigis gedenck von wannen du kumen seiest. Vnd darumb so habent die von Mentz noch heüt deß tags ain pfluogßrad in irem baner vnd auch das bistumb von Mentz von deß wagners wegen. vnd ist allso da mit betzaichnet vnd bestetiget " (o über u = uo).
Die Version mit den hochmütigen Domherrn, die von Bange zu den Brüdern Grimm gelangte und von diesen zu August Kopisch, dessen hübsches Gedicht Dobras nicht erwähnt, findet Dobras zuerst bei Johannes Rothe. In der mainzischen Bistumschronistik dominiert jedoch eine kürzere Fassung, die vom Spott der Kanoniker nichts weiß. Der älteste Beleg überhaupt stammt aus der Erfurter Chronica minor (um 1260). Wichtig für die Verbreitung waren die "Flores temporum" und später die Schedelsche Weltchronik (1493, lateinisch und deutsch).
Die Willigis-Tradition ist zugleich eine ätiologische Erzählung für das Mainzer Rad. Dobras kann zeigen, dass die Erwähnung von zwei Rädern in der Chronica minor auf zeitgenössische heraldische Belege verweist, die ebenfalls zwei Räder kennen. Seit dem 14. Jahrhundert ist ein einziges Rad das Wappen des Erzstifts Mainz.
Einige kleine Ergänzungen zum Aufsatz von Dobras: Bei Google Books findet man eine ganze Reihe von Zeugnissen für die frühneuzeitliche Verbreitung der Tradition (für die Zeit vor 1800 vermeide ich ja den Begriff Sage). Ich greife Predigten von Cyrillus Riga 1759 und Nachweise über viele Erwähnungen in gelehrten Werken im lateinischen wappenrechtlichen Werk von Hoepingk 1642 heraus. Hans-Jörg Uthers Ausgabe "Deutsche Sagen" Bd. 2, 1993 ist aufgrund der Nachweise aus der Erzählforschung stets neben Röllekes Ausgabe von 1994 heranzuziehen. Er verweist bei Nr. 474 auf Lutz Röhrich, Sage und Märchen (1976), S. 115f.; Rehermann, Das Predigtexempel bei protestantischen Theologen (1977), S. 506 Nr. 18 und Dömötörs Katalog der ungarischen protestantischen Exempel (1992), Nr. 356.
Die Chronik des Adam Ursinus ist mit um 1500 immer noch zu früh angesetzt (Dobras Anm. 4), da dessen sonst bekannte Publikationen erst 1565 einsetzen (Werkliste).
Erwähnung hätte verdient, dass in der Kirche des Mainzer Stifts St. Stephan, einer Willigis-Gründung, eine Bildtafel mit lateinischer Inschrift die Tradition wachhielt (siehe von der Gönne 2007 nach den Deutschen Inschriften). Der knieende Willigis hatte ein Radschild zu Seite und schaute auf ein Schriftband "Willigise, unde veneris, nosce" (von dem Jesuiten Gamans im 17. Jahrhundert notiert).
Eine wohl am Anfang des 15. Jahrhunderts entstandene deutschsprachige Version der Willigis-Erzählung blieb Dobras unbekannt. Sie entstammt der ungedruckten Langfassung der "Gmünder Kaiserchronik" und ist bequem durch das Digitalisat des Heidelberger Cpg 5, Bl. 58v zugänglich (Transkription auf Wikisource). Zur Gmünder Kaiserchronik habe ich mich ausführlich in meiner Dissertation 1987 geäußert. Der Cpg 5 ist wohl die älteste Handschrift, der neue Heidelberger Katalog setzt ihn vorsichtiger als ich in das erste Viertel des 15. Jahrhunderts (ich berief mich auf eine Auskunft von Richard Weber, der damals eine Edition der Chronik vorbereitete, zu den Wasserzeichen: um 1406/14). Vielleicht darf man das zweite Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts annehmen. Zwischen 1376 und der Datierung der Heidelberger Handschrift muss die Gmünder Kaiserchronik entstanden sein.
Neben den Lirer-Inkunabeln (ab 1485, zunächst in Ulm gedruckt) waren mir 14 von der Druckfassung unabhängige Handschriften bekannt. Ein kurzes Bruchstück in den Deichsler'schen Sammlungen im Staatsarchiv Nürnberg identifizierte später Joachim Schneider. Vier Handschriften, darunter der Cpg 5, überliefern eine Langfassung B.
Peter Johanek und Richard Weber sprachen damals der Langfassung B die Priorität gegenüber der mit einer Erwähnung von Schwäbisch Gmünd im Prolog versehenen Kurzfassung A (durch den Dinckmut-Druck und die späteren Drucke bekannt) zu. Ich habe für das umgekehrte Verhältnis plädiert (1987, S. 162-168). Die Hauptquelle der Gmünder Kaiserchronik, die lateinische Glosse zum Geschichtswerk des Hugo von Reutlingen, hatte ich zu spät ermittelt, um mich noch hinsichtlich der Frage nach der Abhängigkeit der beiden Fassungen darauf stützen zu können. Was B hat, sind, blickt man auf die Quelle, tatsächlich Erweiterungen. Wäre es anders, hätte der Redaktor von A anhand der lateinischen Vorlage die Langfassung B wieder auf die Angaben der Vorlage zurechtstutzen müssen, was man kaum annehmen darf. Bei Willigis vermeidet B die Nennung des Namens Willigis, während A ihn hat. Wäre die Fassung von B ursprünglich, hätte A aus einem anderen Geschichtswerk den Namen ergänzen müssen.
Ignoriert hatte ich die Hinweise Johaneks (in: Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtzsein im späten Mittelalter, 1987, S. 322) auf eine mittelrheinische Provenienz der Langfassung B, die auch zum Mainzer Bischof Hatto Sondergut hat. Man kann sich leicht anhand des Digitalisats einer zweiten B-Handschrift, des Münchner Cgm 331, davon überzeugen, dass Johanek diese Zusätze fälschlich der von ihm irrig an den Mittelrhein gesetzten Heidelberger Handschrift (Schreibsprache: bairisch) zuwies. Sie gehören der Fassung B als Ganzes an. Diese dürfte nach der Langfassung A am Ende des 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts am Mittelrhein (eventuell in Mainz?) zusammengestellt worden sein.
Die eigenständige Willigis-Tradition der im Cpg 5 überlieferten Langfassung B der Gmünder Kaiserchronik besteht aus zwei Erzählungen: aus einer ätiologischen Erzählung über den Ursprung des Mainzer Wappens und einer Erzählung über das Verhalten des Erzbischofs gegenüber seinem Vater, dem Wagner. Zunächst wird berichtet, dass sich Bürger des Mainzer Stadtrats und die Domherren, die weder Wappen noch Banner bis dahin geführt haben, zu dem Bischof begeben, um ihn zu bitten, er möge vom Kaiser für das Bistum, das Stift und die Stadt Mainz ein Wappen erwirken, damit sie in Feldzügen kenntlich seien. Der Bischof lehnt dies unter Hinweis auf seine bäuerliche Herkunft ab. Als Bischof will er ein Pflugrad im Banner führen, die Stadt Mainz soll zwei Pflugräder und der Dom (also das Domkapitel) den Patron St. Martin führen. Die zweite Erzählung: Bei einer festlichen Veranstaltung lädt der Bischof auch seinen Vater ein, der von den Domherren kostbar eingekleidet wird, da er als schlichter Wagner erschienen war. Aber der Bischof verleugnet seinen Vater und lässt ihn erst dann am Tisch - vor der Ritterschaft - Platz nehmen, als dieser wieder sein Fell angezogen hat.
Dobras meinte, dass der Text aus dem Cpg 5 "möglicherweise Bestrebungen des Domkapitels widerspiegelt, das um 1475 auch über das Wappen die Abhängigkeit der Stadt vom Erzstift nachzuweisen versuchte" (Mail vom 9.1.2013) und verwies auf ein Schreiben von 1475 (vgl. Dobras S. 212 mit Anm. 73), mit dem das Domkapitel die Herrschaft über die Stadt Mainz auch mit dem Wappen begründen wollte. Ich weiß nicht, ob man so weit gehen sollte, denn eine Abwertung der Stadt Mainz zugunsten des Domkapitels ist nicht erkennbar, sieht man davon ab, dass dieses den Dom- und Stiftspatron St. Martin führen darf.
Die ganze Passage unterstreicht die Demut des Erzbischofs, aber auch die ständische Ordnung. Es ist ein Exemplum nicht nur für humilitas, sondern auch für die Gültigkeit der Standesschranken. Willigis soll stets seiner Herkunft eingedenk sein, sein auf diese Herkunft bezügliches Rad hat als Unterscheidungszeichen keinerlei unehrlichen Beigeschmack und ist vollauf ausreichend, und der Vater muss auch in der Kleidung seinem bäuerlichen Stand verbunden bleiben. Dass es ein Wagnerssohn so weit gebracht hat, ist nur auf den ersten Blick ein Beispiel für soziale Mobilität. Die Erweiterungen der Langfassung B schärfen jedoch ein, dass die soziale Ordnung dadurch nicht gesprengt werden darf: Schuster bleib bei deinen Leisten!
#forschung
#erzählforschung

https://www.gaestefuehrungen-mainz.de/material/download/dobras.pdf
Der gründliche Aufsatz beschäftigt sich mit der Traditionsbildung um die Herkunft des im Jahr 1011 gestorbenen Mainzer Bischofs Willigis, der vom Spätmittelalter ab bis ins 19. Jahrhunderts als Sohn eines Wagners galt. (Online-Nachweise zu Willigis und der Sage habe ich in Wikisource zusammengetragen, worauf wegen genauerer Zitate verwiesen sei.)
Dobras geht von der Sagenversion der Brüder Grimm aus, die den Stoff im zweiten Band der "Deutschen Sagen" (1818, Nr. 468, jüngere Zählung Nr. 474) präsentierten. Ihre Hauptquelle war die Thüringische Chronik banges (1600), nur der letzte Satz stammt aus der Gmünder Kaiserchronik (zweiter Teil der 1485 erstmals gedruckten Schwäbischen Chronik Thomas Lirers), in der es heißt:
"Vnder dem kaiser do was ains armen wagners sun Bischoff zuo Mentz. der hieß Willigis. der het von demüetigkeit wegen ain pfluogßrad bey seiner bettstat hangen. vnd het dar ein mit grossen güldin buochstaben geschriben. Willigis Willigis gedenck von wannen du kumen seiest. Vnd darumb so habent die von Mentz noch heüt deß tags ain pfluogßrad in irem baner vnd auch das bistumb von Mentz von deß wagners wegen. vnd ist allso da mit betzaichnet vnd bestetiget " (o über u = uo).
Die Version mit den hochmütigen Domherrn, die von Bange zu den Brüdern Grimm gelangte und von diesen zu August Kopisch, dessen hübsches Gedicht Dobras nicht erwähnt, findet Dobras zuerst bei Johannes Rothe. In der mainzischen Bistumschronistik dominiert jedoch eine kürzere Fassung, die vom Spott der Kanoniker nichts weiß. Der älteste Beleg überhaupt stammt aus der Erfurter Chronica minor (um 1260). Wichtig für die Verbreitung waren die "Flores temporum" und später die Schedelsche Weltchronik (1493, lateinisch und deutsch).
Die Willigis-Tradition ist zugleich eine ätiologische Erzählung für das Mainzer Rad. Dobras kann zeigen, dass die Erwähnung von zwei Rädern in der Chronica minor auf zeitgenössische heraldische Belege verweist, die ebenfalls zwei Räder kennen. Seit dem 14. Jahrhundert ist ein einziges Rad das Wappen des Erzstifts Mainz.
Einige kleine Ergänzungen zum Aufsatz von Dobras: Bei Google Books findet man eine ganze Reihe von Zeugnissen für die frühneuzeitliche Verbreitung der Tradition (für die Zeit vor 1800 vermeide ich ja den Begriff Sage). Ich greife Predigten von Cyrillus Riga 1759 und Nachweise über viele Erwähnungen in gelehrten Werken im lateinischen wappenrechtlichen Werk von Hoepingk 1642 heraus. Hans-Jörg Uthers Ausgabe "Deutsche Sagen" Bd. 2, 1993 ist aufgrund der Nachweise aus der Erzählforschung stets neben Röllekes Ausgabe von 1994 heranzuziehen. Er verweist bei Nr. 474 auf Lutz Röhrich, Sage und Märchen (1976), S. 115f.; Rehermann, Das Predigtexempel bei protestantischen Theologen (1977), S. 506 Nr. 18 und Dömötörs Katalog der ungarischen protestantischen Exempel (1992), Nr. 356.
Die Chronik des Adam Ursinus ist mit um 1500 immer noch zu früh angesetzt (Dobras Anm. 4), da dessen sonst bekannte Publikationen erst 1565 einsetzen (Werkliste).
Erwähnung hätte verdient, dass in der Kirche des Mainzer Stifts St. Stephan, einer Willigis-Gründung, eine Bildtafel mit lateinischer Inschrift die Tradition wachhielt (siehe von der Gönne 2007 nach den Deutschen Inschriften). Der knieende Willigis hatte ein Radschild zu Seite und schaute auf ein Schriftband "Willigise, unde veneris, nosce" (von dem Jesuiten Gamans im 17. Jahrhundert notiert).
Eine wohl am Anfang des 15. Jahrhunderts entstandene deutschsprachige Version der Willigis-Erzählung blieb Dobras unbekannt. Sie entstammt der ungedruckten Langfassung der "Gmünder Kaiserchronik" und ist bequem durch das Digitalisat des Heidelberger Cpg 5, Bl. 58v zugänglich (Transkription auf Wikisource). Zur Gmünder Kaiserchronik habe ich mich ausführlich in meiner Dissertation 1987 geäußert. Der Cpg 5 ist wohl die älteste Handschrift, der neue Heidelberger Katalog setzt ihn vorsichtiger als ich in das erste Viertel des 15. Jahrhunderts (ich berief mich auf eine Auskunft von Richard Weber, der damals eine Edition der Chronik vorbereitete, zu den Wasserzeichen: um 1406/14). Vielleicht darf man das zweite Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts annehmen. Zwischen 1376 und der Datierung der Heidelberger Handschrift muss die Gmünder Kaiserchronik entstanden sein.
Neben den Lirer-Inkunabeln (ab 1485, zunächst in Ulm gedruckt) waren mir 14 von der Druckfassung unabhängige Handschriften bekannt. Ein kurzes Bruchstück in den Deichsler'schen Sammlungen im Staatsarchiv Nürnberg identifizierte später Joachim Schneider. Vier Handschriften, darunter der Cpg 5, überliefern eine Langfassung B.
Peter Johanek und Richard Weber sprachen damals der Langfassung B die Priorität gegenüber der mit einer Erwähnung von Schwäbisch Gmünd im Prolog versehenen Kurzfassung A (durch den Dinckmut-Druck und die späteren Drucke bekannt) zu. Ich habe für das umgekehrte Verhältnis plädiert (1987, S. 162-168). Die Hauptquelle der Gmünder Kaiserchronik, die lateinische Glosse zum Geschichtswerk des Hugo von Reutlingen, hatte ich zu spät ermittelt, um mich noch hinsichtlich der Frage nach der Abhängigkeit der beiden Fassungen darauf stützen zu können. Was B hat, sind, blickt man auf die Quelle, tatsächlich Erweiterungen. Wäre es anders, hätte der Redaktor von A anhand der lateinischen Vorlage die Langfassung B wieder auf die Angaben der Vorlage zurechtstutzen müssen, was man kaum annehmen darf. Bei Willigis vermeidet B die Nennung des Namens Willigis, während A ihn hat. Wäre die Fassung von B ursprünglich, hätte A aus einem anderen Geschichtswerk den Namen ergänzen müssen.
Ignoriert hatte ich die Hinweise Johaneks (in: Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtzsein im späten Mittelalter, 1987, S. 322) auf eine mittelrheinische Provenienz der Langfassung B, die auch zum Mainzer Bischof Hatto Sondergut hat. Man kann sich leicht anhand des Digitalisats einer zweiten B-Handschrift, des Münchner Cgm 331, davon überzeugen, dass Johanek diese Zusätze fälschlich der von ihm irrig an den Mittelrhein gesetzten Heidelberger Handschrift (Schreibsprache: bairisch) zuwies. Sie gehören der Fassung B als Ganzes an. Diese dürfte nach der Langfassung A am Ende des 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts am Mittelrhein (eventuell in Mainz?) zusammengestellt worden sein.
Die eigenständige Willigis-Tradition der im Cpg 5 überlieferten Langfassung B der Gmünder Kaiserchronik besteht aus zwei Erzählungen: aus einer ätiologischen Erzählung über den Ursprung des Mainzer Wappens und einer Erzählung über das Verhalten des Erzbischofs gegenüber seinem Vater, dem Wagner. Zunächst wird berichtet, dass sich Bürger des Mainzer Stadtrats und die Domherren, die weder Wappen noch Banner bis dahin geführt haben, zu dem Bischof begeben, um ihn zu bitten, er möge vom Kaiser für das Bistum, das Stift und die Stadt Mainz ein Wappen erwirken, damit sie in Feldzügen kenntlich seien. Der Bischof lehnt dies unter Hinweis auf seine bäuerliche Herkunft ab. Als Bischof will er ein Pflugrad im Banner führen, die Stadt Mainz soll zwei Pflugräder und der Dom (also das Domkapitel) den Patron St. Martin führen. Die zweite Erzählung: Bei einer festlichen Veranstaltung lädt der Bischof auch seinen Vater ein, der von den Domherren kostbar eingekleidet wird, da er als schlichter Wagner erschienen war. Aber der Bischof verleugnet seinen Vater und lässt ihn erst dann am Tisch - vor der Ritterschaft - Platz nehmen, als dieser wieder sein Fell angezogen hat.
Dobras meinte, dass der Text aus dem Cpg 5 "möglicherweise Bestrebungen des Domkapitels widerspiegelt, das um 1475 auch über das Wappen die Abhängigkeit der Stadt vom Erzstift nachzuweisen versuchte" (Mail vom 9.1.2013) und verwies auf ein Schreiben von 1475 (vgl. Dobras S. 212 mit Anm. 73), mit dem das Domkapitel die Herrschaft über die Stadt Mainz auch mit dem Wappen begründen wollte. Ich weiß nicht, ob man so weit gehen sollte, denn eine Abwertung der Stadt Mainz zugunsten des Domkapitels ist nicht erkennbar, sieht man davon ab, dass dieses den Dom- und Stiftspatron St. Martin führen darf.
Die ganze Passage unterstreicht die Demut des Erzbischofs, aber auch die ständische Ordnung. Es ist ein Exemplum nicht nur für humilitas, sondern auch für die Gültigkeit der Standesschranken. Willigis soll stets seiner Herkunft eingedenk sein, sein auf diese Herkunft bezügliches Rad hat als Unterscheidungszeichen keinerlei unehrlichen Beigeschmack und ist vollauf ausreichend, und der Vater muss auch in der Kleidung seinem bäuerlichen Stand verbunden bleiben. Dass es ein Wagnerssohn so weit gebracht hat, ist nur auf den ersten Blick ein Beispiel für soziale Mobilität. Die Erweiterungen der Langfassung B schärfen jedoch ein, dass die soziale Ordnung dadurch nicht gesprengt werden darf: Schuster bleib bei deinen Leisten!
#forschung
#erzählforschung

KlausGraf - am Mittwoch, 23. Januar 2013, 22:50 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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KlausGraf - am Montag, 14. Januar 2013, 01:01 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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Theodor Gottliebs Monographie (1900) ist online:
https://hdl.handle.net/2027/uc1.b3389092
Update: Handschriften aus seinem Besitz und seinem Umkreis sind online bei der ÖNB:
https://www.onb.ac.at/bibliothek/digitaler_lesesaal.htm
(Handschriften wählen und bei "Suche verfeinern" Maximilian eingeben)
https://hdl.handle.net/2027/uc1.b3389092
Update: Handschriften aus seinem Besitz und seinem Umkreis sind online bei der ÖNB:
https://www.onb.ac.at/bibliothek/digitaler_lesesaal.htm
(Handschriften wählen und bei "Suche verfeinern" Maximilian eingeben)
KlausGraf - am Donnerstag, 10. Januar 2013, 14:32 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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https://bibliothekarisch.de/blog/2013/01/09/ot-weichgespuelt-abgerundet-den-sprachlichen-charme-verloren/
"Ich ärgere mich derzeit darüber, dass Kinderbücher derzeit regelrecht verstümmelt werden. An weichgespülte verdisneysierte amerikanische Märchenversionen hat man sich ja irgendwie schon gewöhnt, aber braucht man Kinderbuchklassiker wirklich “politisch korrekt”? Geht da nicht zu viel Charme verloren, wenn Kinder eine plattgedrückte, abgerundete Version in einer Einheitssprache zu lesen bekommen? Wo bleibt der sprachliche Lerneffekt, wenn man veraltete Begrifflichkeiten aus diesen Büchern klaut, anstatt zu erklären, was sie bedeuten, warum man sie vielleicht nicht mehr verwenden sollte und was stattdessen die bessere Variante wäre.
Jetzt vergreift man sich doch tatsächlich an Ottfried Preußlers “Die kleine Hexe” weil Begriffe wie “Negerlein” “Chinesenmädchen” und “Zigeuner” nicht mehr politisch en vogue sind und irgendjemand sich dadurch auf den Schlips getreten fühlt. Sorgen wir so nicht für eine Verarmung der Sprache und für den Verlust eines gesunden Sprachgefühls? Verlieren wir so nicht ein Stück Geschichte und Geschichtsbewusstsein, weil Änderungen in Einstellungen so verloren gehen?"
Schreibt Dörte Böhner und sie hat Recht.
Wie sollen Archivfindbücher mit dem Begriff "Zigeuner" umgehen? Dank der starken Position des Landesarchivs BW taucht der Benutzer der Deutschen Digitalen Bibliothek sehr rasch in archivische Findmittel ein:
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/searchresults?query=zigeuner
Update:
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kleine-hexe-ohne-negerlein-wir-wollen-vorlesen-und-nichts-erklaeren-muessen-12019434.html
"Ich ärgere mich derzeit darüber, dass Kinderbücher derzeit regelrecht verstümmelt werden. An weichgespülte verdisneysierte amerikanische Märchenversionen hat man sich ja irgendwie schon gewöhnt, aber braucht man Kinderbuchklassiker wirklich “politisch korrekt”? Geht da nicht zu viel Charme verloren, wenn Kinder eine plattgedrückte, abgerundete Version in einer Einheitssprache zu lesen bekommen? Wo bleibt der sprachliche Lerneffekt, wenn man veraltete Begrifflichkeiten aus diesen Büchern klaut, anstatt zu erklären, was sie bedeuten, warum man sie vielleicht nicht mehr verwenden sollte und was stattdessen die bessere Variante wäre.
Jetzt vergreift man sich doch tatsächlich an Ottfried Preußlers “Die kleine Hexe” weil Begriffe wie “Negerlein” “Chinesenmädchen” und “Zigeuner” nicht mehr politisch en vogue sind und irgendjemand sich dadurch auf den Schlips getreten fühlt. Sorgen wir so nicht für eine Verarmung der Sprache und für den Verlust eines gesunden Sprachgefühls? Verlieren wir so nicht ein Stück Geschichte und Geschichtsbewusstsein, weil Änderungen in Einstellungen so verloren gehen?"
Schreibt Dörte Böhner und sie hat Recht.
Wie sollen Archivfindbücher mit dem Begriff "Zigeuner" umgehen? Dank der starken Position des Landesarchivs BW taucht der Benutzer der Deutschen Digitalen Bibliothek sehr rasch in archivische Findmittel ein:
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/searchresults?query=zigeuner
Update:
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kleine-hexe-ohne-negerlein-wir-wollen-vorlesen-und-nichts-erklaeren-muessen-12019434.html
KlausGraf - am Mittwoch, 9. Januar 2013, 22:19 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
Der Oberrheinische Revolutionär. Das buchli der hundert capiteln mit xxxx statuten. Hrsg. v. Klaus H. Lauterbach. (Monumenta Germaniae Historica. Staatsschriften des späteren Mittelalters, Bd. 7)
Hannover, Hahnsche Buchhandlung 2009. LXI, 854 S., 7 Abb., Euro 125,–. Digitalisat des MDZ (Volltextsuche vorerst via Google Books)
In einem Wissenschaftsblog könnte und sollte man ein solches Werk rascher besprechen. Das Prokrastinieren war in diesem Fall freilich nicht ohne Grund. Seit 1987 beobachte ich Lauterbachs Beschäftigung mit dem hier edierten Reformtext (entstanden wohl 1498/1509), und meinen wiederholten Widerspruch gegen seine Verfasserthese Matthias Wurm darf man ruhig eine Fehde nennen. Bei der Beschäftigung mit der lange erwarteten Ausgabe bin ich auf handwerkliche Mängel gestoßen, die ich nicht als marginal ansehe. Eine gerechte und faire Würdigung ist mir leider nicht möglich, auch wenn ich mich bemühen möchte, die positiven Punkte ebenfalls zur Geltung zu bringen.
An anderen Rezensionen sind mir nur vier bekannt geworden, davon nur zwei Open Access. Peter Blickle hat in der Historischen Zeitschrift 292 (2011), S. 775-778 das Buch vergleichsweise ausführlich und sehr positiv gewürdigt: "Klaus H. Lauterbach hat mit seiner umsichtigen und beeindruckenden Edition einer Quelle von hoher Komplexität nicht nur für die Geschichtswissenschaft, sondern auch für die Germanistik und die Rechtswissenschaft Grundlagenarbeit geleistet." (S. 778). Tom Scott, der mit Lauterbachs Verfasserthese sympathisiert, ist ebenfalls des Lobes voll: "Whatever reservations may be entered against a specific authorship (and as editor Lauterbach does not abuse his privilege by insisting on Mathias Wurm), the edition represents a landmark of scholarship, from which any future discussion of the ‘Booklet’ must proceed." (German History 28, 2010, S. 574f.). Kerstin Hitzbleck, Assistentin in Bern, attestiert: "die Edition selbst erweist sich als ein Musterbeispiel an Präzision" (sehepunkte 2010). Dass man das mit guten Gründen anders sehen darf, werde ich zu zeigen haben.
Nur der Vollständigkeit halber sei die positive Rezension von Christof Paulus für die ZRG GA erwähnt (online bei Köbler).
Lauterbach hat 1985 die Edition von Hermann Heimpel angetragen bekommen. Dass er sie - als Gymnasiallehrer beruflich stark belastet - nun endlich doch vorlegen konnte, ist ihm hoch anzurechnen. Und bei aller Kritik: Es stimmt, dass es sich um einen Meilenstein handelt, von dem alle künftige Forschung zum Oberrheiner auszugehen hat. Niemand kennt den Text besser als Lauterbach. Die ausführliche Einleitung ist für die Quellenkritik unverzichtbar, die unendlich mühsamen Recherchen nach den Quellen des Oberrheiners verdienen höchsten Dank und die Kommentierung ist meist profund.
Als ausgesprochen positiv empfinde ich die Zurückhaltung Lauterbachs, die Quellenausgabe nicht mit langen Ausführungen zur Verfasserfrage oder gar einer Verteidigung seiner verfehlten Wurm-These zu belasten, an der er leider zäh fest hält.
Ich konzentriere mich im folgenden auf die Kritik und exemplarische Beispiele, da es mir nicht möglich war, eine große Zahl von Seiten komplett zu überprüfen.
1. Lauterbach huldigt dem Laster der Superbia, was die Leistungen anderer angeht
Schon in seiner Dissertation von 1985 saß er auf einem sehr hohen Ross. Er hätte es überhaupt nicht nötig, die Sekundärliteratur in so ärgerlicher Weise auszublenden, wie er es tut. Daher sei ganz unmissverständlich festgehalten, dass entgegen dem in der Ausgabe erweckten Eindruck auch andere wertvolle Beiträge zum Verständnis des "Oberrheinischen Revolutionärs" (= OR) geliefert haben. Er hat den Text nicht gepachtet.
Da die Literatur zum Oberrheiner ausgesprochen überschaubar ist, ist es ganz und gar inakzeptabel, dass die jetzt maßgebliche Ausgabe darauf verzichtet, die bibliographisch relevanten Beiträge in ihr Literaturverzeichnis aufnehmen. Es fehlt sogar die Monographie von Kraft 1982.
Zur Bibliographie:
https://www.geschichtsquellen.de/repOpus_04086.html
Ergänzungen gegenüber den "Geschichtsquellen":
Herbert A. Arnold: Time, History and Justice in the Book of 100 Chapters and 40 Statutes of the Revolutionary of the Upper Rhine. In: Fifteenth-Century Studies 23 (1997), S. 93-100 (von Sabine Schmolinksy im Artikel zum OR in Killy Literaturlexikon 2010 angeführt)
"mit NS-Tendenz O. Eckstein, Der O.R. Geschichtliche u. politische Würdigung einer Schrift z. Kirchen- u. Reichsreform um 1500, Bleicherode 1939" (aus Struves von Lauterbach nicht zitiertem Artikel im ²VL)
F. L. Borchardt, German Antiquity in Renaissance Myth, Baltimore-London 1971, S. 116–119 (ebd.)
T. Struve, Utopie u. gesellschaftliche Wirklichkeit. Zur Bedeutung d. Friedenskaisers im späten MA, HZ 225 (1977) 65–95, bes. S. 85 ff. (ebd.)
Almut Schneider: Anfang von Sprache, Ursprung von Macht. Zur Konstruktion der Sprachherkunft bei Johannes Rothe und dem Oberrheinischen Revolutionär, in: Muster und Funktionen kultureller Selbst- und Fremdwahrnehmung, 2000, S.278-302 (vom Verlag in der Verfasser-Datenbank 2012, basierend auf dem ²VL, ergänzt)
Von der älteren Literatur vermisse ich Haupts kurzen Aufsatz (1897) über Sprichwörter beim OR (ZfdPh via archive.org).
(Lauterbach gibt ein Verzeichnis der Sprichwörter unter "gemein spruch" (S. 754), verzichtet aber auf Nachweise zu den einzelnen Sprichwörtern, was vertretbar ist. Zum Abt, der Würfel dreht S. 536, notiere ich Heimpel, Vener II, S. 930.)
Dass selbst Boockmanns Rezensions-Miszelle der Franke-Ausgabe im DA 1969 fehlt, kann man nur mit Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen.
Von mir selbst zitiert Lauterbach nur das "Land Schwaben" von 1992, obwohl ich mich sehr viel ausführlicher zum OR in meinem Regionalismus-Aufsatz von 1988 geäußert habe. Nicht zitiert wird auch mein ausführlicher Internetbeitrag von 2002 gegen die Verfasserthese.
Was ich 1988 S. 182f. über die eigenartige Penates-Überlieferung des OR schrieb - Lauterbach geht in der Kommentierung S. 115, 240 einfach darüber hinweg. Redliches Arbeiten möchte ich das nicht nennen. Noch schlimmer: S. 126 Anm. 290 spricht Lauterbach ohne Hinweis auf mich vom "historischen Regionalismus" des OR, ein Konzept, das ich 1988 in die Forschung eingeführt habe.
Recht geschwätzig äußert sich Lauterbach S. 149 Anm. 434 anhand von Frohnhäuser 1870 (alles andere als taufrisch) über die Wibpin-Etymologie von Wimpfen. Wenn er sich schon nicht überwinden konnte, meinen Nachweis (1988, S. 182) aus der maßgeblichen Ausgabe der Chronik des Burkhard von Hall (MGH SS 30/2, S. 662) anzuführen, so hätte er doch wenigstens die Quelle zitieren können.
Doch Lauterbach ignoriert nicht nur mich. Dietrich Kurze hatte sich in der HZ 210 (1970), S. 413f. zu Frankes Ausgabe geäußert und dort die Stelle (Lauterbach S. 340) über das frühere Krötenwappen der französischen Könige schlüssig erklärt. Lauterbach übersieht diesen ja prominent genug publizierten Beitrag.
Beim Bischof von "craget" (S. 423) glaube ich Boockmann a.a.O. S. 538, der Andrea Zamometić (Erzbischof von Krain) vermutet, während Lauterbach mit Matthäus von Krakau wohl falsch liegt. Selbstverständlich kannte Lauterbachs Boockmanns Besprechung, wie das Literaturverzeichnis seiner Dissertation zeigt. Eugen Hillenbrand hat sich in seinem Aufsatz zum Offenburger Turnier 1483 der überzeugenden Identifizierung Boockmanns angeschlossen (ZGO 1983, S. 275f.).
Wer sich mit schwer verständlichen lateinischen Inkunabeln plagen muss, kann offenbar nicht auch noch dieses neumodische Teufelszeugs Internet zur Kenntnis nehmen, mit dessen Hilfe Lauterbach in nicht wenigen Fällen von ihm übersehene moderne Sekundärliteratur hätte ermitteln können.
Wem nützt S. 423 Anm. 2050 der alleinige Verweis auf Joachimsohns immer noch verdienstvolles, aber doch durch neuere Forschung überholtes Werk zu Gregor Heimburg (Lauterbach falsch: Gregor von Heimburg)? Hier wie auch sonst verzichtet Lauterbach auf das Zitat maßgeblicher Nachschlagewerke (²VL, Lexikon des Mittelalters usw.), die den besseren Forschungstand bieten. Hier wie auch mitunter sonst hat Lauterbach bei der Kommentierung nicht das rechte Maß getroffen, er breitet immer wieder überflüssiges Wissen aus (siehe etwa S. 358 Anm. 1730 zur Schlacht von Dornach).
Mentgens 2005 erschienenes Buch "Astrologie und Öffentlichkeit" ist nicht berücksichtigt, obwohl die Rolle der Astrologie für den OR hoch zu veranschlagen ist.
Zur Schlacht von Grandson S. 217 (Lauterbach: Granson, Querverweis zu S. 357 fehlt, wo richtig Grandson) sollte man nun wirklich etwas anderes zu zitieren haben als Calmettes Buch über die großen Herzöge von Burgund.
S. 261 sollte man zum Laurin-Zeugnis die Heldenbuchprosa ganz gewiss nicht mehr nach Keller wiedergeben. Zur Stelle außer Graf 1988 183 Anm. 70 auch den in Lienerts Dietrich-Testimonien 2008 S. 256 N37 (=OR-Testimonium) angeführten Aufsatz Heroisches Herkommen (1993, S. 56) von mir.
S. 349 führt Lauterbach zur Breisacher Inschrift nur die Chronik von Stumpff an, statt die maßgeblichen Ausführungen von Mertens (in: Die Zähringer I, 1991, S. 159) zur Kenntnis zu nehmen. Auch sonst sehe ich etliche Stumpff-Belege kritisch (vgl. z.B. S. 256), da Stumpff ein halbes Jahrhundert nach dem OR schrieb.
S. 142 wird Lauterbach nicht im mindesten dem Erzählmotiv "Unterirdischer Gang" gerecht (siehe etwa die Enzyklopädie des Märchens s.v. Gang: Unterirdischer).
S. 146, 153-155 wird kein Hinweis auf die spätmittelalterlichen Trebeta-Traditionen (siehe Haari-Oberg) gegeben.
2. Lauterbachs Texterstellung begegnet gewissen Zweifeln
Weder habe ich, was mir als Freiburger Lehrbeauftragtem ja einigermaßen zumutbar gewesen wäre, die Colmarer Handschrift - codex unicus - mir vor Ort vorlegen lassen noch war eine Anfrage nach einigen Seiten aus dem Mikrofilm der MGH-Bibliothek im Januar 2010 von Erfolg gekrönt. Herr Lauterbach müsse noch Abschlussarbeiten vornehmen, hieß es damals. Ich habe dann die Sache auf sich beruhen lassen. Helmut G. Walther hat (in: Gewalt und ihre Legitimation, 2003, S. 27f.) eine Passage aus der Handschrift zitiert. Es ergeben sich eine Reihe von Abweichungen gegenüber Lauterbachs Text.
Bei einer Kollation von Abbildung 3 (Bl. 181v) mit Lauterbachs Text stellte ich keine dramatischen Verlesungen fest, wenngleich nicht verschwiegen sei, dass S. 546 Zeile 19 statt geseit eindeutig geseitt (so auch Franke!) zu lesen ist. Zeile 16 ist über den n in "vffsehen han" jeweils ein Strich.
In Abbildung 4a lese ich vntrru+ow statt untruw (S. 229 Zeile 8). Etwas weiter sehe ich her' (ediert: her), oder' (ediert: oder) pe'ga- (ediert: perga-). Die Wiedergabe der r-Haken bringt die Editoren solcher Vorlagen regelmäßig zur Verzweiflung. Um so mehr erstaunt, dass es Lauterbach nicht für nötig erachtet, S. 39f. auf diese Eigenheit einzugehen.
Wiederholt begegneten mir Texteingriffe Lauterbachs, die ich nicht nachvollziehen kann. Beispielsweise frage ich, wieso S. 306 "frummen" ergänzt werden musste. Oder S. 231 "vnd [so] er das nit tu+ot", "wolt irs verzichtnusß tu+on, [als] daß man das kindt solt teilen" (spitze Klammern durch eckige ersetzt) - beidemale aus meiner Sicht überflüssige Ergänzungen. Ergänzungen sind nicht dafür da, dass man einen Text bequemer liest.
Wieso muss S. 546 "was ich tu+on, sond ir ouch tu+on" geändert werden (tu+o anstelle des ersten tu+on)? Wieso kann Lauterbach auf der gleichen Seite "rouben mulen kilchen brennen" nicht stehenlassen, sondern muss ein "und" einschieben? Dergleichen weckt Zweifel an Lauterbachs sprachhistorischer Kompetenz.
3. Die Register der Ausgabe sind in nicht hinnehmbarem Ausmaß lückenhaft
Dass Orts- und Personennamen im Register fehlen ist bei einer MGH-Ausgabe schlichtweg nicht entschuldbar. Die MGH hätte dafür sorgen müssen, dass jemand Lauterbachs schludriges Register kontrolliert.
Ausgerechnet der Ortsname Niklashausen fehlt (S. 449), während unter Hans Böheim wohl eher wenige suchen werden.
Da Erfurt ("erfordt") im Register fehlt, wird auf das entsprechende Exempel S. 484 nur der stoßen, der den Text ganz durchliest. Lauterbach kann nicht zugeben, wenn er etwas nicht weiß. Er lässt Textstellen daher unkommentiert, wenn er nichts mit ihnen anfangen kann. Meines Erachtens dürfte eine Reminiszenz des Erfurter Latrinensturzes von 1184 vorliegen.
Weitere Beispiele, die mir auffielen: S. 168 pariser land fehlt bei Paris; S. 182 Arfraxus fehlt; S. 253 Gideon fehlt; S. 320 Aretino fehlt; S. 358 Randglosse Schwaderloch fehlt; S. 449 St. Jakob fehlt; S. 451 Urias fehlt; S. 477 Westfalen fehlt; S. 508 Nikolaus de Lyra fehlt (und S. 508 ist auch nicht im Stellenregister S. 616 vertreten); S. 511 Clermont Ferrand, Adrianus fehlen; S. 512 Paulus, macedonia fehlen; S. 514 Salomo fehlt; S. 516 greci fehlt; S. 522 Cato fehlt; S. 523 Cicero fehlt; S. 532 Eusebius fehlt; S. 575 Ruprecht (Randnotiz) fehlt; S. 579 Salomo fehlt.
Dass von Bingen auf das Lemma Elsaß verwiesen wird, ist befremdlich genug. Dass die Bingen-Nennung S. 362 fehlt, bestätigt meinen Eindruck, dass bei den ganz wichtigen Orts- und Personennamen Lauterbach in unverantwortlicher Weise geschludert hat.
Über das Wortregister könnte man natürlich endlos streiten. Es gibt freilich eklatante Inkonsistenzen. Man vergleiche nur die Lemmata hirt, schoffstal und stal (eine Lieblingsformulierung des OR). Was soll ein Register, in dem der Schlüsselbegriff rosengarten (vgl. S. 559, 563 und zu gart S. 234, 363) fehlt?
Im Wortregister S. 749 zu gedechtnus fehlt der Beleg S. 229.
Was ist ein "armnisser" (S. 182)? Wenn Lauterbach wie schon Franke das Wort nicht verstanden hat (auch ich bin ratlos), hätte er es doch ins Wortregister aufnehmen müssen. Gleicher Fall: "hundlutz" (S. 228).
Wer wissen will, was "schmonchlecher" sind (S. 381), muss zu Frankes Ausgabe S. 382 greifen: Schmeichler, Ohrenbläser. Kein Eintrag in Lauterbachs Glossar. S. 304 "tachrouber" (Tagedieb) hätte ebenfalls erklärt werden müssen, desgleichen S. 529 "rodel", S. 560 "klaffer", "fuller". S. 381 "plaphart" fehlt (siehe aber Haupts Glossar). "hals her " (S. 183) - Haupts Glossar hatte Halsherr mit guten Gründen aufgenommen. Lauterbach setzt sich zum Schaden aller Benutzer seiner Edition einmal mehr über die Leistungen seiner Vorgänger hinweg.
4. Ab und zu begegnen kleinere Schlampereien
Stichprobe aus dem Literaturverzeichnis: S. LV Martins Städtepolitik erschien 1976, nicht 1989, S. LVI bei Möhring ist die Reihe ungenau zitiert, Mordek (vor Moltke eingereiht!) erschien 1995, nicht 1998, bei Moltke muss es "in die Steiermark" heißen. (Von Nehring gibt es eine ergänzte zweite Auflage 1984, vorhanden UB Freiburg!)
S. 647 ist bei Regino lib. 1, cap. 28 falsch, es muss 281 heißen.
S. 688 verweist Lauterbach bei Ovid (wenig glücklich bei Publius eingeordnet) auf das Stellenregister, das aber zu Ovid gar keinen Eintrag hat!
S. 223 Anm. 869 zu Telesphorus ist identisch mit S. 295 Anm. 1340, ohne dass es einen Querverweis gibt. Zur Erwähnung des Kolbengerichts S. 183 wäre ein Verweis auf die Randbemerkung Schweglers S. 325 geboten gewesen, zumal das Wortregister zu kolbengericht nur S. 183 ausweist. S. 229 und 491 werden die gleichen Verse ohne Querverweis zitiert. S. 356 gibt es keinen Rückverweis zu S. 270.
S. 689 Lemma Rhein 176,4 muss 176,5 heißen.
Fazit: Vor allem die Mängel in den Registern beeinträchtigen die Brauchbarkeit der Edition in nennenswerten Ausmaß. Sicher darf Hitzbleck von "stupender Gelehrtsamkeit" sprechen. Mir ist es jedoch unbenommen darauf zu insistieren, dass auch bei diesem prima facie so imponierenden Werk genau hingeschaut wird. Mängelbehaftet ist jedes Buch, aber hier sind es so viele Mängel, dass ich nicht über sie hinwegsehen will.
#forschung

Hannover, Hahnsche Buchhandlung 2009. LXI, 854 S., 7 Abb., Euro 125,–. Digitalisat des MDZ (Volltextsuche vorerst via Google Books)
In einem Wissenschaftsblog könnte und sollte man ein solches Werk rascher besprechen. Das Prokrastinieren war in diesem Fall freilich nicht ohne Grund. Seit 1987 beobachte ich Lauterbachs Beschäftigung mit dem hier edierten Reformtext (entstanden wohl 1498/1509), und meinen wiederholten Widerspruch gegen seine Verfasserthese Matthias Wurm darf man ruhig eine Fehde nennen. Bei der Beschäftigung mit der lange erwarteten Ausgabe bin ich auf handwerkliche Mängel gestoßen, die ich nicht als marginal ansehe. Eine gerechte und faire Würdigung ist mir leider nicht möglich, auch wenn ich mich bemühen möchte, die positiven Punkte ebenfalls zur Geltung zu bringen.
An anderen Rezensionen sind mir nur vier bekannt geworden, davon nur zwei Open Access. Peter Blickle hat in der Historischen Zeitschrift 292 (2011), S. 775-778 das Buch vergleichsweise ausführlich und sehr positiv gewürdigt: "Klaus H. Lauterbach hat mit seiner umsichtigen und beeindruckenden Edition einer Quelle von hoher Komplexität nicht nur für die Geschichtswissenschaft, sondern auch für die Germanistik und die Rechtswissenschaft Grundlagenarbeit geleistet." (S. 778). Tom Scott, der mit Lauterbachs Verfasserthese sympathisiert, ist ebenfalls des Lobes voll: "Whatever reservations may be entered against a specific authorship (and as editor Lauterbach does not abuse his privilege by insisting on Mathias Wurm), the edition represents a landmark of scholarship, from which any future discussion of the ‘Booklet’ must proceed." (German History 28, 2010, S. 574f.). Kerstin Hitzbleck, Assistentin in Bern, attestiert: "die Edition selbst erweist sich als ein Musterbeispiel an Präzision" (sehepunkte 2010). Dass man das mit guten Gründen anders sehen darf, werde ich zu zeigen haben.
Nur der Vollständigkeit halber sei die positive Rezension von Christof Paulus für die ZRG GA erwähnt (online bei Köbler).
Lauterbach hat 1985 die Edition von Hermann Heimpel angetragen bekommen. Dass er sie - als Gymnasiallehrer beruflich stark belastet - nun endlich doch vorlegen konnte, ist ihm hoch anzurechnen. Und bei aller Kritik: Es stimmt, dass es sich um einen Meilenstein handelt, von dem alle künftige Forschung zum Oberrheiner auszugehen hat. Niemand kennt den Text besser als Lauterbach. Die ausführliche Einleitung ist für die Quellenkritik unverzichtbar, die unendlich mühsamen Recherchen nach den Quellen des Oberrheiners verdienen höchsten Dank und die Kommentierung ist meist profund.
Als ausgesprochen positiv empfinde ich die Zurückhaltung Lauterbachs, die Quellenausgabe nicht mit langen Ausführungen zur Verfasserfrage oder gar einer Verteidigung seiner verfehlten Wurm-These zu belasten, an der er leider zäh fest hält.
Ich konzentriere mich im folgenden auf die Kritik und exemplarische Beispiele, da es mir nicht möglich war, eine große Zahl von Seiten komplett zu überprüfen.
1. Lauterbach huldigt dem Laster der Superbia, was die Leistungen anderer angeht
Schon in seiner Dissertation von 1985 saß er auf einem sehr hohen Ross. Er hätte es überhaupt nicht nötig, die Sekundärliteratur in so ärgerlicher Weise auszublenden, wie er es tut. Daher sei ganz unmissverständlich festgehalten, dass entgegen dem in der Ausgabe erweckten Eindruck auch andere wertvolle Beiträge zum Verständnis des "Oberrheinischen Revolutionärs" (= OR) geliefert haben. Er hat den Text nicht gepachtet.
Da die Literatur zum Oberrheiner ausgesprochen überschaubar ist, ist es ganz und gar inakzeptabel, dass die jetzt maßgebliche Ausgabe darauf verzichtet, die bibliographisch relevanten Beiträge in ihr Literaturverzeichnis aufnehmen. Es fehlt sogar die Monographie von Kraft 1982.
Zur Bibliographie:
https://www.geschichtsquellen.de/repOpus_04086.html
Ergänzungen gegenüber den "Geschichtsquellen":
Herbert A. Arnold: Time, History and Justice in the Book of 100 Chapters and 40 Statutes of the Revolutionary of the Upper Rhine. In: Fifteenth-Century Studies 23 (1997), S. 93-100 (von Sabine Schmolinksy im Artikel zum OR in Killy Literaturlexikon 2010 angeführt)
"mit NS-Tendenz O. Eckstein, Der O.R. Geschichtliche u. politische Würdigung einer Schrift z. Kirchen- u. Reichsreform um 1500, Bleicherode 1939" (aus Struves von Lauterbach nicht zitiertem Artikel im ²VL)
F. L. Borchardt, German Antiquity in Renaissance Myth, Baltimore-London 1971, S. 116–119 (ebd.)
T. Struve, Utopie u. gesellschaftliche Wirklichkeit. Zur Bedeutung d. Friedenskaisers im späten MA, HZ 225 (1977) 65–95, bes. S. 85 ff. (ebd.)
Almut Schneider: Anfang von Sprache, Ursprung von Macht. Zur Konstruktion der Sprachherkunft bei Johannes Rothe und dem Oberrheinischen Revolutionär, in: Muster und Funktionen kultureller Selbst- und Fremdwahrnehmung, 2000, S.278-302 (vom Verlag in der Verfasser-Datenbank 2012, basierend auf dem ²VL, ergänzt)
Von der älteren Literatur vermisse ich Haupts kurzen Aufsatz (1897) über Sprichwörter beim OR (ZfdPh via archive.org).
(Lauterbach gibt ein Verzeichnis der Sprichwörter unter "gemein spruch" (S. 754), verzichtet aber auf Nachweise zu den einzelnen Sprichwörtern, was vertretbar ist. Zum Abt, der Würfel dreht S. 536, notiere ich Heimpel, Vener II, S. 930.)
Dass selbst Boockmanns Rezensions-Miszelle der Franke-Ausgabe im DA 1969 fehlt, kann man nur mit Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen.
Von mir selbst zitiert Lauterbach nur das "Land Schwaben" von 1992, obwohl ich mich sehr viel ausführlicher zum OR in meinem Regionalismus-Aufsatz von 1988 geäußert habe. Nicht zitiert wird auch mein ausführlicher Internetbeitrag von 2002 gegen die Verfasserthese.
Was ich 1988 S. 182f. über die eigenartige Penates-Überlieferung des OR schrieb - Lauterbach geht in der Kommentierung S. 115, 240 einfach darüber hinweg. Redliches Arbeiten möchte ich das nicht nennen. Noch schlimmer: S. 126 Anm. 290 spricht Lauterbach ohne Hinweis auf mich vom "historischen Regionalismus" des OR, ein Konzept, das ich 1988 in die Forschung eingeführt habe.
Recht geschwätzig äußert sich Lauterbach S. 149 Anm. 434 anhand von Frohnhäuser 1870 (alles andere als taufrisch) über die Wibpin-Etymologie von Wimpfen. Wenn er sich schon nicht überwinden konnte, meinen Nachweis (1988, S. 182) aus der maßgeblichen Ausgabe der Chronik des Burkhard von Hall (MGH SS 30/2, S. 662) anzuführen, so hätte er doch wenigstens die Quelle zitieren können.
Doch Lauterbach ignoriert nicht nur mich. Dietrich Kurze hatte sich in der HZ 210 (1970), S. 413f. zu Frankes Ausgabe geäußert und dort die Stelle (Lauterbach S. 340) über das frühere Krötenwappen der französischen Könige schlüssig erklärt. Lauterbach übersieht diesen ja prominent genug publizierten Beitrag.
Beim Bischof von "craget" (S. 423) glaube ich Boockmann a.a.O. S. 538, der Andrea Zamometić (Erzbischof von Krain) vermutet, während Lauterbach mit Matthäus von Krakau wohl falsch liegt. Selbstverständlich kannte Lauterbachs Boockmanns Besprechung, wie das Literaturverzeichnis seiner Dissertation zeigt. Eugen Hillenbrand hat sich in seinem Aufsatz zum Offenburger Turnier 1483 der überzeugenden Identifizierung Boockmanns angeschlossen (ZGO 1983, S. 275f.).
Wer sich mit schwer verständlichen lateinischen Inkunabeln plagen muss, kann offenbar nicht auch noch dieses neumodische Teufelszeugs Internet zur Kenntnis nehmen, mit dessen Hilfe Lauterbach in nicht wenigen Fällen von ihm übersehene moderne Sekundärliteratur hätte ermitteln können.
Wem nützt S. 423 Anm. 2050 der alleinige Verweis auf Joachimsohns immer noch verdienstvolles, aber doch durch neuere Forschung überholtes Werk zu Gregor Heimburg (Lauterbach falsch: Gregor von Heimburg)? Hier wie auch sonst verzichtet Lauterbach auf das Zitat maßgeblicher Nachschlagewerke (²VL, Lexikon des Mittelalters usw.), die den besseren Forschungstand bieten. Hier wie auch mitunter sonst hat Lauterbach bei der Kommentierung nicht das rechte Maß getroffen, er breitet immer wieder überflüssiges Wissen aus (siehe etwa S. 358 Anm. 1730 zur Schlacht von Dornach).
Mentgens 2005 erschienenes Buch "Astrologie und Öffentlichkeit" ist nicht berücksichtigt, obwohl die Rolle der Astrologie für den OR hoch zu veranschlagen ist.
Zur Schlacht von Grandson S. 217 (Lauterbach: Granson, Querverweis zu S. 357 fehlt, wo richtig Grandson) sollte man nun wirklich etwas anderes zu zitieren haben als Calmettes Buch über die großen Herzöge von Burgund.
S. 261 sollte man zum Laurin-Zeugnis die Heldenbuchprosa ganz gewiss nicht mehr nach Keller wiedergeben. Zur Stelle außer Graf 1988 183 Anm. 70 auch den in Lienerts Dietrich-Testimonien 2008 S. 256 N37 (=OR-Testimonium) angeführten Aufsatz Heroisches Herkommen (1993, S. 56) von mir.
S. 349 führt Lauterbach zur Breisacher Inschrift nur die Chronik von Stumpff an, statt die maßgeblichen Ausführungen von Mertens (in: Die Zähringer I, 1991, S. 159) zur Kenntnis zu nehmen. Auch sonst sehe ich etliche Stumpff-Belege kritisch (vgl. z.B. S. 256), da Stumpff ein halbes Jahrhundert nach dem OR schrieb.
S. 142 wird Lauterbach nicht im mindesten dem Erzählmotiv "Unterirdischer Gang" gerecht (siehe etwa die Enzyklopädie des Märchens s.v. Gang: Unterirdischer).
S. 146, 153-155 wird kein Hinweis auf die spätmittelalterlichen Trebeta-Traditionen (siehe Haari-Oberg) gegeben.
2. Lauterbachs Texterstellung begegnet gewissen Zweifeln
Weder habe ich, was mir als Freiburger Lehrbeauftragtem ja einigermaßen zumutbar gewesen wäre, die Colmarer Handschrift - codex unicus - mir vor Ort vorlegen lassen noch war eine Anfrage nach einigen Seiten aus dem Mikrofilm der MGH-Bibliothek im Januar 2010 von Erfolg gekrönt. Herr Lauterbach müsse noch Abschlussarbeiten vornehmen, hieß es damals. Ich habe dann die Sache auf sich beruhen lassen. Helmut G. Walther hat (in: Gewalt und ihre Legitimation, 2003, S. 27f.) eine Passage aus der Handschrift zitiert. Es ergeben sich eine Reihe von Abweichungen gegenüber Lauterbachs Text.
Bei einer Kollation von Abbildung 3 (Bl. 181v) mit Lauterbachs Text stellte ich keine dramatischen Verlesungen fest, wenngleich nicht verschwiegen sei, dass S. 546 Zeile 19 statt geseit eindeutig geseitt (so auch Franke!) zu lesen ist. Zeile 16 ist über den n in "vffsehen han" jeweils ein Strich.
In Abbildung 4a lese ich vntrru+ow statt untruw (S. 229 Zeile 8). Etwas weiter sehe ich her' (ediert: her), oder' (ediert: oder) pe'ga- (ediert: perga-). Die Wiedergabe der r-Haken bringt die Editoren solcher Vorlagen regelmäßig zur Verzweiflung. Um so mehr erstaunt, dass es Lauterbach nicht für nötig erachtet, S. 39f. auf diese Eigenheit einzugehen.
Wiederholt begegneten mir Texteingriffe Lauterbachs, die ich nicht nachvollziehen kann. Beispielsweise frage ich, wieso S. 306 "frummen" ergänzt werden musste. Oder S. 231 "vnd [so] er das nit tu+ot", "wolt irs verzichtnusß tu+on, [als] daß man das kindt solt teilen" (spitze Klammern durch eckige ersetzt) - beidemale aus meiner Sicht überflüssige Ergänzungen. Ergänzungen sind nicht dafür da, dass man einen Text bequemer liest.
Wieso muss S. 546 "was ich tu+on, sond ir ouch tu+on" geändert werden (tu+o anstelle des ersten tu+on)? Wieso kann Lauterbach auf der gleichen Seite "rouben mulen kilchen brennen" nicht stehenlassen, sondern muss ein "und" einschieben? Dergleichen weckt Zweifel an Lauterbachs sprachhistorischer Kompetenz.
3. Die Register der Ausgabe sind in nicht hinnehmbarem Ausmaß lückenhaft
Dass Orts- und Personennamen im Register fehlen ist bei einer MGH-Ausgabe schlichtweg nicht entschuldbar. Die MGH hätte dafür sorgen müssen, dass jemand Lauterbachs schludriges Register kontrolliert.
Ausgerechnet der Ortsname Niklashausen fehlt (S. 449), während unter Hans Böheim wohl eher wenige suchen werden.
Da Erfurt ("erfordt") im Register fehlt, wird auf das entsprechende Exempel S. 484 nur der stoßen, der den Text ganz durchliest. Lauterbach kann nicht zugeben, wenn er etwas nicht weiß. Er lässt Textstellen daher unkommentiert, wenn er nichts mit ihnen anfangen kann. Meines Erachtens dürfte eine Reminiszenz des Erfurter Latrinensturzes von 1184 vorliegen.
Weitere Beispiele, die mir auffielen: S. 168 pariser land fehlt bei Paris; S. 182 Arfraxus fehlt; S. 253 Gideon fehlt; S. 320 Aretino fehlt; S. 358 Randglosse Schwaderloch fehlt; S. 449 St. Jakob fehlt; S. 451 Urias fehlt; S. 477 Westfalen fehlt; S. 508 Nikolaus de Lyra fehlt (und S. 508 ist auch nicht im Stellenregister S. 616 vertreten); S. 511 Clermont Ferrand, Adrianus fehlen; S. 512 Paulus, macedonia fehlen; S. 514 Salomo fehlt; S. 516 greci fehlt; S. 522 Cato fehlt; S. 523 Cicero fehlt; S. 532 Eusebius fehlt; S. 575 Ruprecht (Randnotiz) fehlt; S. 579 Salomo fehlt.
Dass von Bingen auf das Lemma Elsaß verwiesen wird, ist befremdlich genug. Dass die Bingen-Nennung S. 362 fehlt, bestätigt meinen Eindruck, dass bei den ganz wichtigen Orts- und Personennamen Lauterbach in unverantwortlicher Weise geschludert hat.
Über das Wortregister könnte man natürlich endlos streiten. Es gibt freilich eklatante Inkonsistenzen. Man vergleiche nur die Lemmata hirt, schoffstal und stal (eine Lieblingsformulierung des OR). Was soll ein Register, in dem der Schlüsselbegriff rosengarten (vgl. S. 559, 563 und zu gart S. 234, 363) fehlt?
Im Wortregister S. 749 zu gedechtnus fehlt der Beleg S. 229.
Was ist ein "armnisser" (S. 182)? Wenn Lauterbach wie schon Franke das Wort nicht verstanden hat (auch ich bin ratlos), hätte er es doch ins Wortregister aufnehmen müssen. Gleicher Fall: "hundlutz" (S. 228).
Wer wissen will, was "schmonchlecher" sind (S. 381), muss zu Frankes Ausgabe S. 382 greifen: Schmeichler, Ohrenbläser. Kein Eintrag in Lauterbachs Glossar. S. 304 "tachrouber" (Tagedieb) hätte ebenfalls erklärt werden müssen, desgleichen S. 529 "rodel", S. 560 "klaffer", "fuller". S. 381 "plaphart" fehlt (siehe aber Haupts Glossar). "hals her " (S. 183) - Haupts Glossar hatte Halsherr mit guten Gründen aufgenommen. Lauterbach setzt sich zum Schaden aller Benutzer seiner Edition einmal mehr über die Leistungen seiner Vorgänger hinweg.
4. Ab und zu begegnen kleinere Schlampereien
Stichprobe aus dem Literaturverzeichnis: S. LV Martins Städtepolitik erschien 1976, nicht 1989, S. LVI bei Möhring ist die Reihe ungenau zitiert, Mordek (vor Moltke eingereiht!) erschien 1995, nicht 1998, bei Moltke muss es "in die Steiermark" heißen. (Von Nehring gibt es eine ergänzte zweite Auflage 1984, vorhanden UB Freiburg!)
S. 647 ist bei Regino lib. 1, cap. 28 falsch, es muss 281 heißen.
S. 688 verweist Lauterbach bei Ovid (wenig glücklich bei Publius eingeordnet) auf das Stellenregister, das aber zu Ovid gar keinen Eintrag hat!
S. 223 Anm. 869 zu Telesphorus ist identisch mit S. 295 Anm. 1340, ohne dass es einen Querverweis gibt. Zur Erwähnung des Kolbengerichts S. 183 wäre ein Verweis auf die Randbemerkung Schweglers S. 325 geboten gewesen, zumal das Wortregister zu kolbengericht nur S. 183 ausweist. S. 229 und 491 werden die gleichen Verse ohne Querverweis zitiert. S. 356 gibt es keinen Rückverweis zu S. 270.
S. 689 Lemma Rhein 176,4 muss 176,5 heißen.
Fazit: Vor allem die Mängel in den Registern beeinträchtigen die Brauchbarkeit der Edition in nennenswerten Ausmaß. Sicher darf Hitzbleck von "stupender Gelehrtsamkeit" sprechen. Mir ist es jedoch unbenommen darauf zu insistieren, dass auch bei diesem prima facie so imponierenden Werk genau hingeschaut wird. Mängelbehaftet ist jedes Buch, aber hier sind es so viele Mängel, dass ich nicht über sie hinwegsehen will.
#forschung
KlausGraf - am Donnerstag, 27. Dezember 2012, 18:58 - Rubrik: Geschichtswissenschaft

Ein flämischer Buchmaler des 15. Jahrhunderts schuf diese Darstellung eines Turniers vor König Artus (Bodleiana Oxford, Ms. Douce 383, Bl. 16r).
Über das Mainzer Turnier von 1480 referiere ich am 7. Januar 2013 vor dem Altertumsverein Mainz.
Siehe auch https://archiv.twoday.net/stories/232599996/
KlausGraf - am Mittwoch, 26. Dezember 2012, 00:15 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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KlausGraf - am Dienstag, 25. Dezember 2012, 00:07 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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Bio:
https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Wapnewski
Sein Abriß "Deutsche Literatur des Mittelalters" (5. Auflage 1990) ist online beim MDZ:
https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb00047849-4
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KlausGraf - am Sonntag, 23. Dezember 2012, 20:27 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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