Geschichtswissenschaft
Bei weit über 400 Artikeln dauert das Nachweisen und Erbetteln von Digitalisaten recht lang:
https://de.wikisource.org/wiki/Ferdinand_Wilhelm_Emil_Roth
Roth hat mich letztes Jahr lang beschäftigt. Ich hoffe, dass ich ihn als einen der größten Fälscher der Geschichtswissenschaft in absehbarer Zeit behandeln kann.
Heute kamen einige Scans aus der Stadtbibliothek Mainz an, der herzlich gedankt sei.
https://de.wikisource.org/wiki/Ferdinand_Wilhelm_Emil_Roth
Roth hat mich letztes Jahr lang beschäftigt. Ich hoffe, dass ich ihn als einen der größten Fälscher der Geschichtswissenschaft in absehbarer Zeit behandeln kann.
Heute kamen einige Scans aus der Stadtbibliothek Mainz an, der herzlich gedankt sei.
KlausGraf - am Freitag, 29. März 2013, 01:24 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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https://archive.org/details/FestprogrammGrossherzogFriedrichSiebzigsterGeburtstag
Darin vor allem von Bedeutung der Aufsatz von Aloys Schulte über freiherrliche Klöster in Baden. Reichenau, Waldkirch und Säckingen.
In der Reichenau-Festschrift von 1925 kam er auf das Thema zurück und bekräftigte seine Ergebnisse von 1896:
https://solo.bodleian.ox.ac.uk/primo_library/libweb/action/dlDisplay.do?vid=OXVU1&docId=oxfaleph012334852
Update:
https://ordensgeschichte.hypotheses.org/3412
Darin vor allem von Bedeutung der Aufsatz von Aloys Schulte über freiherrliche Klöster in Baden. Reichenau, Waldkirch und Säckingen.
In der Reichenau-Festschrift von 1925 kam er auf das Thema zurück und bekräftigte seine Ergebnisse von 1896:
https://solo.bodleian.ox.ac.uk/primo_library/libweb/action/dlDisplay.do?vid=OXVU1&docId=oxfaleph012334852
Update:
https://ordensgeschichte.hypotheses.org/3412
KlausGraf - am Donnerstag, 28. März 2013, 21:30 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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wbg.de
Die für eine klimageschichtliche Datenbank erstellte riesige Liste umfasst sowohl gedruckte als auch ungedruckte Chroniken, auch wenn die bibliografischen Angaben teilweise unterirdisch schlecht sind.
Die für eine klimageschichtliche Datenbank erstellte riesige Liste umfasst sowohl gedruckte als auch ungedruckte Chroniken, auch wenn die bibliografischen Angaben teilweise unterirdisch schlecht sind.
KlausGraf - am Mittwoch, 27. März 2013, 00:54 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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https://www.elbregion-flusswelten.de/
Mit Schriftenverzeichnis:
https://www.elbregion-flusswelten.de/texte/SVRZGT.pdf
Mit Schriftenverzeichnis:
https://www.elbregion-flusswelten.de/texte/SVRZGT.pdf
KlausGraf - am Mittwoch, 27. März 2013, 00:49 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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https://www.dilibri.de/id/1021244
Die Ausgabe von Konrad von Busch und Franz Xaver Glasschröder (1923/26) ist auch eine herausragende psosopographische Quelle zu spätmittelalterlichen Klerikern des Bistums Speyer.
https://archiv.twoday.net/search?q=busch+glasschr%C3%B6der
Die Ausgabe von Konrad von Busch und Franz Xaver Glasschröder (1923/26) ist auch eine herausragende psosopographische Quelle zu spätmittelalterlichen Klerikern des Bistums Speyer.
https://archiv.twoday.net/search?q=busch+glasschr%C3%B6der
KlausGraf - am Sonntag, 17. März 2013, 15:02 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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In https://ordensgeschichte.hypotheses.org/3104 habe ich rezensiert:
Monasticon Carmelitanum. Die Klöster des Karmeliterordens (O. Carm.) in Deutschland von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hrsg. von Edeltraud Klueting, Stephan Panzer und Andreas H. Scholten (= Monastica Carmelitana 2). Münster: Aschendorf 2012. 1032 S., 68 Euro.
Auszug:
Obwohl ich das Erscheinen des Bandes mit großem Respekt begrüße, möchte ich abschließend einmal mehr begründen, wieso ich der Überzeugung bin, dass solche gedruckte Nachschlagewerke im digitalen Zeitalter keine Zukunft haben sollten. Es führt kein Weg daran vorbei: Die Klosterbücher müssen digital und Open Access werden. Es muss sehr viel mehr von der Wikipedia gelernt werden. (Diese ist im übrigen das größte deutsche Klosterbuch.)
Open Access beseitigt die Preisbarriere. Nun ist der Band sehr preisgünstig, aber der Gelegenheitsnutzer wird doch auf Bibliotheksexemplare zurückgreifen, und da sieht es nach Ausweis des Karlsruher Virtuellen Katalogs gut zwei Monate nach dem Erscheinen noch nicht sehr gut aus.
Nur eine Volltextsuche erschließt einen solchen Text umfassend. Auch das beste Register hat Lücken, und viele Register sind schlecht durchdacht. So verhält es sich hier. Die wichtige Seitenzahl 510 zu Johann von Hildesheim, dem Prior von Marienau und Verfasser einer berühmten Dreikönigslegende (zu der man sich sorgfältigere Literaturangaben gewünscht hätte), fehlt. Zudem wird kaum jemand die Art und Weise, wie die verschiedenen Johannes im Personenregister nach Namensformen aneinandergereiht sind, benutzerfreundlich finden.
Das Internet ermöglicht es, Vorstufen zeitnah nach ihrer Entstehung zu publizieren und Nachträge bzw. Korrekturen vorzunehmen. Insbesondere bei kleineren Korrekturen, die in Aufsätzen oder Büchern versteckt werden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie von den Benutzern des Werks übersehen werden. Nötig ist ein kollaboratives, gemeinsames Arbeiten, am besten in einem Wiki. Es geht bei einem Klosterbuch um den Wissensfortschritt, nicht um die persönliche Eitelkeit der Autoren (auch wenn man manchmal einen anderen Eindruck hat). Daher sollten alle Forschungsergebnisse Open Access unter freier Lizenz (CC-BY, Daten: CC0) nachnutzbar sein.
Digitalisate können sofort verlinkt werden. Für mich ist das ein entscheidendes Argument. Sehr sporadisch begegnet man im Monasticon Internetadressen, aber wer tippt die ab? Angesichts der Tatsache, dass die Massendigitalisierung sehr große Teile der älteren Quellen und Literatur online zugänglich gemacht hat (und aus urheberrechtlichen Gründen leider sehr kleine der modernen Sekundärliteratur), kann man dem Forscher in vielen Fällen heute schon das Nachvollziehen der Belege durch einen Klick ermöglichen. Das ist die wissenschaftliche Zukunft und nichts anderes.
Einigermaßen fassungslos lese ich im Vorwort des Monasticons, dass die Ordensbibliothek in Washington die Digitalisierung der Frankfurter Karmeliterbücher im Frankfurter Stadtarchiv finanziert hat. Das ist nicht zu tadeln, sondern dass keine der beiden Institutionen die Digitalisate bislang Open Access zugänglich gemacht hat! Dieser herausragende Quellenbestand hat im ersten Teil zu den vormodernen Niederlassungen unzählige wichtige Hinweise gegeben. Er muss vorbehaltlos jedem Forscher und jeder Forscherin im Internet zur Verfügung stehen. Ein digitales Klosterbuch könnte auf diese Quellenstellen unmittelbar verlinken, wie man überhaupt bei jedem Projekt – also nicht nur ordensgeschichtlichen Unternehmungen – nach Möglichkeit alles an Quellen ins Netz stellen sollte, was man rechtlich darf. Blender. die Niveauloses mit vielen Fußnoten tarnen oder die Quellen nicht richtig lesen können, können so leicht enttarnt werden.
Bilder können unmittelbar eingebunden werden. Auch wenn die Karten nützlich und die Siegel lehrreich sind, ein opulenter Bilddteil sieht anders aus. Schon allein mit auf Wikimedia Commons zur Verfügung stehenden Bildern könnte sehr viel mehr Anschaulichkeit hergestellt werden.
Es sind Verknüpfungen mit Normdaten möglich. Im Augenblick illustriert bereits das geniale Konzept der BEACON-Dateien für die in die GND eingegangenen Personendaten (Beispiel für den Karmeliter Johann von Hildesheim), was künftig möglich sein wird. Ein digitales Nachschlagewerk kann solche Nachweise abrufen, aber selbst auch anbieten und den Datenpool damit bereichern.
Es ist nicht Aufgabe der Wissenschaft, eine überlebte Technologie und die ihr verpflichteten Verlage am Leben zu halten. Probleme mit digitalen Angeboten gibt es zwar, sie sind jedoch durchaus in den Griff zu bekommen (Langzeitarchivierung, Versionenverwaltung, Spam, Vanity Publishing). Nur digitalen Klosterbüchern gehört die Zukunft.
Monasticon Carmelitanum. Die Klöster des Karmeliterordens (O. Carm.) in Deutschland von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hrsg. von Edeltraud Klueting, Stephan Panzer und Andreas H. Scholten (= Monastica Carmelitana 2). Münster: Aschendorf 2012. 1032 S., 68 Euro.
Auszug:
Obwohl ich das Erscheinen des Bandes mit großem Respekt begrüße, möchte ich abschließend einmal mehr begründen, wieso ich der Überzeugung bin, dass solche gedruckte Nachschlagewerke im digitalen Zeitalter keine Zukunft haben sollten. Es führt kein Weg daran vorbei: Die Klosterbücher müssen digital und Open Access werden. Es muss sehr viel mehr von der Wikipedia gelernt werden. (Diese ist im übrigen das größte deutsche Klosterbuch.)
Open Access beseitigt die Preisbarriere. Nun ist der Band sehr preisgünstig, aber der Gelegenheitsnutzer wird doch auf Bibliotheksexemplare zurückgreifen, und da sieht es nach Ausweis des Karlsruher Virtuellen Katalogs gut zwei Monate nach dem Erscheinen noch nicht sehr gut aus.
Nur eine Volltextsuche erschließt einen solchen Text umfassend. Auch das beste Register hat Lücken, und viele Register sind schlecht durchdacht. So verhält es sich hier. Die wichtige Seitenzahl 510 zu Johann von Hildesheim, dem Prior von Marienau und Verfasser einer berühmten Dreikönigslegende (zu der man sich sorgfältigere Literaturangaben gewünscht hätte), fehlt. Zudem wird kaum jemand die Art und Weise, wie die verschiedenen Johannes im Personenregister nach Namensformen aneinandergereiht sind, benutzerfreundlich finden.
Das Internet ermöglicht es, Vorstufen zeitnah nach ihrer Entstehung zu publizieren und Nachträge bzw. Korrekturen vorzunehmen. Insbesondere bei kleineren Korrekturen, die in Aufsätzen oder Büchern versteckt werden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie von den Benutzern des Werks übersehen werden. Nötig ist ein kollaboratives, gemeinsames Arbeiten, am besten in einem Wiki. Es geht bei einem Klosterbuch um den Wissensfortschritt, nicht um die persönliche Eitelkeit der Autoren (auch wenn man manchmal einen anderen Eindruck hat). Daher sollten alle Forschungsergebnisse Open Access unter freier Lizenz (CC-BY, Daten: CC0) nachnutzbar sein.
Digitalisate können sofort verlinkt werden. Für mich ist das ein entscheidendes Argument. Sehr sporadisch begegnet man im Monasticon Internetadressen, aber wer tippt die ab? Angesichts der Tatsache, dass die Massendigitalisierung sehr große Teile der älteren Quellen und Literatur online zugänglich gemacht hat (und aus urheberrechtlichen Gründen leider sehr kleine der modernen Sekundärliteratur), kann man dem Forscher in vielen Fällen heute schon das Nachvollziehen der Belege durch einen Klick ermöglichen. Das ist die wissenschaftliche Zukunft und nichts anderes.
Einigermaßen fassungslos lese ich im Vorwort des Monasticons, dass die Ordensbibliothek in Washington die Digitalisierung der Frankfurter Karmeliterbücher im Frankfurter Stadtarchiv finanziert hat. Das ist nicht zu tadeln, sondern dass keine der beiden Institutionen die Digitalisate bislang Open Access zugänglich gemacht hat! Dieser herausragende Quellenbestand hat im ersten Teil zu den vormodernen Niederlassungen unzählige wichtige Hinweise gegeben. Er muss vorbehaltlos jedem Forscher und jeder Forscherin im Internet zur Verfügung stehen. Ein digitales Klosterbuch könnte auf diese Quellenstellen unmittelbar verlinken, wie man überhaupt bei jedem Projekt – also nicht nur ordensgeschichtlichen Unternehmungen – nach Möglichkeit alles an Quellen ins Netz stellen sollte, was man rechtlich darf. Blender. die Niveauloses mit vielen Fußnoten tarnen oder die Quellen nicht richtig lesen können, können so leicht enttarnt werden.
Bilder können unmittelbar eingebunden werden. Auch wenn die Karten nützlich und die Siegel lehrreich sind, ein opulenter Bilddteil sieht anders aus. Schon allein mit auf Wikimedia Commons zur Verfügung stehenden Bildern könnte sehr viel mehr Anschaulichkeit hergestellt werden.
Es sind Verknüpfungen mit Normdaten möglich. Im Augenblick illustriert bereits das geniale Konzept der BEACON-Dateien für die in die GND eingegangenen Personendaten (Beispiel für den Karmeliter Johann von Hildesheim), was künftig möglich sein wird. Ein digitales Nachschlagewerk kann solche Nachweise abrufen, aber selbst auch anbieten und den Datenpool damit bereichern.
Es ist nicht Aufgabe der Wissenschaft, eine überlebte Technologie und die ihr verpflichteten Verlage am Leben zu halten. Probleme mit digitalen Angeboten gibt es zwar, sie sind jedoch durchaus in den Griff zu bekommen (Langzeitarchivierung, Versionenverwaltung, Spam, Vanity Publishing). Nur digitalen Klosterbüchern gehört die Zukunft.
KlausGraf - am Dienstag, 12. März 2013, 02:29 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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"Der Historiker Prof. Vladimir Iliescu, der auch an der RWTH Aachen unterrichtet hat, erregte aufgrund seiner Äußerungen bei einer Veranstaltung am 14. Februar 2013 in der Rumänischen Akademie in Bukarest Aufsehen und Empörung. Zwar hatte Iliescu in seinem Vortrag die Verfolgung und den Tod von Juden und Roma nicht grundsätzlich geleugnet. Seine Äußerung „von einem rumänischen Holocaust zu sprechen“ sei eine „kosmische Lüge“, die von ihm genannte Zahl von 120.000 Opfern und seine Behauptung, die Juden des Altreiches hätten beinahe „normal“ leben können, widersprechen definitiv der Wirklichkeit."
https://www.rwth-aachen.de/cms/main/root/Die_RWTH/Aktuell/Pressemitteilungen/~dmhe/Die_Aachener_Universitaet_distanziert_sic/
Siehe auch
https://www.welt.de/regionales/koeln/article114269928/Hochschule-loest-Lehrauftrag-mit-Holocaust-Leugner.html
https://www.timesofisrael.com/romanian-historian-publicly-denies-holocaust/
https://www.rwth-aachen.de/cms/main/root/Die_RWTH/Aktuell/Pressemitteilungen/~dmhe/Die_Aachener_Universitaet_distanziert_sic/
Siehe auch
https://www.welt.de/regionales/koeln/article114269928/Hochschule-loest-Lehrauftrag-mit-Holocaust-Leugner.html
https://www.timesofisrael.com/romanian-historian-publicly-denies-holocaust/
KlausGraf - am Montag, 11. März 2013, 17:44 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
An diesem Wochenende ging in Weimar eine bemerkenswerte Ausstellung zu Freundschaftsalben (Stammbüchern) zu Ende. Die Stammbuchsammlung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek umfasst ca. 1100 Exemplare aus der Zeit von 1550 bis 1950 und ist der größte Bestand dieser Art weltweit. Es gibt auch einen virtuelle Variante der Ausstellung, und es ist zu hoffen, dass sie im Netz erhalten bleibt:
https://freundschaftsbuecher.klassik-stiftung.de/ausstellung/
Freundschaftsalben (Alba amicorum) haben in den letzten Jahren vertieftes Interesse als Quellen zur Geistes- und Kulturgeschichte sowie als biographische Primärquellen erfahren. Das Erlanger “Repertorium Alborum Amicorum” (RAA) umfasst inzwischen 142.000 Stammbuch- und Eintrags-Datensätze aus rund 620 Bibliotheken und Archiven aus 24 Ländern – allerdings ohne Hinweise auf Digitalisate.
https://www.raa.phil.uni-erlangen.de/
Zwei Beispiele mögen die europäische Dimension dieses Kulturguts zeigen und zugleich die Bandbreite dessen, wie sie heute zugänglich sind.
Es handelt sich um die Brüder Carl Heinrich Wilhelm Anthing (1766-1823) und Johann Friedrich Anthing (1752-1805) aus Gotha:
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Heinrich_Wilhelm_Anthing
https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Friedrich_Anthing
Carl Heinrich Wilhelm wird Offizier in holländischen Diensten, bringt es bis zum General und Befehlshaber der niederländischen Ostindien-Truppen. Seinen Lebensabend verbringt er in Gotha, und seine exotischen Mitbringsel aus Java kamen in die herzogliche Sammlung auf Schloss Friedenstein. Er führte ein Album Amicorum, das auf 113 Blättern 204 Einträge von 1784 bis 1818 enthält. Es wird heute in der Königlichen Bibliothek der Niederlande verwahrt. Von besonderer Bedeutung sind darin die Eintragungen der 1798 von Anthing im Huis ten Bosch internierten Deputierten.
https://opc4.kb.nl/DB=1/SET=8/TTL=16/REL?PPN=137123590
Alle Seiten sind komplett im Katalog der Bibliothek recherchierbar und digitalisiert in guter Auflösung abrufbar - allerdings offenbar ohne eine Möglichkeit, das Buch zu durchblättern, die Seiten müssen einzeln aufgerufen werden.
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Anthing_113r.jpg
Johann Friedrich hatte die Begabung, Silhouetten zu schneiden. Er reiste damit durch die europäischen Höfe. 1789 war er in Weimar, wo er unter anderem die Silhouetten Goethes, von Herzog Karl August und seiner Mutter Anna Amalia zeichnete und mit der Verleihung des Titel Rat geehrt wurde. Ab 1793 lebte er ständig in Sankt Petersburg, wohin er schon zuvor (1784 bis 1786) gereist war. Er schuf Scherenschnitte der Mitglieder des kaiserlichen Hofes. Marschall Alexander Wassiljewitsch Suworow ernannte ihn zu seinem Sekretär und Adjutanten. Später verfasste er eine dreibändige Biographie Suworows. Nach der Krönung von Zar Paul I. fiel Suworow in Ungnade, und Anthing musste 1797 seinen Abschied nehmen. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er verarmt in Sankt Petersburg.
Johann Friedrich Anthing legte mindestens zwei eigene Alben mit Eintragungen und Scherenschnitten an.
Das eine, mit Eintragungen und Scherenschnitten vor allem aus Weimar, soll Martin Schubart(-Czermack) in Dresden in einem Antiquitätenladen gefunden und erworben haben. Später war es bei seiner Witwe Sophie Schubart-Czermack, der Tochter von Johann Nepomuk Czermak, in München. Dieses Album enthielt auf 156 Blättern im Format 24x16 cm insgesamt 158 Stammbuch-Eintragungen aus den Jahren 1784—1804, aus fast ganz Europas stammend und größtenteils mit Silhouetten von Anthings Hand. In dieses Album schrieb sich Johann Wolfgang von Goethe am 7. September 1789 ein:
Es mag ganz artig seyn wenn Gleich' und Gleiche
In Proserpinens Park spazieren gehn,
Doch besser scheint es mir im Schattenreiche
Herrn Antings sich hinoben wiedersehn.
44 der Silhouetten in diesem Album verwendete Anthing 1791 in seiner Veröffentlichung Collection de cent silhouettes de personnes illustres et célèbres dessinées d'après les originaux.
1914 hat Großfürst Nikolai Michailowitsch Romanow dieses Album durch den Berliner Händler Karl Ernst Henrici erworben, sein weiteres Schicksal ist unbekannt. Dabei wurden sechs Blätter mit zwölf Eintragungen (Goethe/Alois Friedrich von Brühl; Karl Theodor von Dalberg/Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg; Herzog Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach/Bischof Serapion von Moskau; Herzogin Anna Amalia/Frederick Hervey, 4. Earl of Bristol; Emily Gore/Joseph Maria Karl von Lobkowitz; Katharina zu Stolberg/Fürst Caradja) entfernt und an Frau Schubart-Czermak zurückgegeben. Um 1916 fertigte die Münchner Malerin und Restauratorin Annette von Eckardt von sieben dieser Eintragungen Faksimiles an: Johann Wolfgang von Goethe; Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg, Herzog Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, Herzogin Anna Amalia, Katharina zu Stolberg, Emily Gore und Karl Theodor von Dalberg. Ein Exemplar der Faksimiles besaß später der Antiquar Emil Hirsch, eins erwarb 2004 das Düsseldorfer Goethe-Museum, und eins ist 2013 im Kunsthandel. Die sechs Originalblätter kamen 1929 bei Leo Liepmannsohn in Berlin zur Versteigerung. Zu einen unbekannten Zeitpunkt (die in RAA nachgewiesene Signatur “NW 169/1957” lässt 1957 vermuten) erwarb sie das Düsseldorfer Goethe-Museum (Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung) in Schloss Jägerhof.
Ein zweites Album bestand aus zwei Bänden mit 214 Autographen von Gelehrten, Künstlern und Familienmitgliedern mit 144 Silhouetten. 1897 erwarb der russische Graf Sergej Dimitriewitsch Scheremetew (Scheremetjev) es in der Auktion der Collections Baart de la Faille et Vitringa durch das Antiquariat von F. Muller in Amsterdam (Nr. 350 des Auktionskatalogs). Auch diese Autographen hatte Anthing auf seinen Reisen durch Frankreich, England, Deutschland, Polen und Russland gesammelt. Nach der Russischen Revolution kam dieses Album offenbar in den Besitz des Russischen Staatsarchivs für Literatur und Kunst, das die Provenienz allerdings auf Scheremetews Tante Elisabeth Döhler, die Frau von Theodor Döhler, zurückführt. Heute erhalten sind 111 Blätter mit Einträgen zwischen 1783 und 1804.
Von diesem Album sind, wenn ich richtig gesucht und gezählt habe, 15 Einträge als Digitalisate in mässiger Auflösung und mit Wasserzeichen online zugänglich.
https://rgali.ru/object/215506006/H_10686091?lc=en
Vom anderen Album fehlt jede Spur – aber vielleicht weiss ja ein Leser mehr…
Die sechs Blätter in Düsseldorf liegen nicht digitalisiert vor; die Bitte, sie für die Nutzung in Wikipedia unter einer freien Lizenz ins Netz zu stellen, wurde durch die Kuratorin Dr. Heike Spies abgelehnt. So ist man immer noch auf eine Kopie aus dem Auktionskatalog von 1927 angewiesen (das “[https://pro.europeana.eu/documents/858566/2cbf1f78-e036-4088-af25-94684ff90dc5|Problem des gelben Milchmädchens]” hat sich wohl noch nicht bis nach Düsseldorf herumgesprochen …
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:GoetheAnthing.png

https://freundschaftsbuecher.klassik-stiftung.de/ausstellung/
Freundschaftsalben (Alba amicorum) haben in den letzten Jahren vertieftes Interesse als Quellen zur Geistes- und Kulturgeschichte sowie als biographische Primärquellen erfahren. Das Erlanger “Repertorium Alborum Amicorum” (RAA) umfasst inzwischen 142.000 Stammbuch- und Eintrags-Datensätze aus rund 620 Bibliotheken und Archiven aus 24 Ländern – allerdings ohne Hinweise auf Digitalisate.
https://www.raa.phil.uni-erlangen.de/
Zwei Beispiele mögen die europäische Dimension dieses Kulturguts zeigen und zugleich die Bandbreite dessen, wie sie heute zugänglich sind.
Es handelt sich um die Brüder Carl Heinrich Wilhelm Anthing (1766-1823) und Johann Friedrich Anthing (1752-1805) aus Gotha:
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Heinrich_Wilhelm_Anthing
https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Friedrich_Anthing
Carl Heinrich Wilhelm wird Offizier in holländischen Diensten, bringt es bis zum General und Befehlshaber der niederländischen Ostindien-Truppen. Seinen Lebensabend verbringt er in Gotha, und seine exotischen Mitbringsel aus Java kamen in die herzogliche Sammlung auf Schloss Friedenstein. Er führte ein Album Amicorum, das auf 113 Blättern 204 Einträge von 1784 bis 1818 enthält. Es wird heute in der Königlichen Bibliothek der Niederlande verwahrt. Von besonderer Bedeutung sind darin die Eintragungen der 1798 von Anthing im Huis ten Bosch internierten Deputierten.
https://opc4.kb.nl/DB=1/SET=8/TTL=16/REL?PPN=137123590
Alle Seiten sind komplett im Katalog der Bibliothek recherchierbar und digitalisiert in guter Auflösung abrufbar - allerdings offenbar ohne eine Möglichkeit, das Buch zu durchblättern, die Seiten müssen einzeln aufgerufen werden.
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Anthing_113r.jpg
Johann Friedrich hatte die Begabung, Silhouetten zu schneiden. Er reiste damit durch die europäischen Höfe. 1789 war er in Weimar, wo er unter anderem die Silhouetten Goethes, von Herzog Karl August und seiner Mutter Anna Amalia zeichnete und mit der Verleihung des Titel Rat geehrt wurde. Ab 1793 lebte er ständig in Sankt Petersburg, wohin er schon zuvor (1784 bis 1786) gereist war. Er schuf Scherenschnitte der Mitglieder des kaiserlichen Hofes. Marschall Alexander Wassiljewitsch Suworow ernannte ihn zu seinem Sekretär und Adjutanten. Später verfasste er eine dreibändige Biographie Suworows. Nach der Krönung von Zar Paul I. fiel Suworow in Ungnade, und Anthing musste 1797 seinen Abschied nehmen. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er verarmt in Sankt Petersburg.
Johann Friedrich Anthing legte mindestens zwei eigene Alben mit Eintragungen und Scherenschnitten an.
Das eine, mit Eintragungen und Scherenschnitten vor allem aus Weimar, soll Martin Schubart(-Czermack) in Dresden in einem Antiquitätenladen gefunden und erworben haben. Später war es bei seiner Witwe Sophie Schubart-Czermack, der Tochter von Johann Nepomuk Czermak, in München. Dieses Album enthielt auf 156 Blättern im Format 24x16 cm insgesamt 158 Stammbuch-Eintragungen aus den Jahren 1784—1804, aus fast ganz Europas stammend und größtenteils mit Silhouetten von Anthings Hand. In dieses Album schrieb sich Johann Wolfgang von Goethe am 7. September 1789 ein:
Es mag ganz artig seyn wenn Gleich' und Gleiche
In Proserpinens Park spazieren gehn,
Doch besser scheint es mir im Schattenreiche
Herrn Antings sich hinoben wiedersehn.
44 der Silhouetten in diesem Album verwendete Anthing 1791 in seiner Veröffentlichung Collection de cent silhouettes de personnes illustres et célèbres dessinées d'après les originaux.
1914 hat Großfürst Nikolai Michailowitsch Romanow dieses Album durch den Berliner Händler Karl Ernst Henrici erworben, sein weiteres Schicksal ist unbekannt. Dabei wurden sechs Blätter mit zwölf Eintragungen (Goethe/Alois Friedrich von Brühl; Karl Theodor von Dalberg/Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg; Herzog Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach/Bischof Serapion von Moskau; Herzogin Anna Amalia/Frederick Hervey, 4. Earl of Bristol; Emily Gore/Joseph Maria Karl von Lobkowitz; Katharina zu Stolberg/Fürst Caradja) entfernt und an Frau Schubart-Czermak zurückgegeben. Um 1916 fertigte die Münchner Malerin und Restauratorin Annette von Eckardt von sieben dieser Eintragungen Faksimiles an: Johann Wolfgang von Goethe; Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg, Herzog Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, Herzogin Anna Amalia, Katharina zu Stolberg, Emily Gore und Karl Theodor von Dalberg. Ein Exemplar der Faksimiles besaß später der Antiquar Emil Hirsch, eins erwarb 2004 das Düsseldorfer Goethe-Museum, und eins ist 2013 im Kunsthandel. Die sechs Originalblätter kamen 1929 bei Leo Liepmannsohn in Berlin zur Versteigerung. Zu einen unbekannten Zeitpunkt (die in RAA nachgewiesene Signatur “NW 169/1957” lässt 1957 vermuten) erwarb sie das Düsseldorfer Goethe-Museum (Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung) in Schloss Jägerhof.
Ein zweites Album bestand aus zwei Bänden mit 214 Autographen von Gelehrten, Künstlern und Familienmitgliedern mit 144 Silhouetten. 1897 erwarb der russische Graf Sergej Dimitriewitsch Scheremetew (Scheremetjev) es in der Auktion der Collections Baart de la Faille et Vitringa durch das Antiquariat von F. Muller in Amsterdam (Nr. 350 des Auktionskatalogs). Auch diese Autographen hatte Anthing auf seinen Reisen durch Frankreich, England, Deutschland, Polen und Russland gesammelt. Nach der Russischen Revolution kam dieses Album offenbar in den Besitz des Russischen Staatsarchivs für Literatur und Kunst, das die Provenienz allerdings auf Scheremetews Tante Elisabeth Döhler, die Frau von Theodor Döhler, zurückführt. Heute erhalten sind 111 Blätter mit Einträgen zwischen 1783 und 1804.
Von diesem Album sind, wenn ich richtig gesucht und gezählt habe, 15 Einträge als Digitalisate in mässiger Auflösung und mit Wasserzeichen online zugänglich.
https://rgali.ru/object/215506006/H_10686091?lc=en
Vom anderen Album fehlt jede Spur – aber vielleicht weiss ja ein Leser mehr…
Die sechs Blätter in Düsseldorf liegen nicht digitalisiert vor; die Bitte, sie für die Nutzung in Wikipedia unter einer freien Lizenz ins Netz zu stellen, wurde durch die Kuratorin Dr. Heike Spies abgelehnt. So ist man immer noch auf eine Kopie aus dem Auktionskatalog von 1927 angewiesen (das “[https://pro.europeana.eu/documents/858566/2cbf1f78-e036-4088-af25-94684ff90dc5|Problem des gelben Milchmädchens]” hat sich wohl noch nicht bis nach Düsseldorf herumgesprochen …
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:GoetheAnthing.png

Hans Luneborch - am Montag, 11. März 2013, 16:06 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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Schon im Mai 2012 berichtete die Badische Zeitung über eine neue Broschüre über die Stadtpatronin Anna der Breisgaustadt Staufen.
https://www.badische-zeitung.de/staufen/wissenswertes-ueber-die-patronin--59302657.html
"In seiner Schrift versucht der Autor [Werner Schäffner] nachzuweisen, seit wann die heilige Anna in Staufen verehrt wird und wann das Anna-Patronat an die Stadt verliehen worden ist, doch er schreibt: "Eindeutige Daten hierzu gibt es nicht. Es muss wohl einer der Herren von Staufen, der fromme Ritter Gottfried nach seiner Kreuzzugteilnahme unter Kaiser Friedrich Barbarossa im Jahre 1190 gewesen sein, der dieses Sankt-Anna-Patronat den Staufener Bürgern gestiftet hat. Vermutlich war es dessen Absicht gewesen, dass sich die gläubigen Bürger und vor allem die Bergleute in ihren Nöten, Sorgen und Krankheiten durch Fürbittgebete besonders an diese Heilige wenden sollten." Aber erst Papst Gregor XIII. hat im Jahre 1584 ein eigenes Fest zu Ehren der heiligen Anna vorgeschrieben und dies auf den 26. Juli eines jeden Jahres festgelegt. Der Anna-Selbtritt-Schlussstein in der Pfarrkirche Sankt Martin, deren Grundstein im Jahre 1487 gelegt worden war, müsse ebenso aus dem 16. Jahrhundert stammen, meint Schäffner, wie die Statue der Anna Selbtritt des Bildhauers Sixt von Staufen in der Martinskirche, die auch das Titelblatt dieser Broschüre ziert.
Aus Schäffners weiteren Erkundungen geht hervor, dass sich die Ursprünge des Annafestes in Staufen deshalb nicht genau nachvollziehen lassen, weil sämtliche Kirchenbücher beim Kirchenbrand im Jahr 1690 vernichtet wurden. Es könne jedoch davon ausgegangen werden, dass Staufens Katholiken schon seit Verleihung des Stadt-Patronats jährlich das Annafest in der Sankt-Martinskirche gefeiert haben. Und dieses Annafest sei bis Anfang der 1950er-Jahre ein reines Hochfest der katholischen Kirchengemeinde Sankt Martin gewesen. Im Jahre 1953 habe dann der damalige Stadtpfarrer Johann Georg Schmutz das Kirchenfest um ein Volksfest zur Finanzierung diverser Vorhaben ergänzt. Für diesen weltlichen Teil habe der spätere Prälat in den 60er-Jahren auch die evangelischen Mitchristen mit ins Boot geholt."
Zu den Problemen der evangelischen Mitchristen mit der katholischen Heiligenverehrung ist eine Predigt aus Staufen lesenswert:
https://www.ekistaufen.de/predigt20050731.htm
Die oben zitierte Argumentation des Heimatforschers folgt einem geläufigen Muster: Die Verehrung der Stadtpatrone wird in möglichst alte Zeit zurückverlegt. Fehlende Quellenbelege werden auf Quellenverluste zurückgeführt. Zeugnisse der Verehrung des oder der jeweiligen Heiligen werden unkritisch als Beweis des Stadtpatronats vereinnahmt.
Weder die spätgotische Anna Selbdritt (Sixt von Staufen zugeschrieben) in der Staufener Pfarrkirche noch der ihr gewidmete Schlussstein beweisen irgendetwas für ein schon um 1500 bestehendes Stadtpatronat. Anna war damals eine "Modeheilige" (siehe auch Angelika Dörffler-Dierken 1992), wobei die Staufener Verehrung sicher mit dem Bergbau zusammenhängt.
Ohne intensive Quellenforschungen wird man nicht ermitteln können, wann Anna das erste Mal ausdrücklich als Stadtpatronin bezeichnet wird. Eine Anfrage von mir in Staufen 1996 war denkbar unergiebig und erbrachte nur Hinweise auf unbelegte Aussagen in wenig zuverlässlicher Ortsliteratur. Im Freiburger Realschematismus 1863 ist bei Staufen noch nicht von St. Anna die Rede, das Annafest erwähnt "Das Erzbistum Freiburg" (1910, S. 106). Im Augenblick weiß ich also nicht, ob Anna vor dem Kunstdenkmäler-Inventar von 1904 bereits als Stadtpatronin bezeichnet wurde:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kdm6bd1/0489
In seiner "Geschichte der Fauststadt", veröffentlicht im Jahr 1946, schreibt der damalige Stadtpfarrer von Staufen, Geistlicher Rat Wilhelm Weitzel: "In diese Blütezeit des Bergwerkbetriebs - also um das Jahr 1000 bis 1100 - muss die Erwählung der heiligen Anna zur Stadtpatronin von Staufen zurückgeführt werden. Und wenn heute noch die Staufener Bevölkerung das uralte Fest ihrer Stadtpatronin (das Fest der heiligen Anna am 26. Juli) stets mit so ausnehmender Feierlichkeit als das Hauptfest des ganzen Jahres mit dem altgewohnten Schmuck der Brunnen, Häuser und Straßen, mit kirchlichem und weltlichem Fest begeht, so wissen die Staufener, dass nur deshalb die heilige Anna von den Vorvätern zur Stadtpatronin erhoben wurde, weil sie seit ältester Zeit die Schutzpatronin der Bergleute in Staufen (und allen anderen Bergwerken) war und heute noch ist." (S. 13f.)
Auf den Formulierungen Weitzels fußt die Schrift "Stadtkirche und Kapellen. Staufen/Breisgau" von 1964, S. 14f., der man aber immerhin entnimmt, dass 1681 die Annabruderschaft wiedererrichtet wurde. Solche Bruderschaften gab es natürlich vielerorts, ohne dass man daraus schließen darf, dass die heilige Anna dort als Stadtpatronin verehrt wurde. Diese Staufener Bruderschaft, der auch Männer angehörten, gilt als Vorläuferin der Katholischen Frauengemeinschaft St. Anna (Paul Nunnenmacher, Badische Zeitung vom 27. Juli 1990).
Auch die große St. Annaglocke (1689 bezeugt, Neuguss von 1720, siehe: Stadtkirche und Kapellen S. 21) mit ihrer Fürbitte "ora pro nobis" beweist nicht, dass St. Anna damals Stadtpatronin war.
Seit 1745 befand sich in Staufen der Katakombenheilige St. Gaudentius in der Pfarrkirche (ebenda, S. 14). Solche Katakombenheilige werden andernorts als Stadtpatrone verehrt (z.B. Faustus in Dillingen, Prosper in Erding). Offenkundig auf Quellenstudien fußt ein kurzer Artikel "Der St. Anna-Tag in Staufen" in der Badischen Zeitung vom 25./26.7. 1970, der am Schluss auf die Gaudentius-Verehrung eingeht. "An die sechzig Jahre wurde das Gaudentiusfest in Staufen wie das St.-Anna-Fest gehalten. Daher kommt es, daß noch vor fünfzig und hundert Jahren viele Staufener Gaudentius zum Vornamen hatten".
1568 werde, behauptet Nunnenmacher in seinem bereits erwähnten Zeitungsartikel, St. Anna als Schutzpatronin der Stadt Staufen erstmals erwähnt. Da er keine Quelle angibt, halte ich dieses Datum für zweifelhaft. Wer behauptet, dass St. Anna vor 1904 bereits als Stadtpatronin verehrt wurde, sollte dies quellenmäßig exakt belegen können.
Zu Stadtpatronen
https://archiv.twoday.net/search?q=stadtpatron
https://archiv.twoday.net/stories/6048443/
https://www.histsem.uni-freiburg.de/mertens/graf/dud.htm
https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2007/373/
Nachtrag: Werner Schäffner hat mir seine im Selbstverlag erschienene Broschüre freundlicherweise umgehend zum Preis von 5 Euro zuzüglich Porto zugesandt. Wie zu erwarten war, ist der wissenschaftliche Ertrag des zugleich etwas verändert in der Badischen Heimat 2012/1 erschienenen Aufsatzes vernachlässigbar. Handfeste Quellenbelege für ein Stadtpatronat vor dem 20. Jahrhundert suche ich vergebens. Dass der "fromme Kreuzritter Gottfried von Staufen im 12. oder 13. Jahrhundert die heilige Anna als Stadtpatronin auserwählt" habe, ist nicht nur schwer nachzuweisen (S. 5), sondern reine Spekulation.
S. 15 wird eine Ausgabe am "St. Anna Tag" 1723 zitiert, aber auch das beweist nur, dass damals der Annatag feierlich begangen wurde. Es könnte sich um einen Votivfeiertag handeln wie beim Steinheimer Rochustag. "Dieser Bet- und Lobetag geht auf ein Gelübde aus dem Jahr 1637 zurück. Heute gilt Rochus allgemein als Stadtpatron seit 1637, aber eingehende Ermittlungen des Stadtarchivars Heinz Gellhaus ergaben, daß die Bezeichnung Stadtpatron erstmals auf der Steinheimer Bürgerfahne von 1908 erscheint."
Zu erwägen ist ein Zusammenhang mit der Jahrtags-Stiftung der Erentrut von Werdenberg am Annentag in der Martinskirche zu Staufen 1485, siehe FDA 18, 1886, S. 336f. (Abdruck der Stiftungsurkunde) und FDA 33, 1905, S. 246
https://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/6345/pdf/Freiburger_Dioezesan_Archiv_Band_18_1886.pdf
https://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/6169/pdf/Freiburger_Dioezesan_Archiv_Band_33_1905.pdf
Dieser Jahrtag der Werdenberger war liturgisch sehr feierlich mit drei Ämtern am Tag selbst ausgestaltet. Der Klerus des Breisacher Landkapitels sollte ihn abhalten, was angeblich noch 1886 geschah. Wenn man nicht annehmen will, dass die Zusammenkunft des Landkapitels zur Begehung des Werdenberg-Jahrtags an ein bestehendes, besonders gefeiertes Annafest anknüpfte, wofür es keinen Beleg gibt, darf man in diesem Jahrtag den Vorläufer des heutigen Annafestes sehen. Der zitierte Eintrag 1723 nennt als "Ausgab-Geld" am Annatag 1 Gulden 9 Schilling für Pfarrer, Kaplan, Schulmeister und Sigrist, was vielleicht nur die örtlichen Teilnehmer des Kapiteljahrtags betraf. Es ist gut denkbar, dass das vom Landkapitel getragene kirchliche Gedenken auch zu einem lokalen Kirchenfest und irgendwann auch zu einem weltlichen Fest wurde.
Zwei Jahre später, 1487, wurde der Grundstein der Martinskirche gelegt, in deren Neubau ein Schlussstein der hl. Anna gewidmet wurde.
Eine Erwählung der hl. Anna als Stadtpatronin wäre im mittelalterlichen Deutschland völlig unhistorisch. Der Annakult in Staufen hat sich vermutlich langsam am Ende des Mittelalters, als auch andernorts die Annenverehrung Konjunktur hatte, etabliert. Dass die Beziehung der Heiligen zum Bergbau eine Rolle gespielt hat, ist durchaus wahrscheinlich. Zu beachten gilt es aber auch meinen Hinweis auf den festlichen Werdenberger-Jahrtag, der das Breisacher Landkapitel am Annentag in Staufen zusammenführte.
Von dem oben aus einem Zeitungsartikel gefischten angeblichen Beleg zu 1568 schreibt Schäffner nichts. Aber er führt die Sagensammlung eines Pfarrers an, in der es heißt, dass das St. Anna-Käppele bei der Galgenhalde in Grunern-Kropbach bereits 1585 erwähnt sei. Ein solches Annakapellchen gab es sicher vielerorts.
Abbildung 4 S. 16 zeigt das Mutter-Anna-Gemälde aus dem Jahr 1795, das auch eine Darstellung von Staufen bietet, was man auf die Schutzherrschaft der Heiligen über den Ort beziehen könnte. Zwingend ist aber auch dieser Schluss nicht.
Es geht nicht darum, hyperkritisch die starke Verehrung der Staufener für St. Anna in Frage zu stellen. Auch andere Orte haben einige oder mehr besonders intensiv verehrter Heilige (insbesondere aufgrund von Gelübden wie im Fall des Rochustags), ohne dass diese als Stadtpatrone aufgefasst oder besser gesagt bezeichnet werden. Bei den vielen ländlichen Ortspatronen der Erzdiözese Freiburg habe ich fast nur Belege aus dem 19. Jahrhundert für diese Bezeichnung gefunden. Von daher ist es gut möglich, dass man erst im 19. Jahrhundert in Staufen Anna ausdrücklich als Stadtpatronin angesehen hat. Aber es ist durchaus denkbar, dass sich auch ein bislang übersehener Beleg aus der frühen Neuzeit findet.
#forschung

Foto der Anna Selbdritt in St. Martin Staufen: Ralph Hammann CC-BY-SA
https://www.badische-zeitung.de/staufen/wissenswertes-ueber-die-patronin--59302657.html
"In seiner Schrift versucht der Autor [Werner Schäffner] nachzuweisen, seit wann die heilige Anna in Staufen verehrt wird und wann das Anna-Patronat an die Stadt verliehen worden ist, doch er schreibt: "Eindeutige Daten hierzu gibt es nicht. Es muss wohl einer der Herren von Staufen, der fromme Ritter Gottfried nach seiner Kreuzzugteilnahme unter Kaiser Friedrich Barbarossa im Jahre 1190 gewesen sein, der dieses Sankt-Anna-Patronat den Staufener Bürgern gestiftet hat. Vermutlich war es dessen Absicht gewesen, dass sich die gläubigen Bürger und vor allem die Bergleute in ihren Nöten, Sorgen und Krankheiten durch Fürbittgebete besonders an diese Heilige wenden sollten." Aber erst Papst Gregor XIII. hat im Jahre 1584 ein eigenes Fest zu Ehren der heiligen Anna vorgeschrieben und dies auf den 26. Juli eines jeden Jahres festgelegt. Der Anna-Selbtritt-Schlussstein in der Pfarrkirche Sankt Martin, deren Grundstein im Jahre 1487 gelegt worden war, müsse ebenso aus dem 16. Jahrhundert stammen, meint Schäffner, wie die Statue der Anna Selbtritt des Bildhauers Sixt von Staufen in der Martinskirche, die auch das Titelblatt dieser Broschüre ziert.
Aus Schäffners weiteren Erkundungen geht hervor, dass sich die Ursprünge des Annafestes in Staufen deshalb nicht genau nachvollziehen lassen, weil sämtliche Kirchenbücher beim Kirchenbrand im Jahr 1690 vernichtet wurden. Es könne jedoch davon ausgegangen werden, dass Staufens Katholiken schon seit Verleihung des Stadt-Patronats jährlich das Annafest in der Sankt-Martinskirche gefeiert haben. Und dieses Annafest sei bis Anfang der 1950er-Jahre ein reines Hochfest der katholischen Kirchengemeinde Sankt Martin gewesen. Im Jahre 1953 habe dann der damalige Stadtpfarrer Johann Georg Schmutz das Kirchenfest um ein Volksfest zur Finanzierung diverser Vorhaben ergänzt. Für diesen weltlichen Teil habe der spätere Prälat in den 60er-Jahren auch die evangelischen Mitchristen mit ins Boot geholt."
Zu den Problemen der evangelischen Mitchristen mit der katholischen Heiligenverehrung ist eine Predigt aus Staufen lesenswert:
https://www.ekistaufen.de/predigt20050731.htm
Die oben zitierte Argumentation des Heimatforschers folgt einem geläufigen Muster: Die Verehrung der Stadtpatrone wird in möglichst alte Zeit zurückverlegt. Fehlende Quellenbelege werden auf Quellenverluste zurückgeführt. Zeugnisse der Verehrung des oder der jeweiligen Heiligen werden unkritisch als Beweis des Stadtpatronats vereinnahmt.
Weder die spätgotische Anna Selbdritt (Sixt von Staufen zugeschrieben) in der Staufener Pfarrkirche noch der ihr gewidmete Schlussstein beweisen irgendetwas für ein schon um 1500 bestehendes Stadtpatronat. Anna war damals eine "Modeheilige" (siehe auch Angelika Dörffler-Dierken 1992), wobei die Staufener Verehrung sicher mit dem Bergbau zusammenhängt.
Ohne intensive Quellenforschungen wird man nicht ermitteln können, wann Anna das erste Mal ausdrücklich als Stadtpatronin bezeichnet wird. Eine Anfrage von mir in Staufen 1996 war denkbar unergiebig und erbrachte nur Hinweise auf unbelegte Aussagen in wenig zuverlässlicher Ortsliteratur. Im Freiburger Realschematismus 1863 ist bei Staufen noch nicht von St. Anna die Rede, das Annafest erwähnt "Das Erzbistum Freiburg" (1910, S. 106). Im Augenblick weiß ich also nicht, ob Anna vor dem Kunstdenkmäler-Inventar von 1904 bereits als Stadtpatronin bezeichnet wurde:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kdm6bd1/0489
In seiner "Geschichte der Fauststadt", veröffentlicht im Jahr 1946, schreibt der damalige Stadtpfarrer von Staufen, Geistlicher Rat Wilhelm Weitzel: "In diese Blütezeit des Bergwerkbetriebs - also um das Jahr 1000 bis 1100 - muss die Erwählung der heiligen Anna zur Stadtpatronin von Staufen zurückgeführt werden. Und wenn heute noch die Staufener Bevölkerung das uralte Fest ihrer Stadtpatronin (das Fest der heiligen Anna am 26. Juli) stets mit so ausnehmender Feierlichkeit als das Hauptfest des ganzen Jahres mit dem altgewohnten Schmuck der Brunnen, Häuser und Straßen, mit kirchlichem und weltlichem Fest begeht, so wissen die Staufener, dass nur deshalb die heilige Anna von den Vorvätern zur Stadtpatronin erhoben wurde, weil sie seit ältester Zeit die Schutzpatronin der Bergleute in Staufen (und allen anderen Bergwerken) war und heute noch ist." (S. 13f.)
Auf den Formulierungen Weitzels fußt die Schrift "Stadtkirche und Kapellen. Staufen/Breisgau" von 1964, S. 14f., der man aber immerhin entnimmt, dass 1681 die Annabruderschaft wiedererrichtet wurde. Solche Bruderschaften gab es natürlich vielerorts, ohne dass man daraus schließen darf, dass die heilige Anna dort als Stadtpatronin verehrt wurde. Diese Staufener Bruderschaft, der auch Männer angehörten, gilt als Vorläuferin der Katholischen Frauengemeinschaft St. Anna (Paul Nunnenmacher, Badische Zeitung vom 27. Juli 1990).
Auch die große St. Annaglocke (1689 bezeugt, Neuguss von 1720, siehe: Stadtkirche und Kapellen S. 21) mit ihrer Fürbitte "ora pro nobis" beweist nicht, dass St. Anna damals Stadtpatronin war.
Seit 1745 befand sich in Staufen der Katakombenheilige St. Gaudentius in der Pfarrkirche (ebenda, S. 14). Solche Katakombenheilige werden andernorts als Stadtpatrone verehrt (z.B. Faustus in Dillingen, Prosper in Erding). Offenkundig auf Quellenstudien fußt ein kurzer Artikel "Der St. Anna-Tag in Staufen" in der Badischen Zeitung vom 25./26.7. 1970, der am Schluss auf die Gaudentius-Verehrung eingeht. "An die sechzig Jahre wurde das Gaudentiusfest in Staufen wie das St.-Anna-Fest gehalten. Daher kommt es, daß noch vor fünfzig und hundert Jahren viele Staufener Gaudentius zum Vornamen hatten".
1568 werde, behauptet Nunnenmacher in seinem bereits erwähnten Zeitungsartikel, St. Anna als Schutzpatronin der Stadt Staufen erstmals erwähnt. Da er keine Quelle angibt, halte ich dieses Datum für zweifelhaft. Wer behauptet, dass St. Anna vor 1904 bereits als Stadtpatronin verehrt wurde, sollte dies quellenmäßig exakt belegen können.
Zu Stadtpatronen
https://archiv.twoday.net/search?q=stadtpatron
https://archiv.twoday.net/stories/6048443/
https://www.histsem.uni-freiburg.de/mertens/graf/dud.htm
https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2007/373/
Nachtrag: Werner Schäffner hat mir seine im Selbstverlag erschienene Broschüre freundlicherweise umgehend zum Preis von 5 Euro zuzüglich Porto zugesandt. Wie zu erwarten war, ist der wissenschaftliche Ertrag des zugleich etwas verändert in der Badischen Heimat 2012/1 erschienenen Aufsatzes vernachlässigbar. Handfeste Quellenbelege für ein Stadtpatronat vor dem 20. Jahrhundert suche ich vergebens. Dass der "fromme Kreuzritter Gottfried von Staufen im 12. oder 13. Jahrhundert die heilige Anna als Stadtpatronin auserwählt" habe, ist nicht nur schwer nachzuweisen (S. 5), sondern reine Spekulation.
S. 15 wird eine Ausgabe am "St. Anna Tag" 1723 zitiert, aber auch das beweist nur, dass damals der Annatag feierlich begangen wurde. Es könnte sich um einen Votivfeiertag handeln wie beim Steinheimer Rochustag. "Dieser Bet- und Lobetag geht auf ein Gelübde aus dem Jahr 1637 zurück. Heute gilt Rochus allgemein als Stadtpatron seit 1637, aber eingehende Ermittlungen des Stadtarchivars Heinz Gellhaus ergaben, daß die Bezeichnung Stadtpatron erstmals auf der Steinheimer Bürgerfahne von 1908 erscheint."
Zu erwägen ist ein Zusammenhang mit der Jahrtags-Stiftung der Erentrut von Werdenberg am Annentag in der Martinskirche zu Staufen 1485, siehe FDA 18, 1886, S. 336f. (Abdruck der Stiftungsurkunde) und FDA 33, 1905, S. 246
https://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/6345/pdf/Freiburger_Dioezesan_Archiv_Band_18_1886.pdf
https://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/6169/pdf/Freiburger_Dioezesan_Archiv_Band_33_1905.pdf
Dieser Jahrtag der Werdenberger war liturgisch sehr feierlich mit drei Ämtern am Tag selbst ausgestaltet. Der Klerus des Breisacher Landkapitels sollte ihn abhalten, was angeblich noch 1886 geschah. Wenn man nicht annehmen will, dass die Zusammenkunft des Landkapitels zur Begehung des Werdenberg-Jahrtags an ein bestehendes, besonders gefeiertes Annafest anknüpfte, wofür es keinen Beleg gibt, darf man in diesem Jahrtag den Vorläufer des heutigen Annafestes sehen. Der zitierte Eintrag 1723 nennt als "Ausgab-Geld" am Annatag 1 Gulden 9 Schilling für Pfarrer, Kaplan, Schulmeister und Sigrist, was vielleicht nur die örtlichen Teilnehmer des Kapiteljahrtags betraf. Es ist gut denkbar, dass das vom Landkapitel getragene kirchliche Gedenken auch zu einem lokalen Kirchenfest und irgendwann auch zu einem weltlichen Fest wurde.
Zwei Jahre später, 1487, wurde der Grundstein der Martinskirche gelegt, in deren Neubau ein Schlussstein der hl. Anna gewidmet wurde.
Eine Erwählung der hl. Anna als Stadtpatronin wäre im mittelalterlichen Deutschland völlig unhistorisch. Der Annakult in Staufen hat sich vermutlich langsam am Ende des Mittelalters, als auch andernorts die Annenverehrung Konjunktur hatte, etabliert. Dass die Beziehung der Heiligen zum Bergbau eine Rolle gespielt hat, ist durchaus wahrscheinlich. Zu beachten gilt es aber auch meinen Hinweis auf den festlichen Werdenberger-Jahrtag, der das Breisacher Landkapitel am Annentag in Staufen zusammenführte.
Von dem oben aus einem Zeitungsartikel gefischten angeblichen Beleg zu 1568 schreibt Schäffner nichts. Aber er führt die Sagensammlung eines Pfarrers an, in der es heißt, dass das St. Anna-Käppele bei der Galgenhalde in Grunern-Kropbach bereits 1585 erwähnt sei. Ein solches Annakapellchen gab es sicher vielerorts.
Abbildung 4 S. 16 zeigt das Mutter-Anna-Gemälde aus dem Jahr 1795, das auch eine Darstellung von Staufen bietet, was man auf die Schutzherrschaft der Heiligen über den Ort beziehen könnte. Zwingend ist aber auch dieser Schluss nicht.
Es geht nicht darum, hyperkritisch die starke Verehrung der Staufener für St. Anna in Frage zu stellen. Auch andere Orte haben einige oder mehr besonders intensiv verehrter Heilige (insbesondere aufgrund von Gelübden wie im Fall des Rochustags), ohne dass diese als Stadtpatrone aufgefasst oder besser gesagt bezeichnet werden. Bei den vielen ländlichen Ortspatronen der Erzdiözese Freiburg habe ich fast nur Belege aus dem 19. Jahrhundert für diese Bezeichnung gefunden. Von daher ist es gut möglich, dass man erst im 19. Jahrhundert in Staufen Anna ausdrücklich als Stadtpatronin angesehen hat. Aber es ist durchaus denkbar, dass sich auch ein bislang übersehener Beleg aus der frühen Neuzeit findet.
#forschung

Foto der Anna Selbdritt in St. Martin Staufen: Ralph Hammann CC-BY-SA
KlausGraf - am Sonntag, 10. März 2013, 19:17 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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Luwig Uhland. Tübinger, Linksradikaler, Nationaldichter. Hrsg. von Georg Braungart u.a. (Tübinger Kataloge 95). Tübingen: Stadtmuseum 2012. 256 S., zahlreiche Abbildungen. 19,80 EUR. Inhaltsverzeichnis
Kein anderer berühmter deutscher Dichter des 19. Jahrhunderts hat einen so tiefen Fall erlebt, was seine Wertschätzung angeht, wie Ludwig Uhland, zu dessen 150. Todestag 2012 das Tübinger Stadtmuseum, das Deutsche Literaturarchiv Marbach und das Deutsche Seminar der Tübinger Universität sich zusammengetan haben, um ihm eine Ausstellung zu widmen. Eine überaus verhaltene Würdigung für einen Poeten, der im 19. Jahrhundert stürmisch bejubelt wurde.
Neun Aufsätze und einen ausführlichen Katalogteil (S. 115-249) enthält die Begleitpublikation. Obwohl Uhland im Titel als Linksradikaler bezeichnet wird, erfährt man über den Politiker fast nur etwas von Joachim Knape, der Uhland als politischer Redner in den Blick nimmt. Wilfried Setzler geht in Tübingen auf Spurensuche, die Tübinger Universitätsjahre 1801-1810 stellt Johannes Michael Wischnath vor. Uhlands Rolle in der beginnenden Germanistik skizziert Stefan Knödler, während sich Dietmar Till der bemerkenswerten "Schreibwerkstatt" Uhlands widmet, die Uhland für seine Studenten in den vier Semestern ab 1830, in denen er bis zu seinem erzwungenen Abschied lehren durfte, anbot ("Stylisticum").
Ausgezeichnete Gedichtinterpretationen legt in zwei Beiträgen Georg Braungart vor. Während Goethe und Schiller an Lesebuchtauglichem auch Dramen und Prosa schufen, kommt bei Uhland nur die Lyrik in Betracht. "Uhlands Lyrik ist vergessen", konstatiert Braungart und verweist darauf, dass sie von der Literaturwissenschaft nicht mehr behandelt, an Schulen und Universitäten nicht mehr gelesen und auch nicht mehr verlegt werde (Ausnahmen: Hermann Bausinger und Hubert Klöpfer). Zugleich sei sie aber nicht vergessen, da sie "in vielen geflügelten Worten" überlebt habe (S. 31). Das ist grundfalsch, denn die buchzentrierten Autoren des Katalogs haben wie üblich das Internet nicht auf ihrer Rechnung. Gewohnt schäbig wird die Zusammenstellung von Wikisource übergangen, die mich viel Arbeit gekostet hat. Dort findet man nicht nur eine Transkription (samt Scan) der Gedichte-Erstausgabe von 1815, die Uhlands Ruhm begründete, sondern auch eine Wiedergabe des Dramenfragments Konradin aus dem sehr seltenen Taschenbuch von der Donau auf das Jahr 1824. Und es sind zahlreiche Digitalisate von Uhland-Werken und Sekundärliteratur nachgewiesen. Im Projekt Gutenberg gibt es eine kleine Gedichtauswahl und einige Prosaschriften, darunter die Rede über die Wahl des Reichsoberhauptes, die mit den berühmten Worten schließt: "Glauben Sie, meine Herren, es wird kein Haupt über Deutschland leuchten, das nicht mit einem vollen Tropfen demokratischen Öls gesalbt ist!". Weiteres findet sich bei zeno.org und bei Harsch (wenn man von den vielen Digitalisaten absieht, die Wikisource listet). Man mag das als eher akademische Angebote ohne große Ausstrahlung abtun, doch stellt man mit Erstaunen fest, dass Uhlands anrührende Verse auf den Tod eines Kindes (Du kamst, du gingst mit leiser Spur, / Ein flücht'ger Gast im Erdenland; / Woher? Wohin? Wir wissen nur: / Aus Gottes Hand in Gottes Hand. - zitiert S. 41) sich im Internet als religiöses Trauergedicht sehr großer Beliebtheit erfreuen. Im Internet ist Uhlands Lyrik keineswegs vergessen, wie auch die nicht mehr aktuelle Zusammenstellung von Helmut Schulze zeigt.
Beziehungen zwischen Uhland und Heine beleuchtet Helmuth Mojem, setzt jedoch zu viel voraus. Ist es wirklich zuviel verlangt, in der Einleitung eines solchen Aufsatzes den Leser mit Heines Äußerungen zu Uhland vertraut zu machen, bevor man sich schöngeistigen Gedichtinterpretationen hingibt?
Das Versagen der Tübinger Universitätsbibliothekare beim Umgang mit Uhlands Bibliothek geht aus dem Beitrag von Wilfried Lagler deutlich hervor. Unsinniges Dublettendenken verhinderte, dass die Bibliothek, geleitet damals vom Indologen Rudolf von Roth, die ihr 1871 als Schenkung von der Witwe angetragene Bibliothek Uhlands in toto übernahm. Sie nahmen nur etwa die Hälfte und teilten den Bestand auf anstatt ihn geschlossen aufzustellen. Eine wichtige gedruckte Quelle ist das Zuwachsverzeichnis 1870/71 (Digitalisat), das 1497 Werke aus Uhlands Bibliothek zählt (S. 107). Manuskripte kamen von den Erben Wilhelm Hollands (1822-1891) in die Bibliothek. 1872 bot das Tübinger Antiquariat Heckenhauer 1565 Nummern überwiegend aus Uhlands Bibliothek an (Digitalisat), darunter 126 mit Uhlands eigenhändigem Namenszug und 71 Widmungsexemplare. 111 bisher identifizierte Bände gelangten in die 1871 neu gegründete Straßburger Universitäts- und Landesbibliothek. 153 Bände schenkte Uhlands Witwe der Königlichen Bibliothek in Stuttgart. Auch wenn Uhlands Bücher kaum Arbeitsspuren aufweisen, ist die von den Tübinger Bibliothekaren zu verantwortende Zerstückelung von Uhlands Bibliothek ein großer Verlust für die Wissenschaftsgeschichte.
Der Katalogteil bringt manches Interessante, seien es Uhland-Memorabilien wie die nach Marbach gelangte Taufgarnitur (S. 122) und Taschentücher (S. 202), sei es die Wiedergabe eines bislang unbekannten Gedichts (S. 166). Auch kann man im Faksimile den perfiden Satz des Königs Wilhelm I. von Württemberg nachlesen, der 1833 "sehr gerne" die Entlassung Uhlands aus dem Staatsdienst bewilligte, "da er als Professor ganz unnüz war" (S. 175).
Ein großer Pluspunkt des Katalogs sind die großformatigen Farbabbildungen. Das Marbacher Magazin Nr. 42 von 1987 wirkt mit seinen Schwarzweißabbildungen demgegenüber geradezu ärmlich.
Ein großer Minuspunkt des Katalogs ist der weitgehende Verzicht auf einen wissenschaftlichen Apparat. An wen außer an Bildungsbürger, die mit Fußnoten oder Literaturangaben umgehen können oder sie wenigstens tolerieren, richtet sich denn ein solches Werk? Da Studierende im Rahmen von Lehrveranstaltungen an dem Katalog mitgearbeitet haben, ist es ganz und gar unverzeihlich, dass aus Gründen der "Übersichtlichkeit" (S. 251) auf Literaturnachweise im Katalogteil verzichtet wurde. Als ob eine Seite kleingedruckte Nachweise, die Uhland-Stellen anzugeben und den nach Maßstäben wissenschaftlicher Redlichkeit geschuldeten Tribut an die Autoren der verwendeten Sekundärliteratur zu zollen hätten, gestört hätte! Unbelegtes Wissen ist wertloses Wissen, das sollte man an den Hochschulen tagaus tagein vermitteln.
Inhaltlich vermisse ich Ausführungen zu Uhlands Verhältnis zur Volksüberlieferung. Mein Beitrag dazu in der Enzyklopädie des Märchens (Bd. 13, 2010) wird nicht zitiert.
***
Soweit die Besprechung. Ergänzend dokumentiere ich meine Manuskriptfassung (eingereicht am 4. November 2008) von
Klaus Graf: Johann Ludwig Uhland, in: Enzyklopädie des Märchens 13 [Lief. 3] (2010), Sp. 1128-1134
Online (Amazon; Blick ins Buch, zugänglich für registrierte Kunden):
https://www.amazon.de/Enzyklop%C3%A4die-M%C3%A4rchens-Suchen-Handworterbuch-Erz%E2%80%9Ehlforschung/dp/3110237679/ (nach soldatenlied suchen und dann zurück- bzw. vorblättern)
Sie wurde für den Druck von der Redaktion nicht unerheblich gekürzt. Als weiteren Mehrwert habe ich alle Abkürzungen (bis auf EM = Enzyklopädie des Märchens) und die Vornamen der zitierten Autoren/Personen aufgelöst. Die Verweise (→) auf andere EM-Artikel habe ich beibehalten, die Zitierformalia ins Deutsche übertragen (f. statt sq., usw). Für Digitalisate sei auf den Uhland-Artikel in Wikisource verwiesen - vor allem die noch wichtigen älteren Werkausgaben sind alle online (ausnahmsweise ergänze ich dort nicht nachgewiesene spezielle ältere Literatur). Einige kleine inhaltliche bzw. stilistische Änderungen orientieren sich meist an der Druckfassung. Die folgende Fassung stellt somit einen eigenen zitierfähigen Artikel über Uhland dar.
An Literatur sollte man vielleicht nachtragen Hartmut Fröschles "Hausgeist des deutschen Volkes. Eine Wirkungsgeschichte Ludwig Uhlands in Zitaten" (2012) und Ilonka Zimmer "Uhland im Kanon" (2009), für beide gilt: non vidi (Zimmer ist in Auszügen bei Google präsent). Anscheinend noch nicht erschienen ist der Tagungsband (Beihefte zum Euphorion 71) zum Symposium Provinzielle Weite 2010.
Uhland, Ludwig
* Tübingen 26. 4. 1787, † ebenda 13. 11. 1862,
deutscher Lyriker, Dramatiker, Literaturhistoriker, Sagen-, Volkslied- und Mythenforscher, württembergischer Politiker [1].
Uhland, Sohn eines Juristen, der in Tübingen als Universitätssekretär wirkte, nahm 1801 in seiner Heimatstadt ein juristisches Studium auf, das er 1808 mit dem Advokatenexamen und 1810 mit der juristischen Promotion beendete. Er fand Anschluss an einen romantisch gesinnten Studentenzirkel, der von altdeutscher und “volkstümlicher” Literatur fasziniert war. Die engste Freundschaft verband ihn in diesem Kreis mit dem Medizinstudenten Justinus →Kerner. In Paris sollte Uhland 1810/11 eigentlich das französische Recht kennen lernen, doch fesselten ihn die altfranzösischen und altdeutschen Bücherschätze der Nationalbibliothek weit mehr. Die ungeliebte Advokatentätigkeit in Tübingen und Stuttgart, unterbrochen von dem vergeblichen Versuch, im Staatsdienst Fuß zu fassen, gewährte nur karge Einkünfte. Von 1819 bis 1826 vertrat Uhland das Oberamt Tübingen in der württembergischen Ständeversammlung. 1820 endeten die Geldsorgen durch die Heirat mit Emilie Vischer. Ende 1829 wurde Uhland in Tübingen zum außerordentlichen Professor für deutsche Sprache und Literatur berufen. Die lange ersehnte akademische Laufbahn wurde freilich ein Opfer der Repression, als die Regierung ihm 1833 den für die Wahrnehmung des Stuttgarter Abgeordnetenmandats erforderlichen Urlaub verweigerte. Uhland reichte sein Entlassungsgesuch ein, das König Wilhelm mit gehässiger Randbemerkung gern bewilligte. Bis 1838 blieb Uhland als Angehöriger der liberalen Opposition im Landtag. Das Tübinger Leben als Privatgelehrter wurde noch einmal unterbrochen, als er sich 1848 zum Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung wählen ließ. Er kämpfte für demokratische und großdeutsche Ideale und harrte bis zur gewaltsamen Auflösung des Stuttgarter Rumpfparlaments im Juni 1849 aus.
Uhlands phänomenaler Ruhm im 19. Jh. beruhte auf seinen Gedichten, die erstmals 1815 bei Cotta erschienen und bis 1884 insgesamt 64 Auflagen erlebten. Zahlreiche Übersetzungen (und Vertonungen) belegen eine außerordentlich breite internationale Rezeption.
Uhlands Stellung in der Geistesgeschichte wird zuallererst durch die Zugehörigkeit zur →Romantik bestimmt [2]. Romantische →Mittelalterrezeption und Hochschätzung der Volkspoesie prägen sowohl sein literarisches als auch sein wissenschaftliches Oeuvre [3]. Unter Volkspoesie versteht er “die geistige Auffassung eines ganzen Volkslebens durch die Gesammtheit des Volkes” [4]. Der Leitbegriff des 'Volks' schlägt die Brücke zu den freiheitlich-liberalen Positionen des Politikers Uhland, der sich für das 'gute alte Recht' (des Volks) und die althergebrachte landständische Verfassung einsetzte. Bürgerliche ('Volks')-Freiheiten und die Einheit der deutschen Stämme sind ihm zentrale politische Konzepte. Seine Ideale thematisierte Uhland auch in Gedichten, insbesondere in den “Vaterländischen Gedichten” (1816/1817), und den Dramen “Ernst, Herzog von Schwaben” (1818) und “Ludwig der Baier” (1819), letzteres ein Appell zugunsten der Stammeseinheit der Deutschen.
Besonders bemerkenswert ist die durch das romantische Volks-Konzept beförderte enge Verklammerung des poetischen und gelehrt-altertumskundlichen Diskurses bei Uhland. Dies zeigt sich auch an seinem Umgang mit Erzählstoffen [5], die er sowohl dichterisch verwendet als auch wissenschaftlich erforscht und - im Fall der Volkslieder - herausgibt. Es ist daher kein Zufall, dass die akademische Antrittsrede 1832 über die Sage vom →“Herzog Ernst” dem Titelhelden seines Dramas von 1818 galt. Ab etwa 1820 traten gelehrte Studien an die Stelle der freien dichterischen Adaptation und der nacherzählenden →Rekonstruktion, doch wurden die meisten wissenschaftlichen Schriften erst postum herausgegeben. 1822 erschien ein Buch über Walther von der Vogelweide, 1836 der “Der Mythus von Thôr nach nordischen Quellen”. Die lange vorbereitete Volksliedausgabe (“Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder”, 1844/45) blieb zu Lebzeiten unvollendet. In den letzten Lebensjahren Uhlands konnte Franz Pfeiffer ihn als Mitarbeiter für die Zeitschrift “Germania” gewinnen, wo er Aufsätze zur schwäbischen Sagenkunde, zur Heldensage und zum Volkslied publizierte.
Triviale Ritterromane (→Ritter), allen voran Leonhard Wächters (Pseudonym: Veit Weber) “Sagen der Vorzeit”, waren die Lieblingslektüre des Jugendlichen und haben mit ihrem auf wenige Klischees reduzierten Pseudo-Mittelalter die frühesten Gedichte Uhlands nachhaltig beeinflusst [6]. Daneben prägten die angeblichen Bardengesänge des →Ossian und die Dänengeschichte des →Saxo Grammaticus seine Auffassung der “Vorzeit”. Wichtig wurden auch die Volksbücher (→Volksbuch) einschließlich der französischen →Bibliothèque bleue, der er in Paris begegnete. Intensiviert wurde die Beschäftigung durch den Austausch mit Kerner, der eine große Sammlung deutscher Volksbücher zusammentrug. Sowohl Kerner als auch Uhland (im Dramenfragment “Die Entführung” von 1809) bearbeiteten z.B. die entlegene “Riesen-Geschichte, oder Kurzweilige und nützliche Historie vom König Eginhard aus Böhmen” von Leopold Richter aus dem 18. Jahrhundert [8]. Der auf die Prosahistorie →Fortunatus zurückgehende Stoff inspirierte Uhland 1815/1816 zu einem glänzend geschriebenen Versepos “Fortunat und seine Söhne”, von dem er aber nur die ersten beiden Gesänge (110 Stropen) vollendete [9]. Der einzige Romanversuch Uhlands “Hermann von Sachsenheim” (1809) verdankt sich der Lektüre eines Auszugs in Heinrich August Ottokar Reichards Bibliothek der Romane [10]. Als ihm 1811 Johann Friedrich Stockhausens “Mira Praesagia Mortis. Das ist: Wunderliche Todes-Vorboten” (Frankfurt am Main/Leipzig 1694) in die Hände fielen, wurde aus einer daraus entnommenen Passage binnen kurzem der bekannte “Junker Rechberger” [11]. Nicht näher befasst hat sich Uhland dagegen mit der Gattung (Volks-)Märchen, auch wenn er →Perraults Dornröschen-Fassung (→Schlafende Schönheit) in seinem Gedicht “Märchen” für poetologische Reflexionen nutzte [12].
'Sage' und Volkspoesie waren für Uhland weitgehend eins: “Die Sage der Völker ist [...] wesentlich Volkspoesie; alle Volkspoesie aber ist in ihrem Hauptbestande nach sagenhaft”[13]. Neben den Götter- und Heldensagen der nordischen Überlieferung und der deutschen →Heldensage fesselte ihn die altfranzösische Heldensage. In Paris las und kopierte Uhland tagsüber ebenso eifrig wie unsystematisch altfranzösische Texte, abends setzte er die Lektüre in Poesie um [14]. Im November 1812 konzipierte er ein “Mährchenbuch des Königs von Frankreich” nach dem Muster von Decamerone (→Boccaccio)/Heptaméron (→Marguerite de Navarre) als Anthologie “fränkischer, normännischer, bretagnischer, provenzalischer, gascognischer u.a. Erzählungen und Romanzen” [15]. Uhlands in Friedrich Baron de la Motte →Fouqués Zeitschrift “Musen” 1812 erschienener Essay “Ueber das altfranzösische Epos” [16] gilt als einer der Pioniertexte der deutschen Romanistik [17]. Im Mittelpunkt stand der patriotische Gefühle aktivierende Heldenliederzyklus um →Karl den Großen (→Chanson de geste) [18]. Altfranzösische Stoffe lagen auch nicht wenigen Balladen Uhlands zugrunde [19]. Daneben steuerten die spanische (z.B. Lope de → Vega), die italienische (z.B. →Dante), die englische und schottische sowie nicht zuletzt die altnordische Literatur Stoffe für Balladen und Dramenfragmente bei.
Zeitlebens war das →Nibelungenlied die Lieblingsdichtung Uhlands [20], der sich 1817 selbst an einem Nibelungendrama versuchte. Nach 22 Versen gab er auf. Früh faszinierte ihn das gedruckte “Heldenbuch” (Frankfurt am Main 1590). Die späteren gelehrten Studien zur nordischen Mythologie und zur deutschen Heldensage [21] haben aufgrund ihrer spekulativen komparatistischen Kombinationen heute nurmehr wissenschaftsgeschichtlichen Wert. Stark haben auf Uhland die Mythen-Theorien (→Mythologische Schule) der Brüder →Grimm, aber auch die von Joseph →Görres, Georg Friedrich Creuzer und Franz Josef Mone gewirkt [22].
Die heimische Sagenüberlieferung bezog Uhland ein im großangelegten unvollendeten Plan einer “Schwäbischen Sagenkunde”, an der er ab 1850 arbeitete und die in kühnem Bogen suebisch-alemannische Frühzeit mit mittelalterlich-frühneuzeitlichen Zeugnissen verbinden sollte [23]. Gespeist wurde das Projekt von schwäbisch-württembergischen Patriotismus, der Uhland auch motivierte, die mit der heimatlichen Staufer-Tradition zusammenhängenden Stoffe “Konradin” und →Weiber von Weinsberg dramatisch zu behandeln. Einzelne schwäbische Sagenballaden, insbesondere der schon in der Erstausgabe der Gedichte 1815 enthaltene kleine Zyklus “Eberhard der Rauschebart”, sollten die 'vaterländische' (württembergische) Geschichte poetisch umranken und trugen zur Popularität der schwäbischen Sagenballade bei, der sich zur gleichen Zeit vor allem Uhlands Freund Gustav →Schwab widmete. Als eine Ulmer Gesellschaft per Zirkular 1831 zur “Sammlung alter Volkslieder, Sagen etc. zur Verherrlichung des Schwabenlandes” aufrief, bedauerte Uhland gegenüber seinem engen Gelehrtenfreund Joseph von Laßberg, mit dem Sammeln von Sagen komme man wohl zu spät [24]. Uhland hatte keinen Sinn für Feldforschungen, er stützte sich lieber auf schriftliche Quellen, etwa →Chronikerzählungen aus der →Zimmerischen Chronik oder mittelhochdeutsche Texte wie den →Friedrich von Schwaben. 1852 bewies jedoch die Uhland gewidmete Sammlung schwäbischer Sagen von Ernst →Meier, wie reich die volkstümliche Überlieferung noch war.
Wie bei den Sagenforschungen konnte Uhland bei seinen Volkslied-Studien, die er ab Ende der 1820er Jahre betrieb, mit der lebendigen Volksüberlieferung kaum etwas anfangen. Auf seinen Bibliotheksreisen sichtete er gedruckte (→Lieddrucke) und handschriftliche Liedüberlieferungen vornehmlich des 16. Jahrhunderts. Der Fund eines gedruckten niederdeutschen Liederbuches (um 1600), das ebenso wie ein kostbarer Sammelband mit 27 Einzeldrucken vorwiegend süddeutscher Provenienz [25] in seinen Besitz überging, ermöglichte die Ausweitung des Textkorpus auf den niederdeutschen Sprachraum [26]. Die 1844/45 erschienene umfangreiche Sammlung, die nur bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts überlieferte Stücke aufnimmt, ist die erste wissenschaftliche deutsche Volksliedersammlung [27]. Bei Uhlands Versuchen, die “echte” alte Fassung zu rekonstruieren, blieb der Wissenschaftler dem Poeten verpflichtet. Strengen philologischen Maßstäben (→Philologische Methode) kann die Ausgabe daher nicht genügen, wenngleich sie Varianten und weitere Fassungen bietet. Uhland bereinigte die Texte etwa durch Weglassung anstößiger Stellen (→Obszönitäten). Intensiv hatte sich schon der junge Uhland mit den Stilmitteln des Volkslieds auseinandergesetzt und diese sich in seinen Gedichten angeeignet [28]. Bereits vor der Uhland prägenden Begegnung mit →Arnims und →Brentanos Sammlung “Des Knaben Wunderhorn” [29] - kurz nach dem Erscheinen von Band 1 im Herbst 1805 - war er insbesondere durch Johann Gottfried →Herders Volksliedersammlung mit der Gattung vertraut. Uhlands meisterhafte Imitation des 'Volkstons' erstaunte die Zeitgenossen: “Der Mensch dichtet ja wie ein Altdeutscher, ich möchte sagen wie das Volk selbst”, schrieb Fouqué [30]. Etliche Lieder Uhlands wurden selbst zu Volksliedern. “Der Wirtin Töchterlein” (1808) findet sich sogar im livländischen Volksgut [31]. 1809 gelang ihm mit “Der gute Kamerad” das bis heute bekannteste Soldatenlied (→Soldat) [32], das mit seiner Sinnstiftung des Soldatentods zur leichten Beute militaristischer und faschistischer Vereinnahmung wurde [33].
Uhlands Stern ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erheblich verblasst. An seiner herausragenden wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung als romantisch geprägter Literaturhistoriker, Sagen- und Volksliedforscher kann jedoch kein Zweifel bestehen. Der gefeierte Dichter Uhland, nach Schiller der populärste im 19. Jahrhundert und um 1870 so etwas wie ein bürgerlicher 'Nationalheld' [34], hat mit seiner Begeisterung für das 'Volk' viele andere mitgerissen, auch was volkskundliche Studien betraf (z.B. Wilhelm →Hertz oder Albert →Schott). Kurz nach 1945 ermöglichte Uhlands guter Name in Frankreich den Fortbestand des NS-kompromittierten Tübinger Volkskundeinstituts als Ludwig-Uhland-Institut [35].
Für die Frage nach den Austauschprozessen zwischen historischer Erzählüberlieferung, poetischer Gestaltung, gelehrter Beschäftigung und lebendiger Volkskultur liefern Uhlands Werk und Wirken wichtige Aufschlüsse. Dafür ein letztes Beispiel: Im Jahr 1900 berichtet der Pfarrer von Holzmaden bei Kirchheim unter Teck über die örtliche Geisterwelt, das Muetes Heer (→Wilde Jagd) - von Uhland wie damals üblich als Wotans-Heer wissenschaftlich gedeutet [36] - singe wundervoll “Ich hatte einen Kameraden”, also Uhlands populäres Soldatenlied [37].
Anmerkungen
[1] Schneider, Hermann: Uhland Leben, Dichtung, Forschung. Berlin 1920;
Scheffler, Walter P. H.: Ludwig Uhland. In: Lebensbilder aus Schwaben und Franken 10. Stuttgart 1966, 270-303;
Scheffler,Walter/Bergold, Albrecht: Marbacher Magazin 42/1987: Ludwig Uhland. Marbach 1987 (mit Bibliographie der Drucke 1806-1862);
Ludwig Uhland Werk und Wirkung. Festschrift des Uhland-Gymnasiums Tübingen. Tübingen 1987;
Bausinger, Hermann (Hrsg): Ludwig Uhland Dichter, Politiker, Gelehrter. Tübingen 1988;
Fröschle, Hartmut: Uhland, (Johann) Ludwig. In: Literaturlexikon 11. hrsg. von Walter Killy. Gütersloh/München 1991, 464-466;
Doerken, Victor Gerard: Ludwig Uhland and the Critics. Columbia 1994;
Singh, Stephanie: Uhland, Ludwig. In: Internationales Germanistenlexikon 3. Berlin/New York 2003, 1918-1920.
Umfangreicher Nachlass im Deutschen Literaturarchiv Marbach.
[2] Fröschle, Hartmut: Ludwig Uhland und die Romantik. Köln/Wien 1973 (grundlegend!).
[3] Ausgaben (Auswahl): Fröschle, Hartmut/Scheffler, Walter (Hrsg.): Werke. 1-4. München 1980-1984;
Holland, Wilhelm Ludwig/Keller, Adalbert v./Pfeiffer, Franz (Hrsg.): Uhlands Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage. 1-8. Stuttgart 1865-1873;
Hartmann, Julius (Hrsg): Uhlands Briefwechsel. 1-4. Berlin 1911-1916.
[4] Schriften (wie Anm. 3) Bd. 1, 134; vgl. Fröschle (wie Anm. 2) 197-202.
[5] Zu den von Uhland verwendeten Stoffen vgl. Eichholtz, Paul: Quellenstudien zu Uhlands Balladen. Berlin 1879;
Düntzer, Heinrich: Uhlands Balladen und Romanzen. Leipzig ²1890;
Derselbe: Uhlands Dramen und Dramenentwürfe. Leipzig 1892.
Literatur zu einzelnen Gedichten bei Goedeke, Karl: Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung ²8. Dresden 1904, 242-246.
[6] Schneider, Hermann: Uhlands Gedichte und das deutsche Mittelalter. Berlin 1920;
Fröschle (wie Anm. 2) 165-169. Zu Uhlands Kurztragödie “Benno” (1809) vgl. ebenda, 111 f.
[7] Schmidt, Wolf Gerhard: “Homer des Nordens” und “Mutter der Romantik” 2. Berlin 2003, 1068-1079.
[8] Zum Stoff vgl. Varnhagen, Hermann: Longfellows Tales of a Wayside Inn und ihre Quellen. Berlin 1884, 113-118.
https://books.google.de/books?id=muAIAAAAQAAJ (US)
[9] Werke (wie Anm. 3) Bd. 1, 588 f.; Fröschle (wie Anm. 2) 83-85; zur Quelle vgl. Ransmeier, John C.: Uhland's Fortunat and the Histoire de Fortunatus et de Ses Enfans. In: PMLA 25 (1910) 355-366.
https://www.jstor.org/stable/456684
[10] Fröschle (wie Anm. 2) 91 f.
[11] Werke (wie Anm. 3) Bd. 1, 574 f. Kerners Rechberger-Version bei Burger, Heinz Otto: Schwäbische Romantik. Stuttgart 1928, 141 f.
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kerner_rechberger_1.jpg
Zum Stoff vgl. Mesenzeva, Charmian A.: “Der behexte Stallknecht” des Hans Baldung Grien. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 44 (1981) 57-61 (die Deutung des Holzschnitts ist freilich abzulehnen).
[12] Werke (wie Anm. 3) Bd. 1, 261-267, 586 f.
[13] Schriften (wie Anm. 3) Bd. 7, 4.
[14] Schenda, Rudolf: Die drei Schlösser im Bette ersonnen. In: Ludwig Uhland 1988 (wie Anm. 1) 63-86, hier 77.
[15] Schmidt, Erich: Uhlands “Märchenbuch des Königs von Frankreich”. In: Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften 1897, 955-99, hier 979.
[16] Schriften (wie Anm. 3) Bd. 4, 327-406.
[17] Fränkel, Ludwig: Uhland als Romanist. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen 80 (1888), 25-113.
[18] Zu Uhlands dichterischer Rezeption des Karls-/Roland-Themas vgl. EM 7, 999; 11, 378, 776.
[19] Vgl. etwa Bohnengel, Julia: Dialektik und Affekte. Ludwig Uhlands “Kastellan von Couci” im kulturgeschichtlichen Kontext der europäischen Herzmaere-Tradition. In: Zeitschrift für Germanistik 15 (2005) 296-310; EM 6, 936.
[20] Fröschle (wie Anm. 2), 159.
[21] Schneider, Hermann: Uhland und die deutsche Heldensage. Berlin 1918.
[22] Fröschle (wie Anm. 2) 295-313;
Mornin, Edward: Ludwig Uhland and the Romantic Mythology. In: Germanic Review 62 (1987), 20-27.
[23] Moser, Hugo: Uhlands Schwäbische Sagenkunde und die germanistisch-volkskundliche Forschung der Romantik. Tübingen 1950;
Derselbe: Ludwig Uhland. In: Zur Geschichte von Volkskunde und Mundartforschung in Württemberg. Tübingen 1964, 66-79.
[24] Graf, Klaus: Schwabensagen. Zur Beschäftigung mit Sagen im 19. und 20. Jh. 2007. online: urn:nbn:de:bsz:25-opus-34599;
vgl. auch Briefwechsel (wie Anm. 3) Bd. 1, 32; Bd. 3, 51, 450;
Scheffler, Walter: Unbekannte Uhland-Briefe. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 20 (1976) 3-37, hier 11 f.
[25] Blümml, Emil Karl: Ludwig Uhlands Sammelband fliegender Blätter aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Straßburg 1911.
https://catalog.hathitrust.org/Record/001189860 (US)
[26] Die niederdeutschen Liederbücher von Uhland und de Bouck. Hamburg 1883.
[27] Brednich, Rolf Wilhelm: Der Volksliedforscher Ludwig Uhland. In: Ludwig Uhland 1988 (wie Anm. 1) 183-200;
Thoma, Adolf: Uhlands Volksliedersammlung. Stuttgart 1929;
Heiske, Wilhelm: Ludwig Uhlands Volksliedersammlung. Leipzig 1929;
Schenda, Rudolf: Auf der Liederjagd. In: NZZ 1988 Nr. 42.
[28] Klenner, Andreas: Vom romantischen Volkslied zur Vormärzlyrik. Poetische Entwicklungslinien bei Kerner, Uhland und W. Müller. Berlin 2002, 94-156, bes. 106 f.
[29] Rölleke, Heinz: Justinus Kerner, Ludwig Uhland und “Des Knaben Wunderhorn”. In: Schirmer, Karl-Heinz/Sowinski, Bernhard (Hrsg.): Zeiten und Formen in Sprache und Dichtung. Köln/Wien 1972, 278-289.
[30] Schneider (wie Anm. 1) 109.
[31] Werke (wie Anm. 3) Bd. 1, 561.
Zu “Des Sängers Fluch” und “Der blinde König” im mündlich tradierten Volksgesang vgl. Kiel, Ernst: Leben und Singen im 20. Jahrhundert. Die Funktionalität traditioneller Musik in einem Beispiel aus dem Oberharz. In: Lied und populäre Kultur 46 (2001) 117-140, hier 134 sq.
[32] Vgl. EM 12, 854.
[33] Zur ideologischen Uhland-Rezeption vgl. Aschenberg, Reinhold: Pegasus im Joch - Bruchstücke aus Uhlands Werk und der Geschichte seiner Wirkung. In: Ludwig Uhland Werk und Wirkung (wie Anm. 1) 121-143.
[34] Langewiesche, Dieter: Vom Scheitern bürgerlicher Nationalhelden. Ludwig Uhland und Friedrich Ludwig Jahn. In: Historische Zeitschrift 278 (2004) 375-397. [wieder in: Derselbe: Reich, Nation, Föderation. München 2008]
[35] Korff, Gottfried: Namenswechsel als Paradigmenwechsel? In: Weigel, Sigrid/Erdle, Birgit R. (Hrsg.): Fünfzig Jahre danach. Zürich 1996, 403-434, hier 410.
Zu Uhland in Frankreich vgl. Wieser, Marguerite: La Fortune d'Uhland en France. Paris 1972.
[36] Schriften (wie Anm. 3) Bd. 7, 613 f.
[37] Graf, Klaus (Hrsg.): Sagen der Schwäbischen Alb. Leinfelden-Echterdingen 2008, 219 f.
#forschung

Kein anderer berühmter deutscher Dichter des 19. Jahrhunderts hat einen so tiefen Fall erlebt, was seine Wertschätzung angeht, wie Ludwig Uhland, zu dessen 150. Todestag 2012 das Tübinger Stadtmuseum, das Deutsche Literaturarchiv Marbach und das Deutsche Seminar der Tübinger Universität sich zusammengetan haben, um ihm eine Ausstellung zu widmen. Eine überaus verhaltene Würdigung für einen Poeten, der im 19. Jahrhundert stürmisch bejubelt wurde.
Neun Aufsätze und einen ausführlichen Katalogteil (S. 115-249) enthält die Begleitpublikation. Obwohl Uhland im Titel als Linksradikaler bezeichnet wird, erfährt man über den Politiker fast nur etwas von Joachim Knape, der Uhland als politischer Redner in den Blick nimmt. Wilfried Setzler geht in Tübingen auf Spurensuche, die Tübinger Universitätsjahre 1801-1810 stellt Johannes Michael Wischnath vor. Uhlands Rolle in der beginnenden Germanistik skizziert Stefan Knödler, während sich Dietmar Till der bemerkenswerten "Schreibwerkstatt" Uhlands widmet, die Uhland für seine Studenten in den vier Semestern ab 1830, in denen er bis zu seinem erzwungenen Abschied lehren durfte, anbot ("Stylisticum").
Ausgezeichnete Gedichtinterpretationen legt in zwei Beiträgen Georg Braungart vor. Während Goethe und Schiller an Lesebuchtauglichem auch Dramen und Prosa schufen, kommt bei Uhland nur die Lyrik in Betracht. "Uhlands Lyrik ist vergessen", konstatiert Braungart und verweist darauf, dass sie von der Literaturwissenschaft nicht mehr behandelt, an Schulen und Universitäten nicht mehr gelesen und auch nicht mehr verlegt werde (Ausnahmen: Hermann Bausinger und Hubert Klöpfer). Zugleich sei sie aber nicht vergessen, da sie "in vielen geflügelten Worten" überlebt habe (S. 31). Das ist grundfalsch, denn die buchzentrierten Autoren des Katalogs haben wie üblich das Internet nicht auf ihrer Rechnung. Gewohnt schäbig wird die Zusammenstellung von Wikisource übergangen, die mich viel Arbeit gekostet hat. Dort findet man nicht nur eine Transkription (samt Scan) der Gedichte-Erstausgabe von 1815, die Uhlands Ruhm begründete, sondern auch eine Wiedergabe des Dramenfragments Konradin aus dem sehr seltenen Taschenbuch von der Donau auf das Jahr 1824. Und es sind zahlreiche Digitalisate von Uhland-Werken und Sekundärliteratur nachgewiesen. Im Projekt Gutenberg gibt es eine kleine Gedichtauswahl und einige Prosaschriften, darunter die Rede über die Wahl des Reichsoberhauptes, die mit den berühmten Worten schließt: "Glauben Sie, meine Herren, es wird kein Haupt über Deutschland leuchten, das nicht mit einem vollen Tropfen demokratischen Öls gesalbt ist!". Weiteres findet sich bei zeno.org und bei Harsch (wenn man von den vielen Digitalisaten absieht, die Wikisource listet). Man mag das als eher akademische Angebote ohne große Ausstrahlung abtun, doch stellt man mit Erstaunen fest, dass Uhlands anrührende Verse auf den Tod eines Kindes (Du kamst, du gingst mit leiser Spur, / Ein flücht'ger Gast im Erdenland; / Woher? Wohin? Wir wissen nur: / Aus Gottes Hand in Gottes Hand. - zitiert S. 41) sich im Internet als religiöses Trauergedicht sehr großer Beliebtheit erfreuen. Im Internet ist Uhlands Lyrik keineswegs vergessen, wie auch die nicht mehr aktuelle Zusammenstellung von Helmut Schulze zeigt.
Beziehungen zwischen Uhland und Heine beleuchtet Helmuth Mojem, setzt jedoch zu viel voraus. Ist es wirklich zuviel verlangt, in der Einleitung eines solchen Aufsatzes den Leser mit Heines Äußerungen zu Uhland vertraut zu machen, bevor man sich schöngeistigen Gedichtinterpretationen hingibt?
Das Versagen der Tübinger Universitätsbibliothekare beim Umgang mit Uhlands Bibliothek geht aus dem Beitrag von Wilfried Lagler deutlich hervor. Unsinniges Dublettendenken verhinderte, dass die Bibliothek, geleitet damals vom Indologen Rudolf von Roth, die ihr 1871 als Schenkung von der Witwe angetragene Bibliothek Uhlands in toto übernahm. Sie nahmen nur etwa die Hälfte und teilten den Bestand auf anstatt ihn geschlossen aufzustellen. Eine wichtige gedruckte Quelle ist das Zuwachsverzeichnis 1870/71 (Digitalisat), das 1497 Werke aus Uhlands Bibliothek zählt (S. 107). Manuskripte kamen von den Erben Wilhelm Hollands (1822-1891) in die Bibliothek. 1872 bot das Tübinger Antiquariat Heckenhauer 1565 Nummern überwiegend aus Uhlands Bibliothek an (Digitalisat), darunter 126 mit Uhlands eigenhändigem Namenszug und 71 Widmungsexemplare. 111 bisher identifizierte Bände gelangten in die 1871 neu gegründete Straßburger Universitäts- und Landesbibliothek. 153 Bände schenkte Uhlands Witwe der Königlichen Bibliothek in Stuttgart. Auch wenn Uhlands Bücher kaum Arbeitsspuren aufweisen, ist die von den Tübinger Bibliothekaren zu verantwortende Zerstückelung von Uhlands Bibliothek ein großer Verlust für die Wissenschaftsgeschichte.
Der Katalogteil bringt manches Interessante, seien es Uhland-Memorabilien wie die nach Marbach gelangte Taufgarnitur (S. 122) und Taschentücher (S. 202), sei es die Wiedergabe eines bislang unbekannten Gedichts (S. 166). Auch kann man im Faksimile den perfiden Satz des Königs Wilhelm I. von Württemberg nachlesen, der 1833 "sehr gerne" die Entlassung Uhlands aus dem Staatsdienst bewilligte, "da er als Professor ganz unnüz war" (S. 175).
Ein großer Pluspunkt des Katalogs sind die großformatigen Farbabbildungen. Das Marbacher Magazin Nr. 42 von 1987 wirkt mit seinen Schwarzweißabbildungen demgegenüber geradezu ärmlich.
Ein großer Minuspunkt des Katalogs ist der weitgehende Verzicht auf einen wissenschaftlichen Apparat. An wen außer an Bildungsbürger, die mit Fußnoten oder Literaturangaben umgehen können oder sie wenigstens tolerieren, richtet sich denn ein solches Werk? Da Studierende im Rahmen von Lehrveranstaltungen an dem Katalog mitgearbeitet haben, ist es ganz und gar unverzeihlich, dass aus Gründen der "Übersichtlichkeit" (S. 251) auf Literaturnachweise im Katalogteil verzichtet wurde. Als ob eine Seite kleingedruckte Nachweise, die Uhland-Stellen anzugeben und den nach Maßstäben wissenschaftlicher Redlichkeit geschuldeten Tribut an die Autoren der verwendeten Sekundärliteratur zu zollen hätten, gestört hätte! Unbelegtes Wissen ist wertloses Wissen, das sollte man an den Hochschulen tagaus tagein vermitteln.
Inhaltlich vermisse ich Ausführungen zu Uhlands Verhältnis zur Volksüberlieferung. Mein Beitrag dazu in der Enzyklopädie des Märchens (Bd. 13, 2010) wird nicht zitiert.
***
Soweit die Besprechung. Ergänzend dokumentiere ich meine Manuskriptfassung (eingereicht am 4. November 2008) von
Klaus Graf: Johann Ludwig Uhland, in: Enzyklopädie des Märchens 13 [Lief. 3] (2010), Sp. 1128-1134
Online (Amazon; Blick ins Buch, zugänglich für registrierte Kunden):
https://www.amazon.de/Enzyklop%C3%A4die-M%C3%A4rchens-Suchen-Handworterbuch-Erz%E2%80%9Ehlforschung/dp/3110237679/ (nach soldatenlied suchen und dann zurück- bzw. vorblättern)
Sie wurde für den Druck von der Redaktion nicht unerheblich gekürzt. Als weiteren Mehrwert habe ich alle Abkürzungen (bis auf EM = Enzyklopädie des Märchens) und die Vornamen der zitierten Autoren/Personen aufgelöst. Die Verweise (→) auf andere EM-Artikel habe ich beibehalten, die Zitierformalia ins Deutsche übertragen (f. statt sq., usw). Für Digitalisate sei auf den Uhland-Artikel in Wikisource verwiesen - vor allem die noch wichtigen älteren Werkausgaben sind alle online (ausnahmsweise ergänze ich dort nicht nachgewiesene spezielle ältere Literatur). Einige kleine inhaltliche bzw. stilistische Änderungen orientieren sich meist an der Druckfassung. Die folgende Fassung stellt somit einen eigenen zitierfähigen Artikel über Uhland dar.
An Literatur sollte man vielleicht nachtragen Hartmut Fröschles "Hausgeist des deutschen Volkes. Eine Wirkungsgeschichte Ludwig Uhlands in Zitaten" (2012) und Ilonka Zimmer "Uhland im Kanon" (2009), für beide gilt: non vidi (Zimmer ist in Auszügen bei Google präsent). Anscheinend noch nicht erschienen ist der Tagungsband (Beihefte zum Euphorion 71) zum Symposium Provinzielle Weite 2010.
Uhland, Ludwig
* Tübingen 26. 4. 1787, † ebenda 13. 11. 1862,
deutscher Lyriker, Dramatiker, Literaturhistoriker, Sagen-, Volkslied- und Mythenforscher, württembergischer Politiker [1].
Uhland, Sohn eines Juristen, der in Tübingen als Universitätssekretär wirkte, nahm 1801 in seiner Heimatstadt ein juristisches Studium auf, das er 1808 mit dem Advokatenexamen und 1810 mit der juristischen Promotion beendete. Er fand Anschluss an einen romantisch gesinnten Studentenzirkel, der von altdeutscher und “volkstümlicher” Literatur fasziniert war. Die engste Freundschaft verband ihn in diesem Kreis mit dem Medizinstudenten Justinus →Kerner. In Paris sollte Uhland 1810/11 eigentlich das französische Recht kennen lernen, doch fesselten ihn die altfranzösischen und altdeutschen Bücherschätze der Nationalbibliothek weit mehr. Die ungeliebte Advokatentätigkeit in Tübingen und Stuttgart, unterbrochen von dem vergeblichen Versuch, im Staatsdienst Fuß zu fassen, gewährte nur karge Einkünfte. Von 1819 bis 1826 vertrat Uhland das Oberamt Tübingen in der württembergischen Ständeversammlung. 1820 endeten die Geldsorgen durch die Heirat mit Emilie Vischer. Ende 1829 wurde Uhland in Tübingen zum außerordentlichen Professor für deutsche Sprache und Literatur berufen. Die lange ersehnte akademische Laufbahn wurde freilich ein Opfer der Repression, als die Regierung ihm 1833 den für die Wahrnehmung des Stuttgarter Abgeordnetenmandats erforderlichen Urlaub verweigerte. Uhland reichte sein Entlassungsgesuch ein, das König Wilhelm mit gehässiger Randbemerkung gern bewilligte. Bis 1838 blieb Uhland als Angehöriger der liberalen Opposition im Landtag. Das Tübinger Leben als Privatgelehrter wurde noch einmal unterbrochen, als er sich 1848 zum Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung wählen ließ. Er kämpfte für demokratische und großdeutsche Ideale und harrte bis zur gewaltsamen Auflösung des Stuttgarter Rumpfparlaments im Juni 1849 aus.
Uhlands phänomenaler Ruhm im 19. Jh. beruhte auf seinen Gedichten, die erstmals 1815 bei Cotta erschienen und bis 1884 insgesamt 64 Auflagen erlebten. Zahlreiche Übersetzungen (und Vertonungen) belegen eine außerordentlich breite internationale Rezeption.
Uhlands Stellung in der Geistesgeschichte wird zuallererst durch die Zugehörigkeit zur →Romantik bestimmt [2]. Romantische →Mittelalterrezeption und Hochschätzung der Volkspoesie prägen sowohl sein literarisches als auch sein wissenschaftliches Oeuvre [3]. Unter Volkspoesie versteht er “die geistige Auffassung eines ganzen Volkslebens durch die Gesammtheit des Volkes” [4]. Der Leitbegriff des 'Volks' schlägt die Brücke zu den freiheitlich-liberalen Positionen des Politikers Uhland, der sich für das 'gute alte Recht' (des Volks) und die althergebrachte landständische Verfassung einsetzte. Bürgerliche ('Volks')-Freiheiten und die Einheit der deutschen Stämme sind ihm zentrale politische Konzepte. Seine Ideale thematisierte Uhland auch in Gedichten, insbesondere in den “Vaterländischen Gedichten” (1816/1817), und den Dramen “Ernst, Herzog von Schwaben” (1818) und “Ludwig der Baier” (1819), letzteres ein Appell zugunsten der Stammeseinheit der Deutschen.
Besonders bemerkenswert ist die durch das romantische Volks-Konzept beförderte enge Verklammerung des poetischen und gelehrt-altertumskundlichen Diskurses bei Uhland. Dies zeigt sich auch an seinem Umgang mit Erzählstoffen [5], die er sowohl dichterisch verwendet als auch wissenschaftlich erforscht und - im Fall der Volkslieder - herausgibt. Es ist daher kein Zufall, dass die akademische Antrittsrede 1832 über die Sage vom →“Herzog Ernst” dem Titelhelden seines Dramas von 1818 galt. Ab etwa 1820 traten gelehrte Studien an die Stelle der freien dichterischen Adaptation und der nacherzählenden →Rekonstruktion, doch wurden die meisten wissenschaftlichen Schriften erst postum herausgegeben. 1822 erschien ein Buch über Walther von der Vogelweide, 1836 der “Der Mythus von Thôr nach nordischen Quellen”. Die lange vorbereitete Volksliedausgabe (“Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder”, 1844/45) blieb zu Lebzeiten unvollendet. In den letzten Lebensjahren Uhlands konnte Franz Pfeiffer ihn als Mitarbeiter für die Zeitschrift “Germania” gewinnen, wo er Aufsätze zur schwäbischen Sagenkunde, zur Heldensage und zum Volkslied publizierte.
Triviale Ritterromane (→Ritter), allen voran Leonhard Wächters (Pseudonym: Veit Weber) “Sagen der Vorzeit”, waren die Lieblingslektüre des Jugendlichen und haben mit ihrem auf wenige Klischees reduzierten Pseudo-Mittelalter die frühesten Gedichte Uhlands nachhaltig beeinflusst [6]. Daneben prägten die angeblichen Bardengesänge des →Ossian und die Dänengeschichte des →Saxo Grammaticus seine Auffassung der “Vorzeit”. Wichtig wurden auch die Volksbücher (→Volksbuch) einschließlich der französischen →Bibliothèque bleue, der er in Paris begegnete. Intensiviert wurde die Beschäftigung durch den Austausch mit Kerner, der eine große Sammlung deutscher Volksbücher zusammentrug. Sowohl Kerner als auch Uhland (im Dramenfragment “Die Entführung” von 1809) bearbeiteten z.B. die entlegene “Riesen-Geschichte, oder Kurzweilige und nützliche Historie vom König Eginhard aus Böhmen” von Leopold Richter aus dem 18. Jahrhundert [8]. Der auf die Prosahistorie →Fortunatus zurückgehende Stoff inspirierte Uhland 1815/1816 zu einem glänzend geschriebenen Versepos “Fortunat und seine Söhne”, von dem er aber nur die ersten beiden Gesänge (110 Stropen) vollendete [9]. Der einzige Romanversuch Uhlands “Hermann von Sachsenheim” (1809) verdankt sich der Lektüre eines Auszugs in Heinrich August Ottokar Reichards Bibliothek der Romane [10]. Als ihm 1811 Johann Friedrich Stockhausens “Mira Praesagia Mortis. Das ist: Wunderliche Todes-Vorboten” (Frankfurt am Main/Leipzig 1694) in die Hände fielen, wurde aus einer daraus entnommenen Passage binnen kurzem der bekannte “Junker Rechberger” [11]. Nicht näher befasst hat sich Uhland dagegen mit der Gattung (Volks-)Märchen, auch wenn er →Perraults Dornröschen-Fassung (→Schlafende Schönheit) in seinem Gedicht “Märchen” für poetologische Reflexionen nutzte [12].
'Sage' und Volkspoesie waren für Uhland weitgehend eins: “Die Sage der Völker ist [...] wesentlich Volkspoesie; alle Volkspoesie aber ist in ihrem Hauptbestande nach sagenhaft”[13]. Neben den Götter- und Heldensagen der nordischen Überlieferung und der deutschen →Heldensage fesselte ihn die altfranzösische Heldensage. In Paris las und kopierte Uhland tagsüber ebenso eifrig wie unsystematisch altfranzösische Texte, abends setzte er die Lektüre in Poesie um [14]. Im November 1812 konzipierte er ein “Mährchenbuch des Königs von Frankreich” nach dem Muster von Decamerone (→Boccaccio)/Heptaméron (→Marguerite de Navarre) als Anthologie “fränkischer, normännischer, bretagnischer, provenzalischer, gascognischer u.a. Erzählungen und Romanzen” [15]. Uhlands in Friedrich Baron de la Motte →Fouqués Zeitschrift “Musen” 1812 erschienener Essay “Ueber das altfranzösische Epos” [16] gilt als einer der Pioniertexte der deutschen Romanistik [17]. Im Mittelpunkt stand der patriotische Gefühle aktivierende Heldenliederzyklus um →Karl den Großen (→Chanson de geste) [18]. Altfranzösische Stoffe lagen auch nicht wenigen Balladen Uhlands zugrunde [19]. Daneben steuerten die spanische (z.B. Lope de → Vega), die italienische (z.B. →Dante), die englische und schottische sowie nicht zuletzt die altnordische Literatur Stoffe für Balladen und Dramenfragmente bei.
Zeitlebens war das →Nibelungenlied die Lieblingsdichtung Uhlands [20], der sich 1817 selbst an einem Nibelungendrama versuchte. Nach 22 Versen gab er auf. Früh faszinierte ihn das gedruckte “Heldenbuch” (Frankfurt am Main 1590). Die späteren gelehrten Studien zur nordischen Mythologie und zur deutschen Heldensage [21] haben aufgrund ihrer spekulativen komparatistischen Kombinationen heute nurmehr wissenschaftsgeschichtlichen Wert. Stark haben auf Uhland die Mythen-Theorien (→Mythologische Schule) der Brüder →Grimm, aber auch die von Joseph →Görres, Georg Friedrich Creuzer und Franz Josef Mone gewirkt [22].
Die heimische Sagenüberlieferung bezog Uhland ein im großangelegten unvollendeten Plan einer “Schwäbischen Sagenkunde”, an der er ab 1850 arbeitete und die in kühnem Bogen suebisch-alemannische Frühzeit mit mittelalterlich-frühneuzeitlichen Zeugnissen verbinden sollte [23]. Gespeist wurde das Projekt von schwäbisch-württembergischen Patriotismus, der Uhland auch motivierte, die mit der heimatlichen Staufer-Tradition zusammenhängenden Stoffe “Konradin” und →Weiber von Weinsberg dramatisch zu behandeln. Einzelne schwäbische Sagenballaden, insbesondere der schon in der Erstausgabe der Gedichte 1815 enthaltene kleine Zyklus “Eberhard der Rauschebart”, sollten die 'vaterländische' (württembergische) Geschichte poetisch umranken und trugen zur Popularität der schwäbischen Sagenballade bei, der sich zur gleichen Zeit vor allem Uhlands Freund Gustav →Schwab widmete. Als eine Ulmer Gesellschaft per Zirkular 1831 zur “Sammlung alter Volkslieder, Sagen etc. zur Verherrlichung des Schwabenlandes” aufrief, bedauerte Uhland gegenüber seinem engen Gelehrtenfreund Joseph von Laßberg, mit dem Sammeln von Sagen komme man wohl zu spät [24]. Uhland hatte keinen Sinn für Feldforschungen, er stützte sich lieber auf schriftliche Quellen, etwa →Chronikerzählungen aus der →Zimmerischen Chronik oder mittelhochdeutsche Texte wie den →Friedrich von Schwaben. 1852 bewies jedoch die Uhland gewidmete Sammlung schwäbischer Sagen von Ernst →Meier, wie reich die volkstümliche Überlieferung noch war.
Wie bei den Sagenforschungen konnte Uhland bei seinen Volkslied-Studien, die er ab Ende der 1820er Jahre betrieb, mit der lebendigen Volksüberlieferung kaum etwas anfangen. Auf seinen Bibliotheksreisen sichtete er gedruckte (→Lieddrucke) und handschriftliche Liedüberlieferungen vornehmlich des 16. Jahrhunderts. Der Fund eines gedruckten niederdeutschen Liederbuches (um 1600), das ebenso wie ein kostbarer Sammelband mit 27 Einzeldrucken vorwiegend süddeutscher Provenienz [25] in seinen Besitz überging, ermöglichte die Ausweitung des Textkorpus auf den niederdeutschen Sprachraum [26]. Die 1844/45 erschienene umfangreiche Sammlung, die nur bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts überlieferte Stücke aufnimmt, ist die erste wissenschaftliche deutsche Volksliedersammlung [27]. Bei Uhlands Versuchen, die “echte” alte Fassung zu rekonstruieren, blieb der Wissenschaftler dem Poeten verpflichtet. Strengen philologischen Maßstäben (→Philologische Methode) kann die Ausgabe daher nicht genügen, wenngleich sie Varianten und weitere Fassungen bietet. Uhland bereinigte die Texte etwa durch Weglassung anstößiger Stellen (→Obszönitäten). Intensiv hatte sich schon der junge Uhland mit den Stilmitteln des Volkslieds auseinandergesetzt und diese sich in seinen Gedichten angeeignet [28]. Bereits vor der Uhland prägenden Begegnung mit →Arnims und →Brentanos Sammlung “Des Knaben Wunderhorn” [29] - kurz nach dem Erscheinen von Band 1 im Herbst 1805 - war er insbesondere durch Johann Gottfried →Herders Volksliedersammlung mit der Gattung vertraut. Uhlands meisterhafte Imitation des 'Volkstons' erstaunte die Zeitgenossen: “Der Mensch dichtet ja wie ein Altdeutscher, ich möchte sagen wie das Volk selbst”, schrieb Fouqué [30]. Etliche Lieder Uhlands wurden selbst zu Volksliedern. “Der Wirtin Töchterlein” (1808) findet sich sogar im livländischen Volksgut [31]. 1809 gelang ihm mit “Der gute Kamerad” das bis heute bekannteste Soldatenlied (→Soldat) [32], das mit seiner Sinnstiftung des Soldatentods zur leichten Beute militaristischer und faschistischer Vereinnahmung wurde [33].
Uhlands Stern ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erheblich verblasst. An seiner herausragenden wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung als romantisch geprägter Literaturhistoriker, Sagen- und Volksliedforscher kann jedoch kein Zweifel bestehen. Der gefeierte Dichter Uhland, nach Schiller der populärste im 19. Jahrhundert und um 1870 so etwas wie ein bürgerlicher 'Nationalheld' [34], hat mit seiner Begeisterung für das 'Volk' viele andere mitgerissen, auch was volkskundliche Studien betraf (z.B. Wilhelm →Hertz oder Albert →Schott). Kurz nach 1945 ermöglichte Uhlands guter Name in Frankreich den Fortbestand des NS-kompromittierten Tübinger Volkskundeinstituts als Ludwig-Uhland-Institut [35].
Für die Frage nach den Austauschprozessen zwischen historischer Erzählüberlieferung, poetischer Gestaltung, gelehrter Beschäftigung und lebendiger Volkskultur liefern Uhlands Werk und Wirken wichtige Aufschlüsse. Dafür ein letztes Beispiel: Im Jahr 1900 berichtet der Pfarrer von Holzmaden bei Kirchheim unter Teck über die örtliche Geisterwelt, das Muetes Heer (→Wilde Jagd) - von Uhland wie damals üblich als Wotans-Heer wissenschaftlich gedeutet [36] - singe wundervoll “Ich hatte einen Kameraden”, also Uhlands populäres Soldatenlied [37].
Anmerkungen
[1] Schneider, Hermann: Uhland Leben, Dichtung, Forschung. Berlin 1920;
Scheffler, Walter P. H.: Ludwig Uhland. In: Lebensbilder aus Schwaben und Franken 10. Stuttgart 1966, 270-303;
Scheffler,Walter/Bergold, Albrecht: Marbacher Magazin 42/1987: Ludwig Uhland. Marbach 1987 (mit Bibliographie der Drucke 1806-1862);
Ludwig Uhland Werk und Wirkung. Festschrift des Uhland-Gymnasiums Tübingen. Tübingen 1987;
Bausinger, Hermann (Hrsg): Ludwig Uhland Dichter, Politiker, Gelehrter. Tübingen 1988;
Fröschle, Hartmut: Uhland, (Johann) Ludwig. In: Literaturlexikon 11. hrsg. von Walter Killy. Gütersloh/München 1991, 464-466;
Doerken, Victor Gerard: Ludwig Uhland and the Critics. Columbia 1994;
Singh, Stephanie: Uhland, Ludwig. In: Internationales Germanistenlexikon 3. Berlin/New York 2003, 1918-1920.
Umfangreicher Nachlass im Deutschen Literaturarchiv Marbach.
[2] Fröschle, Hartmut: Ludwig Uhland und die Romantik. Köln/Wien 1973 (grundlegend!).
[3] Ausgaben (Auswahl): Fröschle, Hartmut/Scheffler, Walter (Hrsg.): Werke. 1-4. München 1980-1984;
Holland, Wilhelm Ludwig/Keller, Adalbert v./Pfeiffer, Franz (Hrsg.): Uhlands Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage. 1-8. Stuttgart 1865-1873;
Hartmann, Julius (Hrsg): Uhlands Briefwechsel. 1-4. Berlin 1911-1916.
[4] Schriften (wie Anm. 3) Bd. 1, 134; vgl. Fröschle (wie Anm. 2) 197-202.
[5] Zu den von Uhland verwendeten Stoffen vgl. Eichholtz, Paul: Quellenstudien zu Uhlands Balladen. Berlin 1879;
Düntzer, Heinrich: Uhlands Balladen und Romanzen. Leipzig ²1890;
Derselbe: Uhlands Dramen und Dramenentwürfe. Leipzig 1892.
Literatur zu einzelnen Gedichten bei Goedeke, Karl: Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung ²8. Dresden 1904, 242-246.
[6] Schneider, Hermann: Uhlands Gedichte und das deutsche Mittelalter. Berlin 1920;
Fröschle (wie Anm. 2) 165-169. Zu Uhlands Kurztragödie “Benno” (1809) vgl. ebenda, 111 f.
[7] Schmidt, Wolf Gerhard: “Homer des Nordens” und “Mutter der Romantik” 2. Berlin 2003, 1068-1079.
[8] Zum Stoff vgl. Varnhagen, Hermann: Longfellows Tales of a Wayside Inn und ihre Quellen. Berlin 1884, 113-118.
https://books.google.de/books?id=muAIAAAAQAAJ (US)
[9] Werke (wie Anm. 3) Bd. 1, 588 f.; Fröschle (wie Anm. 2) 83-85; zur Quelle vgl. Ransmeier, John C.: Uhland's Fortunat and the Histoire de Fortunatus et de Ses Enfans. In: PMLA 25 (1910) 355-366.
https://www.jstor.org/stable/456684
[10] Fröschle (wie Anm. 2) 91 f.
[11] Werke (wie Anm. 3) Bd. 1, 574 f. Kerners Rechberger-Version bei Burger, Heinz Otto: Schwäbische Romantik. Stuttgart 1928, 141 f.
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kerner_rechberger_1.jpg
Zum Stoff vgl. Mesenzeva, Charmian A.: “Der behexte Stallknecht” des Hans Baldung Grien. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 44 (1981) 57-61 (die Deutung des Holzschnitts ist freilich abzulehnen).
[12] Werke (wie Anm. 3) Bd. 1, 261-267, 586 f.
[13] Schriften (wie Anm. 3) Bd. 7, 4.
[14] Schenda, Rudolf: Die drei Schlösser im Bette ersonnen. In: Ludwig Uhland 1988 (wie Anm. 1) 63-86, hier 77.
[15] Schmidt, Erich: Uhlands “Märchenbuch des Königs von Frankreich”. In: Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften 1897, 955-99, hier 979.
[16] Schriften (wie Anm. 3) Bd. 4, 327-406.
[17] Fränkel, Ludwig: Uhland als Romanist. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen 80 (1888), 25-113.
[18] Zu Uhlands dichterischer Rezeption des Karls-/Roland-Themas vgl. EM 7, 999; 11, 378, 776.
[19] Vgl. etwa Bohnengel, Julia: Dialektik und Affekte. Ludwig Uhlands “Kastellan von Couci” im kulturgeschichtlichen Kontext der europäischen Herzmaere-Tradition. In: Zeitschrift für Germanistik 15 (2005) 296-310; EM 6, 936.
[20] Fröschle (wie Anm. 2), 159.
[21] Schneider, Hermann: Uhland und die deutsche Heldensage. Berlin 1918.
[22] Fröschle (wie Anm. 2) 295-313;
Mornin, Edward: Ludwig Uhland and the Romantic Mythology. In: Germanic Review 62 (1987), 20-27.
[23] Moser, Hugo: Uhlands Schwäbische Sagenkunde und die germanistisch-volkskundliche Forschung der Romantik. Tübingen 1950;
Derselbe: Ludwig Uhland. In: Zur Geschichte von Volkskunde und Mundartforschung in Württemberg. Tübingen 1964, 66-79.
[24] Graf, Klaus: Schwabensagen. Zur Beschäftigung mit Sagen im 19. und 20. Jh. 2007. online: urn:nbn:de:bsz:25-opus-34599;
vgl. auch Briefwechsel (wie Anm. 3) Bd. 1, 32; Bd. 3, 51, 450;
Scheffler, Walter: Unbekannte Uhland-Briefe. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 20 (1976) 3-37, hier 11 f.
[25] Blümml, Emil Karl: Ludwig Uhlands Sammelband fliegender Blätter aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Straßburg 1911.
https://catalog.hathitrust.org/Record/001189860 (US)
[26] Die niederdeutschen Liederbücher von Uhland und de Bouck. Hamburg 1883.
[27] Brednich, Rolf Wilhelm: Der Volksliedforscher Ludwig Uhland. In: Ludwig Uhland 1988 (wie Anm. 1) 183-200;
Thoma, Adolf: Uhlands Volksliedersammlung. Stuttgart 1929;
Heiske, Wilhelm: Ludwig Uhlands Volksliedersammlung. Leipzig 1929;
Schenda, Rudolf: Auf der Liederjagd. In: NZZ 1988 Nr. 42.
[28] Klenner, Andreas: Vom romantischen Volkslied zur Vormärzlyrik. Poetische Entwicklungslinien bei Kerner, Uhland und W. Müller. Berlin 2002, 94-156, bes. 106 f.
[29] Rölleke, Heinz: Justinus Kerner, Ludwig Uhland und “Des Knaben Wunderhorn”. In: Schirmer, Karl-Heinz/Sowinski, Bernhard (Hrsg.): Zeiten und Formen in Sprache und Dichtung. Köln/Wien 1972, 278-289.
[30] Schneider (wie Anm. 1) 109.
[31] Werke (wie Anm. 3) Bd. 1, 561.
Zu “Des Sängers Fluch” und “Der blinde König” im mündlich tradierten Volksgesang vgl. Kiel, Ernst: Leben und Singen im 20. Jahrhundert. Die Funktionalität traditioneller Musik in einem Beispiel aus dem Oberharz. In: Lied und populäre Kultur 46 (2001) 117-140, hier 134 sq.
[32] Vgl. EM 12, 854.
[33] Zur ideologischen Uhland-Rezeption vgl. Aschenberg, Reinhold: Pegasus im Joch - Bruchstücke aus Uhlands Werk und der Geschichte seiner Wirkung. In: Ludwig Uhland Werk und Wirkung (wie Anm. 1) 121-143.
[34] Langewiesche, Dieter: Vom Scheitern bürgerlicher Nationalhelden. Ludwig Uhland und Friedrich Ludwig Jahn. In: Historische Zeitschrift 278 (2004) 375-397. [wieder in: Derselbe: Reich, Nation, Föderation. München 2008]
[35] Korff, Gottfried: Namenswechsel als Paradigmenwechsel? In: Weigel, Sigrid/Erdle, Birgit R. (Hrsg.): Fünfzig Jahre danach. Zürich 1996, 403-434, hier 410.
Zu Uhland in Frankreich vgl. Wieser, Marguerite: La Fortune d'Uhland en France. Paris 1972.
[36] Schriften (wie Anm. 3) Bd. 7, 613 f.
[37] Graf, Klaus (Hrsg.): Sagen der Schwäbischen Alb. Leinfelden-Echterdingen 2008, 219 f.
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KlausGraf - am Samstag, 9. März 2013, 21:42 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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