Geschichtswissenschaft
KlausGraf - am Donnerstag, 23. Mai 2013, 18:59 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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Bei Heinrich Handelmann (Topographischer Volkshumor, 1866, S. 42) erscheint als Nr. 151 "Qualens Brudlacht" als "alte sprichwörtliche Redensart" für ein schweres Unglück. Sie wird zurückgeführt auf einen verheerenden Brand 1445 bei einer Bauernhochzeit in Quaal bei Segeberg.
https://books.google.de/books?id=RsJCAAAAcAAJ&pg=PA42
Hat sich diese Redensart über 400 Jahre in der Mündlichkeit erhalten?
Die Lübecker Ratschronik meldet das Unglück zu 1446 vergleichweise ausführlich:
https://archive.org/stream/diechronikenderdtstaedteLuebeck30/DieChronikenDerDeutschenStaedteVom14.BisIns16.JahrhundertVolume30#page/n103/mode/2up
Mehr als 180 Opfer habe der Brand auf einer Bauernhochzeit in Quaal bei Segeberg gefordert. Braut und Bräutigam und einigen anderen Gästen sei durch einen kleinen Ausgang die Flucht gelungen.
Diese Nachricht wurde von anderen Chroniken aufgenommen und weiterverbreitet. Dass Braut und Bräutigam nackt entkommen seien, sagt erst das Chronicon Slavicum (bis 1485)
https://books.google.de/books?id=bojTAAAAMAAJ&pg=PA194 (ed. Laspeyres, S. 194-197)
Zur Quelle:
https://www.geschichtsquellen.de/repOpus_01193.html
Seit 1492 steht die Nachricht auch gedruckt zur Verfügung, nämlich in der Cronecken der Sassen:
https://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00025661/image_511
Lateinische Chroniknotiz im Formelbuch Christians von Geren:
https://archive.org/stream/dielbeckerberge00brungoog#page/n573/mode/2up
Im 16. Jahrhundert berichtet der Goslarer Chronist Hans Geismar von der Katastrophe:
https://books.google.de/books?id=6G0eAAAAMAAJ&q=dorpe+quale
Der 5. Auflage von Deeckes Lübischen Sagen (Quellennachweise S. 457) entnehme ich, dass die Geschichte auch Eingang in die handschriftlichen Stadtchroniken fand (Heinrich Rhebein 446; Detleff Dreyer 375). Erstausgabe 1852 ("Die Qualische Hochzeit"):
https://de.wikisource.org/wiki/Die_Qualische_Hochzeit
Die Darstellung ist am Ende dramatisiert: Nur Bräutigam und Braut seien entkommen.
Als mögliche Hauptquelle Deeckes kann man die in den Nachweisen nicht genannte "Wandalia" des Albert Krantz ansprechen, der erstmals von einem früheren Sprichwort etwas sagt.
https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10143510_00396.html (Köln 1519)
https://books.google.de/books?id=q25EAAAAcAAJ&hl=de&pg=PA278 (Frankfurt am Main 1575, Buch XII, Kapitel 12)
https://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/content/pageview/1597931 (nach Krantz: Chronik des Lambert Alard, gest. 1672, ed. Westphalen)
Über Krantz gelangte die Kunde des Ereignisses in die frühneuzeitliche Exempel- und Kompilationsliteratur, deren (hier: katholische) Autoren es als "Exemplum" gegen das Tanzen verwerteten.
Zu den Anti-Tanz-Exempeln vielleicht am instruktivsten meine Seite:
https://de.wikisource.org/wiki/Die_Mordgrube_zu_Freiberg
Was bei Google Books (bzw. über die OCR) auf Anhieb auffindbar ist, ist sicher keine vollständige Liste der Belege:
https://books.google.de/books?id=N40_AAAAcAAJ&pg=PA842 (Flores exemplorum, 1616, katholisch)
https://books.google.de/books?id=_JVMAAAAcAAJ&pg=PA420 (Lorenzo Stramusoli 1699, katholisch)
https://books.google.de/books?id=OTs_AAAAcAAJ&pg=PA190 (Gervasius Bulffer OSB 1776)
Verräterisch ist die Vergangenheitsform hinsichtlich des Sprichworts bei Krantz, die sich in der Holsteiner Chronik des Johannes Petersen wiederholt: "ist ein Sprichwort entstanden, Qualer Brutlacht, das man lange zeit gebraucht so jemand unglück begegnete".
https://books.google.de/books?id=Kn9MAAAAcAAJ&pg=PT199 (Frankfurt am Main 1557)
https://books.google.de/books?id=MNNSAAAAcAAJ&pg=PT149 (1599)
https://books.google.de/books?id=-EoWAAAAYAAJ&pg=PA1032 (Grässes Preussisches Sagenbuch nach der Ausgabe 1599)
Christianis Geschichte (Bd. 4, 1779, S. 318), die das falsche Quaal in Holstein nennt (zum richtigen in der heutigen Gemeinde Rohlstorf siehe OpenStreetMap
https://www.openstreetmap.org/index.html?minlon=10.3734502792358&minlat=53.9615287780762 ), hat: "Der Ausdruck: Eine Qualensche Hochzeit, ward zum landüblichen Ausdruck, dadurch man irgend ein großes Unglück oder einen betrübten Zufall anzudeuten pflegte".
https://hdl.handle.net/2027/njp.32101074629153?urlappend=%3Bseq=342
Eine Fußnote in den Nordalbingischen Studien 3 (1846) S. 106 spricht ebenfalls von einem lange in Schwange gewesenen Sprichwort:
https://books.google.de/books?id=mddCAAAAcAAJ&pg=PA106
Von daher ist Johannes von Schröders Topographie 1841, die den Ort ebenfalls falsch zuweist, nicht beweiskräftig, wenn sie ohne zeitliche Relativierung von einem Sprichwort "Qualens Brudlacht" weiß.
https://books.google.de/books?id=vdwwAAAAYAAJ&pg=PA248
https://books.google.de/books?id=sWUTAQAAMAAJ&pg=RA1-PA69 (US, Oldekop 1908: ehemals!)
[= https://archive.org/stream/topographiedesh01oldegoog#page/n208/mode/2up ]
Wie ist nun dieser Befund zu bewerten? Fassbar ist seit dem 15. Jahrhundert eine vergleichsweise reiche schriftliche Überlieferung, die in jedem Fall den Schluss nahelegt, dass Mündlichkeit und Schriftlichkeit sich bei der Traditionsbildung um die Hochzeit von Quaal 1446 durchdrungen haben. Selbst für das 19. Jahrhundert gibt es keinen hinreichend eindeutigen Nachweis einer mündlichen Verbreitung. Bei Handelmanns eingangs zitierter Arbeit, die Volksgut sammelte, sollte man das Adjektiv "alte" nicht überlesen. Das Sprichwort war wohl schon zur Zeit von Krantz nicht mehr in Gebrauch. Man wird also schließen dürfen, dass die lokale Katastrophe von 1446, die überregionales Aufsehen erregte und über Lübecker Quellen in die gedruckte und ungedruckte Schriftlichkeit Eingang fand, einige Jahrzehnte als Exempel-Sprichwort für ein großes Unglück im regionalen Sprachgebrauch präsent blieb. Alle späteren Bezeugungen des Sprichworts dürften nach jetzigem Kenntnisstand auf schriftliche Fassungen zurückgehen. Die Sagenbücher und Deecke stützten sich ebenfalls nicht auf mündliche Überlieferung, sondern exzerpierten gelehrte Werke. Als Beleg für eine 400 Jahre überbrückende Sprichwort-Tradition ist daher "Qualens Brudlacht" nicht geeignet. Aber als frühes Beispiel für die vergleichsweise seltenen "historischen" Sprichwörter, die aus einem historischen Ereignis hervorgegangen sind (siehe Seilers Sprichwörterkunde 1922
https://archive.org/stream/deutschesprichw00seiluoft#page/30/mode/2up ), verdient sie durchaus Aufmerksamkeit.
#forschung
Ich widme diesen Beitrag als Pfingstgabe den Wikipedianern Concord und Kresspahl.
https://books.google.de/books?id=RsJCAAAAcAAJ&pg=PA42
Hat sich diese Redensart über 400 Jahre in der Mündlichkeit erhalten?
Die Lübecker Ratschronik meldet das Unglück zu 1446 vergleichweise ausführlich:
https://archive.org/stream/diechronikenderdtstaedteLuebeck30/DieChronikenDerDeutschenStaedteVom14.BisIns16.JahrhundertVolume30#page/n103/mode/2up
Mehr als 180 Opfer habe der Brand auf einer Bauernhochzeit in Quaal bei Segeberg gefordert. Braut und Bräutigam und einigen anderen Gästen sei durch einen kleinen Ausgang die Flucht gelungen.
Diese Nachricht wurde von anderen Chroniken aufgenommen und weiterverbreitet. Dass Braut und Bräutigam nackt entkommen seien, sagt erst das Chronicon Slavicum (bis 1485)
https://books.google.de/books?id=bojTAAAAMAAJ&pg=PA194 (ed. Laspeyres, S. 194-197)
Zur Quelle:
https://www.geschichtsquellen.de/repOpus_01193.html
Seit 1492 steht die Nachricht auch gedruckt zur Verfügung, nämlich in der Cronecken der Sassen:
https://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00025661/image_511
Lateinische Chroniknotiz im Formelbuch Christians von Geren:
https://archive.org/stream/dielbeckerberge00brungoog#page/n573/mode/2up
Im 16. Jahrhundert berichtet der Goslarer Chronist Hans Geismar von der Katastrophe:
https://books.google.de/books?id=6G0eAAAAMAAJ&q=dorpe+quale
Der 5. Auflage von Deeckes Lübischen Sagen (Quellennachweise S. 457) entnehme ich, dass die Geschichte auch Eingang in die handschriftlichen Stadtchroniken fand (Heinrich Rhebein 446; Detleff Dreyer 375). Erstausgabe 1852 ("Die Qualische Hochzeit"):
https://de.wikisource.org/wiki/Die_Qualische_Hochzeit
Die Darstellung ist am Ende dramatisiert: Nur Bräutigam und Braut seien entkommen.
Als mögliche Hauptquelle Deeckes kann man die in den Nachweisen nicht genannte "Wandalia" des Albert Krantz ansprechen, der erstmals von einem früheren Sprichwort etwas sagt.
https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10143510_00396.html (Köln 1519)
https://books.google.de/books?id=q25EAAAAcAAJ&hl=de&pg=PA278 (Frankfurt am Main 1575, Buch XII, Kapitel 12)
https://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/content/pageview/1597931 (nach Krantz: Chronik des Lambert Alard, gest. 1672, ed. Westphalen)
Über Krantz gelangte die Kunde des Ereignisses in die frühneuzeitliche Exempel- und Kompilationsliteratur, deren (hier: katholische) Autoren es als "Exemplum" gegen das Tanzen verwerteten.
Zu den Anti-Tanz-Exempeln vielleicht am instruktivsten meine Seite:
https://de.wikisource.org/wiki/Die_Mordgrube_zu_Freiberg
Was bei Google Books (bzw. über die OCR) auf Anhieb auffindbar ist, ist sicher keine vollständige Liste der Belege:
https://books.google.de/books?id=N40_AAAAcAAJ&pg=PA842 (Flores exemplorum, 1616, katholisch)
https://books.google.de/books?id=_JVMAAAAcAAJ&pg=PA420 (Lorenzo Stramusoli 1699, katholisch)
https://books.google.de/books?id=OTs_AAAAcAAJ&pg=PA190 (Gervasius Bulffer OSB 1776)
Verräterisch ist die Vergangenheitsform hinsichtlich des Sprichworts bei Krantz, die sich in der Holsteiner Chronik des Johannes Petersen wiederholt: "ist ein Sprichwort entstanden, Qualer Brutlacht, das man lange zeit gebraucht so jemand unglück begegnete".
https://books.google.de/books?id=Kn9MAAAAcAAJ&pg=PT199 (Frankfurt am Main 1557)
https://books.google.de/books?id=MNNSAAAAcAAJ&pg=PT149 (1599)
https://books.google.de/books?id=-EoWAAAAYAAJ&pg=PA1032 (Grässes Preussisches Sagenbuch nach der Ausgabe 1599)
Christianis Geschichte (Bd. 4, 1779, S. 318), die das falsche Quaal in Holstein nennt (zum richtigen in der heutigen Gemeinde Rohlstorf siehe OpenStreetMap
https://www.openstreetmap.org/index.html?minlon=10.3734502792358&minlat=53.9615287780762 ), hat: "Der Ausdruck: Eine Qualensche Hochzeit, ward zum landüblichen Ausdruck, dadurch man irgend ein großes Unglück oder einen betrübten Zufall anzudeuten pflegte".
https://hdl.handle.net/2027/njp.32101074629153?urlappend=%3Bseq=342
Eine Fußnote in den Nordalbingischen Studien 3 (1846) S. 106 spricht ebenfalls von einem lange in Schwange gewesenen Sprichwort:
https://books.google.de/books?id=mddCAAAAcAAJ&pg=PA106
Von daher ist Johannes von Schröders Topographie 1841, die den Ort ebenfalls falsch zuweist, nicht beweiskräftig, wenn sie ohne zeitliche Relativierung von einem Sprichwort "Qualens Brudlacht" weiß.
https://books.google.de/books?id=vdwwAAAAYAAJ&pg=PA248
https://books.google.de/books?id=sWUTAQAAMAAJ&pg=RA1-PA69 (US, Oldekop 1908: ehemals!)
[= https://archive.org/stream/topographiedesh01oldegoog#page/n208/mode/2up ]
Wie ist nun dieser Befund zu bewerten? Fassbar ist seit dem 15. Jahrhundert eine vergleichsweise reiche schriftliche Überlieferung, die in jedem Fall den Schluss nahelegt, dass Mündlichkeit und Schriftlichkeit sich bei der Traditionsbildung um die Hochzeit von Quaal 1446 durchdrungen haben. Selbst für das 19. Jahrhundert gibt es keinen hinreichend eindeutigen Nachweis einer mündlichen Verbreitung. Bei Handelmanns eingangs zitierter Arbeit, die Volksgut sammelte, sollte man das Adjektiv "alte" nicht überlesen. Das Sprichwort war wohl schon zur Zeit von Krantz nicht mehr in Gebrauch. Man wird also schließen dürfen, dass die lokale Katastrophe von 1446, die überregionales Aufsehen erregte und über Lübecker Quellen in die gedruckte und ungedruckte Schriftlichkeit Eingang fand, einige Jahrzehnte als Exempel-Sprichwort für ein großes Unglück im regionalen Sprachgebrauch präsent blieb. Alle späteren Bezeugungen des Sprichworts dürften nach jetzigem Kenntnisstand auf schriftliche Fassungen zurückgehen. Die Sagenbücher und Deecke stützten sich ebenfalls nicht auf mündliche Überlieferung, sondern exzerpierten gelehrte Werke. Als Beleg für eine 400 Jahre überbrückende Sprichwort-Tradition ist daher "Qualens Brudlacht" nicht geeignet. Aber als frühes Beispiel für die vergleichsweise seltenen "historischen" Sprichwörter, die aus einem historischen Ereignis hervorgegangen sind (siehe Seilers Sprichwörterkunde 1922
https://archive.org/stream/deutschesprichw00seiluoft#page/30/mode/2up ), verdient sie durchaus Aufmerksamkeit.
#forschung
Ich widme diesen Beitrag als Pfingstgabe den Wikipedianern Concord und Kresspahl.
KlausGraf - am Samstag, 18. Mai 2013, 20:19 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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https://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=in&dig=2013%2F05%2F16%2Fa0052&cHash=a12dcf80e434f35b2b551b8fedf5d8d5
https://www.lifepr.de/pressemitteilung/dokumentations-und-kulturzentrum-deutscher-sinti-und-roma/Ausdruck-des-Unwillens-verantwortungsvoll-mit-der-Geschichte-umzugehen/boxid/410743
https://www.lifepr.de/pressemitteilung/dokumentations-und-kulturzentrum-deutscher-sinti-und-roma/Ausdruck-des-Unwillens-verantwortungsvoll-mit-der-Geschichte-umzugehen/boxid/410743
KlausGraf - am Freitag, 17. Mai 2013, 18:58 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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Unser Dank gilt Thomas Wolf, dass er, einer hier geäußerten Anregung von Herrn Waldschütz folgend, die Zeit gefunden hat, den Petitionstext auch H-SOZ-U_KULT zur Verfügung zu stellen und natürlich H-SOZ-U-KULT für die Verbreitung:
https://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/type=nachrichten&id=2123
Bei derzeit 6286 Unterstützern ist noch viel Luft nach oben - bitte weiter bewerben!
https://www.openpetition.de/petition/online/fuer-die-aufhebung-des-planungsstopps-fuer-den-neubau-des-historischen-archivs-der-stadt-koeln

https://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/type=nachrichten&id=2123
Bei derzeit 6286 Unterstützern ist noch viel Luft nach oben - bitte weiter bewerben!
https://www.openpetition.de/petition/online/fuer-die-aufhebung-des-planungsstopps-fuer-den-neubau-des-historischen-archivs-der-stadt-koeln
KlausGraf - am Donnerstag, 16. Mai 2013, 18:01 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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Hubert Houben ist Professor an der Universität Lecce und Ehrenbürger von Otranto. Er bereitet ein Buch über den türkischen Überfall auf Otranto 1480 in Geschichte und Mythos vor. Ich bin sehr dankbar, dass er sich kurzfristig bereit fand, mit mir ein Mail-Interview zu dem in Archivalia neulich bereits aufgegriffenen Thema zu führen.
Sie haben Ihre Dissertation in Freiburg im Breisgau über mittelalterliche Handschriften aus der Abtei St. Blasien im Schwarzwald vorgelegt (gedruckt 1979) - wie kommt es, dass Sie heute Experte für die Geschichte der Region Salento sind?
Seitdem ich 1980 mit einem Feodor-Lynen-Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung an die Universität Lecce (jetzt “Università del Salento) kam, und später dann hier Professor für mittelalterliche Geschichte wurde, befasse ich mich - neben anderen Themen wie den Normannen und Staufern oder dem Deutschen Orden im Mittelmeerraum - auch mit der Geschichte Apuliens.
Papst Franziskus hat dieser Tage die 800 Märtyrer von Otranto zur Ehre der Altäre erhoben. Wie bewerten Sie als Historiker die Heiligsprechung?
Die Heiligsprechung ist ein Akt der katholischen Kirche, den ich respektiere.
Können Sie kurz den Forschungsstand zum osmanischen Feldzug 1480 und zu den "Märtyrern" charakterisieren? Ist sehr viel umstritten oder herrscht ein weitgehender Konsens?
Die Fachhistoriker sind sich weitgehend einig darüber, dass es sich um den Versuch handelte, Apulien oder zumindest Südapulien zu erobern, nachdem bereits das auf der anderen Seite der Adria liegende Albanien dem osmanischen Reich einverleibt worden war. Die nur ca. 70 km von der albanischen Hafenstadt Valona (alb. Vlorë) entfernte, ebenfalls am Meer gelegene Stadt Otranto war leicht zu erreichen und nur schwach befestigt. Als die Einwohner das Angebot, sich der Herrschaft der Osmanen zu unterwerfen (nur das, keine Forderung nach Konversion zum Islam!) ablehnten und Widerstand leisteten, wurden nach Eroberung der Stadt ca. 800-900 Männer aus Rache hingerichtet. Dieses Massaker sollte auch die benachbarten Städte so einzuschüchtern, dass sie keinen Widerstand mehr leisteten. Dieses Ziel wurde allerdings verfehlt, denn Lecce und Brindisi ergaben sich nicht und konnten von den osmanischen Truppen nicht erobert werden.
Welche Fakten sind aus Ihrer Sicht hinsichtlich der Eroberung Otrantos unstrittig?
1. Dass das osmanische Heer am 11. August 1480 nach 14tägiger Belagerung die Stadt eroberte, nachdem die Einwohner es abgelehnt hatten, sich zu ergeben.
2. Dass am Tag danach (also am 12. August, und nicht erst am 14. August wie spätere, unverlässige Quellen angeben) ca. 800 oder 900 Männer aus den oben genannten Gründen hingerichtet wurden, während die Frauen und Kinder versklavt und größtenteils nach Konstantinopel verkauft wurden.
3. Dass es ca. 20 wohlhabenden Bürgern gelang der Hinrichtung zu entgehen, indem sie sich durch eine hohe Geldzahlung die Freiheit erkauften. Es wurde also fast ausnahmslos die gesamte männliche Bevölkerung hingerichtet.
Auf welche zeitgenössischen Quellen kann sich eine geschichtswissenschaftliche Rekonstruktion des Geschehens stützen und wie glaubwürdig sind diese?
Botschafter (sog. “oratori”) der italienischen Regionalstaaten (Mailand, Venedig, Ferrara, Florenz, Kirchenstaat), die über ein Netz von Informanten verfügten, haben hunderte von Briefen (sog. “dispacci”) hinterlassen, die viele Details der Eroberung von Otranto, der anschließenden Kämpfe (und Verhandlungen) und der Rückeroberung (nach dem Tod Mehmets II. ergab sich die türkische Besatzung gegen Zusicherung eines ehrenvollen Abzugs) enthalten. Auszüge aus einigen dieser Briefe, die die Eroberung betreffen, wurden bereits 1881 ediert (in der Zeitschrift “Archivio Storico per le Province Napoletane”), andere (über die anschließenden Kämpfe und Verhandlungen) wurden kürzlich veröffentlicht (“Lettere degli ambasciatori estensi …”, 2 Bde., ed. H. Houben, Galatina 2013). Diese Nachrichten können verglichen und kritisch untersucht werden, so dass man sich insgesamt ein gutes Bild von den Ereignissen machen kann. Jede Quelle ist natürlich subjektiv, aber diese Briefe haben den Vorteil, dass die Botschafter versuchten, fast Tag für Tag möglichst frische und “objektive” Informationen an ihre jeweiligen “Staatsoberhäupter” zu übermitteln.
Können Sie auch etwas über Quellen türkischer Provenienz sagen?
Die osmanischen Chronisten berichten relativ wenig über den Otrantofeldzug, da er am Ende mit einem Misserfolg (Abzug 1481) endete. Der einzige türkische Chronist, der dem Otrantofeldzug ein Kapitel widmet, ist Kemalpascha Zāde (gest. 1534), der einige Jahrzehnte nach den Ereignissen schreibt. Er erwähnt das Massaker nur nebenbei und ohne Einzelheiten. In seiner Chronik, die eine Erfolgsgeschichte der osmanischen Sultane ist, heißt es u.a. (ich zitiere die Übersetzung von Klaus Kreiser): “Seine Majestät (Mehmed II. 'der Eroberer') befahl seinem Feldherrn und Eroberer Gedik Achmet Pascià, nachdem er Kephalonia und Valona erobert hatte, das Land Apulien zu unterwerfen (…). Er sollte diese Provinz dem Herrschaftsbereich des Islam (dār al-Islām) einfügen und aus ihr die Spur des Unglaubens vertreiben”. Prof. Kreiser bemerkt dazu, dass der Chronist nicht selten eine solch religiöse Motivation für Eroberungen (z. B. auf dem Balkan) benutzt, hinter denen in Wirklichkeit materielle Gründe standen (in: La conquista turca di Otranto …, hg. v. H. Houben, Galatina 2008, Bd. 1 S. 171).
Wie kam es aus Ihrer Sicht zur Entstehung der Tradition von den Märtyrern von Otranto und welchen Zweck hatte ihre Verbreitung?
Bereits kurz nach der christlichen Rückeroberung von Otranto verbreiteten sich Ansätze dieser Tradition in der Stadt und in der Region: die Überlebenden glaubten, die Gefallenen und Hingerichteten seien als Märtyrer für Glauben und Vaterland gestorben. Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung dieser Tradition spielte der aus dem Salento stammende Humanist Antonio de Ferrariis († 1517), genannt Galateo (weil er aus einem Ort namens Galàtone, nicht zu verwechseln mit dem benachbarten Galatìna, stammte). Die Könige von Neapel förderten diese Tradition, um sich als Verteidiger des Christentums gegen die Türken zu stilisieren. Die 800 “Märtyrer” wurden zum Symbol der lokalen Identität der Stadt Otranto, die sich als ein Bollwerk des Christentums gegen die Türkengefahr verstand.
Welche Quellen berichten vom umstrittenen "Martyrium" am 14. August 1480 und wie sind diese zu bewerten?
Die Hinrichtung der 800 oder 900 “Märtyrer” wegen ihres Widerstands gegen die Eroberer ist aus den erwähnten Briefen der Botschafter gut belegt. Eine Zeugenbefragung von 1539 (gedruckt 1670) sollte beweisen, dass die 800 getötet wurden, weil sie sich geweigert hatten, den christlichen Glauben zu verleugnen; aus den Aussagen geht indes hervor, dass sie hingerichtet wurden, weil sie sich nicht ergeben hatten. Doch bezeugen diese 59 Jahre nach den Ereignissen gemachten Aussagen auch, dass die Bevölkerung glaubte, dass es sich um “Märtyrer” handele, die für Glauben und Vaterland freudig in den Tod gegangen seien. Einige Zeugen berichten, ein alte Schuster, Meister Grimaldo, habe seine Mitbürger aufgefordert, sich hinrichten zu lassen, da sie dadurch zu Märtyrern würden. Keiner der befragten Zeugen berichtet von einer Aufforderung zur Konversion zum Islam.
Diese taucht erst in einer 1583 gedruckten Geschichte der Ereignisse von 1480-81 auf, die sich als von einem lokalen Priester (Giovanni Michele Marziano) verfasste italienische Übersetzung eines lateinischen Werks des erwähnten Humanisten Galateo ausgibt. Die Forscher sind sich aber seit längerem darüber einig, dass es sich um eine Fiktion handelt und dass der Autor, wohl auch in Kenntnis der Ergebnisse der erwähnten Zeugenbefragung, die Ereignisse ausgeschmückt hat. Bei ihm wird “Meister Grimaldo” zu “Meister Antonio Primaldo” (Primaldo vermutlich weil er als Erster, primus, das Martyrium erlitt). Ferner wird erzählt, dass dieser nach seiner Enthauptung so lange aufrecht stehen geblieben sei, bis der letzte Märtyrer den Tod gefunden hatte. So auch in der angeblich 1537, in Wirklichkeit aber nach 1583 entstandenen Geschichte (“Istoria”) des Giovanni Michele Lagetto (oder Laggetto) aus Otranto, der vorgibt sich auf eine Erzählung seines Vaters zu stützen, der die Ereignisse von 1480 miterlebt habe, was vermutlich eine Fiktion ist. Spätere lokale Geschichten fügen hinzu, dass der türkische Henker sich ob solcher Standhaftigkeit zum Christentum bekehrte und zur Strafe aufgespießt (gepfählt) wurde.
Sind Ihnen denn über diesen Meister Grimaldo, der jetzt als Antonio Primaldo kanonisiert wurde, Quellen aus dem 15. Jahrhundert bekannt?
Nein, aber das ist nicht verwunderlich, denn einfache Leute wie er kommen in den Quellen meist nicht vor. Man kann also nicht nachweisen, dass er existiert hat. Aber auch nicht das Gegenteil.
Vermutlich gab es einen Schustermeister Grimaldo unter den Hingerichteten und vielleicht war er wirklich überzeugt, als Märtyrer zu sterben.
Welche Motive hatte der osmanische Feldzug und wie ordnet sich das Vorgehen der osmanischen Truppen in Otranto in die Kriegsführung der damaligen Zeit ein?
Es handelte sich um einen Eroberungsfeldzug (nicht etwa zur Ausbreitung des Islam - dass im Laufe der Expansion des ottomanischen Reichs ein Teil der Bevölkerung der eroberten Gebiete nach und nach konvertierten, um nicht länger als Untertanen “zweiter Klasse” behandelt zu werden, steht auf einem anderen Blatt). Ein ähnliches Massaker wie 1480 in Otranto richteten die Osmanen 1470 nach der Eroberung der griechischen Insel Euböa (ital. Negroponte und bis dahin im Besitz von Venedig) an. Hier wurden ebenfalls 800 Männer hingerichtet, weil sie sich nicht ergeben hatten (ein ähnlicher Fall ereignete sich wenige Jahre danach bei der Eroberung Albaniens). Die Kriege wurden damals auf beiden Seiten oft mit brutaler Gewalt geführt: So wurde z. B. die besonders grausame Art der Hinrichtung durch Pfählung sowohl auf christlicher als auch auf osmanischer Seite praktiziert.
Vielen Dank für die Antworten!
Sie haben Ihre Dissertation in Freiburg im Breisgau über mittelalterliche Handschriften aus der Abtei St. Blasien im Schwarzwald vorgelegt (gedruckt 1979) - wie kommt es, dass Sie heute Experte für die Geschichte der Region Salento sind?
Seitdem ich 1980 mit einem Feodor-Lynen-Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung an die Universität Lecce (jetzt “Università del Salento) kam, und später dann hier Professor für mittelalterliche Geschichte wurde, befasse ich mich - neben anderen Themen wie den Normannen und Staufern oder dem Deutschen Orden im Mittelmeerraum - auch mit der Geschichte Apuliens.
Papst Franziskus hat dieser Tage die 800 Märtyrer von Otranto zur Ehre der Altäre erhoben. Wie bewerten Sie als Historiker die Heiligsprechung?
Die Heiligsprechung ist ein Akt der katholischen Kirche, den ich respektiere.
Können Sie kurz den Forschungsstand zum osmanischen Feldzug 1480 und zu den "Märtyrern" charakterisieren? Ist sehr viel umstritten oder herrscht ein weitgehender Konsens?
Die Fachhistoriker sind sich weitgehend einig darüber, dass es sich um den Versuch handelte, Apulien oder zumindest Südapulien zu erobern, nachdem bereits das auf der anderen Seite der Adria liegende Albanien dem osmanischen Reich einverleibt worden war. Die nur ca. 70 km von der albanischen Hafenstadt Valona (alb. Vlorë) entfernte, ebenfalls am Meer gelegene Stadt Otranto war leicht zu erreichen und nur schwach befestigt. Als die Einwohner das Angebot, sich der Herrschaft der Osmanen zu unterwerfen (nur das, keine Forderung nach Konversion zum Islam!) ablehnten und Widerstand leisteten, wurden nach Eroberung der Stadt ca. 800-900 Männer aus Rache hingerichtet. Dieses Massaker sollte auch die benachbarten Städte so einzuschüchtern, dass sie keinen Widerstand mehr leisteten. Dieses Ziel wurde allerdings verfehlt, denn Lecce und Brindisi ergaben sich nicht und konnten von den osmanischen Truppen nicht erobert werden.
Welche Fakten sind aus Ihrer Sicht hinsichtlich der Eroberung Otrantos unstrittig?
1. Dass das osmanische Heer am 11. August 1480 nach 14tägiger Belagerung die Stadt eroberte, nachdem die Einwohner es abgelehnt hatten, sich zu ergeben.
2. Dass am Tag danach (also am 12. August, und nicht erst am 14. August wie spätere, unverlässige Quellen angeben) ca. 800 oder 900 Männer aus den oben genannten Gründen hingerichtet wurden, während die Frauen und Kinder versklavt und größtenteils nach Konstantinopel verkauft wurden.
3. Dass es ca. 20 wohlhabenden Bürgern gelang der Hinrichtung zu entgehen, indem sie sich durch eine hohe Geldzahlung die Freiheit erkauften. Es wurde also fast ausnahmslos die gesamte männliche Bevölkerung hingerichtet.
Auf welche zeitgenössischen Quellen kann sich eine geschichtswissenschaftliche Rekonstruktion des Geschehens stützen und wie glaubwürdig sind diese?
Botschafter (sog. “oratori”) der italienischen Regionalstaaten (Mailand, Venedig, Ferrara, Florenz, Kirchenstaat), die über ein Netz von Informanten verfügten, haben hunderte von Briefen (sog. “dispacci”) hinterlassen, die viele Details der Eroberung von Otranto, der anschließenden Kämpfe (und Verhandlungen) und der Rückeroberung (nach dem Tod Mehmets II. ergab sich die türkische Besatzung gegen Zusicherung eines ehrenvollen Abzugs) enthalten. Auszüge aus einigen dieser Briefe, die die Eroberung betreffen, wurden bereits 1881 ediert (in der Zeitschrift “Archivio Storico per le Province Napoletane”), andere (über die anschließenden Kämpfe und Verhandlungen) wurden kürzlich veröffentlicht (“Lettere degli ambasciatori estensi …”, 2 Bde., ed. H. Houben, Galatina 2013). Diese Nachrichten können verglichen und kritisch untersucht werden, so dass man sich insgesamt ein gutes Bild von den Ereignissen machen kann. Jede Quelle ist natürlich subjektiv, aber diese Briefe haben den Vorteil, dass die Botschafter versuchten, fast Tag für Tag möglichst frische und “objektive” Informationen an ihre jeweiligen “Staatsoberhäupter” zu übermitteln.
Können Sie auch etwas über Quellen türkischer Provenienz sagen?
Die osmanischen Chronisten berichten relativ wenig über den Otrantofeldzug, da er am Ende mit einem Misserfolg (Abzug 1481) endete. Der einzige türkische Chronist, der dem Otrantofeldzug ein Kapitel widmet, ist Kemalpascha Zāde (gest. 1534), der einige Jahrzehnte nach den Ereignissen schreibt. Er erwähnt das Massaker nur nebenbei und ohne Einzelheiten. In seiner Chronik, die eine Erfolgsgeschichte der osmanischen Sultane ist, heißt es u.a. (ich zitiere die Übersetzung von Klaus Kreiser): “Seine Majestät (Mehmed II. 'der Eroberer') befahl seinem Feldherrn und Eroberer Gedik Achmet Pascià, nachdem er Kephalonia und Valona erobert hatte, das Land Apulien zu unterwerfen (…). Er sollte diese Provinz dem Herrschaftsbereich des Islam (dār al-Islām) einfügen und aus ihr die Spur des Unglaubens vertreiben”. Prof. Kreiser bemerkt dazu, dass der Chronist nicht selten eine solch religiöse Motivation für Eroberungen (z. B. auf dem Balkan) benutzt, hinter denen in Wirklichkeit materielle Gründe standen (in: La conquista turca di Otranto …, hg. v. H. Houben, Galatina 2008, Bd. 1 S. 171).
Wie kam es aus Ihrer Sicht zur Entstehung der Tradition von den Märtyrern von Otranto und welchen Zweck hatte ihre Verbreitung?
Bereits kurz nach der christlichen Rückeroberung von Otranto verbreiteten sich Ansätze dieser Tradition in der Stadt und in der Region: die Überlebenden glaubten, die Gefallenen und Hingerichteten seien als Märtyrer für Glauben und Vaterland gestorben. Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung dieser Tradition spielte der aus dem Salento stammende Humanist Antonio de Ferrariis († 1517), genannt Galateo (weil er aus einem Ort namens Galàtone, nicht zu verwechseln mit dem benachbarten Galatìna, stammte). Die Könige von Neapel förderten diese Tradition, um sich als Verteidiger des Christentums gegen die Türken zu stilisieren. Die 800 “Märtyrer” wurden zum Symbol der lokalen Identität der Stadt Otranto, die sich als ein Bollwerk des Christentums gegen die Türkengefahr verstand.
Welche Quellen berichten vom umstrittenen "Martyrium" am 14. August 1480 und wie sind diese zu bewerten?
Die Hinrichtung der 800 oder 900 “Märtyrer” wegen ihres Widerstands gegen die Eroberer ist aus den erwähnten Briefen der Botschafter gut belegt. Eine Zeugenbefragung von 1539 (gedruckt 1670) sollte beweisen, dass die 800 getötet wurden, weil sie sich geweigert hatten, den christlichen Glauben zu verleugnen; aus den Aussagen geht indes hervor, dass sie hingerichtet wurden, weil sie sich nicht ergeben hatten. Doch bezeugen diese 59 Jahre nach den Ereignissen gemachten Aussagen auch, dass die Bevölkerung glaubte, dass es sich um “Märtyrer” handele, die für Glauben und Vaterland freudig in den Tod gegangen seien. Einige Zeugen berichten, ein alte Schuster, Meister Grimaldo, habe seine Mitbürger aufgefordert, sich hinrichten zu lassen, da sie dadurch zu Märtyrern würden. Keiner der befragten Zeugen berichtet von einer Aufforderung zur Konversion zum Islam.
Diese taucht erst in einer 1583 gedruckten Geschichte der Ereignisse von 1480-81 auf, die sich als von einem lokalen Priester (Giovanni Michele Marziano) verfasste italienische Übersetzung eines lateinischen Werks des erwähnten Humanisten Galateo ausgibt. Die Forscher sind sich aber seit längerem darüber einig, dass es sich um eine Fiktion handelt und dass der Autor, wohl auch in Kenntnis der Ergebnisse der erwähnten Zeugenbefragung, die Ereignisse ausgeschmückt hat. Bei ihm wird “Meister Grimaldo” zu “Meister Antonio Primaldo” (Primaldo vermutlich weil er als Erster, primus, das Martyrium erlitt). Ferner wird erzählt, dass dieser nach seiner Enthauptung so lange aufrecht stehen geblieben sei, bis der letzte Märtyrer den Tod gefunden hatte. So auch in der angeblich 1537, in Wirklichkeit aber nach 1583 entstandenen Geschichte (“Istoria”) des Giovanni Michele Lagetto (oder Laggetto) aus Otranto, der vorgibt sich auf eine Erzählung seines Vaters zu stützen, der die Ereignisse von 1480 miterlebt habe, was vermutlich eine Fiktion ist. Spätere lokale Geschichten fügen hinzu, dass der türkische Henker sich ob solcher Standhaftigkeit zum Christentum bekehrte und zur Strafe aufgespießt (gepfählt) wurde.
Sind Ihnen denn über diesen Meister Grimaldo, der jetzt als Antonio Primaldo kanonisiert wurde, Quellen aus dem 15. Jahrhundert bekannt?
Nein, aber das ist nicht verwunderlich, denn einfache Leute wie er kommen in den Quellen meist nicht vor. Man kann also nicht nachweisen, dass er existiert hat. Aber auch nicht das Gegenteil.
Vermutlich gab es einen Schustermeister Grimaldo unter den Hingerichteten und vielleicht war er wirklich überzeugt, als Märtyrer zu sterben.
Welche Motive hatte der osmanische Feldzug und wie ordnet sich das Vorgehen der osmanischen Truppen in Otranto in die Kriegsführung der damaligen Zeit ein?
Es handelte sich um einen Eroberungsfeldzug (nicht etwa zur Ausbreitung des Islam - dass im Laufe der Expansion des ottomanischen Reichs ein Teil der Bevölkerung der eroberten Gebiete nach und nach konvertierten, um nicht länger als Untertanen “zweiter Klasse” behandelt zu werden, steht auf einem anderen Blatt). Ein ähnliches Massaker wie 1480 in Otranto richteten die Osmanen 1470 nach der Eroberung der griechischen Insel Euböa (ital. Negroponte und bis dahin im Besitz von Venedig) an. Hier wurden ebenfalls 800 Männer hingerichtet, weil sie sich nicht ergeben hatten (ein ähnlicher Fall ereignete sich wenige Jahre danach bei der Eroberung Albaniens). Die Kriege wurden damals auf beiden Seiten oft mit brutaler Gewalt geführt: So wurde z. B. die besonders grausame Art der Hinrichtung durch Pfählung sowohl auf christlicher als auch auf osmanischer Seite praktiziert.
Vielen Dank für die Antworten!
KlausGraf - am Donnerstag, 16. Mai 2013, 17:33 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
Weder kann ich Türkisch noch sind meine extrem rudimentären Kenntnisse des Italienischen ausreichend, um eine ausgiebige Lektüre der offenkundig reichen Sekundärliteratur zur Eroberung von Otranto 1480 durch ein osmanisches Aufgebot aussichtsreich erscheinen zu lassen. Zudem sind nur wenige substantielle Informationen online verfügbar. Auf Anhieb ergoogelt man nur unkritische und unbelegte erbauliche Texte.
Angeblich sollen die Türken am 14. August 1480 800 Bürger, angeführt von Antonio Primaldo, hingerichtet haben, nachdem sie sich geweigert hatten, zum Islam überzutreten. Am heutigen 12. Mai hat Papst Franziskus die 800 Märtyrer von Otranto heiliggesprochen:
https://de.radiovaticana.va/news/2013/05/12/%E2%80%9Eletztlich_haben_sie_europa_gerettet...%E2%80%9C/ted-691353
Auch wenn man zugestehen muss, dass die entscheidenden Weichen sein Vorgänger gestellt hatte, so ist doch mehr als nur ein Fragezeichen hinsichtlich der Kanonisation angebracht. Über die theologische Berechtigung, eine Lebensleistung auf eine einzige Entscheidung zu reduzieren, unabhängig davon, aus welchen Motiven diese erfolgt sein mag (außer dem von Primaldo ist kein anderer Name der Märtyrer bekannt), möchte ich mich nicht auslassen. Die Heiligsprechung ist jedoch ein verhängnisvolles Signal in Richtung Islam und Türkei, zumal erhebliche Zweifel an der hagiographischen Darstellung bestehen.
Zuverlässige Informationen sucht man in den Artikeln, die die einzelnen Sprachversionen der Wikipedia den Märtyrern gewidmet haben, vergebens. Typisch ist der deutschsprachige Artikel, der durch das Unterdrücken abweichender Meinungen eklatant gegen den Neutralitäts-Grundsatz der Wikipedia verstößt. Der fromme Glaube darf gern referiert werden, aber die Zweifel der Historiker müssen ebenfalls genannt werden. Alle Weblinks sind unbrauchbar, da sie nicht auf zuverlässig belegte Quellen verweisen.
Seite „Märtyrer von Otranto“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 12. Mai 2013, 14:18 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=M%C3%A4rtyrer_von_Otranto&oldid=118434444 (Abgerufen: 12. Mai 2013, 16:13 UTC)
Immerhin wird auf das Ökumenische Heiligenlexikon verlinkt, in dem es heißt:
"Viele Geschichtsforscher sehen die Toten heute als Opfer der Kämpfe, wofür entsprechende Verletzungen an manchen Schädeln sprechen. In der Regel haben die Osmanen ihre unterworfenen christlichen Gegner nicht um ihres anderen Glaubens willen getötet, sondern gemäß Sure 9, Vers 29 des Korans mit einer besonderen Steuer - der Dschizya - belegt. 2007 wurde in Otranto ein großer Kongress zu dieser Frage abgehalten, der die Zweifel an der traditionellen Auffassung deutlich verstärkte."
https://www.heiligenlexikon.de/BiographienM/Maertyrer_von_Otranto.html
Die dort als "Quellen" angegebenen Internetlinks sind aber ebenfalls nicht zu verwenden. Eine deutliche Distanzierung von der Legende bietet der Wikipedia-Artikel über den Otranto-Feldzug. Dort liest man in einer Fußnote:
"Diese traditionelle Überlieferung wird durch neuere Forschungen massiv in Zweifel gezogen; vergleiche dazu etwa: * Hubert Houben (Hrsg.), La conquista turca di Otranto (1480) tra storia e mito. Atti del Convegno internazionale di studio Otranto - Muro Leccese, 28-31 marzo 2007", 2 Bände, Congedo, Galatina 2008, ISBN 9788880868309 und ISBN 9788880868293 "
Seite „Otranto-Feldzug“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 24. April 2013, 12:59 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Otranto-Feldzug&oldid=117857280 (Abgerufen: 12. Mai 2013, 16:20 UTC)
Trotzdem hat man eine unsäglich unkritische Darstellung von Sandro Magister als einzigen Weblink und in die Einzelnachweise aufgenommen. Interessant sind Hinweise auf der Diskussionsseite des Artikels:
https://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Otranto-Feldzug
Leider kann der Wikipedianer Ruggero1 nicht mehr zu seinen Forschungen befragt werden, da er 2011 verstorben ist.
Bedauerlicherweise bleiben die Online-Rezensionen der genannten Tagungsakten von 2008 oberflächlich und werten die Ergebnisse mit Bezug auf unsere Thematik (dem "Mythos" Otranto) nicht aus:
https://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/quellen-und-forschungen-aus-italienischen-archiven-und-bibliotheken/89-2009/89/ReviewMonograph549282880
https://www.sehepunkte.de/2010/04/15733.html
Nicht weniger oberflächlich ist meine folgende Linksammlung:
https://www.fondazioneterradotranto.it/2013/02/10/martiri-di-otranto-una-ferita-ancora-aperta-2/ Artikel von 2010, der auf die unterschiedlichen Interpretationen hinweist
https://books.google.de/books?id=DptVGd1bPkQC Quellenausgabe humanistischer Texte im Auszug
https://books.google.de/books?id=8tsPtfioqRIC&pg=PT104
https://books.google.de/books?id=8tsPtfioqRIC&pg=PT131 Englische Arbeit von 2005 im Auszug, Hinweise auf Quellen und Literatur (keine Seitenzahlen im Digitalisat!)
https://books.google.de/books?id=hAZXbneOJA4C&pg=PA33 Italienische Darstellung im Auszug u.a. mit Hinweis auf einen französischen Artikel in Turcica 2002
https://archive.org/stream/actasanctorum37unse#page/n215/mode/2up
Acta Sanctorum August III (Erstausgabe 1737) "De BB. martyribus Hydruntinis"
https://books.google.de/books?id=s8s-AAAAcAAJ&pg=PA179 (Erstausgabe)
https://www.unilu.ch/files/hauptseminararbeit_tuerkenbilder.pdf Seminararbeit zur Gräuelpropaganda im Fall Otranto
https://mjh.akdeniz.edu.tr/haldun-eroglu Artikel eines türkischen Historikers über den Feldzug 1480, aber im Internet unbrauchbar, da das PDF nicht alle Seiten enthält! Ohne Kennzeichnung sind alle diese PDFs der Zeitschrift nur Leseproben!
Nachträge:
https://archive.org/details/ArchivioStoricoPerLeProvinceNapolet1881 Edition von Foucard von Dokumenten aus dem Staatsarchiv Modena im Archivio storico per le province napoletane 6 (1881), S. 74-176, 609-628 (freundlicher Hinweis von Hubert Houben, mit dem ich ein Mailinterview führte, das hier bald erscheinen wird).
https://culturasalentina.files.wordpress.com/2010/09/aspettidistoriamilitarenellaguerradotranto.pdf Schrift von Scarpelle (it.) zu militärgeschichtlichen Aspekten
https://www.italiamedievale.org/sito_acim/contributi/RM-Corongiu-Maometto.pdf Aufsatz von Corongiu (ital.) über die letzten Jahre Mehmeds II.
https://emeroteca.provincia.brindisi.it/Brundisii%20Res/1978/articoli/Brindisi%20durante%20l'Invasione%20Turca%20di%20Otranto.pdf Aufsatz (ital.) über Brindisi während der Besetzung Otrantos
https://books.google.de/books?id=Cqzr0Phl9ZsC&pg=PA93 Auszug aus: Europas Grenzen (2006). Der Aufsatz von Peter Thorau über den osmanischen Einfall 1480/81 ist komplett einsehbar
https://books.google.de/books?id=QNQoCqPmZkIC&pg=PA158
https://books.google.de/books?id=QNQoCqPmZkIC&pg=PA260
Auszüge aus Bisaha 2004 (engl.) zur Quellenproblematik der 800 Märtyrer
https://books.google.de/books?id=zjFv_SkqOkcC&pg=PA302 Aufsatz über den Erzbischof Agricoli, Auszug
Eine dritte Darstellung der Märyrer in der dt. Wikipedia (neben den oben zitierten beiden anderen) ist bemerkenswert:
Seite „Otranto“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 15. Mai 2013, 16:25 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Otranto&oldid=118538845 (Abgerufen: 15. Mai 2013, 18:23 UTC)
Update 16. Mai 2013: Das Interview mit Hubert Houben bestätigt die hier geäußerten Zweifel:
https://archiv.twoday.net/stories/404099608/
=
https://frueheneuzeit.hypotheses.org/1417
Foto: Laurent Massoptier (see website: https://loloieg.free.fr ) https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.it
Angeblich sollen die Türken am 14. August 1480 800 Bürger, angeführt von Antonio Primaldo, hingerichtet haben, nachdem sie sich geweigert hatten, zum Islam überzutreten. Am heutigen 12. Mai hat Papst Franziskus die 800 Märtyrer von Otranto heiliggesprochen:
https://de.radiovaticana.va/news/2013/05/12/%E2%80%9Eletztlich_haben_sie_europa_gerettet...%E2%80%9C/ted-691353
Auch wenn man zugestehen muss, dass die entscheidenden Weichen sein Vorgänger gestellt hatte, so ist doch mehr als nur ein Fragezeichen hinsichtlich der Kanonisation angebracht. Über die theologische Berechtigung, eine Lebensleistung auf eine einzige Entscheidung zu reduzieren, unabhängig davon, aus welchen Motiven diese erfolgt sein mag (außer dem von Primaldo ist kein anderer Name der Märtyrer bekannt), möchte ich mich nicht auslassen. Die Heiligsprechung ist jedoch ein verhängnisvolles Signal in Richtung Islam und Türkei, zumal erhebliche Zweifel an der hagiographischen Darstellung bestehen.
Zuverlässige Informationen sucht man in den Artikeln, die die einzelnen Sprachversionen der Wikipedia den Märtyrern gewidmet haben, vergebens. Typisch ist der deutschsprachige Artikel, der durch das Unterdrücken abweichender Meinungen eklatant gegen den Neutralitäts-Grundsatz der Wikipedia verstößt. Der fromme Glaube darf gern referiert werden, aber die Zweifel der Historiker müssen ebenfalls genannt werden. Alle Weblinks sind unbrauchbar, da sie nicht auf zuverlässig belegte Quellen verweisen.
Seite „Märtyrer von Otranto“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 12. Mai 2013, 14:18 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=M%C3%A4rtyrer_von_Otranto&oldid=118434444 (Abgerufen: 12. Mai 2013, 16:13 UTC)
Immerhin wird auf das Ökumenische Heiligenlexikon verlinkt, in dem es heißt:
"Viele Geschichtsforscher sehen die Toten heute als Opfer der Kämpfe, wofür entsprechende Verletzungen an manchen Schädeln sprechen. In der Regel haben die Osmanen ihre unterworfenen christlichen Gegner nicht um ihres anderen Glaubens willen getötet, sondern gemäß Sure 9, Vers 29 des Korans mit einer besonderen Steuer - der Dschizya - belegt. 2007 wurde in Otranto ein großer Kongress zu dieser Frage abgehalten, der die Zweifel an der traditionellen Auffassung deutlich verstärkte."
https://www.heiligenlexikon.de/BiographienM/Maertyrer_von_Otranto.html
Die dort als "Quellen" angegebenen Internetlinks sind aber ebenfalls nicht zu verwenden. Eine deutliche Distanzierung von der Legende bietet der Wikipedia-Artikel über den Otranto-Feldzug. Dort liest man in einer Fußnote:
"Diese traditionelle Überlieferung wird durch neuere Forschungen massiv in Zweifel gezogen; vergleiche dazu etwa: * Hubert Houben (Hrsg.), La conquista turca di Otranto (1480) tra storia e mito. Atti del Convegno internazionale di studio Otranto - Muro Leccese, 28-31 marzo 2007", 2 Bände, Congedo, Galatina 2008, ISBN 9788880868309 und ISBN 9788880868293 "
Seite „Otranto-Feldzug“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 24. April 2013, 12:59 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Otranto-Feldzug&oldid=117857280 (Abgerufen: 12. Mai 2013, 16:20 UTC)
Trotzdem hat man eine unsäglich unkritische Darstellung von Sandro Magister als einzigen Weblink und in die Einzelnachweise aufgenommen. Interessant sind Hinweise auf der Diskussionsseite des Artikels:
https://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Otranto-Feldzug
Leider kann der Wikipedianer Ruggero1 nicht mehr zu seinen Forschungen befragt werden, da er 2011 verstorben ist.
Bedauerlicherweise bleiben die Online-Rezensionen der genannten Tagungsakten von 2008 oberflächlich und werten die Ergebnisse mit Bezug auf unsere Thematik (dem "Mythos" Otranto) nicht aus:
https://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/quellen-und-forschungen-aus-italienischen-archiven-und-bibliotheken/89-2009/89/ReviewMonograph549282880
https://www.sehepunkte.de/2010/04/15733.html
Nicht weniger oberflächlich ist meine folgende Linksammlung:
https://www.fondazioneterradotranto.it/2013/02/10/martiri-di-otranto-una-ferita-ancora-aperta-2/ Artikel von 2010, der auf die unterschiedlichen Interpretationen hinweist
https://books.google.de/books?id=DptVGd1bPkQC Quellenausgabe humanistischer Texte im Auszug
https://books.google.de/books?id=8tsPtfioqRIC&pg=PT104
https://books.google.de/books?id=8tsPtfioqRIC&pg=PT131 Englische Arbeit von 2005 im Auszug, Hinweise auf Quellen und Literatur (keine Seitenzahlen im Digitalisat!)
https://books.google.de/books?id=hAZXbneOJA4C&pg=PA33 Italienische Darstellung im Auszug u.a. mit Hinweis auf einen französischen Artikel in Turcica 2002
https://archive.org/stream/actasanctorum37unse#page/n215/mode/2up
Acta Sanctorum August III (Erstausgabe 1737) "De BB. martyribus Hydruntinis"
https://books.google.de/books?id=s8s-AAAAcAAJ&pg=PA179 (Erstausgabe)
https://www.unilu.ch/files/hauptseminararbeit_tuerkenbilder.pdf Seminararbeit zur Gräuelpropaganda im Fall Otranto
https://mjh.akdeniz.edu.tr/haldun-eroglu Artikel eines türkischen Historikers über den Feldzug 1480, aber im Internet unbrauchbar, da das PDF nicht alle Seiten enthält! Ohne Kennzeichnung sind alle diese PDFs der Zeitschrift nur Leseproben!
Nachträge:
https://archive.org/details/ArchivioStoricoPerLeProvinceNapolet1881 Edition von Foucard von Dokumenten aus dem Staatsarchiv Modena im Archivio storico per le province napoletane 6 (1881), S. 74-176, 609-628 (freundlicher Hinweis von Hubert Houben, mit dem ich ein Mailinterview führte, das hier bald erscheinen wird).
https://culturasalentina.files.wordpress.com/2010/09/aspettidistoriamilitarenellaguerradotranto.pdf Schrift von Scarpelle (it.) zu militärgeschichtlichen Aspekten
https://www.italiamedievale.org/sito_acim/contributi/RM-Corongiu-Maometto.pdf Aufsatz von Corongiu (ital.) über die letzten Jahre Mehmeds II.
https://emeroteca.provincia.brindisi.it/Brundisii%20Res/1978/articoli/Brindisi%20durante%20l'Invasione%20Turca%20di%20Otranto.pdf Aufsatz (ital.) über Brindisi während der Besetzung Otrantos
https://books.google.de/books?id=Cqzr0Phl9ZsC&pg=PA93 Auszug aus: Europas Grenzen (2006). Der Aufsatz von Peter Thorau über den osmanischen Einfall 1480/81 ist komplett einsehbar
https://books.google.de/books?id=QNQoCqPmZkIC&pg=PA158
https://books.google.de/books?id=QNQoCqPmZkIC&pg=PA260
Auszüge aus Bisaha 2004 (engl.) zur Quellenproblematik der 800 Märtyrer
https://books.google.de/books?id=zjFv_SkqOkcC&pg=PA302 Aufsatz über den Erzbischof Agricoli, Auszug
Eine dritte Darstellung der Märyrer in der dt. Wikipedia (neben den oben zitierten beiden anderen) ist bemerkenswert:
Seite „Otranto“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 15. Mai 2013, 16:25 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Otranto&oldid=118538845 (Abgerufen: 15. Mai 2013, 18:23 UTC)
Update 16. Mai 2013: Das Interview mit Hubert Houben bestätigt die hier geäußerten Zweifel:
https://archiv.twoday.net/stories/404099608/
=
https://frueheneuzeit.hypotheses.org/1417

KlausGraf - am Sonntag, 12. Mai 2013, 17:37 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
Das Orts- und Namensverzeichnis des neuen Buches kann hier vorübergehend eingesehen werden:
https://www.vierprinzen.com/2013/05/vier-prinzen-kammler-und-von-behr-orts_11.html
update 26 Mai 2013: USB Stick wurde an Druckerei übergeben. Auslieferung der ersten Exemplare findet im Juni statt. Herr Dr. Graf bekommt von mir ein Gratis-Exemplar.
Wirtschaftliches:
Lektorat Layout und Druckerei mindestens 2800euro.
Auftritt an der Frankfurter Messe einschl. Reisekosten und Übernachtung 2.000euro.
Salär für den Autor: 0
marketing 0
Summe plus Umsatzsteuer 5.000 euro.
Zuschüsse 0
Kommentare erwünscht
Alexander vom Hofe
https://www.vierprinzen.com/2013/05/vier-prinzen-kammler-und-von-behr-orts_11.html
update 26 Mai 2013: USB Stick wurde an Druckerei übergeben. Auslieferung der ersten Exemplare findet im Juni statt. Herr Dr. Graf bekommt von mir ein Gratis-Exemplar.
Wirtschaftliches:
Lektorat Layout und Druckerei mindestens 2800euro.
Auftritt an der Frankfurter Messe einschl. Reisekosten und Übernachtung 2.000euro.
Salär für den Autor: 0
marketing 0
Summe plus Umsatzsteuer 5.000 euro.
Zuschüsse 0
Kommentare erwünscht
Alexander vom Hofe
vom hofe - am Samstag, 11. Mai 2013, 10:35 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
Leider hat sich die Erkenntnis, dass es sich bei dem Heidelberger Turnierbuch Jost Pirckhammers um eine Fälschung des 19. Jahrhunderts handelt, nicht hinreichend in der Forschung herumgesprochen. Die durchaus ansprechend illuminierte Handschrift befindet sich im Stadtarchiv Heidelberg (Signatur: H Nr. 106) und ist inzwischen online im Portal der Universitätsbibliothek Heidelberg zu bewundern:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/stahd_h106
(Mein herzlicher Dank gilt meinem Kurskollegen Dr. Peter Blum vom Stadtarchiv Heidelberg, der hochwertige Reproduktionen anfertigen ließ, und der UB Heidelberg, insbesondere Frau Effinger, die sich bereit erklärte, das Digitalisat öffentlich zugänglich zu machen.)
Der Haßmersheimer Pfarrer Hermann Wirth publizierte 1868 in seinem "Archiv zur Geschichte der Stadt Heidelberg" (1. Jg. Heft IV, S. 214-246) zwei Beschreibungen des Heidelberger Turniers.
https://books.google.de/books?id=v85DAAAAYAAJ&pg=PA214
Zunächst diejenige aus dem 1530 erstmals gedruckten Turnierbuch des Herolds Georg Rüxner, wobei er die Ausgabe von 1532 zugrunde legte (Digitalisat Dilibri; Erstausgabe 1530), dann die "Thurnirbuchordnung von Pirckhammer anno 1486". Wer die Handschrift jetzt online durchblättert, läuft Gefahr, sich über den unkritischen Pastor zu mokieren, der eine für den einigermaßen mit spätmittelalterlichen Handschriften Erfahrenen doch recht offenkundige Fälschung für authentisch ansah.
Das Stück hatte der Begründer der Heidelberger städtischen Altertümersammlung Albert Mays über den bekannten Händler Nikolaus Trübner von einem Londoner Antiquar im August 1868 für eine wohl nicht unbeträchtliche Summe erworben und später der Stadt Heidelberg mit seinen Sammlungen testamentarisch vermacht.
In seinen Quellen zur Geschichte des Heidelberger Schlosses (1882) erklärte schon Marc Rosenberg das Stück "entschieden" in einer Fußnote als "eine Fälschung" (S. 78 Anm. 2):
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/rosenberg1882/0091
Der Heraldiker Theodor Wilckens (1839-1926) nahm sich in den Mannheimer Geschichtsblättern 8/9 (1900), Sp. 184-187 das Werk vor und formulierte sein Ergebnis schon in der Überschrift: Das "Heidelberger Thurnierbuch und Ordnung des Jost Pirckhammer" von 1486 eine Fälschung. Online:
https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2012/1824
Am 21. Mai 1895 hatte der Berliner Verein "Herold" Gelegenheit, das Original zu prüfen. Wilckens gibt das Gutachten wieder, das die Fälschung erweist. Der nach Ansicht des Vereins in den 1840er Jahren wirkende Fälscher habe ein Pergament des 18. Jahrhunderts wiederverwendet. Es wäre einen Versuch wert, das Palimpsest mit modernen naturwissenschaftlichen Methoden zu durchleuchten.
Als Textquelle wird natürlich das Rüxnersche Turnierbuch ausgemacht. Das Porträt Kurfürst Philipps stamme aus einem Porträtbuch von Jost Amman.
Mundus vult decipi. Einmal in der Welt, ist Pirckhammers Turnierbuchordnung als authentische Geschichtsquelle offenbar unausrottbar. Und Wilckens Fälschungsnachweis, obwohl mehrfach bibliographisch registriert (ZGO, Jahresberichte, Deutsche Geschichtsblätter) wurde übersehen. Ich denke nicht, dass man Historikern sorgfältige Arbeitsweise attestieren kann, die auf eine quellenkundliche Überprüfung des Textes trotz offenkundig dubioser Aussagen verzichtet haben.
"1486: das Heidelberger Thurnierbuch und Ordnung des Jost Pirckhammer erscheint" So der Heidelberger Geschichtsverein in seiner Zeittafel
https://www.s197410804.online.de/Zeiten/1400.htm
Besonders pikant: Auf der Literaturseite des gleichen Angebots wird auch der Aufsatz von Wilckens aufgeführt, der doch schon im Titel sagt, dass es sich um eine Fälschung handelt:
https://www.s197410804.online.de/Literatur/litmta.htm
Eugen Hillenbrand verwies in seinem Aufsatz zum Offenburger Turnier (ZGO 1983, S. 274) ohne weiteres auf den zweiten von Wirth edierten Bericht (also auf Pirckhammer). Thomas Zotz hat in seinem einflussreichen Aufsatz zum städtischen Turnierwesen die Fälschung leider auch für bare Münze genommen (S. 478):
https://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/a/a097856.pdf
Über Zotz gelangten Pirckhammers 400 Bürger im Harnisch in eine Fußnote von von Anja Hagen/Heinz Krieg (in: Spätmittelalter am Oberrhein. Aufsatzbd., 2002, S. 421).
Als authentische Quelle verwertete Pirckhammers Turnierbuch Andreas Ranft in seinen "Adelsgesellschaften" 1994:
https://books.google.de/books?id=E4UWAQAAIAAJ&q=pirckhammer
Martina Backes äußerte zwar 1992 Skepsis (die Handschrift sei eine Fälschung des 19. Jahrhunderts), verzichtete aber auf Heranziehung der maßgeblichen Darstellung von Wilckens.
https://books.google.de/books?id=RrFbAAAAMAAJ&q=thurnirbuchordnung
Zuletzt ging Franz Niehoff dem Fälscher auf den Leim (2009):
https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/2131/
Weitere Fälschungen vom gleichen Meister?
Abschließend berichtet Wilckens noch über eine von der Hand des gleichen Fälschers stammende Handschrift, die dem Verein Herold in der Vorstandssitzung vom 1. Dezember 1896 vorgelegt wurde. Sie war aus der französischen Provinz mit dem Nachlass eines Künstlers nach Paris gelangt und dort von einem Antiquar erworben worden. Es ist mir nicht gelungen, eine Spur dieses Manuskripts zu finden. Vielleicht wurde es ja auch von dem unglücklichen Käufer vernichtet.
Es enthielt: ein Verzeichnis der Ulmer Patrizier und deren Wappen von 1613, "Theatrum virorum memorandorum" (Georg von Frundsberg, Franz von Sickingen, Ulrich von Hutten u.a.), "Georgen von Frondsbergs Excercir-Regula nach jetzigem
Erfordernis eingerichtet durch Everardum Weihermann
Ulmensem". Es war mit vielen Abbildungen reich geschmückt. (Everard Weihermann ist sicher eine Fiktion.)
Es ist mir gelungen, ein mutmaßliches weiteres Stück aus der Fälscherwerkstatt aufzufinden. Ich habe es allerdings nicht selbst eingesehen, doch lässt die Katalog-Beschreibung deutlich genug erkennen, dass ein enger Zusammenhang mit der Machart der beiden bisher erwähnten Codices besteht. Es handelt sich um das Ms. 2387 der BNU Strasbourg im Umfang von 63 Blatt:
https://archive.org/stream/cataloguegnr47fran#page/504/mode/2up
Das Straßburger illustrierte Manuskript beginnt mit einer Beschreibung des Heidelberger Turniers, das ebenso wie bei Pirckhammer fälschlich in das Jahr 1482 gesetzt wird. Auch hier hat ein Diener von Ritter Hans von Seckendorf die Feder ergriffen, nur heißt er nicht Jost Pirckhammer, sondern Andres Zimmermann junior. Es folgen offenbar erfundene Texte, die inhaltlich dem zweiten Stück mit dem Ulmer Geschlechterverzeichnis nahestehen. Soweit es sich nicht um bekannte Persönlichkeiten handelt (Heinz Dompnig zu Breslau, Georg von Frundsberg) finde ich zu den weiteren genannten Personen mit dem Internet keine Anhaltspunkte, dass es sie jemals gegeben hat: Ritter Carius von Füssach, Goldschmied Johann Zimmermann, Christoph Pfanzelt, Maler in Roggenburg 1536.
Womöglich kann ich noch ein weiteres Falsum aus der gleichen Werkstatt namhaft machen. Es muss als verschollen gelten. Ich habe den Eintrag in: Romances of chivalry, European literature, French books with engravings, rare Americana from the library of John B. Stetson, Jr., Philadelphia, Pennsylvania. American Art Association, Anderson Galleries (Firm), April 17, 1935-April 18, 1935, S. 131f. Nr. 225 auf Commons zugänglich gemacht:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Turnierbuch_1511.jpg
Das Hauptwerk der illustrierten Handschrift ist ein "protocollum" des Turniers anlässlich von Herzog Ulrichs Hochzeit 1511. Dieses Turnier hat es ohne Zweifel gegeben. Dort turnierten zwei Bayernherzöge miteinander (siehe Max Tewes in: Ritterwelten im Spätmittelalter , 2009, S. 42 nach dem Hofkleiderbuch Cgm 1951, Bl. 8r, das online ist:
https://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00016005/image_19 ).
Die Quellen zur Hochzeit Herzog Ulrichs stellten Stälin (IV, S. 81 Anm. 1) und jüngst Gerhard Raff, Hie gut Württemberg allewege, 3. Aufl. 1994, S. 478f. zusammen. Die sehr viel spätere lateinische Festbeschreibung von Jakob Frischlin ist online:
https://digital.wlb-stuttgart.de/purl/bsz312522533
Von einem Turnierprotokoll konnte ich aber keine Spur finden. Das zweite Stück des Bandes soll ein Turnierbuch des Anton von Yffan, der als Maximilians Turniermeister durchaus bekannt ist, sein. Das dritte schließlich verweist doch recht deutlich auf die bisherigen Falsa: Kurze Relation über Franz von Sickingen von Johann Yfanenschmit Maler "Discip. Burgkmayers". Über diesen Yfanenschmidt (oder Pfanenschmit?) ist nichts herauszubringen. Dass er als Schüler des berühmten Burgkmair bezeichnet wird verweist auf die Rolle der Augsburger Malers Burgkmair für die Verbreitung von Turnierbüchern Maximilians. Siehe die Beschreibung Marianne Reuters:
https://codicon.digitale-sammlungen.de/inventiconCod.icon.%20403.html
Franz von Sickingen gehört zu jenen Persönlichkeiten, mit deren Prominenz der Fälscher Kunden anlocken wollte. Und auch den Malern war der Fälscher besonders gewogen: Pirckhammer nennt sich Maler, Pfanzelt (in der Straßburger Handschrift) ist Maler.
Aufgrund der wenigen Angaben des Verkaufskatalogs ist ein Urteil schwierig, aber ich möchte in der Handschrift definitiv eine Fälschung sehen und aufgrund der dargestellten Bezüge dem gleichen Fälscher wie Pirckhammers Turnierbuch zuweisen.
Später, nach Reuter nach 1882, datiert eine weitere Handschrift, die offenbar in den gleichen Kontext fiktiver Turnierbücher gehört. Möglicherweise stammt auch sie von unserem Fälscher. Ich gebe Marianne Reuter das Wort, deren Aufsatz "Rondo" mir leider nicht zugänglich war:
"Ein später Nachläufer unserer Turnierfolge ist Cod.icon. 402 32 Blatt starken Kartons (36 x 27 cm) mit 16 in Deckfarben mit Gold und Silber ausgeführten Bildseiten, Titel- und Widmungsblatt. Die Hs unbekannter Provenienz gibt sich im Widmungsblatt als von Hans Burgmayrer Maller für Herrn Fridericus Pfalzgraue bey Rhein ... (Friedrich III., Kurfürst von der Pfalz 1515-1576) angefertigt aus, signiert HB (gemeint Hans Burgkmair d.J.) und datiert 1559 . Neun Illustrationen stimmen zwar mit Cod.icon. 403 sowie SIG [Sigmaringen, Hofbibliothek Hs. 63, KG] überein, alternierend mit Kopien nach dem »Freydal«-Zyklus (Kaiser Maximilians I. autobiographischem Turnierbuch; siehe dazu Cod.icon. 398 ). Die letzte Illustration biedermeierlich gewandeter Herrschaften beim Ring- und Apfelstechen Bl. 30r legt jedoch zusammen mit der märchenhaft anmutenden Besitzgeschichte auf den Vorsatzblättern und dem altertümelnden Einband die Vermutung nahe, daß es sich um ein romantisches Elaborat handelt, dessen konkreten Vorlagen im Einzelnen nachzugehen wäre (Reuter, Rondo 2010 : S. 77 f. mit Abb. 8)."
https://codicon.digitale-sammlungen.de/inventiconCod.icon.%20403.html
Ob es sich um einen einzigen Fälscher handelt (so Wilckens für die dem "Herold" gezeigten Stücke) oder um eine Werkstatt mit mehreren Personen? Auch wenn zwei Handschriften anscheinend nicht mehr vorhanden sind, könnte man das Heidelberger Stück mit dem Straßburger und dem Münchner vergleichen. Ziemlich eindeutig erscheint mir der inhaltliche Zusammenhang des Straßburger Manuskripts mit dem Heidelberger. Deutliche Beziehungen weist auch das Turnierprotokoll 1511 zu den anderen Werken des Fälscher-Meisters auf, während es gut denkbar ist, dass der Münchner Cod. icon. 402, der ja anscheinend sehr viel später datiert, nur als Bestandteil einer größeren Gruppe "romantischer" Turnierbuch-Fiktionen mit den anderen in Verbindung steht. Ich lege der Kunstgeschichte jedenfalls nahe, den "Fälscher von Pirckhammers Turnierbuch" (so mein Vorschlag eines Notnamens) eingehend zu untersuchen und nach weiterem Material zu vergleichbaren Fälschungen/Fiktionen Ausschau zu halten.
In Archivalia sind diese Ermittlungen jedenfalls, wie ich meine, eine spannende Bereicherung zu den Beiträgen über Fälschungen:
https://archiv.twoday.net/stories/96987511/
Zum Heidelberger Vierlandeturnier 1481 und seinen Quellen:
https://archiv.twoday.net/stories/96991891/
https://archiv.twoday.net/stories/120175110/ (Bildquellen)
#forschung
Archivversion:
https://www.webcitation.org/6IU9qBbLj

https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/stahd_h106
(Mein herzlicher Dank gilt meinem Kurskollegen Dr. Peter Blum vom Stadtarchiv Heidelberg, der hochwertige Reproduktionen anfertigen ließ, und der UB Heidelberg, insbesondere Frau Effinger, die sich bereit erklärte, das Digitalisat öffentlich zugänglich zu machen.)
Der Haßmersheimer Pfarrer Hermann Wirth publizierte 1868 in seinem "Archiv zur Geschichte der Stadt Heidelberg" (1. Jg. Heft IV, S. 214-246) zwei Beschreibungen des Heidelberger Turniers.
https://books.google.de/books?id=v85DAAAAYAAJ&pg=PA214
Zunächst diejenige aus dem 1530 erstmals gedruckten Turnierbuch des Herolds Georg Rüxner, wobei er die Ausgabe von 1532 zugrunde legte (Digitalisat Dilibri; Erstausgabe 1530), dann die "Thurnirbuchordnung von Pirckhammer anno 1486". Wer die Handschrift jetzt online durchblättert, läuft Gefahr, sich über den unkritischen Pastor zu mokieren, der eine für den einigermaßen mit spätmittelalterlichen Handschriften Erfahrenen doch recht offenkundige Fälschung für authentisch ansah.
Das Stück hatte der Begründer der Heidelberger städtischen Altertümersammlung Albert Mays über den bekannten Händler Nikolaus Trübner von einem Londoner Antiquar im August 1868 für eine wohl nicht unbeträchtliche Summe erworben und später der Stadt Heidelberg mit seinen Sammlungen testamentarisch vermacht.
In seinen Quellen zur Geschichte des Heidelberger Schlosses (1882) erklärte schon Marc Rosenberg das Stück "entschieden" in einer Fußnote als "eine Fälschung" (S. 78 Anm. 2):
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/rosenberg1882/0091
Der Heraldiker Theodor Wilckens (1839-1926) nahm sich in den Mannheimer Geschichtsblättern 8/9 (1900), Sp. 184-187 das Werk vor und formulierte sein Ergebnis schon in der Überschrift: Das "Heidelberger Thurnierbuch und Ordnung des Jost Pirckhammer" von 1486 eine Fälschung. Online:
https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2012/1824
Am 21. Mai 1895 hatte der Berliner Verein "Herold" Gelegenheit, das Original zu prüfen. Wilckens gibt das Gutachten wieder, das die Fälschung erweist. Der nach Ansicht des Vereins in den 1840er Jahren wirkende Fälscher habe ein Pergament des 18. Jahrhunderts wiederverwendet. Es wäre einen Versuch wert, das Palimpsest mit modernen naturwissenschaftlichen Methoden zu durchleuchten.
Als Textquelle wird natürlich das Rüxnersche Turnierbuch ausgemacht. Das Porträt Kurfürst Philipps stamme aus einem Porträtbuch von Jost Amman.
Mundus vult decipi. Einmal in der Welt, ist Pirckhammers Turnierbuchordnung als authentische Geschichtsquelle offenbar unausrottbar. Und Wilckens Fälschungsnachweis, obwohl mehrfach bibliographisch registriert (ZGO, Jahresberichte, Deutsche Geschichtsblätter) wurde übersehen. Ich denke nicht, dass man Historikern sorgfältige Arbeitsweise attestieren kann, die auf eine quellenkundliche Überprüfung des Textes trotz offenkundig dubioser Aussagen verzichtet haben.
"1486: das Heidelberger Thurnierbuch und Ordnung des Jost Pirckhammer erscheint" So der Heidelberger Geschichtsverein in seiner Zeittafel
https://www.s197410804.online.de/Zeiten/1400.htm
Besonders pikant: Auf der Literaturseite des gleichen Angebots wird auch der Aufsatz von Wilckens aufgeführt, der doch schon im Titel sagt, dass es sich um eine Fälschung handelt:
https://www.s197410804.online.de/Literatur/litmta.htm
Eugen Hillenbrand verwies in seinem Aufsatz zum Offenburger Turnier (ZGO 1983, S. 274) ohne weiteres auf den zweiten von Wirth edierten Bericht (also auf Pirckhammer). Thomas Zotz hat in seinem einflussreichen Aufsatz zum städtischen Turnierwesen die Fälschung leider auch für bare Münze genommen (S. 478):
https://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/a/a097856.pdf
Über Zotz gelangten Pirckhammers 400 Bürger im Harnisch in eine Fußnote von von Anja Hagen/Heinz Krieg (in: Spätmittelalter am Oberrhein. Aufsatzbd., 2002, S. 421).
Als authentische Quelle verwertete Pirckhammers Turnierbuch Andreas Ranft in seinen "Adelsgesellschaften" 1994:
https://books.google.de/books?id=E4UWAQAAIAAJ&q=pirckhammer
Martina Backes äußerte zwar 1992 Skepsis (die Handschrift sei eine Fälschung des 19. Jahrhunderts), verzichtete aber auf Heranziehung der maßgeblichen Darstellung von Wilckens.
https://books.google.de/books?id=RrFbAAAAMAAJ&q=thurnirbuchordnung
Zuletzt ging Franz Niehoff dem Fälscher auf den Leim (2009):
https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/2131/
Weitere Fälschungen vom gleichen Meister?
Abschließend berichtet Wilckens noch über eine von der Hand des gleichen Fälschers stammende Handschrift, die dem Verein Herold in der Vorstandssitzung vom 1. Dezember 1896 vorgelegt wurde. Sie war aus der französischen Provinz mit dem Nachlass eines Künstlers nach Paris gelangt und dort von einem Antiquar erworben worden. Es ist mir nicht gelungen, eine Spur dieses Manuskripts zu finden. Vielleicht wurde es ja auch von dem unglücklichen Käufer vernichtet.
Es enthielt: ein Verzeichnis der Ulmer Patrizier und deren Wappen von 1613, "Theatrum virorum memorandorum" (Georg von Frundsberg, Franz von Sickingen, Ulrich von Hutten u.a.), "Georgen von Frondsbergs Excercir-Regula nach jetzigem
Erfordernis eingerichtet durch Everardum Weihermann
Ulmensem". Es war mit vielen Abbildungen reich geschmückt. (Everard Weihermann ist sicher eine Fiktion.)
Es ist mir gelungen, ein mutmaßliches weiteres Stück aus der Fälscherwerkstatt aufzufinden. Ich habe es allerdings nicht selbst eingesehen, doch lässt die Katalog-Beschreibung deutlich genug erkennen, dass ein enger Zusammenhang mit der Machart der beiden bisher erwähnten Codices besteht. Es handelt sich um das Ms. 2387 der BNU Strasbourg im Umfang von 63 Blatt:
https://archive.org/stream/cataloguegnr47fran#page/504/mode/2up
Das Straßburger illustrierte Manuskript beginnt mit einer Beschreibung des Heidelberger Turniers, das ebenso wie bei Pirckhammer fälschlich in das Jahr 1482 gesetzt wird. Auch hier hat ein Diener von Ritter Hans von Seckendorf die Feder ergriffen, nur heißt er nicht Jost Pirckhammer, sondern Andres Zimmermann junior. Es folgen offenbar erfundene Texte, die inhaltlich dem zweiten Stück mit dem Ulmer Geschlechterverzeichnis nahestehen. Soweit es sich nicht um bekannte Persönlichkeiten handelt (Heinz Dompnig zu Breslau, Georg von Frundsberg) finde ich zu den weiteren genannten Personen mit dem Internet keine Anhaltspunkte, dass es sie jemals gegeben hat: Ritter Carius von Füssach, Goldschmied Johann Zimmermann, Christoph Pfanzelt, Maler in Roggenburg 1536.
Womöglich kann ich noch ein weiteres Falsum aus der gleichen Werkstatt namhaft machen. Es muss als verschollen gelten. Ich habe den Eintrag in: Romances of chivalry, European literature, French books with engravings, rare Americana from the library of John B. Stetson, Jr., Philadelphia, Pennsylvania. American Art Association, Anderson Galleries (Firm), April 17, 1935-April 18, 1935, S. 131f. Nr. 225 auf Commons zugänglich gemacht:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Turnierbuch_1511.jpg
Das Hauptwerk der illustrierten Handschrift ist ein "protocollum" des Turniers anlässlich von Herzog Ulrichs Hochzeit 1511. Dieses Turnier hat es ohne Zweifel gegeben. Dort turnierten zwei Bayernherzöge miteinander (siehe Max Tewes in: Ritterwelten im Spätmittelalter , 2009, S. 42 nach dem Hofkleiderbuch Cgm 1951, Bl. 8r, das online ist:
https://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00016005/image_19 ).
Die Quellen zur Hochzeit Herzog Ulrichs stellten Stälin (IV, S. 81 Anm. 1) und jüngst Gerhard Raff, Hie gut Württemberg allewege, 3. Aufl. 1994, S. 478f. zusammen. Die sehr viel spätere lateinische Festbeschreibung von Jakob Frischlin ist online:
https://digital.wlb-stuttgart.de/purl/bsz312522533
Von einem Turnierprotokoll konnte ich aber keine Spur finden. Das zweite Stück des Bandes soll ein Turnierbuch des Anton von Yffan, der als Maximilians Turniermeister durchaus bekannt ist, sein. Das dritte schließlich verweist doch recht deutlich auf die bisherigen Falsa: Kurze Relation über Franz von Sickingen von Johann Yfanenschmit Maler "Discip. Burgkmayers". Über diesen Yfanenschmidt (oder Pfanenschmit?) ist nichts herauszubringen. Dass er als Schüler des berühmten Burgkmair bezeichnet wird verweist auf die Rolle der Augsburger Malers Burgkmair für die Verbreitung von Turnierbüchern Maximilians. Siehe die Beschreibung Marianne Reuters:
https://codicon.digitale-sammlungen.de/inventiconCod.icon.%20403.html
Franz von Sickingen gehört zu jenen Persönlichkeiten, mit deren Prominenz der Fälscher Kunden anlocken wollte. Und auch den Malern war der Fälscher besonders gewogen: Pirckhammer nennt sich Maler, Pfanzelt (in der Straßburger Handschrift) ist Maler.
Aufgrund der wenigen Angaben des Verkaufskatalogs ist ein Urteil schwierig, aber ich möchte in der Handschrift definitiv eine Fälschung sehen und aufgrund der dargestellten Bezüge dem gleichen Fälscher wie Pirckhammers Turnierbuch zuweisen.
Später, nach Reuter nach 1882, datiert eine weitere Handschrift, die offenbar in den gleichen Kontext fiktiver Turnierbücher gehört. Möglicherweise stammt auch sie von unserem Fälscher. Ich gebe Marianne Reuter das Wort, deren Aufsatz "Rondo" mir leider nicht zugänglich war:
"Ein später Nachläufer unserer Turnierfolge ist Cod.icon. 402 32 Blatt starken Kartons (36 x 27 cm) mit 16 in Deckfarben mit Gold und Silber ausgeführten Bildseiten, Titel- und Widmungsblatt. Die Hs unbekannter Provenienz gibt sich im Widmungsblatt als von Hans Burgmayrer Maller für Herrn Fridericus Pfalzgraue bey Rhein ... (Friedrich III., Kurfürst von der Pfalz 1515-1576) angefertigt aus, signiert HB (gemeint Hans Burgkmair d.J.) und datiert 1559 . Neun Illustrationen stimmen zwar mit Cod.icon. 403 sowie SIG [Sigmaringen, Hofbibliothek Hs. 63, KG] überein, alternierend mit Kopien nach dem »Freydal«-Zyklus (Kaiser Maximilians I. autobiographischem Turnierbuch; siehe dazu Cod.icon. 398 ). Die letzte Illustration biedermeierlich gewandeter Herrschaften beim Ring- und Apfelstechen Bl. 30r legt jedoch zusammen mit der märchenhaft anmutenden Besitzgeschichte auf den Vorsatzblättern und dem altertümelnden Einband die Vermutung nahe, daß es sich um ein romantisches Elaborat handelt, dessen konkreten Vorlagen im Einzelnen nachzugehen wäre (Reuter, Rondo 2010 : S. 77 f. mit Abb. 8)."
https://codicon.digitale-sammlungen.de/inventiconCod.icon.%20403.html
Ob es sich um einen einzigen Fälscher handelt (so Wilckens für die dem "Herold" gezeigten Stücke) oder um eine Werkstatt mit mehreren Personen? Auch wenn zwei Handschriften anscheinend nicht mehr vorhanden sind, könnte man das Heidelberger Stück mit dem Straßburger und dem Münchner vergleichen. Ziemlich eindeutig erscheint mir der inhaltliche Zusammenhang des Straßburger Manuskripts mit dem Heidelberger. Deutliche Beziehungen weist auch das Turnierprotokoll 1511 zu den anderen Werken des Fälscher-Meisters auf, während es gut denkbar ist, dass der Münchner Cod. icon. 402, der ja anscheinend sehr viel später datiert, nur als Bestandteil einer größeren Gruppe "romantischer" Turnierbuch-Fiktionen mit den anderen in Verbindung steht. Ich lege der Kunstgeschichte jedenfalls nahe, den "Fälscher von Pirckhammers Turnierbuch" (so mein Vorschlag eines Notnamens) eingehend zu untersuchen und nach weiterem Material zu vergleichbaren Fälschungen/Fiktionen Ausschau zu halten.
In Archivalia sind diese Ermittlungen jedenfalls, wie ich meine, eine spannende Bereicherung zu den Beiträgen über Fälschungen:
https://archiv.twoday.net/stories/96987511/
Zum Heidelberger Vierlandeturnier 1481 und seinen Quellen:
https://archiv.twoday.net/stories/96991891/
https://archiv.twoday.net/stories/120175110/ (Bildquellen)
#forschung
Archivversion:
https://www.webcitation.org/6IU9qBbLj

KlausGraf - am Sonntag, 28. April 2013, 00:43 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
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"Das Jüdische Museum in Berlin möchte einen Platz nach dem Philosophen Moses Mendelssohn benennen. Doch daraus wird wohl nichts: Der Bezirk Kreuzberg beharrt auf einem Quotenverfahren, derzeit sollen nur Frauennamen vergeben werden."
https://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/2084179/
https://www.heise.de/tp/blogs/8/154174
Mendelsohn (rote Kleidung)
https://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/2084179/
https://www.heise.de/tp/blogs/8/154174

KlausGraf - am Donnerstag, 25. April 2013, 17:42 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
"Die Mehrzahl der altern Städtewahrzeichen, welcher Art sie auch sein mochten, hatten eine vorzügliche Geltung seit der Zeit der allmäligen mittelalterlichen Ausbildung der Gewerbsverbände, und spielten sogar eine gewaltige Rolle in der Geschichte des deutschen Handwerksgesellenthums. Denn sie dienten vorzüglich als eine oft bis zum peinlichsten und selbst gewaltthätigsten Pennalismus ausartende Controle, welche die Altgesellen über die zuwandernden Gesellen oder Knappen, wie bei den Tuchmachern und Müllern namentlich die Gesellen hießen, oder Burschen, oder Knechte, wie bei den Schustern, Bäckern und Metzgern oder Fleischern die Gehilfen genannt wurden, führten. Denn diese mußten dem Altgesellen nicht nur angeben, in welchen Städten sie bereits gewesen waren, sondern zur Bekräftigung der Wahrheit ihrer Angaben hatten sie zugleich auch die Wahrzeichen der angegebenen Städte zu benennen und näher zu bezeichnen."
Wilhelm Schäfer 1858 (zu Leipziger und Dresdener Wahrzeichen)
https://books.google.de/books?id=ScERAAAAYAAJ
Lateinische Abhandlung von Franz Ernst Brückmann
https://books.google.de/books?id=sYxCAAAAcAAJ
Aufsatz von Hucker 1996
https://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/a/a120810.pdf
Die dort gegebene Bibliographie ist sehr lückenhaft, viele Arbeiten trug Andreas Grießinger: Das symbolische Kapital der Ehre (1981) S. 467 Anm. 120 zusammen. Erwähnung verdient insbesondere: Steinmann, Ulrich: Die Bedeutung der Städtewahrzeichen für die wandernden Handwerksgesellen. In: Volkskunde. Fakten und Analysen. Festgabe für Leopold Schmidt zum 60. Geburtstag.
Wien 1972, S. 166-176 (nicht gesehen).
https://de.wikisource.org/wiki/Das_Kind_auf_dem_Neumarkt_zu_Leipzig
Wilhelm Schäfer 1858 (zu Leipziger und Dresdener Wahrzeichen)
https://books.google.de/books?id=ScERAAAAYAAJ
Lateinische Abhandlung von Franz Ernst Brückmann
https://books.google.de/books?id=sYxCAAAAcAAJ
Aufsatz von Hucker 1996
https://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/a/a120810.pdf
Die dort gegebene Bibliographie ist sehr lückenhaft, viele Arbeiten trug Andreas Grießinger: Das symbolische Kapital der Ehre (1981) S. 467 Anm. 120 zusammen. Erwähnung verdient insbesondere: Steinmann, Ulrich: Die Bedeutung der Städtewahrzeichen für die wandernden Handwerksgesellen. In: Volkskunde. Fakten und Analysen. Festgabe für Leopold Schmidt zum 60. Geburtstag.
Wien 1972, S. 166-176 (nicht gesehen).

KlausGraf - am Montag, 22. April 2013, 17:19 - Rubrik: Geschichtswissenschaft