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Der Theaterkanal (Link) kündigt eine Projektwoche der Essener Folkwang-Schule zur Probelmatik der Tanzarchive an:"Was bleibt vom Theater, wenn der Vorhang der Bühne sich geschlossen hat? Eine gewisse Ratlosigkeit prägt die Antwort von Archivaren auf diese Frage fortwährend aufs Neue. Und dies, obwohl die Antwort seit Anbeginn der Geschichte der Darstellenden Künste immer gleich lautet. Ist doch für Zuschauer wie für Darsteller die dem Körper eigene Empfindung und die dem Denken eigene Reflektion der Träger jeglicher Erinnerung an ein theatrales Ereignis einer Erinnerung, die sich im übrigen der Dokumentation, Wiedergabe und kritischen Betrachtung zu entziehen scheint.
Mit dem Wissen um dieses Dilemma haben sich Archive der darstellenden Künste seit jeher auf die Aufbewahrung von Relikten vergangener Theaterereignisse zum Zweck der Bewahrung und Weitergabe eines möglichst >objektiven< Wissens konzentriert. Regie- und Rollenbücher, Inspizientenbücher, Beleuchtungspläne, Bauzeichnungen, Kostümentwürfe umfassen diese Gruppe von Archivalien >erster Klasse<. Ergänzt werden sie durch Materialien, die dazu geeignet sind, sich ein subjektiv geprägtes Bild von den Entstehungsbedingungen einer Schauspiel- oder Musiktheaterinszenierung zu machen: persönliche Tagebücher und Erinnerungen, Briefe, Notizbücher. Und natürlich fehlt auch nicht der >fremde Blick< nicht unmittelbar an der Produktion Beteiligter: Photographien, Zeichnungen, Skizzen etc.
Die Erinnerung an den Tanz unterschied und unterscheidet sich dabei nicht wesentlich von der an ein Schauspiel oder an eine Oper mag auch die Notation einer Choreographie mittels der Laban- oder Benesh-Notation >objektiver< als ein Regiebuch einer Schauspielinszenierung sein, mögen auch die durch einen frühen Berufswechsels geprägten Erinnerungen einer Tänzerin der Staatsoper unter den Linden >subjektiver< als die Tagebuchnotizen einer langjährigen Schauspielerin des Theaters am Schiffbauerdamm sein.
Dabei ist Geschichte der Kunstform Tanz mehr als die jeder anderen darstellenden Kunst abhängig von dem was überhaupt erfahrbar, recherchierbar ist und dem, was man aus der Perspektive der Jetztzeit übergeht oder übersieht Tanzgeschichte ist also zu einem Gutteil auch immer Konstruktion, eine Konstruktion unter vielen möglichen. Dabei erinnert das Resultat einer solchen Rekonstruktion mehr an eine Collage als an ein Historienbild, ähnelt eher einem >Musée Sentimentale< als einem zeitgeschichtlichen Museum.

Die Werkwoche >Verweile doch, du bist so schön< zielt darauf ab, Erstsemesterstudenten des Studiengangs Tanz der Folkwang Hochschule Essen auf eine neue Art und Weise an die Thematik >Tanz Archiv Bewahrung und Erinnerung - Tanzgeschichte< heranzuführen. Basis der Arbeit ist das Tanzarchiv der Folkwang-Tanzabteilung, das sich seit dem Brand der Folkwang Hochschule im März 2008 in der Obhut des Deutschen Tanzarchivs Köln befindet.

Die Geschichte des Folkwang-Tanzarchivs beginnt streng genommen 1927, im Jahr der Gründung der Folkwang Hochschule. Es war niemand geringerer als Kurt Jooss, der seinerzeit den tagesaktuellen Schriftwechsel aufbewahrte sowie Zeitungsausschnitte mit Berichten über die Gründung der Schule organisierte, sammelte und abheftete. Im Laufe der Jahre entstand so ein >Handakten<-Bestand, also eine in der Überlieferung z. T. recht dichte themen- oder ereignisorientierte Dokumentensammlungen ergänzt durch einen großen Bestand an >Materialien< (Fotos, Programmhefte, Plakate etc.), bedingt durch Aufführungen, Gastspielreisen, Sommerkurse etc. Im Laufe der Jahre konnten diese Materialien als Archiv der Tanzabteilung erhalten werde, ja sie wurden sogar durch wertvolle Schenkungen (Nachlass von Hans Züllig, dem ehemaligen Leiter der Tanzabteilung und international renommierten Tanzpädagogen und Tänzer) etc. ergänzt und bereichert.
In den Beständen des Folkwang-Tanzarchivs manifestiert sich aber nicht nur die Geschichte der Tanzabteilung der Folkwang Hochschule viele Materialien, darunter die erwähnten Zeitungsausschnitte der Jahre 1927ff., sind einzigartige Zeugnisse der Geschichte der Folkwang Hochschule.
Ausgewählte Dokumente dieses einzigartigen Bestandes bilden die Grundlage der gemeinsamen Arbeit mit den Studierenden, die von einer ersten Beschreibung der Archivalien über deren Kontextualisierung bis hin zur Kommentierung dieser Quellen der Tanzgeschichte führt. Die Einführung in die Grundlagen der Archivkunde ist dabei eng verknüpft mit einer schrittweisen Einführung in die Grundlagen tanzhistorischer Forschung.
Die stärkste Antriebskraft zum Aufbau von Archiven der Tanzkunst war und ist die Sammellust, mithin die Liebhaberei und die damit verbundene Leidenschaft, aber eben auch der Wunsch, dem Tanz eine den anerkannten Kunstformen wie Literatur, Musik und Bildende Kunst vergleichbare gesellschaftspolitische Relevanz zu sichern. Von der Liebhaberei zum politischen Bewusstsein von Sammlern und Archivaren des Tanzes ein Riesenschritt, der gerade mal die Zeitspanne eines Jahrhunderts umfasst und beim Aufbau eines Archivs wie auch im Archivalltag aufs neue durchmessen wird. Dabei ist der Prozess des Sammelns und Archivierens von Tanz immer auch ein einschneidender Akt: entfernt er doch ein Objekt welcher Materialität auch immer aus seinem ursprünglichen Sinnzusammenhang und hebt damit einen gewachsenen Kontext zugunsten der Stiftung eines neuen Zusammenhangs auf.
Die Werkwoche >Verweile doch, du bist so schön< hat es sich zum Ziel gesetzt, in einem zweiten Schritt aus den gemeinsam mit den Studierenden bearbeiteten Quellen der Tanzgeschichte ein >Archiv auf Zeit< zu konstruieren. Die tatsächlich erhaltenen Dokumente und Quellen sollen von den Studierenden dabei mit wünschenswerten Quellen, sogenannten >Wunschdokumenten< verknüpft werden. Die gemeinsame >Phantasie-Arbeit< an dieser Konstruktion und das Ausloten möglicher neuer Sinn- und Vermittlungszusammenhänge soll das Bewusstsein der Studierenden für die Besonderheit historischer Quellen der Tanzkunst sowie die Schwierigkeit der Bewahrung / Überlieferung einer transitorischen Bühnenkunst wie dem Tanz entwickeln und schärfen.
Kaum ein Tänzer findet den Weg in ein Archiv es sei denn er ist tot. Ein Bonmot vor dem Hintergrund bitterer Wirklichkeit. Heute sind vor allem Autoren (Wissenschaftler, Kritiker und Publizisten) die im Archiv nach Ausgangspunkten, Belegen oder Inspirationen für ihre ganz persönliche Geschichte vom Tanz suchen und sie - kein Wunde - auch finden. Der Umstand, dass Archive im Laufe der Zeit zunehmend die Wirklichkeit des Tanzes vernachlässigten, führte zu Herausbildung ergänzender Sammlungen und Archive mit Folgen für die Zukunft. Bildete sich bisher zum Beispiel die Gegenwart des Tanzes in Deutschland des 20. Jahrhundert heillos zersplittert in große und kleine Bestände in zahllosen Staats-, Stadt- und Spezialarchiven sowie Privatsammlungen ab, so ist zu erwarten, dass diese Entwicklung im 21. Jahrhundert zunehmen wird. Forschungsvorhaben schaffen sich mangels entsprechender Bestände in institutionellen Archiven zunehmend ihren eigenen Quellenapparat, im World Wide Web entstehen tagtäglich kleine und große Archive zur Geschichte und Gegenwart der Tanzkunst.
All diesen Initiativen ist zu eigen, dass sie im kleinen wenn auch in wesentlich kürzerer Zeit - eine der Geschichte der konventionellen Tanzarchive verblüffend ähnliche Entwicklung durchmachen. Ausgehend vom Ziel zu informieren, entwickelt sich ein Bestand, der zunehmend aus Sammlungsstücken besteht ein Kontext, in dem auch die Datei mit Text- und Bildinhalten nach kurzer Zeit ihren Charakter als aussagekräftiges Element tanzwissenschaftlicher Dokumentation verliert.
Vor dem Hintergrund dieser halböffentlichen Konkurrenz zur institutionellen öffentlichen Erinnerung werden die Archive der Tanzkunst der Zukunft, wollen sie mit ihren Beständen ernst genommen werden, nicht umhin kommen, eigeninitiativ bestandsbildend zu wirken. Freilich muss diese Bestandsbildung beim Alltag von Tänzern und Tänzerinnen, von Choreographen und Choreographen ansetzen. Dabei müssen die Dokumentation unter Einbeziehung moderner Medien und die kritische Reflektion der Methoden der Dokumentation eine produktive Verbindung eingehen.
Gefordert ist das wissenschaftliche Archiv, das in der Beschränkung aber auch in der Transparenz der Bestandsbildung die institutionelle Organisation und Verwaltung seines Wissens um Geschichte und Gegenwart von Tanz in enger Zusammenarbeit mit Forschungsinstitutionen legitimiert. Auch indem es seinen Nutzern selbstkritisch das Wissen um Mechanismen der Konstruktion von Erinnerung und Vergegenwärtigung von Geschichte an die Hand gibt damit die Tanzkunst der Gegenwart auch vor ihrem Tod den Weg ins Archiv findet ... und von dort aus wieder den Weg in die Zukunft des Tanzes führt.

Die Werkwoche >Verweile doch, du bis so schön< endet in einem dritten Schritt mit einer Visualisierung und Theatralisierung des von den Studierenden erstellten >Archivs auf Zeit<. In einer Bühnenperformance in der Alten Aula der Folkwang Hochschule sollen die Studierenden am Ende der Projektwoche die Gelegenheit bekommen, gemeinsam ihren ganz persönlichen Zugang zu den von ihnen bearbeiteten Dokumenten zu präsentieren und zu vermitteln. Dies kann in einer Ausstellung mit Führung ebenso wie in einer performativen Installation bis hin zu einer getanzten Interpretation einzelner Dokumente geschehen der Fantasie der Studierenden von einem >lebendigen Archiv< sollen hier bewusst keine Grenzen gesetzt werden.
Ziel ist es, den Studierenden nicht nur abstrakt die Existenz und die Besonderheit des Folkwang Tanzarchivs zu vermitteln, sondern ihnen durch die aktive Arbeit mit ausgewählten Dokumenten ein Archiv generell als Vorbild eines sinnvollen Umgangs mit Tanzgeschichte resp. der Tradition der Vermittlung des Tanzes an einer Hochschule zu vermitteln.
Ziel ist es aber auch, die Existenz des Folkwang-Tanzarchivs als >Archiv ohne Ort< durch die Integration in den Unterricht wie auch durch eine öffentliche Präsentation wieder ins Bewusstsein der Folkwang Hochschule und der Essener Öffentlichkeit zu bringen.

Ein Archiv- und Ausstellungsprojekt mit Studierenden der
Tanzabteilung der Folkwanghochschule Essen und dem Deutschen Tanzarchiv Köln
17. - 21. November 2008
Präsentation: 27. und 28. November 2008,
Alte Aula der Folkwang Hochschule
 

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